Forscher räumt mit Vorurteilen über „Clans“ auf

Bei kaum einem Begriff gehen Fakten und mediale Darstellung soweit auseinander wie beim „Clan“-Begriff und den Debatten um jene, die damit gemeint sind. Dr. Mahmoud Jaraba vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa hat analysiert, wie viel an den gängigen Mythen zu Clans wirklich dran ist.

Anhand von fünf Punkten zeigt er die Diskrepanz zwischen Realität und Darstellung auf. In Deutschland kaum Berücksichtigung findet seine erste Erkenntnis: „1. Die als „Clans“ bezeichneten Großfamilien blicken auf eine lange Geschichte von Marginalisierung und Ausgrenzung zurück – sowohl in ihren Herkunfts- und Zufluchtsländern als auch in Deutschland.“ In Deutschland wird dieser Punkt in der Beschreibung meist nur am Rande erwähnt, denn die Auseinandersetzung mit einer Geschichte der Ausgrenzung würde dem Bild der Familien, die alle wegen ihres mangelnden Integrationswillens kriminell sind, entgegenstehen. Zu den Ursachen der Diskriminierung schreibt Jaraba, dass diese schon in der Türkei begonnen hat, weswegen die Menschen in den Libanon flüchteten, dort wurden sie ebenfalls ausgegrenzt: „Sie durften nicht wählen, hatten keinen Zugang zu Bildung oder zu Sozialleistungen.“ In Deutschland angekommen wurde ihnen das Asyl verweigert und sie wurden nur geduldet, dies ging einher mit massiver Diskriminierung, die teilweise bis heute andauert: „Sie können nicht frei reisen, nicht standesamtlich heiraten, haben nur eingeschränkte Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten und dürfen teilweise kein Bankkonto eröffnen.“

Keine homogene Gruppe

Liest man Artikel in deutschen Medien, entsteht der Eindruck, dass alle Mitglieder sogenannter Clans gleich seien und somit, das wird impliziert, auch alle kriminell oder zumindest offen dafür seien. Beiden Einschätzungen widerspricht Jaraba in seiner Studie: „2. Die Großfamilien sind keineswegs eine homogene Gruppe unter der Führung eines Clan-Chefs. Im Gegenteil: Es gibt Meinungsdifferenzen und Spaltungen unter den Familienmitgliedern. 3. Nur wenige Angehörige der Großfamilien sind kriminell. Allerdings erhalten diese Personen viel Aufmerksamkeit von Medien und Politik.“

Zur vermeintlichen Identifikation mit der Großfamilie, die in Deutschland mit dem Clan-Begriff gemeint ist, heißt es: „Die Spaltung der Großfamilie im Laufe der Zeit hat zu einem Rückgang der Loyalität gegenüber der Großfamilie geführt. Heute bestehen Loyalität und ein Zusammengehörigkeitsgefühl vor allem für die Kernfamilie. Viele meiner Interviews mit Mitgliedern von Großfamilien zeigen, dass Teile der neuen Generation sich mehr um ihre Kernfamilie, ihre Ausbildung, Arbeit und ihre persönlichen Interessen kümmern als um die Großfamilie und ihre sozialen Netzwerke.“ Die Idee, dass die Großfamilie im Zentrum steht und die Verbundenheit vor allem über diese führt, wird von den Menschen selbst nicht geteilt. Vielmehr sind sie ein Symbol, welches zur Abwertung dient, als tatsächlicher Bezugsrahmen der Menschen.

Die Behauptung, dass ein Großteil von Menschen aus den Großfamilien kriminell ist, wird weder von den Statistiken belegt noch gibt es andere Beweise dafür. Um trotzdem eine Mithaftung zu ermöglichen, werden die Menschen als stille und billigende Mitwisser dargestellt. Innerhalb der Familien läuft Kriminalität wenn überhaupt nur im Kontext der Kleinfamilie ab, die große Mehrheit der Familienmitglieder ist nämlich nicht nur nicht kriminell, sie fordern vom Staat „konsequent gegen diese Personen vorzugehen – aber eben auch nur gegen diese, und nicht gegen alle Familienangehörigen.“ Somit wird, anders als suggeriert wird, nicht der Kampf gegen Kriminalität abgelehnt, sondern nur dass dafür alle haftbar gemacht werden, die den gleichen Namen haben.

Dies beschreibt Jaraba in seiner vierten Erkenntnis: „In meiner Forschung habe ich keine Hinweise darauf gefunden, dass „die Großfamilien“ selbst kriminelle Aktivitäten organisieren oder unterstützen. Stattdessen gibt es sehr viel interne Kritik an den Familienangehörigen, die straffällig werden.“ Die Analyse zeigt, dass es sowohl innerhalb der Familie scharfe Kritik an kriminellem Verhalten gibt, wie auch durch die Organisationen, die den Großfamilien nahestehen, wie etwa die Familien-Union oder der islamische Verein „Al-Ahbas“.

Fortlaufende Diskriminierung

Die Darstellung als Kriminelle ist für die Betroffenen nicht folgenlos: „5. Angehörige der Großfamilien fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie für das Fehlverhalten eines kleinen Personenkreises verantwortlich gemacht werden. Sie erleben Diskriminierung im Alltag, in der Schule sowie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.“ Anhand des Beispiels von Omar zeigt Jaraba auf, wie sich die Diskriminierung in Deutschland auswirkt. Ähnliches haben wir anhand eines Falles aus Essen, der sich so auch in Neukölln oder Bremen finden lässt, geschildert: der Kettenduldungen. Die Folge der Stigmatisierung sind bei Menschen mit Kettenduldungen noch stärker, da sie weder arbeiten noch sich bilden dürfen, aber auch diejenigen, die einen deutschen Pass haben, leiden unter Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie an der Stigmatisierung im Lebensalltag.

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