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Die neue antikapitalistische Organisation (NAO) – Ein Experiment mit ungewissem Ausgang

Als einige Berliner Linke 2011 die Initiative für eine neue breite antikapitalistische Organisation ergriffen, war uns nicht bewusst, auf welche Schwierigkeiten wir stoßen würden. Gewissermaßen naiv dachten wir, dass unsere Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen antikapitalistischen Organisation auch die Einsicht anderer sein müsste. Unsere Initiative wurde zwar von einer Reihe von kleineren Organisationen aufgegriffen und es konnten einige Ortsgruppen der NAO gebildet werden, gerade in Berlin stießen auch eine Reihe von unorganisierten Menschen zu diesem Projekt. Aber es ist uns bisher nicht gelungen, über einen sehr beschränkten Kreis von Organisationen und Personen zu wirken. Dies hat vielfältige Gründe, von denen ich einige hier diskutieren will.

Zunächst einmal gibt es natürlich auch in anderen Strömungen der radikalen Linken eine Diskussion über die Organisationsfrage, die zum Beispiel dazu führte, dass die Gruppen der interventionistischen Linken sich auf ein vorläufiges Organisationsprojekt verständigen konnten. Auch in anderen Strömungen der radikalen Linken wird die Organisationsfrage besprochen, ohne dass es bisher zu größeren Zusammenschlüssen gekommen ist. Bei all diesen Zusammenschlüssen und Diskussionen ist festzustellen, dass sie relativ beschränkt sind. Das heißt, mehr als eine bestimmte Schicht von Aktiven ist in diese Debatte nicht einbezogen, und schon gar nicht erreicht diese Debatte Menschen, die nicht in der radikalen Linken organisiert sind oder sich ihr zugehörig fühlen. Auch wenn die interventionistische Linke einen erfrischenden Voluntarismus in ihren Aktionen forciert, muss man doch feststellen, dass in Deutschland trotz Streiks, wie z.B. bei Amazon oder der Post, auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene eine schon fast skurrile Stagnation politischer Kämpfe festzustellen ist. Im Klartext gesprochen: Seit 2011 bewegt sich ziemlich wenig. Dies verhindert, dass die kleinen und kleinsten Gruppen der radikalen Linken ein wirkliches Bedürfnis empfinden, über ihren Tellerrand hinauszuschauen. Das Bedürfnis, sich in einer breiteren antikapitalistischen Bewegung zu organisieren, ist faktisch nicht existent. Das zeigt auch die Grenzen auf, in denen wir als NAO heute operieren.
Diese objektive Lage in Deutschland steht im Widerspruch zu einer sich rasch verschärfenden Lage in Europa und auf der ganzen Welt. 2011 war noch nicht sichtbar, dass es zum Beispiel in der Ukraine einen veritablen Krieg, wenn auch im Moment auf niedrigem Niveau, geben würde, es war nicht sichtbar, dass es eine Linksregierung in Griechenland geben würde, die sich innerhalb kürzester Zeit von allen ihren Wahlversprechungen und Prinzipien verabschieden würde. Als wir die Initiative für die NAO ergriffen, dachten wir, dass sich die Neugruppierung einer antikapitalistischen Linken hauptsächlich in Form des Zusammenschlusses radikaler Gruppen vollziehen würde, und wir konnten nicht ahnen, dass es heute ganz unterschiedliche Formen von Radikalisierung und Neuformierung der Linken geben würde. Hier einige Beispiele: In Argentinien vollzieht sich die Radikalisierung eines Teils der Arbeiterklasse über sehr trotzkistische Organisationen, die sich in der Frente Izquierda Trabadadores (FIT) zusammengeschlossen haben. Die FIT eilt von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. In England tritt, völlig unerwartet, Jeremy Corbyn auf, ein Hinterbänkler der Labour-Party, immer links geblieben. Corbyn kandidiert, mit besten Aussichten, für den Vorsitz der Labour-Party und es sind insgesamt mehr als 150000 Mitglieder in die Labour-Party eingetreten. Das Wahlergebnis wird am 13. September feststehen, fest steht aber schon jetzt, dass Corbyn große Versammlungen durchführt und der schon totgeglaubten Labour-Party zu neuem Schwung verhilft. Politisch kann man ihn als linken Reformisten charakterisieren, der in Deutschland sicherlich auf dem linken Flügel der Linkspartei stünde. Alle linksradikalen Organisationen in England sind mit diesem überraschenden Erfolg von Corbyn auf einem völlig falschen Fuß erwischt worden. Niemand hätte das für möglich gehalten. In den USA kandidiert Bernie Sanders innerhalb der demokratischen Partei, um Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden. Er kandidiert gegen Hillary Clinton. Bernie Sanders ist ein linker Sozialdemokrat, dem niemand vor vier oder fünf Monaten auch nur eine Außenseiterchance gegeben hätte, sich gegen den mächtigen Apparat von Clinton durchzusetzen. Völlig überraschenderweise gelingt es Sanders überall dort, wo er auftritt, zehntausende von Menschen zu begeistern und er führt die größten Massenversammlungen seit vielen Jahrzehnten in einer Präsidentschaftskampagne durch. Nicht nur im liberalen Osten der USA, sondern auch in den Südstaaten kommen tausende und abertausende zu seinen Versammlungen. Sanders drückt sehr deutlich einen Wunsch breiterer Teile der Bevölkerung aus, einen alternativen Kurs zu Hillary Clinton und den sowieso prokapitalistischen Republikanern zu finden.
Die Suche nach linken Lösungen auf einer breiteren Ebene ist zu einem weltweiten Phänomen geworden. Dass davon in Deutschland noch nichts spürbar ist, heißt nicht, dass eine solche Entwicklung hier völlig unmöglich wäre. Wann, und in welcher Form, diese Entwicklung hier eintritt, ist natürlich völlig unvorhersehbar. Die Radikalisierung des Bewusstseins wird sich sicherlich nicht über die bestehenden linksradikalen Ansätze, wie z.B. die IL oder die NAO, vollziehen. Sie wird andere Wege und Formen finden, als wir uns heute vorstellen können.
Nun gibt es politische Organisationen natürlich auch in Deutschland, die auf diese Fragen eine ganz einfache Antwort haben, nämlich die: Interessiert uns alles nicht, wir bauen unseren eigenen Laden auf. Heute sind wir 50, morgen sind wir 500, und übermorgen sind wir 5000. Dies ist nicht die Haltung der NAO und aller an ihr beteiligten Gruppen. Die neuen, oben skizzierten Herausforderungen, erfordern eine große taktische Flexibilität und ein genaues Beobachten der Neugruppierungen auf der Linken. Aber taktische Flexibilität kann sich nur entwickeln, wenn es ein gewisses programmatisches Fundament einer NAO gibt – und genau darum geht im Moment die Diskussion in der NAO. Wie breit oder wie eng müssen unsere programmatischen Aussagen gefasst werden, und wie müssen wir diese nach außen darstellen? Die Diskussion ist deswegen so schwierig, weil wir im Gegensatz zu 2011 mit einer Reihe völlig neuer Phänomene konfrontiert sind, die immer wieder eine Neujustierung unserer Position erfordern. So war es schon nicht einfach, eine Charakterisierung der Syriza-Regierung in Griechenland vorzunehmen, dass diese Charakterisierung einer Linksregierung schon in wenigen Monaten wieder hinfällig sein würde, ist zumindest überraschend. Dass Tempo der Degeneration von Syriza ist wirklich atemberaubend.
So muss man feststellen, dass der NAO-Prozess bisher trotz einiger sehr erfolgreicher Aktionen in Berlin weder zu einem produktiven Ende, noch zur notwendigen Klarheit geführt hat, und es ist auch festzustellen, dass es bei vielen Aktiven Frustrationserscheinungen über den vermeintlichen Misserfolg einer breiteren Umgruppierung gibt. Trotzdem halten wir daran fest, dass auch in Deutschland trotz der schwierigen Verhältnisse eine breite antikapitalistische Organisation notwendig ist, und wir halten fest, dass diese ein solides Fundament programmatischer Aussagen braucht, die immer wieder in der eigenen Praxis überprüft werden müssen und gegebenenfalls korrigiert werden müssen. Deswegen haben wir uns entschlossen, den NAO-Prozess vorläufig weiterzuführen und wir wollen versuchen, im November 2015 auf breit angelegten Internationalismus-Tagen mit anderen politischen Organisationen eine neue Gesprächsebene zu finden, um das zu erreichen, was vielen von uns unter den Nägeln brennt: eine handlungsfähige antikapitalistische Alternative auch in Deutschland aufzubauen.

Ein Beitrag von Michael Prütz, Nao Berlin

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3 Antworten

  1. Dieser artikel beschönigt die eigenen fehler. erstmal waren die beteiligten „organisationen“ oft nur lokale mini-splitter mit manchmal nicht mehr als einem dutzend leute oder so. dann bewegten sich die diskussionen überwiegend im soziologischen kauderwelsch universitärer themen wie gender mainstreaming. themen mit bezug zur welt der arbeiter oder areitslosen gab es kaum; ein langer detaiierter artikel zum sozialterror wurde gar nicht abgedruckt. auch kritiken am pro-dkp-kurs von manuel kellner (isl) wurden entweder unterschlagen oder nicht diskutiert (mk jedenfalls antwortete nie darauf.) so verging einigen unorganisierten wie mir bald die lust, weiter mitzudiskutieren. auch war die website für leute ohne nähere pc-kenntnisse zu schwierig gestaltet. alles völlig „massenfeindlich“. thematisch und organisatorisch murks von anfang an. da wollte jemand die franz. NPA nachmachen, die anfangs mit 10.000 startete aber mittlerweile mit 1.000 leuten deutlich unter den bestand der ehemaligen LCR fiel, die sich dafür auflöste und den trotzkismus über bord warf. ähnlich wie bei anderen „verbreiterungsversuchen“ kam am schluß weniger bei heraus, weil jeweils das klare rev. programm dabei über bord ging. eine große brei-ige linkspartei, die auch reformisten einbezieht, gibt es ja in gestalt der PDL bereits. deswegen wurde das mit der NAO bisher nichts und wird nach 4 erfolglosen jahren auch nichts mehr werden. eindeutiges fazit: gescheitert!

  2. Doch, der Ausgang dieses Unsinns ist gewiss – der Verein ist völlig bedeutungslos und wird verschwinden.

    Wir hatten nie Kapitalismus hier (wer dieses neu-Feudale, faschistische System so nennt, hat schlicht keine Ahnung vom Kapitlaismus), daher verkaufen die Kollegen hier eine absolute Ente. Völlig am Ziel vorbei, es sei denn gerade die Verwirrung IST das Ziel.

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