Laut einer Untersuchung der NGO Save the Children sind im Jemen seit Kriegsbeginn 2015 bis zu 85.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger gestorben. Die Bundesregierung trägt eine Schuld an diesen Toten, da sie Schiffe an Saudi-Arabien verkauft, die für die Implementierung der Seeblockade genutzt werden – einer der Hauptgründe der historischen Hungersnot im Jemen.
85.000 Kinder unter fünf Jahren sind im Jemen als Folge des seit März 2015 wütenden Kriegs an Hunger gestorben, so die Zahlen einer neuen Studie der Kinderrechts-NGO Save the Children. Dies entspricht der Zahl aller unter fünfjährigen Kinder in Hamburg, der zweitgrößten Stadt Deutschlands.
„Für jedes Kind, das durch Bomben und Kugeln getötet wird, sterben Dutzende am Hunger“, erklärt Tamer Kirolos, Jemen-Direktor von Save the Children. „Kinder, die auf diese Weise sterben, erfahren unermessliches Leid, da sich ihre lebenswichtigen Organfunktionen verlangsamen und schließlich aufhören zu arbeiten“, so Kirolos weiter. „Einige Kinder sind sogar zu schwach, um zu weinen.“
Nach Angaben der UN stehen 400.000 Kinder im Jemen am Rande des Hungertods – entsprechend etwa der Zahl aller Unter-Fünfjährigen in ganz Baden-Württemberg.
Ein monströses Zeugnis der Schande
Laut UN-Nothilfe ist die Zahl der akut von Hunger gefährdeten Menschen im Jemen auf 14 Millionen angestiegen, was der Hälfte der gesamten Bevölkerung entspricht – Ende Februar waren es noch 8,4 Millionen. Die Gründe für diese Hungersnot sind zahlreich und liegen einerseits auf der Angebotsseite. Vor dem Krieg importierte der Jemen etwa 90 Prozent aller Lebensmittel, davon wiederum 80 Prozent über den Rotmeerhafen Hodeida. Neben der völkerrechtswidrigen Seeblockade der Saudi-Emirate-Koalition ist vor allem die seit Juni andauernde Großoffensive auf Hodeida – die buchstäbliche Lebensader des Jemen – für die dramatische Zuspitzung der Hungersnot verantwortlich (ich berichtete ausführlich über die Schlacht um Hodeida auf den NachDenkSeiten).
Andererseits liegt die Ursache im als Folge des Krieges kollabierten Finanzsystems und der Wirtschaft des Jemen; insbesondere im Einbrechen der jemenitischen Währung. Menschen können sich schlicht kein Essen mehr leisten. Mehr als die Hälfte aller jemenitischen Haushalte kauft Grundnahrungsmittel auf Kredit. Menschen sind gezwungen, auf Mülldeponien nach Nahrung zu suchen, essen Verdorbenes oder Blätter, um dem lähmenden Hunger zu trotzen.
„Die schlimmste Hungersnot unter unseren Augen ist vollkommen menschengemacht“, erklärt zutreffend Jan Egeland, Generalsekretär des im Jemen aktiven Norwegian Refugee Council, und resümiert: „Zivilisten im Jemen verhungern nicht, sie werden ausgehungert.“
Diese wahren Worte erinnern an den berühmten Ausspruch von Jean Ziegler, einem der größten Verteidiger der Menschenwürde unserer Zeit:
„Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet.“
Die 85.000 seit Kriegsbeginn im Jemen verhungerten Kleinkinder wurden ermordet. Von der Saudi-Emirate-Koalition, die – ermöglicht einzig durch die Unterstützung des Westens – Hunger als militärische Waffe missbraucht. Und damit durchkommt.
Bei Recherchen zum Krieg im Jemen stoße ich zwangsläufig immer wieder auf herzzerreißende Fotos und Videos ausgezehrter Kinder, kurz davor, dem Hunger zum Opfer zu fallen. An anderer Stelle schrieb ich:
Die beschämende Wucht dieser Bilder der jemenitischen Kinder, die ihre letzten physischen Kräfte für gelegentliche Atemzüge aufwenden, gerade so noch nicht tot, ist ein Schlag ins Gesicht des Menschheitsgewissens. Als monströses Zeugnis der Schande menschengemachten Elends sollten sie ebenso ihren Weg ins kollektive Bewusstsein finden wie die Bilder der ausgemergelten Buchenwald-Häftlinge oder die der vom Agent Orange missgebildeten Kinder in Vietnam. Doch der Jemen scheint unendlich weit weg, der brutale Krieg findet einfach keinen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung.
Umso bezeichnender ist es, dass nicht etwa das Leid dieser Kinder – diese Toten sind der Empathie des Weltgewissens nicht zugänglich – die Regierungen im Westen zwang, ihre Unterstützung für die Saudi-Emirate-Koalition zu hinterfragen. Vielmehr bedarf es des Mordes an einem Kolumnisten der Washington Post, um den weltweiten Druck auf Saudi-Arabien und dessen westliche Verbündete derart zu erhöhen, dass sie sich zumindest zu symbolischen Handlungen genötigt sahen – der Fall Jamal Khashoggi.
Sanktionen – das Täuschungsmanöver der Bundesregierung
Als Folge des brutalen Khashoggi-Mordes verhängte die deutsche Regierung Sanktionen gegen Riad. Gegen 18 mutmaßlich am Khashoggi-Mord beteiligte Staatsbürger des Königreichs wurden Einreiseverbote verhängt, sowie mit unmittelbarer Wirkung Rüstungsexporte ausgesetzt, sowohl zukünftige als auch bereits genehmigte. Frankreich zog nach und verhängte ebenfalls Einreiseverbote, Dänemark und Finnland stellten ihre – bescheidenen – Waffenlieferungen ein.
Doch die Sanktionen der Bundesregierung sind nichts als ein Täuschungsmanöver, um dem auch in der deutschen Öffentlichkeit zaghaft steigenden Druck den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn unter den 18 mit Einreiseverbot belegten Saudis befindet sich weder König Salman, noch der Kronprinz und eigentliche Machthaber Mohammed bin Salman (MbS), den mittlerweile selbst die CIA als Auftraggeber des Khashoggi-Mordes beschuldigt – es werden lediglich Bauern unterer Hierarchieebenen geopfert. Zudem sitzen viele der sanktionierten Personen ohnehin in saudischer U-Haft, fünf von ihnen erwartet die Todesstrafe – welchen Sinn haben Einreiseverbote nach Deutschland gegen Menschen im Todestrakt in Saudi-Arabien?
Doch vor allem der vermeintliche Rüstungsexportstopp stellt eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit dar, da der Stopp auf genehmigte Rüstungsgüter lediglich für zwei Monate gilt. Auch war der „Stopp“ lediglich eine unverbindliche Empfehlung an die Rüstungsbranche, die sich als Kompromiss zwei Monate freiwillig an diese hielt. Die Maßnahme beträgt Waffenlieferungen in Höhe von knapp zweieinhalb Milliarden Euro, die vom Umfang her nun genau so ausgeliefert werden wie geplant. Darunter befinden sich auch 34 Schiffe der Peene-Werft in Mecklenburg-Vorpommern; mit einer Kaufoption auf 14 weitere. Diese werden von der Saudi-Emirate-Koalition eingesetzt, um die völkerrechtswidrige Seeblockade des Jemen zu implementieren, die – Nahrungsmittelimporte bleiben aus – einer der Hauptgründe für die Hungerkatastrophe im Jemen ist.
Hier schließt sich der Kreis: Der brutale dreieinhalb Jahre währende Krieg der Saudi-Emirate-Koalition gegen die Bevölkerung des Jemen führte zu einer historischen Hungersnot, an der bereits 85.000 Kinder unter fünf Jahren gestorben sind – und die Bundesregierung legt der Koalition jene Mittel in die Hand, die den Mord an den nächsten 85.000 Kindern herbeiführen werden.
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