Im Vorfeld der Europawahl in Mai findet in den Niederlanden am 20. März zuerst die Provinzialwahl statt. Diese ist entscheidend für die Zusammensetzung der Ersten Kammer, sozusagen der niederländische Bundesrat. Die heutige rechte Regierungskoalition unter Ministerpräsident Rutte (VVD) wird ihre knappe Mehrheit in der Ersten Kammer höchstwahrscheinlich verlieren. Also ist die große Frage, auf welche Parteien sich die Regierung stützen wird, um regierungsfähig zu bleiben.
Das dritte Kabinett-Rutte hat sich bei einem beachtlichen Teil der Bevölkerung unbeliebt gemacht, indem sie offensichtlich und schamlos die Seite der multinationalen Konzerne gewählt hat. Während das Haushaltseinkommen laut einer Studie der Rabobank vom letzten Jahr schon seit 1977 stagniert, entschied sich die Koalition dafür, gerade die ohnehin niedrige Gewinnsteuer nochmal zu senken.
Als die Regierung zusätzlich versuchte, die Kapitalertragsteuer für ausländische AktieninhaberInnen komplett abzuschaffen, machte sie sich erst richtig unbeliebt. Zudem brach noch ein Skandal aus. Journalistinnen und Journalisten hatten es geschafft, an Dokumente ranzukommen, die belegten dass diese Maßnahme eins zu eins aus dem Wunschzettel von zwei der größten niederländischen Multis, Shell und Unilever, stammten.
Gleichzeitig belastete das Kabinett die arbeitende Bevölkerung mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Grundbedürfnisse. Zudem flexibilisiert die Regierung den Arbeitsmarkt weiter und kündigte sie Anfang diesen Jahres an, die Axt an die Wurzel des heutigen, kollektiven Rentensystems zu legen.
Auch die Abschiebungen minderjähriger Asylsuchender, die teilweise schon ihr ganzes Leben in den Niederlanden gewohnt hatten, erzeugten viel Wut, nicht zuletzt auch unter den WählerInnen der christlichen Koalitionsparteien. Und obwohl das Kabinett sich als das „grüner“ als alle bisherigen Regierungen präsentierte, gibt es jetzt offen zu, dass es die Klimaziele für 2020 nicht schaffen wird. Aus diesen Gründen werden voraussichtlich vor allem die gemäßigteren Koalitionsparteien für die rechte Regierungspolitik abgestraft werden.
Trotz alledem sieht es danach aus, dass vor allem die Rechtsextremen die kommenden Wahlen gewinnen werden. Die rassistische PVV von Geert Wilders wird den Umfragen nach mit über 10% gleich groß bleiben. Doch die neue rechtsextreme Partei, Forum für Demokratie (FvD), wird einen großen Wahlsieg erringen. Die Partei, die aus einem rechtsextremen Thinktank stammt, trat bei der letzten Parlamentswahl zum ersten Mal zur Wahl an und gewann 2 von 150 Sitze. Bei der Provinzialwahl droht sie doch ungefähr 10% zu bekommen – mehr als das fünffache im Vergleich zu 2017. Zusammen werden die Rechtsextremen den Umfragen nach zwischen 20% und 25% erlangen.
FvD ist keine klassische faschistische Partei, aber Parteichef Thierry Baudet und andere führenden Köpfe verfolgen zweifellos ein faschistisches Projekt. Dies zeigt sich zum Beispiel in ihrer völkischen Rhetorik: so die „linke Elite“ würde „das Volk“ bewusst „homöopathisch verdünnen, damit es eines Tages keinen Niederländer mehr gibt.“ Anders als die PVV baut das FvD wirklich eine Mitgliederpartei auf. Für sie sind Wahlen und das Parlament nur ein Teil einer breiteren Strategie.
Aus mangelndem Verständnis des Charakters des FvD und weil vielen den erforderlichen Mut fehlt um sie zu konfrontieren, kann diese „metapolitische“ Strategie Früchte tragen. Schritt für Schritt werden allerlei „neurechte“ Ideen in der Öffentlichkeit normalisiert. So behaupten verschiedene prominente FvDlerInnen dass es einen Zusammenhang zwischen Ethnizität und IQ gibt und dass Feministinnen Teil einer linken Verschwörung wären, um die Scharia einzuführen. Zudem sei der Klimawandel ein Hirngespinst von George Soros, der eine Kampagne anführt, um den Westen zu untergraben. Dabei werden sie unterstützt von einem lose organisierten, aber großen Netzwerk extrem rechter Medien, dass seit Anfang der 2000er Jahre ausgebaut wird.
Die etablierten Medien übernehmen Elemente dieses Denkens. So veröffentlichte die öffentliche Rundfunkanstalt NOS jüngst einen offen antisemitischen Artikel, in dem „der Jude Soros“ über „Tentakel weit in die Weltpolitik hinein“ verfügen würde. Erst nach erheblicher Empörung zog die NOS den Artikel endlich zurück – die Wortwahl war „unglücklich“ und „falsch“. Aber es sollte klar sein, dass Ereignisse wie diese ordentlich Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen sind, die somit einfacher mit ihrem Antisemitismus durchkommen.
Das linke Spektrum
Der Rechtsruck der politischen und ideologischen Kräfteverhältnisse ist unmittelbar mit der großen Schwäche der Parteien links der Mitte verbunden. Bei der letzten Parlamentswahl sind die Sozialdemokraten (PvdA) für ihre Beteiligung an die letzte rechte Regierung gnadenlos mit dem Verlust von 29 aus 38 Sitzen abgestraft. Ihre Glaubwürdigkeit ist dermaßen im Keller, dass sie sich vorübergehend nicht erholen werden.
Dagegen stehen die Grünen von GroenLinks viel besser da. Als einzige linke Partei können sie mit ordentlichen Zugewinnen rechnen. Unter anderem deswegen, weil sie von allen noch am meisten an einigen linken Grundprinzipien festhalten. Parteichef Jesse Klaver hat zum Beispiel gefordert, Geflüchtete uneingeschränkt zuzulassen. Auch befürwortet er eine CO2-Steuer auf umweltverschmutzenden Konzerne.
Gleichzeitig hat GroenLinks sich aber komplett dem Neoliberalismus angepasst und unterstütze Kürzungen in der Bildung, die Erhöhung des Renteneintrittsalters und den Abbruch des Kündigungsschutzes. Meistens unterstützt die Partei auch Militäreinsätze wie in Afghanistan und Mali. Das linke Image der Partei steht also im Widerspruch zu ihrer realen Politik. Doch es kommt gut an und insofern kann der Stimmenzuwachs der Grünen als ein Hoffnungsschimmer gesehen werden.
Die Socialistische Partij (SP) ist die einzige entschlossen anti-neoliberale Partei. Sie hätte eigentlich eine ausgezeichnete Gelegenheit, von der Wut über die Regierungspolitik und der unerhörten Wahlniederlage der Sozialdemokraten zu profitieren. Stattdessen geht die SP aber auf eine Wahlniederlage zu. Nach aktuellen Umfragen würde sie im Vergleich zur letzten Provinzialwahl etwa die Hälfte der Stimmen verlieren. Es sieht also danach aus, das die SP die Nächste in einer langen Reihe an Niederlagen einfahren wird, und sich der allgemeinen Stagnation der Partei, die in den letzten Jahren 15.000 Mitglieder verlor, weiter fortsetzt.
Ein Grund dafür ist, dass die Partei immer gemäßigter geworden ist, in der Hoffnung auf bessere Chancen, sich an einer Regierung beteiligen zu können. Das hat zwar nicht geklappt, gleichzeitig wurde die Anziehungskraft für Leute, die endlich radikal mit der neoliberalen Austeritätspolitik brechen wollen, geschmälert.
Von noch erheblich größerer Bedeutung ist dass die Partei einen immer nationalistischeren Kurs einschlägt um Stimmen von PVV und FvD zu gewinnen. Sie bekämpft also nicht den Rassismus oder die Rechtsextremen, aber schon antirassistische AktivistInnen, die die Arbeiterklasse mit ihrer „Identitätspolitik“ spalten würden. Auch spricht die Partei sich aus gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit und für Internierungslager für Geflüchtete in Länder wie Libyen.
Für sich genommen ist das schon schlimm genug. Diese Ideen werden aber auch noch regelmäßig in rechtsextremen Medien verbreitet. So hat der SP-Abgeordnete Ronald van Raak schon seit Jahren eine feste Kolumne auf einer Website, die JournalistInnen „Volksfeinde“ nennt, den amerikanischen „Rassenforscher“ Jared Taylor verteidigt und Verschwörungstheorien über George Soros anheizt. Da kritisiert er regelmäßig Liberale, Sozialdemokraten und Antirassisten, aber niemals Rassisten oder Rechtsextremisten.
Innerhalb der Partei wächst der Unmut über den desaströsen Kurs. Auf einem bundesweiten Treffen der Abteilungsvorsitzende über das Europawahlprogramm Ende Februar stimmte 40% der Anwesenden für die Änderung des Standpunktes zu Migration. Sie befürworteten sichere Fluchtwege anstatt Inhaftierung außerhalb der EU-Außengrenzen – wie das Programm es jetzt vorsieht.
Direkt am nächsten Tag nahm Fraktionsvorsitzende Lilian Marijnissen Platz in einem rechts-konservativen Morgenmagazin, wo sie behauptete, dass Arbeitsmigration die Ursache niedriger Löhne sei. Das Timing spricht Buchteile. Die SP ist seit ihrer Gründung eine sehr monolithische Partei. Es gibt wenig Raum für Diskussion, Kritik am Kurs der Partei wird traditionsgemäß als unsolidarisch wahrgenommen. Beim letzten Parteitag bekamen Mitglieder, die einen antirassistischen Kurs befürworten, zu hören, dass sie die Partei besser verlassen sollten. Die Parteispitze scheint ‚DissidentInnen‘ bewusst und gezielt zu demoralisieren und aus der Partei treiben zu wollen, indem sie kritische Mitglieder so schnell und so schroff wie möglich niederschmettern.
Monat des Massenprotestes
Est ist also ein Understatement, zu sagen, dass die parlamentarische Linke in den Niederlanden dramatisch schlecht dasteht. Sowohl die Provinzialwahl als auch die Europawahl werden dies leider widerspiegeln. Es gibt aber noch eine Sache, die aktuell die Tagesordnung in den Niederlanden prägt. Die kommenden Monaten sind nämlich vollgeplant mit großen linken Aktionen und Demonstrationen.
Am Samstag den 9. März is eine große feministische Demonstration geplant. Am Tag darauf organisieren Gewerkschaften und Umweltverbände eine Demonstration für Klimagerechtigkeit, welche die größte Klimademo in der Geschichte der Niederlanden werden kann. Danach folgt der zweite landesweite Schulstreik für das Klima und am 15. März der zweite landesweite LehrerInnenstreik von den Grund- bis zu den Hochschulen. Kurz vor der Provinzialwahl planen die Gewerkschaften einen landesweiten Aktionstag gegen den Angriff auf das Rentensystem. Zu guter Letzt ist am Samstag nach der Provinzialwahl eine Demonstration gegen Rassismus und die Rechtsextremismus geplant, die inzwischen von mehr als hundert Parteien, Gewerkschaften und Organisationen unterstützt wird.
Hoffentlich werden diese Mobilisierungen eine Auswirkung auf die Wahlergebnisse haben. Jedenfalls fördern sie einen tieflegenden Widerspruch zutage. Einerseits gibt es großes Bedürfnis nach einer kämpferischen, linken Kraft die den Kampf gegen die herrschende Macht und die Rechten aufnimmt. Andererseits haben wir es mit feigen, opportunistischen linken Parteien zu tun, die sich völlig im Parlament verrennen. Früher oder später muss diese Situation durch den Aufbau einer neuen, kämpferischen linken Bewegung durchbrochen werden. Aber eine solche Linke wird an der Basis neu aufgebaut werden müssen. Die Voraussetzungen dafür sind aber wegen der großen, gestärkten extremen Rechten nicht gerade ideal.
Ein Beitrag von Jeroen van der Starre. Er ist Hauptredakteur der Zeitung „De Socialist“ und aktiv bei den „Internationale Socialisten“ in Rotterdam.“
3 Antworten
Das Auftreten der SP sieht aus wie eine Vorwegnahme einer „Aufstehen“-Partei unter Führung von Oskar und Sahra: Anbiedern nach rechts mit der Illusion, so Wähler für die „Linke“ zurückgewinnen zu können, einen großen Bogen machen um die antirassistische Bewegung, weil „uns“ das von der rassistisch beeinflussten Wählerschaft der AfD isolieren könnte. Ein solches Programm des „Arbeiterprotektionismus“ (Bucharin), des Bündnisses von Arbeiterbewegung und bürgerlichen Staat zum angeblichen Schutz vor „zu viel“ Migranten und Niedriglohnkonkurrenz, würde DIE LINKE im Kampf gegen den Aufstieg des Neofaschismus entwaffnen. Ihre Kritik an der fortschrittlichen Position der Linken in der Flüchtlings- und Migrationsfrage zeigt, dass wir es hier mit Geistesverwandten der niederländischen SP zu tun haben.
Geert Wilders hat eine Indonesische Vorfahren und hat eine Ungarische Jüdin geheiratet.Komischer Rassist.
ach, weil man ungarische Vorfahren hat, kann man kei nRassist sein?