Ein israelischer Bulldozer am 8. November 2016 auf dem Weg zu einer Hauszerstörung in der al-‘Esawiyah Neighborhood in Ost-Jerusalem. By Hussam ‘Abed, by courtesy of B’Tselem.

Israels Hauszerstörungen im Westjordanland – das „Rekordjahr“ 2016

2016 kam es zu einer deutlichen Zunahme der Zahl palästinensischer Häuser, die von israelischen Behörden im gesamten Westjordanland zerstört wurden, einschließlich Ost-Jerusalem. Fehlende Baugenehmigungen werden als Vorwand vorgeschoben. Seit B’Tselem 2004 mit der systematischen Dokumentation begann, kam es in keinem Jahr zu mehr Hauszerstörungen als im vergangenen. In Ost-Jerusalem haben die Behörden 88 Wohnhäuser und 48 andere Gebäude abgerissen. Andernorts im Westjordanland zerstörten die Behörden weitere 274 Wohnhäuser und 372 andere Gebäude. Diese Hauszerstörungen belegen die israelischen Bemühungen, die Anwesenheit von Palästinensern in solchen Gebieten einzuschränken, die Israel annektieren will. Die Behörden ziehen für dieses Vorgehen Nutzen aus perfiden bürokratischen Verwaltungsinstrumenten.


Dieser Artikel erschien zuerst auf den Seiten von B’Tselem
und wurde von Jakob Reimann für JusticeNow! und Die Freiheitsliebe übersetzt.

Das Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem)

Im August 2015 führten die israelischen Behörden im gesamten Westjordanland eine beispiellose Kampagne von Hauszerstörungen durch und zerstörten dabei etwa 100 Gebäude – die Hälfte davon Wohnhäuser, in denen über 200 Menschen lebten, darunter etwa 100 Minderjährige. Die damals als ungewöhnlich umfangreich angesehene Welle der Zerstörung wurde Ende 2015 wegen der jüdischen und muslimischen Feiertage inoffiziell gestoppt. Anfang 2016 nahmen die Behörden die Zerstörungen wieder auf. Als die Monate verstrichen wurde das, was Ende 2015 noch als übertrieben maßloses Ausmaß der Zerstörung erschien, zur Norm und Teil der offiziellen israelischen Politik in der gesamten C-Area des Westjordanlands.

Als Teil dieser Politik zerstörte Israel im Jahr 2016 insgesamt 274 Häuser im Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem), wodurch 1.134 Menschen obdachlos wurden, darunter 591 Kinder. Das Ausmaß der von Israel herbeigeführten Zerstörung von 2016 überstieg gar die Zahlen abgerissenen Häuser aus 2014 und 2015 zusammengerechnet.

Ein Bulldozer des israelischen Militärs, der für Hauszerstörungen genutzt wird, auf einer Landstraße zwischen Nablus und Ramallah in der C-Area im Westjordanland. Das Foto wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Philipp Blank, Blankerman.

Die Hauszerstörungen der israelischen Behörden konzentrierten sich vor allem auf drei wesentliche Regionen: die South Hebron Hills, das Gebiet um Ma‘ale Adumim sowie das Jordantal. Die Bemühungen, Dutzende von kleinen Hirten- und Bauern-Communities aus der C-Area zu vertreiben, werden besonders in diesen drei Regionen deutlich. Im Ma‘ale Aumim-Gebiet, welches Land umfasst, das Israel als E1-Area bezeichnet, zerstörten die Behörden 49 Wohnhäuser, wodurch 224 Personen, darunter 115 Minderjährige, auf die Straße gesetzt wurden. In Gemeinden in den South Hebron Hills, die der drohenden Vertreibung ausgesetzt sind, zerstörten die Behörden 34 Wohnhäuser, 166 Personen, darunter 87 Minderjährige, wurden obdachlos. Besonders umfangreich waren die Hauszerstörungen im Jordantal: 551 Personen, darunter 291 Minderjährige wurden obdachlos, nachdem die Behörden dort 123 Wohnhäuser zerstörten.

Ost-Jerusalem

Die israelischen Behörden setzten ihre diskriminierende Politik gegen die palästinensischen Bewohner Ost-Jerusalems fort als Teil einer Gesamtstrategie, die darauf abzielt, Palästinenser zum Verlassen der Stadt zu drängen. Diese Maßnahmen sind Teil der Bemühungen, vor Ort demografische und geographische Tatsachen zu schaffen, die jeden zukünftigen Versuch, die israelische Souveränität über Ost-Jerusalem in Frage zu stellen, vereiteln würde. Im Jahr 2016 zerstörten die israelischen Behörden 73 Häuser in Ost-Jerusalem. 15 weitere wurden von ihren Besitzern selbst abgerissen, nachdem diese von den Ämtern entsprechende Abrissverfügungen erhalten hatten. Sie zerstörten ihre eigenen Häuser, um zu vermeiden, von den Israelis die Kosten des Abrisses und weitere heftige Geldstrafen auferlegt zu bekommen. Alles in allem machten die Behörden 295 Menschen obdachlos, darunter 160 Minderjährige. Dies ist die größte jährliche Zahl von Hauszerstörungen, seit B’Tselem im Jahr 2004 mit der Dokumentation in Ost-Jerusalem begann. Die Behörden rissen weiter auch 48 gewerbliche Gebäude ab. Diese Zahlen spiegeln eine starke Zunahme der Zahl der Abrisse in Ost-Jerusalem wider. Im Gegensatz dazu haben die Behörden im Jahr 2015 dort insgesamt „nur“ 47 Häuser abgerissen.

Um einen Eindruck der Absurdität der Hauszerstörungen zu erhalten, schaut Euch dieses Video an.

Die israelische Agenda

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich – trotz der Unterschiede zwischen der C-Area und Ost-Jerusalem bezüglich der zuständigen Behörden und der unterschiedlichen geltenden Gesetze – die Politik, die Israel in beiden Gebieten verfolgt, sehr ähnelt: die Zahl der Palästinenser soll in so viel Land wie möglich maximal reduziert werden. Voller Zynismus führen die Behörden den vermeintlich illegalen Häuserbau als Vorwand für die Hauszerstörungen an, während es dieselben Behörden sind, die den legalen Häuserbau von Palästinensern verbieten. Sie umgehen die Genehmigung von Bauplänen für Palästinenser und sagen dann, sie können keine Baugenehmigungen erteilen, weil es keine Pläne gibt. Die kürzlich der israelischen NGO Bimkom von der Zivilverwaltung vorgelegten Zahlen deuten darauf hin, dass die israelischen Behörden in den ersten sechs Monaten des Jahres 2016 insgesamt 37 Baugenehmigungen für Palästinenser in der C-Area erteilt hatten. Diese Zahl bleibt nicht nur weit hinter der Erfüllung der Bedürfnisse der Bevölkerung zurück, sondern zeigten Ermittlungen von Bimkom, dass die Zivilverwaltung unerwähnt ließ, dass praktisch alle Genehmigungen (35 der 37) auf eigenen Wunsch der israelischen Behörden für den Häuserbau in der al-Jabal-Region ausgestellt wurden. In dieses Gebiet südlich von Jerusalem plant die israelische Verwaltung die gewaltsame Zwangsumsiedlung von Beduinen-Gemeinden, die derzeit östlich der Maale Adumim-Siedlung leben. Dies bedeutet, dass die Zahl der Baugenehmigungen in der C-Area, die als tatsächliche Reaktion auf Anträge von Palästinensern erteilt wurden, praktisch nicht vorhanden ist – nämlich 2 an der Zahl.

Eine Palästinenserin der Badiw a-Mu’arrajat-Gemeinde, deren Haus von israelischen Behörden zerstört wurde. Photo of 1 Sept. 2016 by ‚Aref Daraghmeh, by courtesy of B’Tselem.

Während Israel diese Politik der Hauszerstörungen verfolgt, ignoriert es vorsätzlich die Realität, die es für Palästinenser schafft. Die staatlichen Behörden tun so, als würden sie nicht die geringste Verantwortung dafür tragen, wie diese Realität zu Stande kam. Ohne die Möglichkeit zum legalen Häuserbau bleibt den Palästinensern die einzige Option, ihre Häuser ohne Genehmigung zu bauen – um dann in ständiger Angst leben zu müssen, dem Abriss ihrer Häuser sowie ihrer gesamten Lebensgrundlage zuzusehen. Der Staat zwingt Zehntausende von Menschen dazu, in unmenschlichen Bedingungen zu leben, ohne eine Lebensgrundlage und ohne die Hoffnung oder die geringste Möglichkeit, ihre Lebenssituation zu verbessern. Diese seit Jahren umgesetzte Politik ist gesetzeswidrig und unmoralisch. Sie stellt die gewaltsame Zwangsumsiedlung von geschützten Palästinensern innerhalb der besetzten Gebiete dar, sei es direkt durch den Abriss ihrer Häuser, oder indirekt durch die Schaffung von unmöglichen Lebensbedingungen. Diese von sämtlichen Behörden verfolgte Politik verletzt direkt und im schwerstem Maße die fundamentalsten Menschenrechte von Zehntausenden von Palästinensern und indirekt jene von Hunderttausenden mehr. Gleichzeitig bietet diese Politik auch die entscheidenden Beweise dafür, dass Israel langfristige Pläne verfolgt, die gesamten Palästinensergebiete in Ost-Jerusalem und dem Westjordanland auch in Zukunft zu kontrollieren und seine Bewohner zu unterdrücken und zu enteignen.


Die Freiheitsliebe and JusticeNow! send a big THANK YOU and the best wishes to Israel-Palestine to the amazing staff of B’Tselem. Keep up your so important work – connect critical journalism worldwide!

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