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Wie weiter nach Sanders – die Lehre aus Vermont

Die Progressive Partei Vermonts muss eine Wahl treffen: entweder das Zweiparteiensystem herausfordern oder von der Demokratischen Partei neutralisiert werden. Jetzt, nachdem die Geldgeber, Funktionäre und Apparatschiks der Demokraten es geschafft haben, die aufständische Kampagne Bernie Sanders niederzuschlagen, suchen seine Anhänger einen neuen Weg nach vorne.

Sanders argumentiert, dass sie Clinton wählen und sie für die Durchsetzung des Parteiprogramms zur Verantwortung ziehen sollen – das er für das progressivste Programm der gesamten Parteigeschichte hält – und an seine neue Organisation, Our Revolution, spenden um progressive Kandidaten zu unterstützen. Das Endziel soll es sein, die Demokratische Partei zu übernehmen und sie von innen zu verändern.

Aber das hochgelobte Parteiprogramm ist eins – um Hamlet zu zitieren – „wovon der Bruch mehr ehrt als die Befolgung“, und jeder Versuch, die Demokratische Partei auf lokaler Ebene zu erobern wird an den gleichen Hürden scheitern, welche Sanders auf nationaler Ebene blockiert haben. Die ganze Geschichte der Demokraten zeigt, wie ihre Führung linke Aufständische eingebunden, diszipliniert und gelähmt hat. Für jeden, der glaubte, dieses Mal wird alles anders, beweisen die Emails der DNC zweifelsfrei, dass dies nicht unsere Partei ist, sonderen ihre.

Erfolgreiche Herausforderungen gegen Demokraten auf lokaler und nationaler Ebene scheinen einen anderen Weg nach vorne zu zeigen. Sowie Kshama Sawants erfolgreiche Wahlkampagne in Seattle als auch der Kampf der Grünen Howie Hawkins und Brian Jones um die Gouverneurs- und Vizegouverneursämter in New York zeigen, dass der Einbruch „von unten“ eine effektive Strategie sein kann, öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Jill Steins neuer, junger Zuspruch – laut einer Umfrage haben 16 Prozent der Millenials vor, Grün zu wählen – ist ein Indiz für die wachsende Unzufriedenheit der Demokratischen Partei unter jungen Leuten. Ein Zeichen dafür, dass eine neue Partei mit einem Programm für die Arbeiterklasse sie zurückgewinnen könnte.

Eine solche Partei zu gründen wird jedoch eine entmutigende Aufgabe und es lohnt sich, über die unterschiedlichen Wege zu einer besseren Art Politik zu diskutieren. In „Lessons from Vermont“ stellt Luke Elliott-Negri die Progressive Partei Vermonts als nachahmungswertes Beispiel der Linken dar. Er argumentiert, dass ihre Mitglieder die Vorteile des Bundesstaates (mit seinen überwiegend kleinen Städten) genutzt haben, um eine unabhängige Partei zu schmieden, welche  „eine Politik verfechtet, die sie von den Demokraten Vermonts unterscheidet und haben währenddessen eine eigene Identität gebildet“.

Es ist nicht zu bestreiten, dass sich die Progressive Partei als die linksorientierteste, arbeiterschaftorientierteste Partei Vermonts etabliert hat. Aber entgegen der Vorstellung der Besonderheit kleiner Bundesstaaten, scheint der Partei dieselben Hürden und Verlockungen begegnet zu sein, die woanders ähnliche Unternehmen behext haben. Jetzt hat sie die Wahl: entweder für die Unabhängigkeit der Arbeiter von den zwei kapitalistischen Parteien aufstehen oder – wie New Yorks Working Families Party (WFP) es im Grunde getan hat – mit den Demokraten fusionieren.

Der Kurs

Ein Bund der Linken und Gewerkschaftsaktivisten, die durch Bernie Sanders erfolgreiche Bürgermeister-, Kongressmitglieds- und Senatorwahlkampagnen entstand, gründete die VPP in 1999. Ihre Verfassung beinhaltete ein Verbot, die jegliche Unterstützung der großen Parteien unterband. Durch erfolgreiche Stadtratskampagnen in Burlington und für die Legislatur des Bundesstaates hat sich die Partei etabliert.

Alles wahr, aber Elliott-Negri spielt ihre Erfolge hoch und spielt die Kompromisse herunter. Zum Einen, behauptet er, die VPP würde Burlingtons Stadtrat leiten, ihr gehören jedoch nur vier von zwölf Sitze. Darüber hinaus haben sie eine Vereinbarung mit den Demokraten und Unabhängigen getroffen um Jane Knodell – die vielleicht konservativste Linke im Stadtrat – als Vorsitzende zu wählen. Beunruhigender ist, dass bei den Wahlen die große Mehrheit der VPP Kandidaten ihre eigene und auch die Demokratische Partei vertreten.

Wie Elliott-Negri bemerkt, lehnen viele VPP-Mitglieder diese Entwicklung ab. Diejenigen links-außen in der Führung haben ihre Bedenken über eine solche Fusion. Die Demokraten könnten die VPP aufsaugen und ausschalten. Sanders politische Evolution hat dieser Fusion Form gegeben. Er fing an als Mitglied der Sozialistischen Partei Amerikas und half beim Aufbau der Liberty Union Party nach seiner Ankunft in Vermont. Aber nach etlichen erfolglosen Wahlkampagnen, entschied er, als Unabhängiger zu kandidieren. Er schritt voran und rückte näher mit den Demokraten zusammen. Während seiner Amtszeit im  Kongress unterstützte er ihre nationalen Kandidaten. Dafür versprachen sie, ihn beim Wahlkampf nicht unter Beschuss zu nehmen.

Obwohl er auf dem Papier unabhängig war, versammelte er sich im Caucus mit den Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat. Und wie wir wissen, trat er den Demokraten bei um an der Präsidentschaftswahl teilzunehmen. Dieser Entwicklungsgang ist bemerkenswert und spiegelt sich in den Entwicklungen innerhalb der VPP wider. Sanders Beispiel und Einfluss zusammen mit den Schwierigkeiten, als „dritte Partei“ Wahlen zu gewinnen in einem Bundesstaat mit Demokratischer Mehrheit, stoßen die Progressiven immer weiter weg von ihrer ursprünglichen Auftrag, die Demokraten auf lokaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene unabhängig und progressiv herauszufordern.

Neue Taktiken

Die Wurzeln dieses Wandels sind jedoch viel älter als Sanders Präsidentschaftskandidatur. Die VPP unterstützte Ralph Nader in 2000; er stand sogar unter ihm auf den Wahlzetteln. Nach Bush v. Gore wurde Nader zum Sündenbock der Demokraten und die Progressiven weigerten sich, ihn 2004 auf den Stimmzetteln zu setzen, auch wenn einige in der Führung – wie z.B. Anthony Pollina – das Podium mit ihm teilen würden.

Der erste wirkliche Riss im Zusammenhang den Progressiven kam 2003, als Peter Clavelle – Fahnenträger der Partei und Burlingtoner Bürgermeister von 1995 bis 2006 – sich um die Empfehlung der Demokraten bemühte und sie schließlich während seiner Kandidatur gegen Republikaner Jim Douglas für das Amt des Gouverneurs erlangte.

Die VPP musste seine Satzung ändern um Clavelle seine Kandidatur mit den Demokraten zu erlauben. Die neue Regel lautete: diejenigen, die sich schon einmal als Progressive zur Wahl gestellt haben, dürften von anderen Parteien empfohlen werden.

Aber der eigentliche Wendepunkt kam 2008, nach Pollinas zweitem Bemühen um das Gouverneursamt. Das Rennen zwischen Pollina, Douglas und der Demokratin Gaye Symington endete mit dem Sieg Douglas. Wie auch gegen Nader richteten sich die Demokraten gegen Pollina; er wäre der „spoiler“; er wäre an ihrer Niederlage schuld.

Die VPP zog sich immer mehr von der Unabhängigkeit zurück. Der Progressive Tim Ashe bereitete den Weg als er sich 2008 als Demokrat und Progressive um das Senatsamt bewarb. Sanders unterstütze Ashe und seine Wende zur Fusion.

Die fusionsfreundlichen Progressiven rechtfertigen diese Entscheidung: mit einer solchen Strategie geht man dem Spoilervorwurf aus dem Weg und ermöglicht Gewinne im gesamten Bundesstaat. Elliott-Negri scheint dem zuzustimmen und argumentiert, die Fusion könne die arbeiterschaftorientierte Politik voranbringen, wie sie die Populisten der 19. Jahrhundert voranbrachte.

An die Geschichte erinnert er sich allerdings falsch: als die Populisten ihre Stellung als unabhängige Partei für und von verarmten Bauern und Arbeitern aufgab, schafften sie die Vorbedingungen ihrer politischen Orientierungsverlust und späteren Niedergang.

In Bundesstaaten wie North Carolina kandidierten Populisten mit den Republikanern und erlangten dadurch große Wahlfortschritte. Aber als sich die Partei den Demokraten zusammenschloss und William Jennings Bryan bei seiner gescheiterten Präsidentschaftswahlkampf in 1896 unterstützte, machten sie die Fortschritte wieder zunichte.

Die Demokratische Partei konnte die Populisten bundesweit leicht vereinnahmen, neutralisieren und im Süden – aufgrund von Jim-Crow-Wahlrechtsbeschränkungen – vernichten.

Das heute bekannteste Beispiel einer Third Party, die eine Fusionsstrategie nutzt, ist New Yorks Working Families Party. Sie wurde von Gewerkschaftsfunktionären und Progressiven gegründet mit dem Ziel, Einfluss auf die Demokraten zu nehmen und sozialdemokratische Politik in New York durchzusetzen.

Aber die Demokraten wissen: wenn es hart auf hart kommt, wird die WFP hinter ihnen stehen. Also nutzt Gouverneur Andrew Cuomo und die restlichen Parteichefs die WFP um mögliche Gegner zu übernehmen und neutralisieren.

Dies wurde während der letzten Gouverneurswahl deutlich, als die WFP – aus Angst davor, ihren Status zu verlieren – Cuomo nominierte anstatt Hawkins und Jones zu unterstützen oder Zephyr Teachout als Unabhängige kandidieren zu lassen. Wie auch für die Populisten, führte Fusion nicht zum Erfolg, sondern zur Unterwerfung.

Fusion Blues

Mit ihren Fusionsstrategien riskiert die VPP eine ähnliche Auflösung in Vermont. Es ist schon so weit, dass Senator Ashe, selbst Progressiver-Demokratischer Kandidat, davor warnt, dass Mitglieder beider Parteien „letztendlich zusammenkommen um de facto einen Caucus in der Legislatur zu bilden, der die Raison d’Être untergräbt“. Die Dynamik der Einbindung, Unterwerfung und Disziplin hat schon besorgniserregende Kompromisse erzeugt.

In 2013, als eine Volksbewegung dem Stadtrat einen Beschlussantrag gegen die Verwendung des Burlington Flughafens als Basis für eine F-35 Jagdbomber einbrachte, stellte sich die Progressive Jane Knodell gegen ihre Parteimitglieder und schloss sich mit den Demokraten und Republikanern zusammen um ihn abzulehnen.

In 2016, schlossen sich Progressive mit dem restlichen Stadtsrat zusammen um den Demokratischen Bürgermeister Miro Weinberger – im Grunde Immobilienmakler des Rathauses – bei zwei verschwenderischen Bauprojekten zu unterstützen.

Nur ein einziger Progressiver, Max Tracy, stimmte gegen den Vorschlag, über 200 Millionen Dollar für die Sanierung des Einkaufszentrums auszugeben. Gegen Weinbergers Plan, eine neue private Marina für Yuppies und ihre Yachten zu bauen – anders gesagt, ein riesiger Parkplatz auf Lake Champlain – gab es allerdings keinen Widerstand. Offenbar stehen Burlingtons Progressive hinter dem Gentrifizierungsprogramm der Demokraten.

Zudem haben sie Weinberger einstimmig unterstützt als er den ehemaligen New York City Polizisten Brandon del Pozo (Fan der berüchtigten NYPD-Kommissare Ray Kelly und William Bratton) nominierte. Damit ignorierten sie die Opposition der lokalen Black Lives Matter Aktivisten.

Auf Ebene des Bundesstaates haben einige ihrer zentralen Figuren ihren Einsatz für die einheitliche Gesundheitsversorgung über Bord geworfen; sie gaben dem Demokratischen Gouverneur Peter Shumlin Deckung nach seinen falschen Wahlversprechen.

Die Aktivisten der Kampagne Health Care is a Human Right setzten sich für die Einheitskasse in Vermont ein. Shumlin gab dem Druck nach und unterstützte die Initiative. In der Hoffnung, dass er sein Versprechen einhalten würde, stellten sich die Progressiven nicht gegen ihn während der Gouverneurswahl 2010.

Wenig überraschend war es, als er den Plan aufgab aufgrund von unzureichender Finanzierung – gerade weil er sich weigerte, Reiche dafür zu besteuern.

Die VPP verurteilte die Entscheidung zurecht, aber einige Hauptmitglieder stimmten Schumlin zu; die einheitliche Versorgung wäre „unpraktisch“. Tim Ashe, zum Beispiel, verkündete vor dem Gouverneur, dass die Einheitskasse „Kleinunternehmen aus dem Markt drängen“ könnte.

Pearson gab ein ähnliches Statement ab: „die heutige Finanzierung der Gesundheitsversorgung ist so kompliziert, so unlogisch, dass die plötzliche Umstellung auf ein gerechtes System überfordernd wäre. Sie würde einfach zu viele ökonomische Störungen verursachen.“

Am Scheideweg stehen

Als Folge von Fusionskompromissen stehen die Progressiven nun vor der Wahl: gegen das Zweiparteiensystem angehen oder von den Demokraten übernommen werden.

Die Präsidentschaftswahl 2016 wird sie noch einmal auf die Probe stellen. Anders als ihre skeptische Haltung gegenüber bundesweiten Wahlen nach Nader haben sie Sanders befürwortet während seiner Vorwahlkampagne gegen Clinton.

Nun können sie sich der Präsidentschaftswahl enthalten, Clinton empfehlen oder Stein empfehlen, die Dank eines Aktivistennetzwerkes auf den Wahlzetteln in Vermont stehen wird. Einige neigen zur Enthaltung, um den Frieden mit den Demokraten zu erhalten. Einige unruhige Linke möchten Stein empfehlen.

Also, entgegen dem Argument Elliott-Negris, ist es in kleinen Bundesstaaten nicht leichter, unabhängige Arbeiterklassenpolitik zu betreiben. Die Progressiven sind denselben Hindernissen begegnet, denen andere, ähnliche Unternehmen begegneten und scheiterten zum Teil an den gleichen politischen, programmatischen und organisatorischen Herausforderungen. Anstatt sie zu verklären, müssen wir aus diesen Erfahrungen ihre reale, warnende Lehre ziehen.

Dabei ist es nicht das Ziel, die Partei, ihre Führung oder ihre Mitglieder (von denen viele sich für Arbeiter und soziale Bewegungen stark engagieren) anzugreifen. Vielmehr muss Widerstand gegen gescheiterte „Corporate Politics“ geleistet werden.

Wenn sie dies schafft und gleichzeitig die Herausforderung der Demokratischen Partei, die Jill Steins Präsidentschaftskampagne darstellt, unterstützt, könnte sie ein zentrales Element einer bundesweiten Third-Party-Bewegung werden. In der Zwischenzeit muss die Wichtigkeit der Wahlen relativiert werden. Elliott-Negri geht davon aus, dass sich die Linke auf Wahlen fokussieren soll.

Aber, wie die Geschichten Sanders und der Progressiven zeigen, liegt die wahre Macht der Linke nicht in der Wahlurne sondern in ihrer Fähigkeit, das System durch Streiks und Demonstrationen auszuschalten. In den nächsten Jahren wird eine Partei der Arbeiter diesen Kampf führen müssen. Sie wird den Kampf auf lokaler sowie nationaler Ebene vertreten müssen. Eine solche Formation wird nicht durch Fusion mit den Demokraten oder ihre Übernahme gebildet; die Arbeiterschaft muss sich von unten her selbstständig organisieren.

Der Artikel von Ashley Smith erschien zunächst im Jacobin Magazin. Übersetzt aus dem englischen von Gloria Glinphratum.

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