Erneuter Schlag der bahrainischen Herrscherfamilie gegen die Opposition

Das seit Jahren intensivierte und eskalierte Vorgehen der bahrainischen Herrscherfamilie gegen die vorwiegend schiitisch geprägte Opposition in Bahrain hat in den letzten Wochen seinen einstweiligen Höhepunkt gefunden: bereits Ende Juni wurden alle Aktivitäten der al-Wifaq-Bewegung („Islamische Gesellschaft der nationalen Einheit“)ausgesetzt, ihr Vermögen wurde eingefroren, die Parteibüros geschlossen. Dem Justizministerium allerdings ging auch das nicht weit genug: es wollte eine vollständige Auflösung derjenigen Bewegung erreichen, deren 18 Parlamentarier – der größte Block von Abgeordneten im Parlament von Bahrain – im Februar 2011 im Zuge der Niederschlagung der friedlichen Proteste ihre Mandate niedergelegt hatten. Sie und ihre Partei hörten derweil nie auf, die Repression, die mangelnde Demokratie sowie die strukturelle und institutionalisierte Ungleichbehandlung von Sunniten und Schiiten in dem kleinen Inselstaat zu kritisieren.

Dass das angerufene Verwaltungsgericht in der Hauptstadt Manama der Forderung des Justizministeriums nun nachgekommen ist, stellt einen Baustein mehr in der Kampagne der Regierenden gegen die Opposition dar, an deren Ende offenbar deren endgültige Zerschlagung stehen soll. Begründet wurde die Entscheidung des Gerichts ein weiteres Mal mit der angeblichen Förderung von Gewalt, Terrorismus und Radikalität durch die Organisation al-Wifaq und ihre Führer. Außerdem bezichtigte man sie, einer „Einmischung“ in die Angelegenheiten des Landes Vorschub zu leisten – gemeint sind mit dem Vorwurf der Einflussnahme von außen Iran und dessen politische Führung. Die Begründung ist fatal, stützt sie sich doch wie in der Vergangenheit schon so häufig geschehen auf die Behauptung, die Opposition, die schon allein aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Land schiitisch geprägt ist (schätzungsweise stellen Schiiten 70 % der Bevölkerung), sei eine fünfte Kolonne Teherans, die sich eigentlich nicht mit ihrem eigenen Land, Bahrain, identifiziere, sondern einen Anschluss an die Islamische Republik wünsche. Dass die Realität anders aussieht, zeigten die Schiiten Bahrains schon im Jahr vor der Unabhängigkeit des Landes: in einem 1970 abgehaltenen Referendum entschied sich die große Mehrheit der schiitischen Bevölkerung Bahrains gemeinsam mit den Sunniten, Christen und Juden des Landes für die Unabhängigkeit. Ein Anschluss an Iran, dessen damaliger Herrscher, der Shah, aufgrund der bis ins 16. Jahrhundert reichenden persischen Herrschaft über Bahrain den Anspruch seines Landes auf das Gebiet artikulierte, kam auch für die Schiiten Bahrains offensichtlich nicht in Frage. Die herrschende Khalifa-Familie fühlte sich damals weit mehr durch den in der Region an Einfluss gewinnenden Nasserismus bedroht, der die traditionellen arabischen Monarchien von der Macht verdrängen wollte. Erst mit der Islamischen Revolution in Iran und den zunächst offensiven Versuchen eines Exports der Revolution machten die Herrschenden zunehmend die schiitische Bevölkerung als Feind aus, die im Dienste Teherans handele und eine Islamische Republik auch in Bahrain aufbauen wolle.

Diese Argumentation der Khalifa-Familie findet sich immer wieder: bereits im Mai diesen Jahres erhöhte ein bahrainisches Berufungsgericht die Gefängnisstrafe des Führers der al-Wifaq-Bewegung, Scheich Ali Salman, von im letzten Sommer vier verkündeten auf neun Jahre. Die Herrschenden werfen ihm vor, ihren Sturz zu wollen, außerdem habe er das Königshaus beleidigt. Vor allem aber habe er Hass zwischen den Konfessionen des Landes geschürt. Ähnliche Vorwürfe machte das bahrainische Innenministerium Issa Qassim, dem höchsten schiitischen Geistlichen des Landes, als es ihm – ebenfalls Ende Juni – die Staatsangehörigkeit entzog: er habe zudem Kontakte zu Parteien und Organisationen unterhalten, „die Feinde des Königreichs sind“. Solche inzwischen fast alltäglichen Vorwürfe sind in den allermeisten Fällen konstruiert:

Die Opposition des Landes fordert seit Jahrzehnten Reformen: Ziel ist die vollständige politische und sozio-ökonomische Gleichberechtigung der schiitischen Bevölkerungsteile mit den Sunniten des Landes. Tatsächlich ist die schiitische Bevölkerung marginalisiert. Sie soll aus dem Herrschaftsapparat herausgehalten werden, wirtschaftlich geht es Schiiten größtenteils weit schlechter als ihren sunnitischen Landsmännern. Die Hoffnung der schiitischen Bevölkerungsteile, die sie auf den heutigen König Hamad bin Isa Al Khalifa gesetzt hatten als er 1999 den Thron bestieg, haben sich nicht erfüllt. Zwar ließ er parteiähnliche Zusammenschlüsse zu und machte so die Entstehung von Bewegungen wie der al-Wifaq erst möglich. Das politische System blieb aber weitestgehend bestehen, die „demokratischen Reformen“ waren ihren Namen nicht wert. Die Herrschenden beeinflussten weiter die Wahlen, indem die Einteilung der Wahlkreise sunnitische Kandidaten bevorzugte und so deren Dominanz – entgegen den eigentlichen Mehrheitsverhältnissen im Land – garantierte. So werden im Unterhaus nur 18 der 40 Sitze von Schiiten bekleidet und ohnehin kann der Konsultativrat, dessen Mitglieder vom König ernannt werden, Entscheidungen der Abgeordnetenkammer blockieren. Letztere kann zudem durch den König aufgelöst werden. Mit der forcierten Einbürgerung von Sunniten aus anderen Ländern, die häufig auch anstelle von bahrainischen Schiiten im Sicherheitsapparat beschäftigt werden, sollte das Gleichgewicht weiter zugunsten der Herrscherfamilie und ihrer Klientel verschoben werden. Die schiitische Bevölkerung hat es viel schwerer, eine Anstellung zu finden, insbesondere von Jobs in Ministerien, Armee oder Polizei sind sie faktisch ausgeschlossen. Sozioökonomisch wurden die „loyalen“ Bevölkerungsgruppen weiter bevorzugt, selbst Wohnraum zu finden ist für Schiiten viel schwerer als für Sunniten. Der Unmut unter den schiitischen Bevölkerungsteilen stieg – nicht zuletzt auch wegen ihrer Stigmatisierung als „illoyal“, eine Zuschreibung die sich für das Herrscherhaus in erster Linie an der konfessionellen Identität festmachte.

Die ohnehin angespannte Situation im Land verschärfte sich massiv mit den Protesten im Zuge des „arabischen Frühlings“, als ab dem 14. Februar 2011, dem 10. Jahrestag der Nationalen Aktionscharta, die angeblich ernsthafte Reformen einleiteten sollte, immer mehr Menschen auf die Straße gingen. Die Herrschenden in Bahrain entschieden sich ein weiteres Mal nicht für den Dialog, sondern für die Konfrontation: mit Hilfe saudi-arabischer Truppen wurden die Proteste brutal niedergeschlagen. Die vom König eingesetzte internationale Bassiouni-Kommission kam zu dem Schluss, dass die bahrainischen Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung der Proteste von 2011 unverhältnismäßige Gewalt und Folter einsetzten. Von den Demonstranten hingegen ging zunächst keine Gewalt aus. Der Bericht der Bassiouni-Kommission konstatiert, es gebe keinerlei Anhaltspunkte für die Verwicklung Irans in die Demonstrationen, die von den Herrschenden behauptete konfessionalistische Dimension der Proteste bestätige sich nicht. Die Führer der schiitischen Opposition, insbesondere Persönlichkeiten wie Ali Salman und Issa Qassim, haben konsequent dazu aufgerufen, sich ausschließlich friedlicher Mittel zu bedienen und keinerlei Gewalt anzuwenden. Die legitimen Forderungen nach einer Demokratisierung der Institutionen, einem Ende der Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten, nach Verbesserung der Lebensbedingungen und einer Gleichbehandlung aller Bürger unabhängig von ihrer konfessionellen Identität bis hin zur Forderung nach einer neuen Verfassung waren und sind legitim und international auch anerkannt. Es handelt sich dabei eben nicht um einen religiösen, sondern um einen genuin politischen Konflikt. Das haben die politischen Führer, die diese Forderungen vertreten, immer betont. Es war gerade die Opposition, die den Gebrauch einer konfessionalistischen Sprache und das Schüren von interkonfessionellem Hass tunlichst vermied. Es gehe den Protestierenden nicht um den sunnitischen Premierminister, so Ali Salman, sondern man fordere einen Ministerpräsidenten, den das Volk, den die Bürger Bahrains wollten.

Wichtiger Partner der al-Wifaq-Bewegung ist die linke, säkulare al-Waad-Partei („Nationale Demokratische Aktion“). In ihr sind sehr viele Sunniten organisiert. Gemeinsam mit der schiitisch geprägten al-Wifaq vertreten sie Forderungen, die keinesfalls religiös motiviert sind. Sie verlangen lediglich die Umsetzung der Reformen, die der König bei seinem Machtantritt der Bevölkerung versprochen hat. Nicht die Schaffung eines neuen Systems ist ihre Forderung, sondern die Installierung einer konstitutionellen Monarchie, die ihren Namen verdient und in der tatsächliche Macht in der Hand einer gewählten Regierung und des Parlaments liegt.

Es war und ist nicht die Opposition, sondern die Regierung in Bahrain, die die konfessionalistische Karte spielt und mit ihrem Vorgehen voll auf Eskalation setzt. Sie spielt ein äußerst gefährliches Spiel. Gefährlich sowohl für das Land selbst als auch für eine gesamte Region, die ohnehin schon in Flammen steht.

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben das Vorgehen der bahrainischen Behörden gegen herausragende Persönlichkeiten der Opposition und gegen die al-Wifaq-Gesellschaft unmissverständlich und wiederholt verurteilt: Kritik an der Regierung und friedliche Demonstrationen könnten kein Grund für die Auflösung von Organisationen und Parteien sein – denn für nicht-friedliche Demonstrationen oder anderweitige, durch die al-Wifaq-Gesellschaft und einzelne politische und religiöse Führungspersönlichkeiten der Opposition zu verantwortende Gewalt hätten die bahrainischen Verantwortlichen keine Belege vorweisen können, so Amnesty. Die bedeutendsten Führer der Opposition, allen voran Ali Salman, seien aufgrund ihrer politischen Ansichten ins Gefängnis gewandert. Es habe sich hier um ein durchweg unfaires Verfahren gehandelt. Solch klare Worte scheinen die Regierenden in Bahrain indessen wenig zu beeindrucken.

Auch die Kritik an der Auflösung der al-Wifaq-Bewegung durch zahlreiche Regierungen weltweit scheint bislang wenig Einfluss auf das bahrainische Herrscherhaus gehabt zu haben. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon sah in der Auflösung der al-Wifaq-Partei ein weiteres Zeichen dafür, dass Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit in Bahrain immer stärker ausgehebelt werden. Auch die Bundesregierung hat ihre Sorge über das Vorgehen der bahrainischen Behörden geäußert und zum Dialog mit der Opposition aufgerufen. Die Stabilität Bahrains, wichtiger Partner des Westens und vor allem Stützpunkt der fünften US-Flotte soll unbedingt gewahrt werden. Die Forderung nach einem konstruktiven Dialog der Herrschenden mit der Opposition wird regelmäßig vorgetragen, ebenso wie die Forderung nach einer gerechteren Behandlung für die schiitische Bevölkerung und einer Anhebung des Lebensstandards in den von ihnen bevölkerten Regionen des Landes.

Konsequenzen zu ziehen ist hingegen kaum jemand bereit. Worte scheinen bei den bahrainischen Autoritäten nicht viel zu bewirken solange die Kooperation ungehindert fortgeführt wird. Gerade erst hat das US State Department wieder bestätigt, die Waffenlieferungen an Bahrain nicht aussetzen zu wollen, obwohl nach der Gesetzeslage keine Waffen an Staaten geliefert werden dürfen, in denen die Menschenrechte verletzt werden; dass dies in Bahrain ganz massiv der Fall ist hat die US-Regierung gleichzeitig betont. Die Herrschenden in Bahrain können sich auf ihre westlichen Partner „verlassen“. Für den Frieden im Land selbst und für die Region jedoch bedeutet das nichts Gutes.

Ein Gastbeitrag von Wiebke Diehl. Sie ist Aktivistin und Autorin von Büchern über den Nahen Osten.

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