Die Diskussion über Krieg und Frieden muss in den Gewerkschaften geführt werden

Am 23. und 24. Juni hat die IG Metall Hanau-Fulda in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine friedenspolitische Gewerkschaftskonferenz in Hanau organisiert. Etwa 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung gefolgt, im Livestream waren es noch einmal so viele.

Die große Nachfrage zeigt: Die komplexe gesellschaftliche Krisensituation erzeugt unter Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern ein wachsendes Bedürfnis nach politischer Diskussion und Orientierung. Im Zentrum steht dabei der Spagat, einerseits die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften auch in gesellschaftspolitischen Fragen herzustellen und andererseits zu vermeiden, dass sich die politischen Spaltungslinien rund um die Bewertung des Ukraine-Krieges in der Gewerkschaft reproduzieren. Die Konferenz machte klar: Gewerkschaften geraten in zugespitzten gesellschaftlichen Krisensituationen allzu leicht in Widerspruchskonstellationen. Diese können nur mit politischer Klarheit und organisationspolitischer Umsicht aufgelöst werden. Beides geschieht nicht von allein, sondern muss organisiert werden.

Auswirkungen des Krieges

Ausgangspunkt der Konferenz war, die Diskussion über den Stellenwert der Gewerkschaften in der Friedensbewegung zu führen. Dieser Stellenwert zeigt sich vielerorts ganz praktisch – dort nämlich, wo die lokalen Strukturen des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften gemeinsam mit regionalen Friedensinitiativen Ostermärsche oder Aktivitäten zum Antikriegstag organisieren. Hier wird deutlich: Die Gewerkschaften sind das infrastrukturelle Rückgrat der Friedensbewegung und eine Unklarheit bei der Bewertung des Ukraine-Krieges kann die Friedensbewegung vor allem auf der örtlichen Ebene ganz entscheidend schwächen.

Dass aber die Gewerkschaften gerade in Zeiten des Krieges vor neuen Verteilungsauseinandersetzungen stehen, wurde bei vielen Konferenzbeiträgen immer wieder deutlich. Insbesondere der Input des Abteilungsleiters für Wirtschaftspolitik beim DGB, Florian Moritz, sowie die anschließende Diskussion zwischen Robert Weissenbrunner (IG Metall), Natalie Jopen (ver.di) und Andreas Müller (EVG) zeigten: Auch in Deutschland verschränken sich außenpolitische und sozialpolitische Fragen zunehmend ineinander. So hat der Krieg in der Ukraine eine Inflation in Gang gesetzt wie seit 1950 nicht mehr. Energie, Lebensmittel, Mieten – alles wird teurer. Vor allem die arme und arbeitende Bevölkerung muss immer tiefer in die Tasche greifen, um den Alltag zu finanzieren. Aktuell zeigt nicht zuletzt der Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung, dass eine Bundesregierung, die militärische Sondervermögen in dreistelliger Milliardenhöhe beschließt, das Geld am Ende auch irgendwo herholen muss.

Und obwohl Deutschland kein unmittelbar kriegführendes Land ist, sondern eher indirekt durch Waffenlieferungen, Sanktionen und die Ausbildung ukrainischer Soldaten am Kriegsgeschehen beteiligt ist, sind die Auswirkungen auf die Menschen in der Bundesrepublik gravierend. Mehr und mehr zeigt sich: Eine Zeit, in der Kriege und Aufrüstung Konjunktur haben, führt zu Sparpaketen vor allem in den sozialpolitischen Bereichen und heizt neue Umverteilungskämpfe an. Und wer weiß besser als die Gewerkschaften, dass Umverteilung schon in Zeiten des Friedens schwierig genug ist – in Kriegszeiten ist es noch unwahrscheinlicher, dass Reiche und Superreiche, Konzernchefs, Arbeitgeber, Immobilienspekulanten oder Rüstungslobbyisten für staatliche Ausgaben zur Kasse gebeten werden. Gewerkschaften müssen deshalb Teil der Friedensbewegung sein, weil der Krieg in seinen Auswirkungen am stärksten nicht Reiche und Superreiche trifft, sondern die arme und arbeitende Bevölkerung – Krankenschwester, Stahlarbeiter, Reinigungskräfte.

Friedensbewegung stabilisieren

Vor allem die gute Konferenzatmosphäre machte deutlich, dass die Gewerkschaften eine stabilisierende Rolle für die Friedensbewegung spielen können. Die Inputs und Wortbeiträge waren trotz der vielen politischen Spaltungslinien, die das Thema bietet, konstruktiv und nach vorn gerichtet. Vielfach standen lokale Erfahrungen im Zentrum der Diskussionsbeiträge. Diese konstruktive Konferenzatmosphäre muss auf eine Schlüsselkompetenz aktiver Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zurückgeführt werden: Sie wissen, dass Handlungsfähigkeit nur entstehen kann, wenn über Meinungsunterschiede hinweg die Einheit organisiert wird. Wie oft müssen in Konzernbetriebsräten die unterschiedlichen regionalen, nationalen und standortbezogenen Erfahrungen und Perspektiven der Kollegen zusammengebracht werden? Zusammenstehen, auch wenn man nicht in allen Fragen einer Meinung ist – das erfordert einen Blick für die wichtigen Fragen, in denen es Einigkeit braucht. Und das erfordert Toleranz und Gespür für die weniger wichtigen Fragen, in denen man sich unterschiedliche Einschätzungen zugestehen kann. Diese Erfahrung kann eine wichtige, eine stabilisierende Erfahrung für die Friedensbewegung sein – das hat die Konferenz mehr als einmal unterstrichen.

Gewerkschaften als Demokratieträger

Die Teilnehmerzusammensetzung spiegelte zugleich ein Stück lebendiger Gewerkschaftsgeschichte wider. Viele ältere Kolleginnen und Kollegen waren vor Ort – Kollegen, die mit ihren Erfahrungen unterstrichen, dass die Gewerkschaften sich einmischen müssen, wenn es um die Frage von Krieg und Frieden geht. Dass wir heute, wenn wir über den Zweiten Weltkrieg reden, vor allem über seine Verbrechen reden, über Massenerschießungen, Konzentrationslager, Antisemitismus, industriellen Massenmord, Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft, hat etwas mit historischen Figuren wir Fritz Bauer oder Carl Friedrich von Weizsäcker zu tun. Es hat aber eben auch etwas mit dem Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen in der Nachkriegszeit zu tun.

Als nach zwei verlorenen Weltkriegen so mancher den Mantel des Schweigens über diese Zeit ausbreiten und stillschweigend wieder zur Tagesordnung übergehen wollte, waren es überall in der Bundesrepublik Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die durch politische Regionalforschung dazu beigetragen haben, dass eine kritische Sicht auf die Geschichte von unten erkämpft werden konnte. Sie haben erreicht, dass Straßen umbenannt, antifaschistische Stadtrundgänge organisiert und mit Zeitzeugengesprächen die Erinnerungen an die furchtbaren Auswirkungen des Krieges und an die faschistischen Verbrechen der Nazis wachgehalten wurden. Mit dieser Arbeit haben sie den Widerstand von Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Christen sichtbar gemacht und gezeigt: Die Unterstützung für Hitler und seine verbrecherische Politik war zu keinem Zeitpunkt alternativlos und Auflehnung immer eine Option.

Einordnung des Krieges

Doch nicht nur die Auswirkungen des Krieges auf die Lohnabhängigenklassen und die damit einhergehende gewerkschaftliche Verantwortung standen im Zentrum der Konferenzdiskussion, sondern auch die Frage, wie dieser Krieg eingeordnet werden muss. Vor allem der Inputvortrag des ehemaligen UN-Korrespondenten für die Tageszeitung taz, Andreas Zumach, hob hervor, dass der Krieg in der Ukraine richtig eingeordnet werden muss, um geeignete Schlussfolgerungen zu ziehen. Geopolitische Veränderungen und Neuverschiebungen müssen in die Bewertung des Krieges miteinbezogen werden. Berücksichtigt werden dürften nicht nur Kriegsanlässe, sondern auch Kriegsursachen, um sein eigenes politisches Handeln richtig auszurichten.

Auch Ingar Solty von der Rosa-Luxemburg-Stiftung machte deutlich, dass wir uns in einer fortgeschrittenen gesellschaftlichen Krisensituation befinden, die immer stärker auf soziale, ökologische und friedenspolitische Kipppunkte zusteuert. Diese Vielfachkrise kann schnell zu einer Eskalation des Kriegsgeschehens beitragen. Weil der Krisen-, Kriegs und Katastrophenkapitalismus vor fundamentalen Weichenstellungen steht, erfordert der Umbau des fossilen Kapitalismus zu einem grünen Kapitalismus mehr denn je den ungehinderten Zugang zu neuen Märkten, neuen Rohstoffen und neuer Energie. Deshalb, so die These von Solty und Zumach, darf man den Krieg in der Ukraine nicht singulär betrachten, sondern muss ihn in den Kontext weltweiter geopolitischer Veränderungen stellen und dabei den wachsenden Konflikt zwischen den USA und China in besonderer Weise in den Blick nehmen.

Internationale Perspektive

Gerade vor dem Hintergrund der internationalen Dimension, die der Krieg in der Ukraine hat, war es von besonderer Bedeutung, dass auch die internationale Perspektive nicht fehlte. Das europapolitische Podium war daher zweifelsohne der Höhepunkt der Konferenz. Auf dem Podium diskutieren die linke Europa-Abgeordnete Özlem Alev Demirel, die Vertreterin der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM, Valentina Orazzini, und der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn miteinander. Angesichts einer neuen Lebenshaltungskostenkrise in Europa machten sie deutlich, wie wichtig nicht nur eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Friedensbewegung ist, sondern auch, dass in den Gewerkschaften wieder stärker über internationale Solidarität diskutiert werden muss.

In guter alter Tradition

Die Überlegung, Hanau zum Konferenzort zu machen, hatte vor allem damit zu tun, dass die Gewerkschaften hier erstmals in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie und ein halbes Jahr später in der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes zu gemeinsamen Warnstreikaktionen mit der regionalen Friedensinitiative aufgerufen hatten. Unter dem Motto „Waffen runter. Löhne rauf“ hatten sie die Verschränkung von außenpolitischen und tarifpolitischen Fragen durch eine gemeinsame neue Bündnisarbeit sichtbar gemacht. Insbesondere das 100 Milliarden Euro-Sondervermögen hatte zu einer Politisierung der Tarifrunden geführt, was von den Hanauer Gewerkschaften beispielhaft aufgegriffen wurde. Die Aktionen haben gezeigt, dass auch über politische Spaltungslinien hinweg eine gemeinsame Handlungsperspektive entwickeln werden kann.

Die Konferenz in Hanau hat damit für den Diskurs in den Gewerkschaften nicht nur einen wichtigen Anstoß gegeben, sondern auch an eine Tradition angeknüpft, die weit in die Ursprünge der Arbeiterbewegung zurückreicht. Denn im SPD-Wahlkreis Hanau-Gelnhausen-Orb wie auch unter Hanauer Gewerkschaftern regte sich bereits mit Beginn des Ersten Weltkrieges Widerstand. So hatte am Vorabend des Krieges, im September 1913, Rosa Luxemburg hier vor tausenden Arbeitern eine wichtige antimilitaristische Rede gehalten. Darin forderte sie, im Falle eines Krieges den Schießbefehl gegen französische Arbeiter, die in Soldatenuniformen steckten, kollektiv zu verweigern. Diese Rede brachte ihr 14 Monate Gefängnis ein, was, wie wir wissen, nichts an ihrer Friedensliebe änderte. Die Geschichte zeigt uns: Diplomatische Lösungen brauchen den Druck derjenigen, deren Lebensbedingungen sich durch den Krieg verschlechtern und die Gewerkschaften müssen sich dazu verhalten.

Was bleibt

Die Konferenz in Hanau hat der politischen Diskussion in der gesellschaftlichen Linken Schwung gegeben. Sie hat nicht nur die besondere Verantwortung der Gewerkschaften bei der Zurückdrängung des einseitigen bellizistischen Diskurses unterstrichen, sondern auch gezeigt, dass es dafür ein wachsendes Interesse unter aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterschiedlicher Generationen gibt. Die Konferenz wurde zu einem Ort, wo ältere Kollegen wie der ehemalige 1. Bevollmächtigte der IG Metall in Fürth, Thomas Händel, von seinen Erfahrungen rund um die Diskussion in der Gewerkschaftsjugend über den Krefelder Appell berichtete. Die Konferenz war aber auch ein Ort, wo junge Vertreter von Fridays for Future die desaströsen ökologischen Auswirkungen des Krieges beschrieben und zugleich das strategische Dilemma der überwiegend von jungen Aktivisten geprägten Klimabewegung beschrieben. „Uns fehlen die Erfahrungen aus der Friedensbewegung. Uns fehlt das Wissen, um diesen Krieg richtig einordnen zu können. Wir brauchen den gemeinsamen Schulterschluss mit Friedensbewegung und Gewerkschaften und insbesondere mit der älteren Generation“, war der ebenso berührende wie inspirierende Apell eines jungen Klima-Aktivisten.

Gut wäre es, wenn die Hanauer Konferenz kein singuläres Ereignis bliebe. Die inhaltliche wie strategische Diskussion muss fortgesetzt werden. Es braucht weitere Konferenzen wie diese – Konferenzen, die den guten Geist der Gewerkschaftsbewegung, das Einordnungsvermögen geopolitischer Veränderungen der Friedensbewegung und schließlich die Energie und Leidenschaft der Klimabewegung miteinander verbinden, um eine gemeinsame Bewegung gegen die Auswüchse des Kapitalismus aufzubauen.

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