Screenshot des Artikels "Vorwurf Hetze: Referent für Israel-Vortrag in der Kritik" in der Jüdischen Allgemeine vom 13.7.2023; URL: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/vorwurf-hetze-referent-fuer-israel-vortrag-in-der-kritik/

Diffamierung als Methode – eine Replik

Freiheitsliebe-Redakteur Jakob Reimann sollte am 25. Juli im Rahmen des Augsburger Friedensfests einen Vortrag zum Thema „Rechtsruck in Israel“ halten. Nach teils tendenziösen und diffamierenden Artikeln, Presseerklärungen und Äußerungen verschiedenster Akteure wurde der Druck zu groß und die Veranstaltung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Text „Vorwurf Hetze: Referent für Israel-Vortrag in der Kritik“ von Joshua Schultheis in der Jüdischen Allgemeine vom 13. Juli sticht hier besonders hervor. Im Folgenden erscheint Jakobs Replik auf Schultheis’ Text. (Freiheitsliebe-Redaktion)

Am Mittwoch veröffentlichte Joshua Schultheis auf Jüdische Allgemeine anlässlich meines zunächst für den im Rahmen des Augsburger Friedensfests am 25. Juli geplanten Vortrags zum Thema „Rechtsruck in Israel: Gibt es noch Chancen für den Friedensprozess?“ einen Artikel mit dem Titel „Vorwurf Hetze: Referent für Israel-Vortrag in der Kritik“. Nach internem Druck gefolgt von öffentlichen Angriffen auf das veranstaltende Bündnis – bestehend aus der Augsburger Friedensinitiative sowie den lokalen Ablegern von DFG-VK, pax christi und VVN-BdA –, die Stadt Augsburg sowie meine Person wurde der Vortrag abgesagt beziehungsweise auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch Schultheis’ Artikel hat an diesem Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit gewiss einen erheblichen Anteil. Auf Nachfrage mit Bitte um Gegendarstellung erklärte Schultheis, eine solche „in Textlänge“ werde mir die Zeitung „ausdrücklich nicht einräumen“, da man zwar „fair berichten“, mir jedoch „keine Plattform bieten“ wolle. Daher nun an dieser Stelle eine Aufarbeitung einiger Punkte aus Schultheis’ Artikel.

Im ersten Satz erklärt Schultheis, für mich sei Israel ein „Apartheidstaat“. Diese Zuschreibung ist richtig, doch ist dies keine Meinungsbekundung meinerseits, sondern analytisch das Ergebnis des Studiums mehrerer Berichte renommierter Menschenrechts-NGOs. So führt etwa die kanadische Friedensorganisation CJPME „eine aktualisierte (doch nicht vollständige) Liste namhafter Organisationen und Persönlichkeiten“, die sich die Apartheid-Terminologie zu eigen machen. Die Liste ist lang und enthält neben einer Vielzahl palästinensischer, israelischer und internationaler NGOs mehrere hochrangige Funktionäre und Organe der UN und viele andere namhafte Personen und Organisationen.

Anschließend zitiert Schultheis aus einer Erklärung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Schwaben-Augsburg, die mir teils direkt, teils indirekt eine „extremistische Ideologie“, „antisemitische Ansichten“, „Hassrede“ sowie „extremistische Propaganda“ anlastet. Als Journalist ist es natürlich legitim, kommentarlos aus Presseerklärungen zu zitieren, doch bei derartig schwerwiegenden Vorwürfen hätte es nicht schaden können, diese mit einem Beispiel, etwa für meine vermeintliche „Hassrede“, für die Lesendenschaft einzuordnen. Ähnliches gilt für haltlose Äußerungen der Augsburger FDP oder vom Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, die im Text zitiert werden. Beck erklärte gegenüber Schultheis, ich sei „in den sozialen Netzwerken für [m]eine obsessive Hetze gegen Israel berüchtigt“. Dass Beck keine seriöse Instanz in diesem Kontext ist, bewies er einmal mehr Ende März, als er die weltweit renommierte Menschenrechtsorganisation Amnesty International denunzierte, sie sei ein „korrupter Honigtopf für Antisemit:innen“.

Dann wurde es inhaltlich, und persönlich. Im Vorfeld der Veröffentlichung schickte mir Schultheis eine Mail mit einer Reihe konkreter Vorwürfe, die sich auf fünf Tweets und einen Artikel von mir stützten. Er räumte mir die Gelegenheit ein, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, worauf ich gestern aus Zeitgründen zunächst verzichten musste. (Schultheis bot mir auch an, im Nachhinein meine Stellungnahme zu seinen inhaltlichen Kritikpunkten zu berücksichtigen und online gegebenenfalls zum Teil zu ergänzen. Gleichzeitig machte er in einer späteren Mail sich selbst widersprechend deutlich, dass er keineswegs vorhabe, meine Antworten auf seine konkreten inhaltlichen Vorwürfe nachträglich aufzunehmen, sondern lediglich meine Stellungnahme zu den vagen Vorwürfen, ich betreibe „Hetze“ und sei für den Vortrag in Augsburg „ungeeignet“. Dieses Verhalten war ausschlaggebend, dass ich mich schließlich für diese ausführliche Replik hier entschied.) Die drei konkreten Fragen, die Schultheis mir stellte, habe ich hingegen ausführlich beantwortet. Dennoch behauptet er in seinem Artikel, ich hätte seine Anfrage „nur teilweise“ beantwortet – eine Falschaussage.

Meine Antwort zu seiner Frage bezüglich der BDS-Kampagne, nämlich dass ich weder Mitglied noch Unterstützer von BDS sei, hat scheinbar nicht in die Erzählung von Schultheis’ Artikel gepasst und er ließ sie unerwähnt. Bei der Frage nach meinem Aufenthalt in Palästina kommt zunächst Schultheis’ ungenaue Recherche zum Ausdruck. Er behauptet, ich hätte angegeben, in Nablus studiert zu haben. Ich war jedoch kein Student, sondern Dozent an der naturwissenschaftlichen Fakultät der An-Najah University. Auch hier lässt er meine für seine Erzählung gewiss nicht hilfreiche Antwort auf seine Frage nach meiner konkreten Tätigkeit unerwähnt. Wir haben unter anderem die Auswirkungen einer israelischen Chemieanlage, die an die Grenze zur palästinensischen Stadt Tulkarem gesetzt wurde und dort in hohem Maße Umwelt und Gesundheit der Menschen in Palästina zerstört, untersucht.

Weiter moniert Schultheis, ich hätte die israelische Regierung bereits vor der aktuellen Iteration des Netanyahu-Kabinetts als „geführt von Rechtsradikalen“ bezeichnet, als nämlich noch Naftali Bennett Ministerpräsident war und „eine breite Koalition unter Einschluss der arabischen Partei ‚Ra’am‘ anführte“. Er bezieht sich dabei auf meinen Tweet vom Juni 2022:

Ich frage Schultheis: Was gibt es an der Zuschreibung „rechtsradikal“ auszusetzen? Der damalige Premier Bennett ist Vorsitzender der ultrarechten, ultranationalistischen Partei Die Neue Rechte (Hebr. HaJamin HeChadasch), die die vollständige Annexion der palästinensischen C-Gebiete fordert. Bennett selbst prahlte einst in einem Kabinettstreffen: „Ich habe viele Araber in meinem Leben getötet – und damit gibt es absolut kein Problem“. Bennett bezeichnete sich als „rechter“ („more right-wing“) als Netanjahu. In einer TV-Debatte beleidigte er einen arabischen Knesset-Abgeordneten zutiefst rassistisch: „Als ihr noch an den Bäumen geschaukelt habt, hatten wir hier schon einen jüdischen Staat“.

Bennetts Finanzminister Avigdor Lieberman sinnierte einst, er wolle illoyalen Araber*innen „mit einer Axt den Schädel abschlagen“. Innenministerin Ayelet Shaked bezeichnete palästinensische Kinder als „kleine Schlangen“ und Verteidigungsminister Benjamin Gantz prahlte damit, 2014 „Teile von Gaza zurück in die Steinzeit befördert“ zu haben. Die Liste ähnlicher Abscheulichkeiten der Bennett-Regierung wäre noch lange fortzuführen. Bei diesem Kabinett von „rechtsradikal“ zu sprechen, ist gewiss mehr als berechtigt; insbesondere im von mir im Tweet getätigten Kontext: Die Bennett-Regierung wies im Juni letzten Jahres das israelische Militär an, in der palästinensischen Gemeinde Masafer Yatta im südlichen Westjordanland Volkszählungen durchzuführen, um die Vertreibung von rund 1.000 Menschen aus der Region vorzubereiten. Auch Schultheis’ Verweis auf die Beteiligung der arabischen Partei Ra’am ist gewiss kein Argument für seine Position: Ra’am ist eine islamistische Partei, deren Führer Mansour Abbas sich selbst als „right-wing“ bezeichnet und die rechtsradikale Postion befürwortet, an Jugendlichen der LGBTQ-Community „Konversionstherapien“ durchzuführen.

In Bezug auf diesen Tweet vom August 2022 …

… deutet Schultheis zumindest an, ich würde den palästinensischen „Präsidenten“ Mahmoud Abbas in Schutz nehmen. Davon abgesehen, dass ich den illegitimen Diktator Abbas und seine zutiefst korrupte und verbrecherische Kollaborateurs-Clique verachte, ist mein Tweet unzweideutig eine Kritik an der extrem ungleichen Strafverfolgung von Holocaust-Relativierung, getätigt von Palästinensern einerseits und „Querdenkern“ andererseits durch die deutsche Justiz.

Dann kommt Schultheis zum Iran und beruft sich dabei auf meinen Artikel auf den NachDenkSeiten vom April 2021. Damals hatte der israelische Geheimdienst Mossad einen Bombenanschlag auf die wichtigste iranische Atomanlage Natanz durchgeführt, dabei „Tausende Zentrifugen beschädigt oder zerstört“ (laut Chef des iranischen parlamentarischen Research Centre via BBC), die zur Zeit des Anschlags vor Ort befindlichen rund 1.000 Personen in Lebensgefahr gebracht und gleichzeitig eine verheerende Umweltkatastrophe riskiert. Nach einschlägigem Verständnis des Begriffs ist ein Bombenanschlag auf eine derart kritische Infrastruktur von herausragender nationaler Bedeutung wie eine Atomanlage gewiss als „Terrorismus“ zu werten, weshalb ich diesen durch einen staatlichen Akteur durchgeführten Anschlag als „Staatsterrorismus“ bezeichnete. Dem damaligen iranischen Außenminister Zarif und dem Präsident Rouhani gab ich in ihrer Bezeichnung vom „nuklearem Terrorismus“ daher recht. Schultheis moniert dies und schreibt zu meiner Formulierung des „Staatsterrorismus“:

Um seine Wortwahl plausibel zu machen, zieht Reimann folgende Analogie: „Wenn Al-Qaida einen Bombenanschlag auf die einzige deutsche industrielle Urananreicherungsanlage Gronau in NRW durchführen würde, würden wir natürlich von Terrorismus sprechen.“

Und hier findet sich Schultheis’ nächster Fehler (auf den meinerseits hinzuweisen, pedantisch klingen mag, doch ist dies in dem Zusammenhang wichtig): Den Satzpunkt am Ende meines Zitats schiebt Schultheis fälschlicherweise ins Innere der Anführungszeichen, was bedeutet, dass mein Satz tatsächlich an dieser Stelle endet. Doch das tut er nicht. Original:

Wenn Al-Qaida einen Bombenanschlag auf die einzige deutsche industrielle Urananreicherungsanlage Gronau in NRW durchführen würde, würden wir natürlich von Terrorismus sprechen; führte – rein hypothetisch – Schweden den Anschlag aus, sprächen wir von Staatsterrorismus. Wenn Israel nun Bombenanschläge in iranischen Atomanlagen begeht, ist es selbstredend genau das: Staatsterrorismus. (Herv. nachträgl.)

Es war offenbar in Schultheis’ Sinne zu implizieren, ich würde für eine Analogie mit dem israelischen Mossad die dschihadistische „Al-Qaida“ heranziehen – mit „Schweden“ als hypothetischer Analogie ist das dann verständlicherweise nicht mehr allzu spannend. Doch um seine Erzählung des sich vorwärtsverteidigenden Israels zu stützen, erfindet Schultheis den Inhalt meines Artikels einfach neu und denkt sich aus, ich hätte „einen Text über die israelischen Bestrebungen, eine iranische Atombombe auch mit gewaltsamen Sabotageakten zu verhindern“, geschrieben: sein kreativer und ebenso gescheiterter Versuch, meine Zuschreibung des „Staatsterrorismus“ ad absurdum zu führen.

Weiter schreibt Schultheis dazu entrüstet, ich behaupte, „das Regime in Teheran beabsichtige gar nicht, Atomwaffen zu erlangen“. Erstens, behaupte ich das in der Form, wie Schultheis sie mir in den Mund legt, im Artikel überhaupt nicht. Und zweitens: Wer – im Wesentlichen – außer der israelischen Rechten und deren (zumeist ebenfalls rechte) Unterstützer*innen im Westen behauptet denn noch, der Iran wolle die Bombe? Israels engster staatlicher Verbündeter USA jedenfalls nicht: Der Director of National Intelligence, des Zusammenschlusses aller 17 US-Geheimdienste, erklärte erst diesen Montag in einem Bericht, der Iran arbeite nicht an der Entwicklung einer Atombombe. Auch der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad widersprach in der Vergangenheit Netanyahus entsprechenden Behauptungen, was dessen Regierung jedoch nicht davon abhält, immer wieder mit Luftschlägen gegen iranische Atomanlagen zu drohen; wie zuletzt in diesem Februar oder Mai.

Auch die weiteren Zitate, die Schultheis anbringt, erscheinen in dem von mir jeweils geäußerten Kontext in einem gänzlich anderen Licht. (Wie etwa mein im selben Artikel gebrachter Vorwurf des „schwindelerregenden Ausmaßes“ der „terroristischen Energie der israelischen Führung“. Wer die meiner Formulierung zugrundeliegende erbarmungslose Mossad-Operation betrachtet, bekommt schnell den Eindruck, hier wird ein grotesk übertriebener Hollywood-Spionagethriller rezipiert.)

Was zu Schultheis’ Text zu sagen bleibt, ist der bittere Verdacht: Hier stand ein bereits im Vorfeld gefälltes Urteil fest, das es lediglich zu unterfüttern gab. Dafür wurden Zitate aus dem Kontext gerissen, falsch wiedergegeben oder sinnentleert. Bei aller politischen Differenz, die zwischen Schultheis und mir ganz sicher besteht, ist dies einfach kein Umgang und verletzt grundlegende Prinzipien journalistischer Ethik. Oder aber es beweist einmal mehr, wie Lea Frehse es in Zeit Online so treffend nennt: „die Unmöglichkeit der deutschen Nahost-Debatte“.

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