Mit der Kampagne »Das muss drin sein« möchte DIE LINKE der Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen entgegentreten. Ihr Studierendenverband hat sich vorgenommen, das Thema an die Unis zu tragen. Doch um Schlagkraft zu entwickeln, bedarf es einer Zuspitzung.
Dass die Nachbeben der Finanzkrise weiter intensiv an den Grundüberzeugungen der bürgerlichen Ökonomen rütteln, liegt bei der anhaltenden globalen Krisenstimmung auf der Hand. Der minimale Aufschwung im Euro-Raum hat diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient. Während die Ökonomen fieberhaft nach Erklärungen suchen, hat die permanente kapitalistische Krise massive Auswirkungen auf Millionen von Menschen. In den Ländern Südeuropas liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei bis zu fünfzig Prozent und Griechenland steckt inmitten einer humanitären Krise, wie man sie in Europa für nicht mehr möglich gehalten hat. Trotzdem lautet die Antwort der Herrschenden überall auf dem Kontinent weiterhin: »Austerität«.
Deutschland erscheint dagegen als der Fels in der Brandung und die vermeintliche Insel der Glückseligen. So liest sich jedenfalls das Narrativ der deutschen Bundesregierung. Wie jedes gute Märchen lebt aber auch diese Erzählung von Auslassungen und Lügen. Wahr ist, dass die Auftragsbücher des Exportweltmeisters nach wie vor gut gefüllt sind und die Arbeitslosigkeit auf vergleichsweise niedrigem Niveau stagniert. Weggelassen wird dabei jedoch, mit welchen Mechanismen diese deutsche Seligkeit aufrechterhalten wird. Hartz IV bedeutete nicht nur die Demontage des sozialstaatlichen Gedankens und systematische Lohndrückerei, sondern war auch neoliberale Blaupause für den Rest Europas. Gelogen ist, dass die Menschen in Deutschland die Sparmaßnahmen nicht zu spüren bekämen: Seit zwanzig Jahren gibt es de facto keine Reallohnerhöhungen mehr und jeder dritte Beschäftigte arbeitet in atypischen Verhältnissen. Leiharbeit, Werkverträge, Befristung, unbezahlte Praktika und 450-Euro-Jobs sind mittlerweile nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Prekäre Arbeits- und damit verbunden prekäre Lebensverhältnisse sind seit Jahren auf dem Vormarsch.
In jedem Märchen steckt aber auch immer ein Quäntchen Wahrheit. So kann die Bundesregierung durchaus behaupten, dass es in Deutschland in den letzten Jahren keine krassen, komprimierten Kürzungen mit sichtbaren sozialen Einschnitten und Entlassungen, wie etwa in Irland, Spanien, Italien und Griechenland, gegeben hat. Mit einer aggressiven Exportstrategie gegenüber dem restlichen Europa wusste man dies zu verhindern.
Die Methode der Krisenbewältigung in der Bundesrepublik unterscheidet sich aber bei genauerem Hinsehen nicht wirklich von der Austeritätspolitik im Rest Europas. Die Zauberwörter heißen hierzulande »Schuldenbremse« und »schwarze Null«. Während man Vermögende und die sprudelnde Wirtschaft weiterhin schalten und walten lässt, dienen diese Schlagwörter als Totschlagargument für jegliche öffentliche Investition. Dazu gehört zum Beispiel der Unwille der öffentlichen Arbeitgeber, Erzieherinnen und Sozialarbeiter besser zu entlohnen, Lehrerinnen mit festen Verträgen einzustellen oder der Arbeitsverdichtung in der Kranken- und Altenpflege durch ausreichend Personal entgegenzusteuern. Das Mantra der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft lautet, »uns« gehe es gut, da »wir« Zurückhaltung ausüben. Dass diese Zurückhaltung aber prekäre Bedingungen für Millionen bedeutet, während die Gewinne der Konzerne und Banken Rekordsummen erreichen, wird verschwiegen.
Doch nicht nur die lohnabhängig Beschäftigten, sondern auch Studierende sind in zunehmendem Maße von Prekarität betroffen. Denn in die Reihe der »Notwendigkeiten« für die Einhaltung von »Schuldenbremse« und »schwarzer Null« fällt auch die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen. Auch hier handelte es sich in den letzten Jahren meist nicht um drastische Kürzungen auf einen Schlag, wie etwa in Sachsen-Anhalt, wo im Jahr 2014 innerhalb kürzester Zeit mehrere für »unrentabel« befundene Institute geschlossen werden sollten und über tausend Studienplätze in Gefahr waren. Stattdessen läuft es meist auf subtilere Art in Form eines sukzessiven Kürzungsprogramms ab. Aber auch das ist messbar und für die Betroffenen deutlich spürbar.
Ein Paradebeispiel ist Baden-Württemberg: Innerhalb Deutschlands ist das Bundesland, neben Bayern, am besten aus dem kurzen Tal der Krise entkommen. Wenn auch die Automobil- und Maschinenbauindustrie für einige Zeit auf Kurzarbeit und »Abwrackprämie« setzen musste, hat man heute wieder, zumindest auf dem Papier, historisch niedrige Arbeitslosenzahlen und ein »zufriedenes Ländle«. Und dennoch, verglichen mit dem Jahr 2000, gibt Baden-Württemberg heute unter einer grün-roten Regierung pro Studierendem bis zu 2500 Euro weniger im Jahr aus.
Das hat System und folgt der neoliberalen Logik der Umgestaltung des Hochschulwesens. Die Einführung des Bachelor- und Master-Systems im Zuge der Bologna-Reformen verfolgte das Ziel, möglichst günstig und in kurzer Zeit mittelmäßig qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter auszubilden. Die Regelstudienzeit für den Bachelor beträgt lediglich drei Jahre. Das Studieren scheint damit für viele auch erst einmal einfacher und attraktiver geworden zu sein. In ganz Deutschland strömten zum Wintersemester 2014/2015 etwa 2,6 Millionen Menschen an die Hochschulen. Doch die Massenuniversität bedeutet keineswegs »Bildung für alle«, sondern ist in Kombination mit der strukturellen Unterfinanzierung eher eine Art Massenabfertigung für schlecht bezahlte Facharbeitskräfte.
Diese Entwicklung führt zu einer ganzen Reihe von Problemen, welche die große Mehrheit der Studierenden auf die ein oder andere Weise betreffen. Für viele ist es eine Kombination unterschiedlichster Probleme. So hält etwa der Bau von Studierendenwohnheimen durch die Städte keineswegs mit der ständig steigenden Zahl an Studierenden mit. Das führt zu einer zunehmend prekären Wohn- und Mietsituation. In den großen Universitätsstädten beträgt der Anteil des Gesamteinkommens, der für die Miete draufgeht, bis zu fünfzig Prozent.
Und auch bei der finanziellen Unterstützung Studierender zieht sich der Staat immer weiter zurück. Für den durchschnittlichen Studierenden wurde das Gesamteinkommen im Jahr 2014 gerade einmal zu 16 Prozent durch das BAföG gedeckt, 48 Prozent waren elterliche Unterstützung und 26 Prozent eigener Verdienst. Beim eigenen Verdienst sind sich Studierende verständlicherweise für kaum einen Billigjob zu schade, und die Wirtschaft nimmt das wiederum gerne an. Die Deutsche Post erdreistete sich sogar während des Poststreiks ganz offen Studierende für die Dauer des Konflikts als Streikbrecher anzuwerben.
Gleichzeitig ist durch die kürzere Studienzeit und die »Verschulung« des Studiums die Arbeitsbelastung und der Stress enorm gestiegen. Ein Bachelorstudium ist auf 40 Wochenstunden ausgelegt, was jedoch an der sozialen Realität eines Großteils der Studierenden vorbeigeht. Mittlerweile sind bundesweit über zwei Drittel aller Studentinnen und Studenten auf einen Nebenjob angewiesen. Durchschnittlich gehen Studierende zusätzlich zum Vollzeitstudium 13,5 Stunden in der Woche einer Erwerbsarbeit nach. Gleichzeitig lebt über ein Viertel von ihnen von weniger als 600 Euro im Monat. Die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichen Studie der Techniker Krankenkasse sind dementsprechend dramatisch. Demnach leidet etwa die Hälfte aller Studierenden in Deutschland unter Dauerstress. Jeder fünfte gibt als Hauptsorge finanzielle Probleme an. Zwanzig Prozent leiden unter handfesten Depressionen und anhaltenden Angstzuständen. Doch trotz der zunehmend prekären und nicht selten krankmachenden Bedingungen ist nach dem großen Erfolg der Bildungsstreikbewegung, die ab 2009 in ganz Deutschland die allgemeinen Studiengebühren zu Fall brachte, der studentische Protest an den Universitäten eher verhalten. Die subjektive Wahrnehmung der Studierenden ist mehrheitlich nicht, Teil einer prekarisierten Masse zu sein. Stattdessen wähnt man sich während der extrem kurzen Regelstudienzeit mit seinen prekären Verhältnissen in einer Art »Übergangsphase« und hofft mit dem Abschluss auf das Licht am Ende des Tunnels.
Die Kampagne des Hochschulverbands Die Linke.SDS, »Stress an der Uni? Stress die Uni!« versucht, mit dieser Problematik umzugehen. Bei der Mehrzahl der fünf Themen (»Mietwahnsinn stoppen«, »Für ein Studium ohne Geldsorgen«, »Gegen Leistungsterror und psychischen Druck im Studium«, »Gegen Befristung und Lohndumping an der Uni« und »Bildungsproteste und Arbeitskämpfe zusammenbringen«) wird es erst einmal die Aufgabe sein, sie am Campus zu skandalisieren und darüber zu informieren. Denn das deutsche Krisenmärchen hat vor den Universitäten natürlich nicht Halt gemacht und die formulierten Punkte werden von vielen Studierenden nicht als Konstante oder gar systematisches Problem wahrgenommen. Überfüllte Studienpläne sowie gesteigerter Leistungs- und Konkurrenzdruck tragen zu einer isolierten Einzelperspektive bei, in der häufig nur noch die Hürden des eigenen Fortkommens registriert werden. Die Sicht auf eine strukturelle und damit alle betreffende Dimension geht dabei oft verloren. Die Aufgabe des SDS ist es daher auch, die Studierenden und ihre Probleme aus der Vereinzelung zu holen und sie für eine kollektive linke Organisierung zu gewinnen.
Um wirklich Mobilisierungspotenzial zu entfalten, bedarf es jedoch einer Zuspitzung der Kampagne entlang konkreter sozialer Auseinandersetzungen. Da die Probleme der Studierenden untrennbar mit denen der arbeitenden Bevölkerung zusammenhängen, müssen diese Problem und Verhältnisse auch gemeinsam bekämpft werden.
Arbeiterinnen und Arbeiter leiden genau wie die Studierenden unter hohen Mieten, unter Befristung und Leiharbeit. Der Spruch »Gemeinsam Kämpfen, gemeinsam gewinnen« hört sich zunächst höchst abstrakt an. Aber der SDS hat in den vergangenen Semestern mehrfach bewiesen, dass er die konkrete Verbindung zwischen Studierenden und Arbeiterklasse ziehen kann. Die Solidaritätsarbeit bei Streiks ist im Verband kein unumstrittener, aber dennoch ein in den letzten Jahren zunehmend verankerter Teil der Praxis. In Leipzig gelang es, Streikende von Amazon für eine Kundgebung an den Campus zu holen, in Berlin schaffte es die »Studentische Aktion Berliner Arbeitskämpfe«, zusammen mit den Beschäftigten Flashmobs im Einzelhandelsstreik zu organisieren, in Freiburg half der SDS, ein Bündnis von Studierenden und Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst aufzubauen.
Als sozialistischer Akteur ist es die Aufgabe von Organisationen wie dem SDS, immer wieder diese Verbindungen herzustellen. Und diese sind nicht so abstrakt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. So wird eine Aufwertung im Sozial- und Erziehungsdienst mit demselben Argument abgelehnt wie eine bessere Finanzierung der Hochschulen. Warum also nicht ein gemeinsamer Kampf der Studierenden und der Beschäftigten gegen das ewige Sparargument?
In den kommenden Monaten wird zudem der mögliche Arbeitskampf der Gebäudereinigerinnen und Gebäudereiniger das Potenzial bieten, gemeinsam zu kämpfen, statt sich spalten zu lassen. Die Universitäten sind der größte Abnehmer von Diensten der Gebäudereinigerkonzerne. Dieser Streik wird teils direkt an der Hochschule ausgetragen werden. Und auch die Flüchtlingsfrage spielt hier eine Rolle. Von Arbeitgeberseite wird bereits vorgeschlagen, den Mindestlohn zu senken, um »Flüchtlinge schnell in Arbeit zu bekommen«. Der SDS kann hier eine entscheidende Rolle spielen, wenn er den Spaltungsmechanismen der Herrschenden entgegenwirkt, die Probleme an der Universität nicht vereinzelt betrachtet und für eine gemeinsame Handlungsperspektive von Arbeiterklasse und Studierenden wirbt. Nur so können wir die Universität zu einem stressfreien Ort machen und für ein selbstbestimmtes Studium und Leben kämpfen.
Ein Gastbeitrag von Daniel Anton, er ist aktiv bei Die Linke.SDS an der Universität Freiburg.