Lexit

Die Linke und das Referendum für den Brexit

Am kommenden Donnerstag findet in Großbritannien die Abstimmung darüber statt ob das Land in der EU bleibt oder nicht. Auch in der dortigen Linken wird kontrovers darüber diskutiert, so gibt es sowohl Befürworter als auch Gegner des Austritts. Alejandra Ríos hat dazu einen Gastbeitrag formuliert.

Die Zukunft Großbritanniens und seiner Beziehung zur Europäischen Union (EU) steht im Referendum am 23. Juni zur Wahl. Der konservative britische Premierminister David Cameron selbst hatte diese Debatte nach den Wahlen im Mai 2015 künstlich angefeuert: Aus Angst, noch mehr konservative Abgeordnete an die rechtsextreme Partei UKIP zu verlieren, rief er zu einem Referendum auf, um den euroskeptischen Flügel seiner eigenen Partei zu besänftigen.

In den vergangenen Tagen wurde die wirtschaftliche Debatte über den Brexit von der Einwanderungsdebatte verdrängt. Diese hatte sich nach dem politischen Erdbeben der Ermordung der jungen Labour-Abgeordneten Jo Cox verschärft – besonders, als die Ermittlungen die Verbindung des Attentäters mit ultrarechten, nationalistischen und fremdenfeindlichen Gruppen ans Licht brachten. UKIP verschärfte ihre Anti-Immigrations-Politik ebenfalls – mit einem Plakat, das klare Erinnerungen an Nazi-Propaganda weckt und Angst schüren soll.

Die Umfragen der letzten Wochen gaben dem Brexit-Lager einige Prozentpunkte Vorsprung – auch wenn die neusten Umfragen auf einen geringen Vorsprung zum Verbleib in der EU hinweisen –, was einen Fall der Börsenkurse verursachte. Vor diesem Hintergrund füllten Cameron und das Establishment aus Unternehmen und Politik ihre Kampagne mit großen Warnungen vor der Zukunft des Landes. Sie sagen: Der Brexit bedeutet den Zusammenbruch der Wirtschaft des Landes, fehlenden Geldzufluss aus der EU, und die Abwesenheit von Instanzen zur Regulierung der Einwanderungsquote von Migranten und Migrantinnen mit den nötigen Qualifikationen für den Arbeitsmarkt.

Die Debatte über das Referendum stärkte nationalistische und fremdenfeindliche Sektoren, die Migrantinnen und Migranten für jegliches vergangenes und zukünftiges Elend im Land verantwortlich machen: von der schlechten Finanzierung des Gesundheitssystems über die fehlende industrielle Entwicklung bis hin zur Wirtschaftskrise. Diese Polarisierung stellt Camerons Wette auf die Probe.

Warum zwischen Cameron und Farage wählen?

EU Rise Up EuropaLeider blieben fast alle Sektoren der britischen Linken in einer der beiden Optionen stecken, die das Regime zur Wahl stellt: Soll das Vereinigte Königreich Teil der EU bleiben oder nicht: „Remain a member“ oder „Leave“?

Der Kampf um die Rechte der ArbeiterInnen, der Migranten und Migrantinnen, der armen Bevölkerung findet in keinem der beiden Lager des Referendums statt. Die erste Antwort der Linken müsste sein, das Referendum als das zu denunzieren, was es ist: ein Manöver Camerons zu seinen eigenen innerparteilichen Zwecken.

Die Socialist Workers’ Party (SWP) ist gemeinsam mit anderen linken Gruppen Teil der Plattform „#Lexit: Kampagne für einen linken Austritt aus der EU“. Sie sagen richtigerweise, dass die Wählerinnen und Wähler mehr verdienen, Camerons „Europäismus“ und der reaktionären euroskeptischen Kampagne von UKIP sowie dem rechten Tories-Flügel zu wählen. Um diese beiden falschen Lösungen zu konfrontieren, argumentieren sie mit dem Akronym Lexit – linker Austritt – für eine „prinzipienfeste, antirassistische und internationalistische Kampagne, die für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit steht“. „Lexit“ wird von Counterfire und der Kommunistischen Partei Großbritanniens sowie von Antarsya (Griechenland) unterstützt.

Sie rechtfertigen die Stimme für den Austritt mit den folgenden Argumenten: Die EU verfolgt eine pro-Unternehmen-Agenda, welche für geheime TTIP-Verhandlungen und für die Austeritätsprogramme in Griechenland, Zypern, Irland und Portugal steht. Zweitens ist die EU unregierbar durch ultrabürokratische Institutionen wie die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB). Drittens ist es ein Mythos, dass die EU die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeitern verteidigt – alle Errungenschaften waren Resultate von Kämpfen. Viertens ist die EU eine europäische Festung, die massenhafte Abschiebungen durchführt und Bewegungsfreiheit nur für EU-Bürgerinnen und Bürger garantiert. Und schließlich, sagen sie, würde ein Austritt aus der EU nicht notwendigerweise eine Wende nach rechts bedeuten: Wenn Großbritannien aus der EU austräte, könnte die herrschende Klasse in eine große Krise geraten.

In Bezug auf den Mord an Jo Cox sind sie der Meinung, dass er das Produkt der rassistischen und islamophoben Atmosphäre ist, in der Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete zu Sündenböcken gemacht werden.

Niemand in der Linken verneint die neoliberale Agenda der EU oder ihre reaktionären Aspekte. Dennoch sind Gruppen aus der Solidaritätsbewegung für Geflüchtete der Meinung, dass mit einem Brexit der Rassismus ansteigen würde.

Die Position der SWP ist jedenfalls nicht ungefährlich, denn die Kampagne für den Brexit ist mit Nigel Farage, dem Anführer von UKIP, und der extremen Rechten verbunden. Warum sollte ein bestätigter Farage eine bessere Situation für den Kampf darstellen und eine günstige Möglichkeit für eine linke Massenbewegung eröffnen?

Auch die Socialist Party, die wie die SAV zum Committee for a Workers‘ International (CWI) gehört, ist für den Austritt aus der EU. In ihren Materialien argumentiert sie, es handle sich hier um eine Möglichkeit für Arbeiterinnen und Arbeiter, ihre Opposition zur konservativen Regierung und der Kapitalistenklasse zu zeigen. Zum Mord an Jo Cox meinen sie, dass man aufgrund des Fehlens einer klassenbewussten Kampagne zum Referendum, welches die Stimmen gegen die Austerität und gegen den Rassismus vereinen könnte, nicht ausschließen könne, dass nach einem „Ja“ im Referendum die Angriffe auf Migrantinnen, Migranten und People of Color ansteigen.

Auf der völlig anderen Seite der politischen Debatte befinden sich Socialist Resistance (Schwesterorganisation der französischen NPA) und Left Unity, die vom Filmemacher Ken Loach unterstützt werden. In ihrer Broschüre „Die Europäische Union und das Referendum: für ein kritisches ‚Ja‘ zum Verbleib in der EU und gegen die Xenophobie“ denunzieren sie den antidemokratischen und neoliberalen Charakter der EU, ihrer Institutionen und des Referendums selbst. Sie argumentieren dennoch, dass der Austritt aus der EU ein Projekt der fremdenfeindlichen Rechten sei und ihr Erfolg die antimigrantische und rassistische Stimmung in Großbritannien schüren würde. Sie schließen aufgrund der schrecklichen Konsequenzen des Brexit eine Enthaltung ihrer Stimme aus.

Left Unity versucht einen Dialog mit denjenigen Menschen zu beginnen, die der Meinung sind, dass der Verbleib in der EU progressiver wäre. Aber ihr Schwachpunkt ist die Beschönigung des EU-Projekts. Sie argumentieren stark gegen die konservative Regierung und ihre Kürzungspolitik, aber in der Diskussion mit der Linken betonen sie vor allem, dass der Brexit der extremen Rechten und der antimigrantischen Stimmung Kraft und Glaubwürdigkeit verleihen würde.

Für eine unabhängige Alternative!

Die entgegengesetzten Positionen für den Verbleib und für den Austritt aus der EU spalten die britische Linke. Das Referendum bot die Möglichkeit für die Linke, diesen Disput zwischen zwei bürgerlichen Optionen zu denunzieren und militant abzulehnen, ohne Partei für eine dieser beiden Lager zu ergreifen. Denn schließlich wird die Debatte vollständig von zwei bürgerlichen Positionen dominiert: Cameron mit seinem neoliberalen pro-Unternehmer-Kurs, und Farage mit seinem rechten und populistischen Narrativ.

Die Jugendlichen, die mit dem Establishment unzufrieden sind und sich für die Kandidatur von Jeremy Corbyn mobilisiert haben, sind weiterhin in anderen politischen Phänomenen aktiv. Sie gehen zu den Abschiebegefängnissen, arbeiten als Freiwillige in Calais, kämpfen gegen Rassismus und für die Rechte der Migrantinnen und Migranten– und sprechen sich für den Verbleib in der EU aus.

Angesichts der Perspektive der Stärkung reaktionärer Ideologien – im Rahmen der Abwesenheit einer Kampagne, die eine unabhängige Lösung im Interesse der Arbeiter und Arbeiterinnen, der armen Massen, für die Rechte der Frauen, der Immigrantinnen und der LGBTI-Community vorschlägt – scheint ihnen der Verbleib in der EU wie ein geringeres Übel.

Doch es ist notwendig, klar aufzuzeigen, dass das die EU Alternative ist. Der Kampf gegen den xenophoben und rassistischen Nationalismus ist notwendigerweise verbunden mit dem Kampf gegen die EU des Kapitals, für eine internationalistische und klassenkämpferische Perspektive.

Der Beitrag wurde erst veröffentlicht auf Klasse gegen Klasse.

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Eine Antwort

  1. Nein zu dem Europa des Kapitals

    Das sog. Vereinte Europa war von Beginn an ein reaktionäres Projekt. Es dient der Fortsetzung einer Politik, die schon in der Weimarer Republik gescheitert war und schließlich mit ein Grund für den Aufstieg Hitlers und den 2. Weltkrieg lieferte. Ihr Ziel damals wie heute war uns ist die Kolonisierung des europäischen Ostens und Südens. Es geht um die Sicherung der Märkte für vor allem hochwertige Güter für die Landwirtschaft („Maschinenbau“) und um den Kapitalexport (http://blog.herold-binsack.eu/2013/02/irgendwie-will-da-jemand-die-geschichte-doch-wiederholen/). Das scheint auch der Grund zu sein, warum die Ukraine im Zentrum der Interessen steht. In der Weimarer Republik scheiterte das Unternehmen an der Rückständigkeit des Ostens, schließlich auch an den Revolutionen und Konterrevolutionen dort, und schließlich auch an der Verarmung der Bauern des Westens. Letzteres war ein starkes Motiv für den Aufstieg Hitlers und dessen aggressiven „Ostpolitik“. Schließlich aber auch durch die chronische Krise im Maschinenbau. Und so entschied das deutsche Kapital vor allem nach der Devise: bist du nicht willig (oder fähig) brauche ich Gewalt. Das alles scheint sich zu wiederholen, was ein wichtiger Grund ist für die aktuell heißer werdende Phase im neuen kalten Krieg. Und das ist der Grund für den Chauvinismus im Übrigen; und den gilt es zu benennen. Denn den Rassismus kann man nicht erfolgreich bekämpfen, ohne dessen Gründe, nämlich in den Konkurrenzkämpfen des Kapitals, aufzudecken. Nein zu dem Europa des Kapitals! Für die Lebensinteressen der Völker des Ostens, wie des Westens! Krieg dem imperialistischen Krieg! Für die sozialistische Revolution!

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