Die AfD sitzt nun in allen Landtagen und im Bundestag, damit ist sie nun endgültig im parlamentarischen System angekommen. Die Ursachen des Aufstiegs der werden von vielen diskutiert. Prof. Dr. Butterwegge hat sich ihrem Aufstieg ausführlich gewidmet und ein Buch (Rechtspopulisten im Parlament) zu ihrem Aufstieg geschrieben, wir haben mit ihm gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Die AfD sitzt jetzt in allen Landtagen, was sind die Gründe dafür?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Verantwortlich für die anhaltenden Wahlerfolge der AfD sind exogene und endogene Faktoren. Zu den Ersteren gehören Veränderungen und Krisenerscheinungen des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Im gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus wird der Gegensatz von Kapital und Arbeit durch die Kluft zwischen Arm und Reich überlagert. Auch gehört Korruption zum Wesenskern dieser neuen Entwicklungsstufe des Kapitalismus, was den Rechtspopulismus bzw. seine doppelte Frontstellung gegenüber den „korrupten Alteliten“ und einer „faulen Unterschicht“ nicht bloß plausibel erscheinen lässt. Wegen der sozialen Polarisierung fürchtet die Mittelschicht nämlich, zwischen Oben und Unten zerrieben zu werden, was sie anfällig für eine Ideologie macht, die ihr einen „politischen Zweifrontenkrieg“ nahelegt. Besonders in der unteren Mittelschicht grassiert die Angst vor dem sozialen Abstieg und nach der globalen Finanzkrise vermehrt auch vor dem sozialen Absturz. Darauf reagieren ihre Angehörigen in Deutschland erfahrungsgemäß mit einer Wendung nach rechts. Dies war nach dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 ähnlich wie nach der Rezession 1966/67, als die NPD in sieben Landtage einzog, und während der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre beim raschen Aufstieg der NSDAP.
Die Freiheitsliebe: Mit welcher Strategie hat die AfD ihren schnellen Aufstieg geschafft?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Damit kommen wir zu den endogenen Faktoren. Gegründet wurde die AfD von erfahrenen Funktionären anderer Parteien wie der grauen Eminenz Alexander Gauland, Professoren wie dem Hamburger Ökonomen Bernd Lucke und Journalisten wie dem früheren WELT-Chefkorrespondenten Konrad Adam, die für das nötige Know-how im Umgang mit den Massenmedien sorgten. Sie erwischten einen günstigen Zeitpunkt für ihr Projekt, weil die Unzufriedenheit mit der Politik zur „Euro-“ und „Griechenlandrettung“ 2013 sowohl in ultrarechten als auch in konservativen und liberalen Kreisen sehr groß war. Erfolg versprach schon der geschickt gewählte Parteiname: „Alternative für Deutschland“ konterkarierte das neoliberale Mantra, die Regierungspraxis von Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble sei alternativlos. Angesichts der vermehrten Fluchtmigration rückte die AfD das Thema „Asyl“, „Asylmissbrauch“ und „illegale Einwanderung“ in den Fokus, schürte Kriminalitätsfurcht und Überfremdungsängste und vollzog mit der Wendung gegen den Islam den Schulterschluss mit einer rassistischen Straßenbewegung, den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida). Wenn man so will, verfolgt die AfD eine Doppelstrategie: Durch gemeinsame Demonstrationen mit Pegisten, rechten Hooligans und Neonazis wird außerparlamentarischer Druck erzeugt, während sich die Partei im Bundestag als seriöse Kraft profiliert, die gleichwohl aggressiv, konfrontativ und provokativ agiert.
Die Freiheitsliebe: Inwiefern unterscheidet sich die AfD von anderen rechten Parteien wie der NPD oder der DVU, denen dieser Aufstieg nicht gelungen ist?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Die AfD trat von Beginn an weniger martialisch als die NPD und moderner als die DVU auf. Größere Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer Organisation, ihres Funktionärskörpers, ihrer Programmatik und ihrer Anhängerschaft weist die AfD mit denjenigen Parteien auf, die man als ihre Vorläufer bezeichnen kann: Dazu gehören die REPublikaner, der Bund Freier Bürger – Die Freiheitlichen (BFB), die PRO-Bewegung, die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) sowie die antimuslimische Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie (DIE FREIHEIT). Ihre eigentlichen politischen Vorbilder fand die AfD mit der FPÖ, dem Front National, der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Geert Wilders‘ Partij voor de Vrijheid (PVV) aber im westeuropäischen Ausland.
Die Freiheitsliebe: Du bezeichnest die AfD als rechtspopulistisch, trifft diese Bezeichnung noch zu?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Für mich ist „Rechtspopulismus“ kein Kosename für den Rechtsextremismus, sondern eine häufig missbrauchte und missverstandene Bezeichnung, die ausdrückt, dass die AfD an das Volk (lat. „populus“) appelliert und seinen Willen für sich reklamiert, während sie die von der sozialen Polarisierung bedrohte Mittelschicht adressiert. Man darf „populistisch“ nicht mit „populär“ oder „popular“ verwechseln. Rechtspopulisten wollen die Demokratie nicht gewaltsam zerschlagen und das Parlament auseinanderjagen, sondern das gesellschaftliche Klima vergiften und die kulturelle Hegemonie erringen. Aufgrund eines anhaltenden Radikalisierungsprozesses, der zwei Parteivorsitzende – zuerst Bernd Lucke und dann Frauke Petry – das Amt kostete und sie zum Austritt veranlasste, ist die AfD heute auf dem Weg zu einer völkisch-nationalistischen Partei mit einer starken wirtschaftsliberalen Strömung, die Anträge, Anfragen und Reden in den Parlamenten trotz ihrer Schwächung durch den starken Rechtstrend maßgeblich prägt.
Die Freiheitsliebe: Welche Auswirkungen hatte der Einzug der AfD auf die politische Landschaft in Deutschland?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Mit ihrem Einzug in das Europäische Parlament, den Bundestag und sämtliche Landtage hat sich die AfD im politischen und Parteiensystem unseres Landes fest etabliert. Was vorher nur die Union, die SPD in besseren Zeiten und die FDP für kurze Zeit geschafft hat, ist der AfD im Rahmen einer knapp fünf Jahre dauernden Erfolgsserie gelungen. Ohne koalitionsfähig und -willig zu sein, beeinflusst die AfD das Regierungshandeln, vornehmlich in der Flüchtlings-, Migrations- und Asylpolitik sowie auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit.
Die Freiheitsliebe: Wie kann die weitere Etablierung der AfD verhindert werden oder ist die Chance vertan?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Gefährlicher als ihre Gegner sind für die AfD innere Widersprüche, Rivalitäten und Flügelkämpfe. Im nächsten Jahr kann es zu einer Zerreißprobe kommen, wenn sich ein Parteitag im Vorfeld der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit der Sozialpolitik befasst und ein Rentenkonzept beschließen soll. Dann droht der AfD eine innerparteiliche Zerreißprobe, weil der wirtschaftsliberale Flügel auf private Vorsorge setzt und der völkisch-nationalistische Flügel die Gesetzliche Rentenversicherung stärken will.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Kürlich ist sein Buch „Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD“ erschienen, das er zusammen mit Gudrun Hentges und Gerd Wiegel geschrieben hat.
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