Die Politik hätte viele Möglichkeiten, Polizeigewalt zu verhindern- Im Gespräch mit Karin Binder

Karin Binder
Karin Binder

Polizeigewalt ist ein wenig diskutiertes Problem in Deutschland, Amnesty International war die erste große Aktion, die sich der Thematik gewidmet hat. Karin Binder, Bundestagsabgeordnete der Linken, hat mit uns überPolizeigewalt in Deutschland und den Möglichkeiten diese zu verhindern, gesprochen.

Die Freiheitsliebe: In Deutschland hört man relativ wenig von Polizeigewalt, ist diese real vorhanden?

Karin Binder: Nur weil die Medien in Deutschland offenbar ungern über Polizeigewalt berichten, heißt das noch lange nicht, dass es sie nicht gibt. Die meisten Medien sind in der Hand von Konservativen und Neoliberalen, die kein Interesse daran haben, dass über Polizeigewalt in Deutschland berichtet und womöglich noch öffentlich diskutiert wird. Damit würde unsere Gesellschaft auf Probleme innerhalb unseres demokratischen Systems aufmerksam gemacht werden. Polizeigewalt ist in vielfältiger Form real vorhanden und zeigt sich nicht nur beim brutalen Vorgehen gegen DemonstrantInnen und dem Umgang mit dem Thema Meinungsfreiheit. Schikanöse Kontrollen und Inhaftierungen von MigrantInnen wegen Nichtigkeiten gehören ebenso dazu wie zum Beispiel Platzverweise gegen Jugendliche bei Aktionen zivilen Ungehorsams. Damit sollen Menschen eingeschüchtert und der Mut genommen werden, sich stärker für ihre Interessen einzusetzen, als dies dem Staat lieb ist.

Die Freiheitsliebe: Von Linken und Antifaschisten wird häufig auf Polizeigewalt auf Demonstrationen aufmerksam gemacht, in den Medien liest man wenig bis nichts über deren Berichte. Woher stammt der Unterschied?

Karin Binder: Alle, die sich politisch einmischen, ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und sich an Demonstrationen beteiligen, können entsprechende Erfahrungen sammeln. Wer sich in den vergangenen Jahren an Aktionen gegen Neonazis, gegen AKWs oder Castortransporte oder auch nur an Demonstrationen für eine andere europäische Politik beteiligt hat, hat diese Gewalt erlebt. Mittlerweile müssen sogar GewerkschafterInnen am 1.Mai damit rechnen.
Die Gewalt beginnt für Viele bereits bei den Großaufgeboten der Polizei, die in einem unverhältnismäßigen massiven „Schwarzen Block“ einem Häuflein Demonstrierender gegenüberstehen, die dann oft auch eingekesselt werden. Es geht weiter mit martialischen Ausstattungen, Ritterrüstungen mit Helm, Schlagstock, Pfefferspray und Handfeuerwaffen. Schon durch dieses Auftreten werden viele Menschen massiv eingeschüchtert und davon abgehalten, ihr Recht auf Demonstration und freie Meinungsäußerung wahrzunehmen.
Da beginnt für mich die Polizeigewalt.
Und das erzeugt dann die entsprechenden Reaktionen. Menschen die sich zumindest psychisch an die Wand gedrängt fühlen, werden versuchen, sich aus dieser Bedrängnis zu befreien. Nicht allen gelingt es, dabei ruhig und besonnen zu bleiben. Konflikte werden nach meiner Auffassung so von manchen Einsatzleitungen regelrecht provoziert. Ob das im Interesse oder Auftrag darüber stehender Behörden geschieht oder eigenmächtig agiert wird, ist sicherlich von Fall zu Fall verschieden.
Nur politisch überzeugte Menschen, die etwas im System ändern wollen, setzen sich solchem Stress aus. Deshalb kommen die Berichte auch überwiegend aus den Reihen linker und antifaschistischer Organisationen. Denn die anderen haben sich mit dem System ja arrangiert und darin eingerichtet, gehen also nicht protestieren.

Die Freiheitsliebe: Warum liest man davon immer nur, wenn etwas größeres passiert?

Karin Binder: Weil alles andere ja keine Schlagzeile Wert ist. Außerdem werden die meisten Medien von den Mächtigen in Wirtschaft und Politik kontrolliert und sie leben von deren Werbe- und Anzeigenaufträgen. Freiwillig treten Chefredakteure ihren Auftrag- und Geldgebern nicht ans Schienbein.

In verschiedenen Fällen wurden DemonstrantInnen, die sich gegen Polizeigewalt gewehrt haben, angezeigt und der Polizei Recht zugesprochen. Vertrauen die Gerichte eher der Polizei als den DemonstrantInnen?
ANTWORT:
Die „Vertrauenswürdigkeit“ vor Gericht ist die eine Sache, die eben oft am Alter, an geregeltem Einkommen, festem Arbeitsplatz und bislang „unauffälligem“ Verhalten festgemacht wird. Ein weiterer Umstand aber ist, dass die Polizei für ihre Seite meist viele Zeugen benennen kann. Während die DemonstrationsteilnehmerInnen oft nur wenige Zeugen namentlich benennen können. Und diese Zeugen laufen dann auch noch Gefahr, sich selbst den gleichen juristischen Vorwürfen und Anschuldigungen auszusetzen.

Die Freiheitsliebe: Gibt es Möglichkeiten sich (juristisch) gegen Polizeigewalt zu wehren?

Karin Binder: Ja natürlich gibt es diese Möglichkeiten. Man sollte sie auch nutzen. Aber letztendlich ist das neben der Frage von Zeugen auch oft eine Frage des Geldes, das man zumindest für einen Anwalt ausgeben müsste.

Linke und Polizeigewalt

Die Freiheitsliebe: In Berlin können DemonstrantInnen sich auf Demonstrationen sicherer fühlen, da die Polizei Kennzeichen tragen muss. Ist das Berliner Model auch für andere Länder geeignet?

Karin Binder: Selbstverständlich wäre das ein Modell für alle Bundesländer wie auch für die Bundespolizei. Aber davon wollen weder die meisten anderen Landesregierungen noch die Bundesregierung etwas wissen. Die Linksfraktion hatte zuletzt im Februar 2011 einen Antrag auf Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei gestellt. Nur die Grünen haben zugestimmt. CDU/CSU und FDP haben ihn abgelehnt und die SPD hat sich enthalten.

Die Freiheitsliebe: Besteht durch die Kennzeichnung keine Gefahr für die PolizistInnen?

Karin Binder: Welche Gefahr soll bestehen, wenn eine Identifikation nur über die Behörde möglich wäre z.B. über einen Nummerncode. Ein Name wäre aber sicher in vielen Situationen hilfreicher. Allein schon ein Gespräch mit einem Polizisten oder ein Hilfeersuchen eines Bürgers könnte so wesentlich entspannter beginnen und geführt werden. Es hätte auch etwas mehr Verbindlichkeit, dies gilt auch für angespannte Situationen auf Demos. PolizistInnen würden nicht als „Nummern“ sondern vielleicht als Ansprechpartner wahrgenommen werden. Dies könnte auf vielen Demonstrationen manche Situation entspannen.
Auf jeden Fall würde es zu einer Disziplinierung manch „übermotivierter“ PolizistInnen beitragen.

Die Freiheitsliebe: Welche Möglichkeiten hat die Politik um Gewalt auf Demonstrationen oder bei Einsätzen zu verhindern? Wie können beide Seiten geschützt werden?

Karin Binder: „Die Politik“ hätte viele Möglichkeiten. Eine davon wäre die Kennzeichnungspflicht für die Polizei. Eine weitere Möglichkeit wäre, den Einsatz von Pfefferspray und anderen gefährlichen Reizgasen entsprechend einzuschränken oder ganz zu verbieten. Auf Demos wird oft unerlaubter Weise willkürlich in die Menge gesprüht, was dann natürlich zu heftigen Gegenreaktionen bei den TeilnehmerInnen führt. Diese Sprays haben nachweislich gesundheitsschädliche Wirkungen auf viele Menschen, was unter bestimmten Umständen sogar tödlich enden kann. Das hat eine Studie ergeben, die in meinem Auftrag erstellt wurde. Aber auch ein darauf folgender Antrag der Linksfraktion auf ein Verbot von Pfefferspray wurde von den anderen Fraktionen im Bundestag abgelehnt. Die Grünen haben sich enthalten. Es wurde damit argumentiert, Pfefferspray sei eine „Distanzwaffe“ und ein Einsatz von Pfefferspray wäre ja nur im Falle der Notwehr gerechtfertigt und damit könne der Schusswaffengebrauch vermieden werden. Das viele Menschen dadurch ungerechtfertigt zu Schaden kommen, war offenbar nicht relevant.

Die Freiheitsliebe: Abschließend die Frage: Ist die Linke zu kritisch gegenüber der Polizei oder sind die anderen Parteien zu unkritisch?

Karin Binder: Ja, DIE LINKE ist kritischer als die anderen Parteien einschließlich der Grünen und der SPD. Wir sind die einzige Oppositionsfraktion im Bundestag, die sich kritisch mit dem deutschen und europäischen Wirtschaftssystem auseinander setzt und für mehr Demokratie streitet. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Die anderen haben sich in diesem kapitalistischen System eingerichtet und gemütlich gemacht. Aber viele Proteste und Demonstrationen in den letzten Jahren richten sich gegen dieses neoliberale Wirtschaftssystem – mit dem gleichzeitigen Anspruch, demokratische Rechte zu verteidigen.
Die Polizei hat die Aufgabe, dieses System (und seine Banken und andere Einrichtungen) im Sinne der Regierenden zu schützen. Deshalb geraten LINKE häufiger in Konfrontationen mit der Polizei als die Mitglieder anderer Parteien, was dann wiederum zu einer eher kritischeren Haltung führt.

Die Freiheitsliebe: Wir danken dir für das Interview

PS. Die Anträge / Bundestagsdrucksachen von denen ich in meinen Antworten sprach:

1.) BT-Drucksache Nr.17/4682
„Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei“

2.) BT-Drucksache Nr.17/5055
„Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken“

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