Donald Trumps wilde Virus-Wette für seine Wiederwahl

Mainstream-Medien und Wissenschaftler sind sich einig, dass die Politik Donald Trumps in der Coronavirus-Krise abenteuerlich ist. Bei den Umfragen in den USA blieb der Präsident jedoch populär und er hat immer noch Chancen, im November wiedergewählt zu werden. Was wäre, wenn seine Politik einem rationalen, wenn auch zynischen Plan folgt?

Die Coronavirus-Pandemie hat sich in den USA stärker ausgebreitet als irgendwo sonst auf der Welt. Mittlerweile sind in den USA mehr als eine Million Menschen infiziert und über 60.000 Menschen gestorben, das sind rund ein Drittel aller Opfer weltweit. Dabei erweckt Präsident Trump nicht den Eindruck, als ob er die Zahl der Ansteckungen verringern wollte. Im Gegenteil, er setzt sich für eine Lockerung der Einschränkungen ein, um so die wirtschaftlichen Folgen zu mildern.

Kann das funktionieren?

Während sich die Mainstream-Medien über Donald Trumps Sprüche empören und sie sich über seine Primitivität lustig machen, unterstützen sie stillschweigend die zentralen Anliegen seiner Politik: Aufrüstung des Militärs zu horrenden Kosten, Steuergeschenke für Superreiche, weltweite Wirtschaftskriege gegen Staaten wie Iran, Venezuela und China, sogar gegen die EU. Donald Trump hat das Glück, dass sich die vermeintliche Oppositionspartei der US-Demokraten ähnlich verhält. In wesentlichen Fragen wie dem Ausbau des Überwachungsapparates und der Verteidigung eines kaputten und überteuerten Gesundheitssystems hat Trump die Unterstützung der Demokraten. Als Pseudo-Gegnerschaft zu Trump behauptete die Demokratische Partei erst eine Beeinflussung Trumps durch Russland, für die es keine Belege gab. Anschließend inszenierten die Demokraten einen hoffnungslosen Abberufungs-Versuch, das sogenannte „Impeachment”, das erwartungsgemäß scheiterte.

So begann das Jahr 2020 für Donald Trump politisch hervorragend, zumal die US-Wirtschaft nach neoliberalen Kriterien gut lief. Doch dann kam ab März 2020 die Coronavirus-Pandemie mit aller Wucht in die USA. Aus Profitinteresse verboten die USA zunächst ausländische Corona-Tests, weil die Konzerne lieber mit ihrem selbstentwickelten Test verdienen wollten. Diese Testmethode aus den USA war dann ein völliger Fehlschlag und die USA mussten bei den Tests von vorn anfangen. Dabei ging in den entscheidenden Monaten am Jahresanfang wertvolle Zeit verloren. Zwar hatte der Geheimdienst frühzeitig gewarnt, doch Senatoren wie der Republikaner Richard Burr nutzten diese für Insidergeschäfte. Burr verkaufte bereits am 13. Februar 2020 Aktien im Wert von 1,56 Millionen US-Dollar.

Solche Ignoranz und Korruption führten dazu, dass die Verbreitung außer Kontrolle geriet. Strukturelle Probleme der US-Arbeitsgesetze und des dortigen Gesundheitssystems verschafften dem Virus ideale Bedingungen: Die unzureichende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zwingt nicht nur Geringverdiener, krank zur Arbeit zu erscheinen, wo sie zigtausendfach Kollegen und Kunden anstecken. Die mangelnde Krankenversicherung und die überteuerten Behandlungskosten des Privatsystems schließen Ärmere von Behandlungen und oft auch von Tests aus. Ihnen wird ärztliche Hilfe vorenthalten, die Infizierten werden nicht isoliert und sie bleiben unsichtbar für die Politik.

Weltweit gibt es bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie drei verschiedene Ansätze:

  • Das Virus möglichst auslöschen und jede Ansteckung zurückverfolgen. Diese Strategie verfolgen Staaten wie China, Taiwan, Korea, Vietnam, Neuseeland und Island mit großem Erfolg.
  • Das Virus nur zurückdrängen, bekannt als „Flatten The Curve”. Hier soll die Infektion auf wenige Prozent der Bevölkerung beschränkt bleiben, um Zeit zu gewinnen. Die Hoffnung ist, dass nach vielleicht einem Jahr eine Impfung zur Verfügung stehen wird. Diese Strategie verfolgen Staaten wie Deutschland, Österreich und Dänemark. Auch Staaten wie Italien und Frankreich orientieren sich an diesem Ansatz, allerdings bislang mit weniger Erfolg.
  • Die dritte Strategie heißt „Herdenimmunität”. Hier kapituliert der Staat vor dem Virus und lässt die Ausbreitung einfach laufen, in der Hoffnung, dass dann schneller alles vorbei ist. Zwar sterben dabei vielleicht 0,5 Prozent der Bevölkerung. Die Überlebenden sind jedoch wahrscheinlich immun und vor weiteren Ansteckungen geschützt. An dieser Strategie orientierten sich ursprünglich die USA, Großbritannien unter Boris Johnson und Brasilien unter Jair Bolsonaro; diese wollen sich angesichts der katastrophalen Folgen aber nicht mehr dazu bekennen.

Donald Trumps Politik ist seit Jahren auf seine Wiederwahl ausgerichtet, die am 3. November 2020 stattfinden könnte. In den verbleibenden sechs Monaten muss er dafür sorgen, dass er am Schluss gut dasteht. Wie es zwischendurch aussieht, ist weniger wichtig. Donald Trump hat schon viele politische Turbulenzen überstanden und machtpolitisch langfristig geschickt gehandelt. Als brillanter Demagoge spielt er mit den Medien und es gelingt ihm, selbst völliges Versagen für seine Anhänger als Erfolg darzustellen. Das kann er natürlich nur, weil die vermeintliche Opposition und die vermeintlich kritischen Medien die Kernpunkte seiner Politik für die Superreichen unterstützen.

Wie Bertolt Brecht 1952 feststellte, ist das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden erstaunlich kurz. Wenn Donald Trump die Wahlen im November gewinnen will, muss er in den zwei Monaten vor der Wahl Verbesserungen demonstrieren können. Das gelingt ihm am besten, wenn vorher alles dramatisch schlechter wird. Falls etwa die Zahl der Corona-Opfer jetzt auf täglich 500 und die Arbeitslosigkeit jetzt auf 10 Prozent begrenzt werden könnten, nützt das Donald Trump nichts, wenn es bis November so bleibt. Wenn aber erst täglich 2.500 Menschen sterben und die Arbeitslosigkeit auf 25 Prozent steigt, um im September auf 1.000 Tote pro Tag und 10 Prozent Arbeitslosigkeit zu sinken? Dann kann sich Trump als großer Macher und Wirtschaftswunder-Präsident inszenieren. Ohne deutliche Verbesserungen kann Donald Trump seine Wiederwahl vergessen, auch wenn bloß ein seniler Joe Biden gegen ihn aufgestellt wird.

Es liegt in der Natur jeder Epidemie, dass sie irgendwann abklingt. Das Besondere am Coronavirus ist seine schnelle Ausbreitung. Derzeit sind in den USA offiziell über eine Million Menschen infiziert, die Dunkelziffer kann um ein Vielfaches höher liegen. Nach dem derzeitigen Trend verdoppeln sich die Infektionen in den USA alle 20 Tage. Bis Mitte September sind noch rund 140 Tage, sieben Verdopplungen, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128. Spätestens bei 128 Millionen Infizierten in den USA werden die Infektionen drastisch zurückgehen. Das bedeutet, Trump könnte triumphieren. Zwar würden mehrere Hunderttausend Menschen sterben, aber es würde überwiegend Ärmere und Afroamerikaner treffen, die sowieso kaum Republikaner wählen. Sollte es Widerstand geben, könnte die Staatsgewalt ihn mit der neuen Ausnahme-Gesetzgebung brechen. Als Begleitmusik könnte ein Konflikt mit China angezettelt werden, um von den innenpolitischen Problemen abzulenken. Wenn dies tatsächlich die skrupellose Strategie von Donald Trump sein sollte, ist es unwahrscheinlich, dass seine Rechnung aufgeht. Trotzdem wäre damit zu rechnen, dass er es versucht, weil das der aussichtsreichste Weg sein dürfte, um an der Macht zu bleiben.

Was die Pandemie angeht, ist die Immunität der Überlebenden keineswegs sicher und schwere Nebenwirkungen sind zu erwarten. Die große Verbreitung des Virus in den USA könnte neue Varianten des Virus hervorbringen. Zu allem gesundheitlichen Übel kommt noch der Wirtschafts-Crash mit Massenarbeitslosigkeit. Außerdem sind die USA weltweit der größte Produzent von Rohöl, noch vor Saudi-Arabien und Russland, und der Ölpreis kollabiert gerade. Die Konflikte innerhalb der USA dürften auch neue außenpolitische Spannungen hervorbringen, wie Rivalitäten mit Europa und China.

Aber es gibt auch Hoffnung. Für Millionen von US-Bürgern wird es unmöglich, die bisherige Lebensweise fortzusetzen. In der massenhaften Not ist die Solidarität die einzige Rettung. In den USA gibt es, von den Medien unbemerkt, einen Aufschwung von Kämpfen und spontanen gegenseitigen Hilfen. Bei McDonalds, WalMart und Amazon beginnen Beschäftigte zu rebellieren. Um zu überleben, bleibt ihnen keine andere Wahl, als die bisherigen Verhältnisse in Frage zu stellen. Zugleich ist die Demokratische Partei unfähig, Kritiker in das politische System zu integrieren und wirkungslos zu machen. Gegen die Trumpsche Geisterfahrt hilft nur der gemeinsame Einsatz für eine kooperative Form des Wirtschaftens. Ob das gelingt, ist offen. Utopisch wäre es nur zu glauben, diese Welt könnte bleiben, wie sie ist.

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Eine Antwort

  1. In meinen Augen ist der Artikel doch enttäuschend. Viel Spekulation darüber, was in Trumps Kopf vorgehen mag. Interessanter finde ich den allerletzten Absatz über den Widerstand in der Arbeiterklasse. Aber hier leider gar keine konkreten Schilderungen. Es bleibt alles vollkommen abstrakt.

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