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Die patriarchale Hochschule

Wieso werden die Lehrstühle an den der Hochschulen immer noch von weißen cis-Männern dominiert? Maide, Zoe, Pia und Paula sind der Sache auf den Grund gegangen.

Der Blick in Vergangenheit sowie Gegenwart der universitären Forschung birgt eine unerfreuliche Bilanz: Noch immer sind es primär weiße cis-Männer, die als Theoretiker besprochen werden, Lehrstellen und -Stühle innehaben und somit die Perspektive in den verschiedensten Bereichen dominieren. FLINT*A, also Frauen, Lesben, -Inter, nicht-binäre und Trans* -Personen sowie Agender, sind klar unterrepräsentiert. Die Wissenschaft in Deutschland folgt noch immer patriarchalen, rassistischen, heteronormativen, ableistischen, klassistischen und kolonialistischen Strukturen. Wir sind wütend und wollen auf die inakzeptable Lage aufmerksam machen, aber vor allem auch FLINT*A ermutigen laut zu sein, zu ihrer Stimme und ihrem Können zu stehen.

Wie eine Studie von US-amerikanischen Wissenschaftler*innen um die Philosophin Sarah- Jane Leslie von der Universität Princeton zeigt, sind Frauen besonders in wissenschaftlichen Disziplinen, denen eine gewisse Brillanz nachgesagt wird, wie zum Beispiel Philosophie oder Physik, stark unterrepräsentiert. Die Forscher*innen führen dies darauf zurück, dass Genies oder überragende Fähigkeiten in einem bestimmten Fachgebiet männlich assoziiert seien. Deshalb können sich FLINT*A unterbewusst abgeschreckt fühlen. Darüber hinaus belegen Leslie und Cimpian in ihrer Studie, dass auch BIPoC, vor allem afroamerikanische Akademiker*innen, von dieser Diskriminierung betroffen sind. Auch ihnen wird unterstellt, „sie würden keine angeborene geistige Begabung besitzen“. Für Arbeiter*innenkinder sieht es ähnlich schlecht aus: Eine Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2016 zeigt, dass sie nur 22% der Studienanfänger*innen ausmachen. Der Anteil derer, die eine Promotion beginnen, liegt sogar nur bei 2%.

Da diesen Menschen der Zugang zu akademischer Bildung und Partizipation verwehrt wird, werden somit auch ihre Perspektiven und Hintergründe ausgeklammert. Fatal ist das, wenn man bedenkt, wie viele bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse von ihnen gemacht wurden.

Zum Beispiel von Rosalind Franklin, der ersten Wissenschaftlerin, der die Aufnahme der DNA und somit die Entdeckung der Doppelhelixstruktur gelang. Ihre Forschungsergebnisse wurden von ihrem Mitarbeiter an zwei andere Forscher weitergeben, welche daraufhin den Nobelpreis gewannen.

Hinzu kommen Studien wie von Davis, die sich mit positiven und negativen Vorurteilen beschäftigen. Werden diese vor einer Leistungssituation aktiviert, haben sie Einfluss darauf, wie gut oder schlecht die Leistung einer stereotypisierten Person ausfällt.

Dieser Mechanismus ist neben der Unsichtbarmachung eine weitere Erklärung für die historische und aktuelle Unterrepräsentation von FLINT*A in der Wissenschaft.

Aber nicht nur in der Naturwissenschaft werden die Forschungsergebnisse von FLINT*A unterschlagen, auch in geisteswissenschaftlichen Studiendisziplinen werden zum größten Teil theoretische Texte von männlichen Autoren behandelt. Zudem findet sich nicht nur im Lehrmaterial, sondern auch unter den Lehrpersonen eine chronische Unterpräsenz von FLINT*A. Ein interessantes Beispiel ist die Psychologie, eine der wenigen naturwissenschaftlichen Disziplinen, in denen der Anteil weiblicher Studierender höher ist als der männlicher. Eine Erklärung hierfür wäre, dass weiblich sozialisierten Menschen von Geburt an beigebracht wird, einen Beruf mit Fürsorge- bzw. Carebezug zu übernehmen, z.B. in Form von „Frauenberufen“ wie Erzieherin, Lehrerin oder Pflegekraft. Die Psychologie ist eine der wenigen Naturwissenschaften, in denen mögliche Berufsfelder in vielen Fällen einen Aspekt der Fürsorgearbeit beinhalten.

Deswegen fällt es in der Psychologie, wie auch in Geisteswissenschaften, in denen der FLINT*A Anteil hoch ist, besonders auf, dass Dozierende vorrangig männlich sind und dass vor allem Männer einen Doktortitel beziehungsweise eine Professur innehaben. Wenn man sich Statistiken über den gesamten universitären Betrieb ansieht, wie zum Beispiel die des statistischen Bundesamtes von 2019, erkennt man, dass gerade einmal 25,6% der hauptberuflichen Professor*innen Frauen sind.

Während die Zahlen bei den Studienanfänger*innen ausgeglichen sind (51% Frauen), verschieben sie sich immer weiter, je höher der akademische Grad. Besonders in Fachrichtungen wie Psychologie oder Geisteswissenschaften, die häufig vorrangig von FLINT*A besucht werden, sind diese Zahlen erschreckend.

Auch soziokulturelle Faktoren spielen eine wichtige Rolle. An der Hochschule bedeutet eine höhere Position oftmals Macht gegenüber den Studierenden oder den wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Bei FLINT*A wird diese oft als „weibliche“ Macht bezeichnet und bezieht sich damit auf Macht als Verantwortung, z.B. gegenüber Personal und Studierenden. Aufgrund ihrer Sozialisierung sind Frauen weniger autoritär und neigen dementsprechend eher dazu, als Kollektiv Lösungen für Probleme zu finden. Zudem pflegen sie einen Führungsstil, der sich durch Teamarbeit auszeichnet und möglichst Hierarchien vermeidet.

Zusätzlich sorgt die Gleichstellung von Frauen für mehr Konkurrenz um Ressourcen und Einflussmöglichkeiten untereinander, was der feministischen Solidarität widerspricht. Auch herrscht oft der Eindruck, dass das Aufnehmen von Förderprogrammen bzw. Supportsystemen oder fremder Unterstützung die eigene Leistung abwertet. Wir benötigen generationsübergreifend Supportsysteme um die Wissensweitergabe zwischen FLINT*A zu sichern und patriarchale Strukturen zu überwinden. Ein faires Hochschulsystem kann nur funktionieren, wenn Wissenschaft und Forschung im Fokus stehen, anstatt neoliberale Verschulung und Verwirtschaftlichung. Das könnte zudem die Konkurrenz untereinander verringern.

Inzwischen gibt es studentische Initiativen wie kritische Gruppen in bestimmten Fachbereichen, die über sexistische Strukturen an den Unis aufklären und sich aktiv für die Förderung von Frauen und BIPoC an den Instituten einsetzen. Diese Initiativen sind wichtige Akteur*innen im Kampf gegen Sexismus an Hochschulen. Wenn ihr Lust habt, aktiv zu werden und euch einzubringen wollt, findet ihr eine solche Gruppe auch an eurer Hochschule.

2021 zeigt: die Probleme, die vor rund 100 Jahren durch feministische Kämpfe aufgedeckt wurden, existieren noch immer. FLINT*A in der Wissenschaft sind stark unterrepräsentiert.

Wie verschiedene Studien veranschaulichen, liegt das keinesfalls an mangelnden Fähigkeiten oder biologischen Gegebenheiten, sondern ausschließlich an einem patriarchalen und kapitalistischen Hochschulsystem. Lehre und universitäre Strukturen müssen sich endlich ändern und FLINT*A den Raum geben, der ihnen zusteht.

Dieser Beitrag erschien in der neuen Ausgabe der Critica, verfasst wurde er von Maide Işıkoğlu, Zoë Dackweiler, Pia Potokar, Paula Fee Schirmer

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