Huda Ammori beim Protest gegen die Waffenmesse Enforce Tac

Der Erfolg von Palestine Action in England – Ein Interview mit Huda Ammori

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am 26. Januar 2024 mit seiner Eilentscheidung zum israelischen Gazakrieg anerkannt, dass die südafrikanische Klage wegen Völkermord plausibel ist. Die Richter forderten gleichzeitig vom Staat Israel einen Stopp der entsprechenden Vorgehensweise. Seither hat sich nichts an der israelischen Kriegsführung geändert und vor allem die Regierung der Bundesrepublik, die als Unterzeichnerstaat der Völkermordkonvention dazu verpflichtet wäre, unternimmt nichts, um die verantwortlichen Akteure zu stoppen.

In Nürnberg hat von 26. bis 28. Februar 2024 die Waffenmesse Enforce Tac stattgefunden, wo einige Profiteure des Gazakriegs eine Plattform bekamen. Unter anderem die Aussteller Elbit Systems, Rheinmetall, Smartshooter und Agilite liefern Ausrüstung für den Krieg in Gaza. 200 Aktivisten von Jüdischer Stimme für Gerechten Frieden in Nahost, der palästinensischen Community und internationalistischen Initiativen aus Nürnberg und Umgebung sowie dem Palästinakomitee Stuttgart und OTKM Stuttgart (Offenes Treffen gegen Militarisierung und Krieg Stuttgart) demonstrierten am Eröffnungstag der Waffen-Messe Enforce Tac in der Stadt und vor dem Messegebäude. Rednerin bei der Demonstration war auch Huda Ammori, Mitbegründerin von Palestine Action in England. Palestine Action ist es in England gelungen, den großen israelischen Waffenproduzenten Elbit zur Schließung von Niederlassungen zu zwingen. Mehrere  kooperierende Firmen brachen nach Aktionen von Palestine Action ihre Geschäftsbeziehungen mit dem großen israelischen Waffenhersteller Elbit ab. Wir vom Palästinakomitee Stuttgart haben mit  Huda Ammori über Palestine Action und die Erfahrungen in England gesprochen:

1. Palestine Action hat beachtlichen Erfolg mit seinen Aktionen gegen den Waffenhersteller Elbit. Was ist das Besondere von Palestine Action und was sind die Grundlagen für den Erfolg?

Huda: Wir begannen im Jahr 2020 und konzentrierten uns auf direkte Aktionen. Der Grund war, dass die meisten von uns bereits mit anderen Methoden der Palästinasolidarität gearbeitet hatten wie Massenmobilisierung, Lobbyarbeit, Desinvestitionskampagnen und anderes. Trotz einiger Erfolge war klar geworden, dass wir dem israelischen System sowie der Komplizenschaft und den Verbindungen von England mit dem Kolonialismus in Palästina nicht gewachsen waren. Wir stellten auch fest, dass der demokratische Prozess nicht funktionierte beim Thema Palästina, ganz egal, um welche Fakten oder Argumentationen es ging.

Daher erschien uns die direkte Aktion als effektivste Methode, die zur Verfügung stand. Anstatt an eine Mittlerinstanz wie Politiker oder die Regierung einzuschalten, wollten wir die notwendigen Veränderungen selbst in die Hand nehmen. Wir waren auch bereit, das Risiko von Verhaftungen oder andere Opfern in Kauf zu nehmen, um unsere Ziele zu erreichen.

2. Warum konzentriert ihr euch auf das Unternehmen Elbit?

Huda: Als wir begannen, merkten wir, dass wir uns fokussieren und Elbit als Ziel nehmen mussten. Es gibt viele Unternehmen, die dazu beitragen, dass das, was in Palästina passiert, möglich wird.
Elbit ist jedoch der größte Waffenhersteller im Staat Israel. Sie sind der Hauptlieferant für die israelische Drohnenflotte, sie produzieren auch Panzer, Munition, Bomben, Missiles, die regelmäßig gegen die palästinensische Bevölkerung eingesetzt werden. Die Besonderheit von Elbit und den israelischen Waffenherstellern ist, dass sie Gaza als Labor benutzen. Sie entwickeln ihre Waffen auf der Grundlage von Erfahrungen mit den Angriffen auf Palästinenser. Jedes Mal, wenn sie uns angreifen, testen sie neue Waffen. Wir haben dies die ganzen Jahre über beobachten können, bei ihrem Marketing setzen sie dann das Label „einsatzerprobt“ ein. Sie beliefern auch England und andere Staaten. Und wenn man diese israelischen Waffen kauft, nachdem sie in Einsätzen getestet wurden, fördert und ermutigt man die israelische Besatzung. Das ist krank und übel.

Daher haben wir ihre Fabriken mit unseren Körpern blockiert, wir sind auf die Dächer gestiegen, haben mit Vorschlaghämmern Schaden angerichtet, sind eingebrochen, Wenn wir das tun, beeinträchtigen wir ihre Produktion, nicht nur vom zeitlichen Faktor her, sie haben auch höhere Kosten für die Security und Versicherungen Außerdem wird ihr Ruf beschädigt, da wir zeigen, was Elbit in Wirklichkeit darstellt.

Sie produzieren in gewöhnlichen Städten in normal aussehenden Gebäuden. Aber wenn wir Aktionen gegen sie unternehmen, zeigen wir, dass sie Waffen herstellen. Wenn eine normale Person merkt, dass jemand in einem Gebäude verletzt wird oder dass es sich dabei gar um ein Kind handelt, würde niemand zögern, das Haus zu zerstören, um das zu verhindern. Das ist das gleiche Prinzip. Bei Elbit basiert das gesamte Geschäftsmodell auf der Zerstörung von Palästina. Elbit ist ein Produkt des kolonialen Regimes dort. Jedes Mal, wenn wir sie attackieren, unternehmen wir etwas gegen dieses Herrschaftssystem

3. Euer Erfolg beruht auch darauf, dass ihr die Unterstützung von der englischen Bevölkerung gewonnen habt. Wie habt ihr das erreicht?

Huda: Niederlassungen von Elbit finden sich in vielen verschiedenen Gegenden von England mit unterschiedlichen politischen Bedingungen.

Ich beginne mit Shenstone. Dort produziert Elbit die Motoren für die Drohnen. Es handelt sich um ein Gebiet der oberen Mittelklasse, die eher rechts steht. Als wir auf das Dach gestiegen sind, bekamen wir zwar Unterstützung, wurden aber auch öfters mit Beschimpfungen konfrontiert. Aber am 3. Tag, als wir verhaftet wurden, meinte beispielsweise eine Frau aus der Nachbarschaft in der Presse, sie sei eigentlich gegen unsere Aktion, aber vielleicht hätten wir irgendwie Recht. Während wir das Unternehmen angegriffen hätten, hätten wir über Tötungen in Palästina gesprochen. Ich denke, hier spielt auch das Element der Opferbereitschaft eine Rolle. Die Leute sehen, dass die Angelegenheit so wichtig und dringend ist, dass wir bereit sind, unsere Freiheit aufs Spiel zu setzen.

in anderen Gebieten, wo die Bevölkerung von ihrem Hintergrund her sehr gemischt ist, wie beispielsweise in Leicester, lief es folgendermaßen. In Leicester stellt Elbit Drohnen her. 2021 sind 4 Leute von Palestine Action auf das Dach der Fabrik dort gestiegen. Innerhalb weniger Stunden kamen 100 Leute aus der Community. Sie kannten die Fabrik. Am 6. Tag, als die Polizei die Vier von Palestine Action verhaften wollte, waren Hunderte, wenn nicht Tausende Leute da. Sie bauten ihre eigenen Barrikaden an den Eingängen auf, um die Verhaftung zu verhindern und schafften das 7 bis 8 Stunden lang. Schließlich setzte die Polizei die Verhaftung durch, aber 40 Autos folgten der Polizei als Unterstützung für die Verhafteten.

Wir haben hier zwei unterschiedliche demographische und politische Hintergründe, aber es wirkt derselbe Faktor. Die Leute fragen sich, was passiert hier. Es ist ein Weckruf. Wenn die Leute auf das Dach klettern und große Risiken eingehen, ist das ein Schock für das System. Und wir haben es mit der gleichen intuitiven Reaktion zu tun. Die Leute fragen sich, warum verhaften sie die? Warum verhaften sie nicht diejenigen, die die Waffen produzieren? Das ist die natürliche humane Reaktion auf die aktuell existierende Situation.

Wenn wir diesen Faktor auf Elbit konzentrieren, werden viele Leute mit unterschiedlichem Hintergrund die Situation begreifen. Es ist leicht zu verstehen, dass hier etwas falsch läuft. Daher haben wir Unterstützung aus unterschiedlichen Richtungen.

4. Kam auch nach den Aktionen weiter Druck aus der Bevölkerung? Hat das vielleicht sogar dazu beigetragen, dass einzelne Niederlassungen geschlossen werden mussten?

Huda: In Leicester kamen die Leute immer wieder, protestierten jede Woche und hielten den Druck aufrecht.  
In Oldham mussten sie die Niederlassung schließen, das war 2022. Es handelte sich um eine sehr große Fabrik. Ich denke, das war ein wirklich ein Beispiel für den Erfolg von direkten Aktionen mit der Unterstützung der örtlichen Community, die mobilisiert wurde. Das Elbit-Unternehmen in Oldham Unternehmen stellte zusätzliche Security ein, baute Barrikaden, Zäune und Stacheldraht auf. Aber immer wieder fanden die Aktivisten eine Möglichkeit, um auf das Dach zu klettern oder in die Fabrik zu gelangen. Da das Oldham-Unternehmen es nicht schaffte, die Aktionen zu stoppen, mussten sie den Standort schließen. Sie waren nicht mehr in der Lage, verlässlich zu produzieren.

5. Auch mehrere Geschäftspartner von Elbit haben ihre Beziehungen mit dem Waffenhersteller abgebrochen.

Huda: Wir haben auch Aktionen gegen „sekundäre“ Ziele unternommen, wie wir es nennen. Das sind beispielsweise die Immobilienbesitzer, die an Elbit vermieten, die Zulieferer, die Investoren, das IT-Management. Wir haben in den vergangenen Monaten vier verschiedene Firmen attackiert. Eines war der Personalvermittler, Elbit war ihr größter Kunde und wir attackierten sie. Die Facility Manager der Elbit-Fabriken brachen ihre Geschäftsbeziehungen ab nach einer zweijährigen Kampagne. Kühne und Nagel griffen wir heftig an, wir besprühten ihr Geschäftsgebäude. Sie schrieben uns daraufhin, dass sie nicht länger mit Elbit Systems zusammenarbeiten wollten. Kühne und Nagel ist eine sehr großes internationales Transport-Unternehmen. Sie verstehen jedoch alle, dass wir uns nicht stoppen lassen, wenn wir angefangen haben.

6. Viele der Aktivisten von Palestine Action sind mit Anklagen konfrontiert. Was ist deren Erfahrung vor Gericht?

Huda: Vor Palestine Action gab es bereits einige Aktionen gegen Elbit, nicht so oft und ohne jegliche Beschädigung. Die Anklagen wurden immer fallen gelassen. Elbit wollte nicht zur Gerichtsverhandlungen kommen. Das Unternehmen vermied die öffentliche Aufmerksamkeit.

Wir von Palestine Action steigerten die früheren Proteste der Palästinasolidarität gegen Elbit erheblich. Daher mussten sie uns vor Gericht bringen. Das war nach ihrer Meinung, die einzige Möglichkeit, uns zu stoppen. Wir sind aktuell mit sehr vielen verschiedenen Prozessen konfrontiert. Aber wir lassen uns nicht von Anklagen stoppen. Wir versuchen unseren Widerstand, auch vor Gericht fortzusetzen. Die meisten von uns plädieren auf „nicht schuldig“. Wenn du dich in England schuldig bekennst, bekommst du eine weniger harte Strafe. Wenn du auf „nicht schuldig“ plädierst, riskierst du ein härteres Urteil. Wir wollen jedoch die Verbrechen von Elbit im Gericht beleuchten. In der ersten Zeit unserer Gerichtsverhandlungen haben wir immer gewonnen. Aber dann haben sie die Gesetze geändert. Die Bedingungen sind zwar  jedem Gericht anders, aber wir haben immer öfter nicht die Möglichkeit, uns mit dem Argument zu verteidigen „Wir handeln, um Leben zu retten“, „Wir handeln, um ein größeres Verbrechen zu verhindern“, auch wenn diese Möglichkeit seit langer Zeit in den englischen Gesetzen etabliert ist. Daher ist es für uns jetzt schwieriger, die Prozesse zu gewinnen, und manchmal klappt es nicht. Aber für uns ist jeder Prozess eine Gelegenheit, um das System und die Verbrechen von Elbit offen zu legen. Wenn die Verhältnisse so auf dem Kopf stehen, musst du selbst Risiken auf dich nehmen, um das zu ändern.

Wir haben auch nachgewiesen, dass die israelische Botschaft mit dem Generalbundesanwalt gesprochen hat über unsere Verteidigung. Es hat also Absprachen gegeben, um für uns bei die Verteidigung schwer zu machen.  Es ist sehr wichtig, dass wir ein Kollektiv bleiben. Der Staat versucht uns zu individualisieren und uns Deals anzubieten. Es ist wesentlich, das abzulehnen.

Als mein Prozess begann, boten sie mir einen Deal an. Sie sagten, wenn du dich schuldig bekennst zu einer Anklage von 13, werden wir alle anderen fallen lassen. Ich lehnte ab. Denn wir wollen das System offenlegen. In jedem Prozess kommt mehr ans Licht. Und besonders jetzt, wo der Genozid in Gaza stattfindet, müssen wir alles tun, um das zu stoppen. Aber natürlich müssen wir auch für das Ende der Besatzung und das Ende des Apartheid-Regimes kämpfen sowie für die vollständige Befreiung der palästinensischen Bevölkerung.
Wir haben noch keinen Genozid wie diesen erfahren. Aber das geschah nicht in einem Vakuum. Und für uns, die in den imperialistischen Ländern leben und privilegiert sind, gilt, dass wir weitermachen müssen.

7. Spürt ihr inzwischen auch internationale Reaktionen auf eure Aktivitäten?

Huda: Selbstverständlich sind das Taktiken, die auch international eingesetzt werden können. Es gibt inzwischen Palestine Action in Italien und in Frankreich. In den USA und in anderen Ländern diskutieren Leute darüber, eine Palestine Action Gruppe aufzubauen. In Melbourne und in Kanada klettern Leute auf die Dächer von Waffenfabriken und stoppen die Produktion. Das ist normaler geworden, was eine sehr positive Entwicklung darstellt, die notwendig ist angesichts der aktuellen Weltlage. 

Unternehmen wie Elbit und der Staat Israel insgesamt verlassen sich auf ein globales Netzwerk. Sie machen ihre Geschäfte weltweit und nutzen dabei Gaza als Labor. Dies muss weltweit zurückgewiesen werden, das ist die wirkungsvollste Sanktion gegen den Staat Israel, nicht von Regierungen, die das nicht umsetzen werden, sondern von der Bevölkerung.

8. Wie beurteilst du die Situation in Deutschland?

Huda: Die gleichen Prinzipien können überall angewandt werden. Und wir haben bereits Proteste gegen Elbit gesehen. In Deutschland ist die Notwendigkeit sogar noch größer, da die Politiker so verlogen argumentieren. Es ist notwendig, etwas zu unternehmen. Wir brauchen eine Gruppe von Leuten, die bereit ist, das Risiko auf sich zu nehmen. In Oldham sind 50 Leute verhaftet und angeklagt worden. In London waren es 50 bis 70 Aktivisten, aber trotzdem haben sie ihr Ziel erreicht.

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