Da saßen sie nun und lauschten der „Ode an die Freude“: religiöse Fanatiker, Geldgeber für islamistische Terroristen, Bürgerkriegsführer gegen die eigene Bevölkerung, Diktatoren , Meister der Korruption und die übrigen Schreibtischtäter einer durch und durch gewaltsamen Weltordnung. Kriege, Hunger, Armut, Ausbeutung, ökologische Katastrophen – das zeichnet diese Weltordnung aus. Wir nennen es Kapitalismus und Imperialismus. Wenn diese Typen von Gewalt reden, ist davon natürlich keine Rede. Die „Gastgeber“ hätten hier allen Anlass zur Distanzierung von Gewalt gehabt, aber wir sind natürlich nicht naiv. Sie gehören dazu, sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Und draußen? Eine bunte Mischung von Leuten, die diese Art von Verarschung nicht mehr hinnehmen wollte. Darunter eine Minderheit von sogenannten „linksextremen Gewalttätern“, d.h. Leuten, die die verlogenen Hofzeremonien kapitalistischer Selbstinszenierung nach Möglichkeit ver- oder behindern wollten, die diese „Staatsgäste“ so empfangen wollten, wie sie es verdienen: Zur Hölle mit diesen „Gästen“!
Die Rechnung der „Gastgeber“ ist nicht aufgegangen. Das Fest der G20 wurde nachhaltig gestört, die Show ging in die Hose. Darauf können wir stolz sein. Zur Distanzierung von Gewalt besteht jetzt kein Grund. Wir haben allen Anlass, die „Ode an die Freude“ zu trällern.
Trotzdem: Einige Wermutstropfen müssen geschluckt werden. Es muss innerhalb der extremen Linken (endlich?, wieder einmal?) eine gründliche Diskussion geführt werden, welche Art von Gewalt der Situation angemessen ist und welche kontraproduktiv. Dabei geht es nicht um Zugeständnisse an das vorherrschende Law-and-order-Denken. Aber wenn die radikale Linke aus ihrer gesellschaftlichen Isolierung herauskommen will, so braucht sie Sympathien von Leuten, die nicht zur Szene gehören. D. h., wenn Gegengewalt notwendig und möglich ist, so muss dies auch für „wohlwollende“ Außenstehende nachvollziehbar sein. Autos von Anwohnern abfackeln, kleine Läden zertrümmern etc. nageln uns im Status politischer Randgruppen fest. Man kann sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, dass einigen das gar nicht so unrecht wäre.
Aber nochmals: Das sollte innerhalb unserer Reihen solidarisch diskutiert werden. Die Art des Diskurses sollten wir uns nicht von außen aufzwingen lassen. Wir kennen die Methoden der Herrschenden von Spaltungen und Drohungen seit 1968. Immer wenn eine Bewegung erfolgreich war, und Hamburg war ein Erfolg, wird versucht, Randerscheinungen (wie im Schanzenviertel) zur politischen Kernaussage hochzustilisieren, dann zu delegitimieren und zu
spalten. Natürlich immer unter lebhafter Mithilfe bürgerlich-journalistischer Hofschranzen. Aber wir werden eine Neuauflage eines „deutschen Herbstes“ nicht kampflos hinnehmen.
In diesem Zusammenhang abschließend noch eine Anregung zur Diskussion:
Olaf Scholz reiht sich ja mit seiner staatlich besoldeten Schlägertruppe ein in eine würdevolle sozialdemokratische Traditionslinie( Noske, Zörgiebel usw.). Wäre es nicht sinnvoll, sich in Hamburg jetzt nicht in seinen Szenekiez defensiv zurückzuziehen, sondern zu versuchen, den Widerstand gegen die Polizeistaatsmethoden offensiv auf einer politisch und organisatorisch breiteren Ebene zu organisieren? Innensenator Gote und Einsatzleiter Dudde böten jedenfalls genug Angriffsflächen, zumal es auch absehbar ist, dass der Kampf gegen den Ausbau des staatlichen Repressionsapparats in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird (und davon sind weit mehr betroffen als nur die extreme Linke).
Können wir aber aus der Ferne schlecht beurteilen, das können nur die Hamburger GenossInnen selbst.
Ein Gastbeitrag von Michael Prütz und Michael Eff