Deutschlands Energiepolitik – Eine Chronik des Versagens

Am 24. Februar 2022 begann der russische Überfall auf die Ukraine. Der Krieg ist ein klarer Bruch des Völkerrechts und ist, so wie jeder Krieg, abzulehnen und zu verurteilen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Reaktionen der Bundesregierung auf diesen Krieg in vielen Punkten falsch waren und dem eignen Land geschadet haben.

Als Reaktion auf den Krieg hat die Bundesregierung, gemeinsam mit der Europäischen Union, eine Reihe von Sanktionen 10 Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Und noch immer kommt niemand auf die Idee, dass ein großer Teil dieser Sanktionen den Krieg nicht stoppen. Trotz Ölembargo oder der Nicht-Inbetriebnahme von Nord Stream 2 rollen die Panzer weiter. Nach einem Jahr sollte man vielleicht auf die Idee kommen, dass Russland unsere Euros für seinen Krieg gar nicht braucht. Mehr sogar: Ein großer Teil der Sanktionen schadet dem eigenen Land und der eignen Wirtschaft mehr als sie Russland schaden. Im Jahr 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland bei 7,9%.[1] Die Reallöhne sind im Jahr 2022 zum dritten Mal in Folge gesunken – um rund 4%.[2]

Ein historischer Wert. Seit 2020 sind die Reallöhne in Deutschland so stark gesunken wie noch in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Zu Beginn des Jahres befindet sich Deutschland in einer Rezession, die eine direkte Folge sinkender Konsumausgaben ist. Zwei Quartale in Folge ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland nun gesunken.[3]

Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) droht der deutschen Wirtschaft im Jahr 2023 eine Rezession und 2024 können wir nur auf ein geringes Wachstum hoffen.[4] Für Russland dagegen wurde die Prognose vom IWF zum dritten Mal nach oben korrigiert – hier erwartet man ein Wachstum.[5] Baerbocks Plan Russland zu ruinieren[6] scheint nicht aufzugehen. Und er schadet der eigenen Wirtschaft massiv. Statt billigem Gas aus Russland beziehen wir nun teures und umweltschädliches LNG aus den USA. Die Industrieproduktion ist im März um 3,3% eingebrochen. Am stärksten vom Einbruch war die Automobilbranche mit 6,5% betroffen.[7]

Chronik des Versagens

Die Reaktionen der Bundesregierung auf die Energiekrise im vergangenen Jahr sind eine Chronik des Versagens. Wirksame Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung wie das 9€-Ticket oder den Tankrabatt hat man ersatzlos auslaufen lassen. Stattdessen kam die Bundesregierung auf die grandiose Idee mittels einer Gasumlage die Energiekosten für die Bürger und die Wirtschaft noch weiter in die Höhe zu treiben. Erst nach massivem Druck aus der Bevölkerung und der Opposition hat die Regierung die Umlage fallen lassen und sich stattdessen die Preisbremsen beschlossen. Die Rekord-Gewinne der Energiekonzerne hat man aber doch lieber nicht angerührt. Andere Regierungen sind in diesem Punkt deutlich weiter als die Bundesregierung. Auch schaffen es andere Regierungen, wie in Spanien[8] oder Portugal[9], die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel zu streichen und so die Bürger von der Inflation zu entlasten.

Jedes dritte deutsche Unternehmen verlagert mittlerweile Investitionen ins Ausland. Das sind so viele wie seit über 15 Jahren nicht mehr.[10] Einer der Hauptgründe dafür sind die hohen Energiekosten in Deutschland, die auch durch die Sanktionspolitik der Bundesregierung getrieben wurden. Selbst mit den beschlossenen Preisbremsen sind die Energiepreise immer noch gut doppelt so hoch wie zur Vorkrisenzeit. Dazu kommt, dass sowohl China als auch die USA mit riesigen Investitionspaketen aktiv deutsche und europäische Unternehmen abwerben wollen.[11] So erhalten sie im Rahmen des amerikanischen Inflation Reduction Act unter anderem Steuererleichterungen und andere Subventionen, wenn ein festgelegter Anteil der Produktion in den Staaten stattfindet und die Produktion auf nachhaltige Technologien umgerüstet wird.[12] Der Europäischen Union fällt es schwer darauf zu reagieren. Die Beihilferegelungen der EU sind zu kompliziert und zu bürokratisch, um kurzfristig reagieren zu können. Vorstöße aus Frankreich, man müsse nun europäische Unternehmen ebenso staatliche Unterstützungen zukommen lassen, wie es der IRA vorsieht, werden aus Deutschland abgelehnt. Stattdessen bittet man in den USA darum Ausnahmen zu gewähren und legt ein Investitionsprogramm auf, dessen Umsetzung lange auf sich warten lassen dürfte.[13] Insbesondere die Automobilindustrie droht aufgrund der Subventionen verstärkt ihre Produktion ins Ausland zu verlagern.[14] Aber auch energieintensive Grundstoffindustrien dürften sich auf die Suche nach Standorten mit billigerer Energie machen.

Fatale Strategie

Der hinter uns liegende Winter wurde ohne eine Gasmangellage überstanden. Haushalte haben gespart und Unternehmen ihre Produktion gedrosselt. So konnte der Gasverbrauch in der Bundesrepublik auf einem Niveau gehalten werden, das schlimmeres verhindert hat. Aber ausschlaggebend dafür war nicht die Politik der Bundesregierung, sondern das Glück einen warmen Winter erlebt zu haben. Dass wir dasselbe Glück im kommenden Winter noch einmal haben werden, ist auf keinen Fall garantiert. Dass die Strategie der Regierung der viertgrößten Volkswirtschaft darin besteht auf einen milden Winter zu hoffen, ist eine politische Bankrotterklärung. Der nächste Winter könnte einen Schock für unsere Wirtschaft und die Menschen in diesem Land bereithalten: Die Internationale Energieagentur warnt bereits. Nachdem China ihre Covid-Politik aufgegeben hat, geht man davon aus, dass die Gas-Nachfrage aus China in diesem Jahr um gut 35% ansteigen wird. Die Folge wäre ein Wettbieten auf den Weltmärkten um das knappe LNG.[15] Klar ist, dass diese Situation vor allem zu Lasten ärmerer Länder gehen wird. In Ländern wie Pakistan löste die deutsche Energiepolitik lägst eine Energiekrise aus.[16] Die Bundesregierung täte gut daran Vernunft walten zu lassen und mit Russland in Verhandlungen zu treten – durch den verbliebenen intakten Strang der Nord Stream 2 könnten noch jährlich 27 Milliarden m³ Gas geliefert werden. Klar muss aber sein: Beim Gas handelt es sich nur um eine Übergangstechnologie, das günstig und ausreichend zur Verfügung stehen muss.

Windkraftanlagen

Der PV-Thinktank hat erst kürzlich ein Konzept vorgelegt, mit dem die Bundesregierung innerhalb von 12 Monaten Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 20 Gigawatt ausbauen könnten.[17] Diese 20 GW Photovoltaik könnten in einem Jahr rund 18 TWh Strom erzeugen.[18] Innerhalb von 2 Jahren könnte also genug PV-Anlagen installiert werden, um knapp 36 TWh Energie zu erzeugen. Und dann gibt es ja auch noch die Windkraft. Nimmt die Bundesregierung ihre im Osterpaket veranschlagten Ziele ernst und baut pro Jahr 10 GW Windkraft aus, liegt auch hier die jährliche Erzeugung bei rund 18 TWh.[19] Innerhalb von 2 Jahren könnte durch einen ambitionierten Zubau bei Wind- und Photovoltaikanlagen also gut 72 TWh Strom zur Verfügung gestellt werden. Wenn auch eine TWh aus Erneuerbaren Energien nicht einfach gegen eine TWh aus fossiler Energie aufgerechnet werden kann, wäre das dennoch ein erhebliches kurzfristiges Potenzial. Der Zubau der Offshore-Anlagen ist noch nicht einkalkuliert.

Durch das Repowering von Windkraftanlagen sind bis zu 45 GW zusätzliche Leistung realisierbar. Also ein zusätzlicher Ertrag von rund 80 TWh. Zur Erläuterung: Repowering bedeutet, dass eine alte Windkraftanlage schlicht durch eine neue, leistungsfähigere Anlage ersetzt wird. In Puncto Effizienz hat sich bei der Windkraft in den vergangenen Jahren enorm viel getan. Eine im Jahr 2020 installierte Anlage hat eine rund 4-mal höhere Leistung und einen fast 10-mal höheren Ertrag als eine Anlage aus dem Jahr 2005. Das Repowering-Potenzial ist auch bei der Photovoltaik erstaunlich. Innerhalb kürzester Zeit könnten hier bei einem ambitionierten Programm 40GW an zusätzlicher Leistung gehoben werden: Ein zusätzlicher Ertrag von 36-37 TWh.

Der Weg, den die Bundesregierung jetzt gehen müsste, ist klar: Sie muss für eine Übergangszeit die ausreichende und günstige Versorgung mit Gas sichern, ohne dabei dem globalen Süden massiv zu schaden. Gleichzeitig muss der Bund beim Ausbau der erneuerbaren Energien einige Gänge zulegen: Dafür kann und sollte man sich nicht mehr nur auf den markt verlassen. Mithilfe einer öffentlichen Investitionsgesellschaft könnte der Bund den Ausbau der Erneuerbaren selbst vorantreiben, ohne dabei von der Schuldenbremse eingeschränkt zu werden. Über diese Investitionsgesellschaft könnte auch der Ausbau und die Entwicklung von Speichern vorangetrieben werden. Ohne Speicher in einem industriellen Maßstab wird die Energiewende nicht erfolgreich sein. Neben einer gut ausgebauten, öffentlichen Wasserstoffinfrastruktur wären hier als Beispiel Hochtemperaturspeicher zu nennen. Ähnliches gilt für Netze: Die Stromautobahnen unseres Landes gehören vollständig in öffentliche Hand. Hierbei handelt es sich um ein natürliches Monopol, bei dem ohnehin kein marktwirtschaftlicher Wettbewerb möglich ist.

Ein Gastbeitrag von Klaus Ernst, Mitglied der Linksfraktion im Bundestag und Vorsitzender des Ausschusses für Klimaschutz und Energie im Bundestag


[1] https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/inflation-so-hoch-ist-die-aktuelle-inflationsrate-in-deutschland/26252124.html

[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Realloehne-Nettoverdienste/Tabellen/liste-reallohnentwicklung.html#134646

[3] https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/konjunktur-deutsche-wirtschaft-in-die-rezession-gerutscht/29168620.html

[4] https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/konjunkturprognose-iwf-sieht-globale-wirtschaft-in-aeusserst-unsicherer-situation-duestere-prognose-fuer-deutschland/29085556.html

[5] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/prognose-iwf-russlands-wirtschaft-waechst-2023-staerker-als-deutsche/

[6] https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-baerbock-ueber-sanktionen-das-wird-russland-ruinieren-RZDYS2DEPRK5OST7ZGGRZ6UN4I.html

[7] https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/konjunktur-deutschlands-wirtschaft-ist-in-die-rezession-gerutscht/29168620.html

[8] https://www.sueddeutsche.de/politik/spanien-mehrwertsteuer-lebensmittel-1.5722954

[9] https://www.spiegel.de/wirtschaft/wegen-hoher-inflation-portugal-schafft-mehrwertsteuer-auf-dutzende-lebensmittel-ab-a-c75ba8ac-f7ae-4f15-88e8-41e20c4df0e1

[10] https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/standortpolitik-so-viele-deutsche-firmen-wie-seit-15-jahren-nicht-wandern-aus-kostengruenden-ab/29084292.html

[11] https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/standortpolitik-so-viele-deutsche-firmen-wie-seit-15-jahren-nicht-wandern-aus-kostengruenden-ab/29084292.html

[12] https://www.ihk.de/duesseldorf/aussenwirtschaft/auslandsmaerkte/usa/usa-inflation-reduction-act-5653060

[13] https://bdi.eu/artikel/news/der-inflation-reduction-act-klimaschutz-mit-haken

[14] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/vw-bmw-mercedes-autoindustrie-verlagert-produktion-verstaerkt-ins-ausland-/29069340.html

[15] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/iea-prognose-gaspreise-101.html

[16] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/pakistan-lng-folgen-erdgas-preise-100.html

[17] https://pv-thinktank.de/wp-content/uploads/2022/09/PV-TT_Impuls_PV-Booster_20-Gigawatt-Photovoltaik-in-12-Monaten.pdf

[18] Zu Grunde gelegt wird eine Nutzungslast von 10,5% der 8760 Stunden eines Jahres. / https://www.pv-magazine.de/2021/10/22/photovoltaik-anlagen-mit-105-prozent-durchschnittlichem-nutzungsgrad-im-ersten-halbjahr/

[19] Nutzungslast von 20,9%

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