Linke brauchen Gewerkschaften – Gewerkschaften brauchen die Linke – Im Gespräch mit Klaus Ernst

Klaus Ernst

Die meisten Gewerkschafter sehen sich selbst als links, die Gewerkschaftsführung ist in den meisten Fällen noch auf die SPD ausgerichtet. Wir haben mit dem ehemaligen Parteivorsitzenden der Linken, Klaus Ernst, über Möglichkeiten und Probleme der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Du warst lange kritischer Gewerkschaftsfunktionär und hast die WASG mitgegründet. Hat sich die Hoffnung erfüllt, eine Partei links der SPD zu gründen, in der kritische und kämpferische GewerkschafterInnen mitarbeiten?

Klaus Ernst: Das liegt für mich auf der Hand. Der Zusammenschluss von WASG und PDS zur Partei DIE LINKE hat dafür gesorgt, dass sich erstmals seit Jahrzehnten eine gesamtdeutsche Kraft links der SPD etablieren konnte. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter spielten in der Partei von Anfang an eine wichtige Rolle. Ich selbst war schließlich zwei Jahre lang Co-Vorsitzender der Partei. Und auch mein Nachfolger Bernd Riexinger war bis zu seiner Wahl ein äußerst aktiver Gewerkschaftsfunktionär.
Allerdings engagieren sich nach wie vor viel zu wenige Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der LINKEN. Ganz besonders auf der mittleren Funktionärsebene der Gewerkschaften gibt es noch immer eine starke Bindung an die SPD, die sich politisch nicht erklären lässt.

Die Freiheitsliebe: Öffnen sich die GewerkschafterInnen in der LINKEN für politische Fragen oder gelangt eher DIE LINKE auf einen Kurs, der Arbeitskämpfe als wichtigste Auseinandersetzung ansieht?

Klaus Ernst: Mit ihrem Eintritt in DIE LINKE bzw. die WASG haben sich die Kolleginnen und Kollegen entschieden in einer politischen Partei mitzuwirken. Das setzt bereits die Einsicht voraus, dass die Interessen der Arbeitnehmerschaft nicht nur eine gewerkschaftliche, sondern auch eine politische Vertretung brauchen. Vergessen wir nicht, dass die maßgeblich von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern initiierte Gründung der WASG eine Reaktion auf die rot-grüne Agenda 2010 war. Sie erfolgte in dem Bewusstsein, dass die Arbeitsmarktreformen und der Abbau des Sozialstaats auch die Spielräume für die Tarifpolitik verengen.
Auf der anderen Seite halte ich das Bewusstsein über die zentrale Rolle von gewerkschaftlichen Kämpfen bei vielen Genossinnen und Genossen in der LINKEN für ausgesprochen unterentwickelt. Selbst in unserer Fraktion gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht einmal Mitglied der Gewerkschaft sind.

Die Freiheitsliebe: Viele junge GewerkschafterInnen sehen sich als Linke an, sollte man sie für die Partei gewinnen?

Klaus Ernst – Im Jahre 2007 -Foto von Aris

Klaus Ernst: Jeder, dem das Ideal einer sozial gerechten, demokratischen und friedlichen Gesellschaft vorschwebt, sollte sich parteipolitisch engagieren. DIE LINKE bietet am ehesten die Chance sich mit gewerkschaftlichen Positionen durchzusetzen. Und die Partei kann engagierten Nachwuchs gut gebrauchen.

Die Freiheitsliebe: Könnte, falls es dazu kommen sollte, eine starke Dominanz von GewerkschafterInnen der Partei auch schaden?

Klaus Ernst: Nein, denn DIE LINKE braucht eine starke Verankerung in der organisierten Arbeitnehmerschaft. Ich bringe es gern noch einmal auf den Punkt: Nach meiner Auffassung sind noch immer viel zu wenig Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der LINKEN und viel zu wenig Mitglieder der LINKEN in der Gewerkschaft.

Die Freiheitsliebe: DIE LINKE überholt die Gewerkschaften in vielen Forderungen von links, sind gemeinsame Kämpfe trotzdem möglich?

Klaus Ernst: Gemeinsame Kämpfe sind nicht nur möglich, sondern dringend notwendig. Dafür sollten wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen. Uns eint die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, wir lehnen die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ab und wollten den Fiskalpakt verhindern. Das sind politische Entscheidungen, die auf die Lebensbedingungen von etlichen millionen Menschen zurückwirken. Wenn wir uns durchsetzen wollen, müssen wir Druck aufbauen und das geht am Besten gemeinsam. Die im April gegründete Initiative „umFAIRteilen“, an der sich die großen Sozialverbände, die Gewerkschaften ver.di und GEW und natürlich auch DIE LINKE beteiligen, ist ein gutes Beispiel dafür, wie solche Bündnisse aussehen können.

Die Freiheitsliebe: Der Mindestlohn, eine Forderung der Gewerkschaften, wurde von der LINKEN ins Parlament getragen. Hat die Forderung die Möglichkeit einer Loslösung der Gewerkschaften von der SPD geschaffen?

Klaus Ernst: Die Loslösung vieler Gewerkschaftsmitglieder von der SPD ist bereits mit der Agenda 2010 erfolgt. Als Konsequenz haben die Gewerkschaften bei den Bundestagswahlen auf die traditionelle Wahlempfehlung für die SPD verzichtet. Im Moment erleben wir, dass sich die SPD wieder um die Gewerkschaften bemüht. Ihrer Politik der letzten Jahre zum Trotz, schreibt sie sich nun selbst den Mindestlohn auf die Fahnen. Auch das Gepolter ihres Parteichefs in den letzten Wochen gibt einen Vorgeschmack darauf, was die Wahlkampfthemen der Sozialdemokraten sein werden.

Die Freiheitsliebe: Die Politik der Gewerkschaften ist auf eine Verbesserung des Systems ausgerichtet, die der LINKEN auf eine Überwindung des Systems, passen die Forderungen zusammen?

Klaus Ernst: Ich würde das nicht so pauschalisieren. In erster Linie streiten die Gewerkschaften für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmerschaft. Das muss auch für DIE LINKE ein zentrales Thema sein. Die Gewerkschaften wollen mehr Mitbestimmung in den Betrieben. DIE LINKE will eine Beteiligung der Beschäftigten an ihren Unternehmen. An dieser Stelle sehe ich keinen Widerspruch.

Die Freiheitsliebe: Innerhalb der LINKEN gibt es Strömungen, die die Gewerkschaften wegen dieser Unterschiede kritisieren und eine stärkere Fokussierung auf antikapitalistische Positionen fordern. Was ist der richtige Umgang mit dieser Kritik?

Klaus Ernst: Ich halte eine solche Polarisierung für Quatsch. Die Voraussetzungen für die Überwindung des Kapitalismus sind erstens eine gut organisierte Arbeitnehmerschaft, zweitens eine starke politische Partei mit antikapitalistischem Anspruch und drittens die Zustimmung in der Bevölkerung zu diesem Ziel. An den Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften, den Wahlergebnissen der LINKEN und dem Mehrheitsbewusstsein der Bevölkerung lässt sich deutlich erkennen, dass wir von der Überwindung des Kapitalismus noch weit entfernt sind.
Vor diesem Hintergrund die Gewerkschaften zu kritisieren, weil sie sich für die unmittelbare Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingung der Arbeitnehmerschaft einsetzen, bringt uns einem anderen Wirtschaftssystem auch nicht näher.
Abgesehen davon hat es in den Gewerkschaften immer ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kapitalismuskritik gegeben. Ich möchte nur an das Zitat des ehemaligen IG-Metall Vorsitzenden Eugen Loderer erinnern: „Der Kapitalismus hat nie seinen Frieden mit den arbeitenden Menschen gemacht. Deshalb können wir keinen Frieden mit dem Kapitalismus schließen.“
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