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Der Bundesverkehrswegeplan – ein gefährlicher Anachronismus?

Zwischen der Räumung in Lützerath und Kampfpanzerlieferungen ist ein wichtiges Ereignis fast untergegangen: Der BUND hat am 24. Januar die Bundesregierung auf Basis des Klimaschutzgesetzes auf Einhaltung der Klimaschutzziele verklagt. Anlass für die Klage war die Überschreitung des CO2-Ausstoßes in den Sektoren Gebäude und Verkehr in den Jahren 2021 und ein gesetzlich vorgeschriebenes, aber unzureichendes Sofortprogramm der Bundesregierung, um diese Ziele doch noch zu erreichen. Diese Klage hat tatsächlich das Potential, für eine grundsätzliche Änderung der Verkehrspolitik zu sorgen. Denn in der Klageschrift werden zwar keine konkreten Forderungen erhoben, aber es wird klar herausgearbeitet, dass die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung zur Erreichung der in dem Pariser Klimaabkommen und im Klimaschutzgesetz formulierten Ziele bei weitem nicht genügen. Wenn die Klage Erfolg hat, wird die Bundesregierung nicht umhin kommen, sehr grundsätzlich über die Neugestaltung der Verkehrsplanung nachzudenken, allem voran über den sogenannten Bundesverkehrswegeplan (BVWP).

Der BVWP wurde als Planungsinstrument für Straße, Schiene und Wasserstraße in den 1960er Jahren entwickelt und erlebte seine erste Fassung 1973. Wenige Monate vor der ersten großen Energiekrise. Er stammt also aus einer Zeit, in der das individuell gefahrene Auto das zentrale Wohlstandsversprechen der deutschen Gesellschaft war. Das individuell gefahrene Auto war das Symbol für die Überwindung des Nationalsozialismus und der Kriegsjahre – man „war wieder wer“. Die gesamte Straßenverkehrsplanung hatte und hat bis heute das Ziel, diesen Fetisch zu feiern und freie Straßen für das Auto zu schaffen, Eisenbahn und Wasserstraßen spielen bis heute eine nur sehr untergeordnete Rolle, obwohl ihre Bedeutung für den Klimaschutz zentral ist.

Dieser BVWP steht nun nicht nur beim BUND, sondern auch bei vielen anderen Umweltorganisationen und zahlreichen Bürger*innen-Initiativen (BIs) in der Kritik, denn die CO2-Emissionen im Straßenverkehr steigen unaufhaltsam. Die CO2-Emissionen stiegen 2021, nach einem leichten pandemiebedingten Rückgang 2020, wieder an. Deutschland ist weltweit auf Platz 7 beim Ausstoß von CO2-Äquivalenten. Wurden in anderen Sektoren Energieeinsparungen erreicht, stieg der Anteil der Emissionen im Verkehr weiter an. Laut Klimaschutzgesetz dürften durch den gesamten Verkehr pro Jahr maximal 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen werden. Real lag Deutschland aber mit rund 150 Millionen Tonnen im Jahr 2021 massiv über dem angestrebten Wert. Der Straßenverkehr war dabei für 72 % des Ausstoßes, also rund 108 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich, der Anteil des Pkws an den Emissionen beträgt 60 Prozent. Das bedeutet, dass im Verkehrssektor die entscheidende Auseinandersetzung geführt werden muss, wenn die Klimaschutzziele erreicht werden sollen.

Nimmt man den aktuellen BVWP in den Blick, fällt auf, dass nur von Verkehr und nicht von Mobilität die Rede ist. Verkehr ist aber „nur“ ein Instrument und nicht das zugrundeliegende Bedürfnis. Verkehr wird dadurch erzeugt, dass Menschen vor Ort bestimmte Anforderungen an ihr tägliches Leben nicht erfüllen können, etwa beim Einkaufen, Arbeiten, Wohnen oder auch Urlaub. Planerisches Handeln muss aber von diesen Bedürfnissen der Menschen nach Mobilität ausgehen und Wege finden, diese Bedürfnisse ohne Vernichtung von Ressourcen und ohne soziale Konflikte zu befriedigen. Solange aber nur Verkehr – also das Bewegen von Waren, Dienstleistungen und Menschen – geplant wird und nicht die Bedürfnisse der Menschen und ihre ressourcenschonende und nachhaltige Befriedigung im Mittelpunkt stehen, solange wird der Raubbau an Mensch und Natur weitergehen.

Darüber hinaus ist der aktuelle BVWP – verabschiedet 2016 und gültig bis 2030 – formal eigentlich nicht mehr haltbar. Nach der Verabschiedung der aktuellen Fassung wurden sowohl 2017 das Pariser Klimaabkommen und das Klimaschutzgesetz (KSG) 2020 verabschiedet Außerdem wurde der Art. 20 GG überarbeitet und Klimaschutz zum Staatsziel erhoben. Hinzu kommt die Auflage zur sogenannten Strategischen Umweltprüfung (SUP) durch die EU seit 2018, die nicht den BVWP eingearbeitet ist. All diese gesetzlichen Regelungen haben die drastische Reduktion des Ausstoßes klimaschädlicher Gase zum Ziel. Insbesondere das Klimaschutzgesetz macht hier dem Verkehrssektor klare Vorgaben. Alle Planungsziele des BVWP stehen diesen gesetzlichen Vorschriften klar entgegen. Wenn die über 1.800 Straßenbauprojekte wie geplant gebaut werden, wird das nur möglich sein, wenn man Form und Geist des KSG und des Pariser Abkommens missachtet. Auch deswegen ist die Klage des BUND so wichtig, denn Deutschland hat die Klimaschutzziele klar verfehlt und das liegt zum guten Teil am verbohrten Festhalten an Straßenbauprojekten.

Fatal ist auch die „Bindungswirkung auf Projektebene“. Das bedeutet, dass die im BVWP getroffenen Annahmen über angebliche Kosten und Nutzen, einmal festgesetzt, nicht hinterfragt werden können und seien sie noch so unsinnig. Wozu das führt, sei an dem Beispiel der B31 West im Süden Baden-Württembergs beschrieben. Die zentrale Aussage des BVWP ist die Einstufung eines Straßenprojektes in den sogenannten vordringlichen Bedarf (VB und VB+). Ist diese Einstufung erfolgt, darf die nachgeordnete Behörde mit der Planung beginnen. Diese Einstufung erfolgt über die sogenannte Nutzen-Kosten-Analyse. Das bedeutet, Nutzen und Kosten werden berechnet und diese in ein mathematisches Verhältnis zueinander gesetzt. Ist dieser Nutzen-Kosten Wert (NKW) größer als 1, dann darf die Straße geplant und gebaut werden. Wenn man sich jetzt die Werte für die oben erwähnte B31 West anschaut, reibt man sich verblüfft die Augen. Laut BVWP hat dieses Projekt einen NKW von 3, darf also gebaut werden. Wenn man sich nun die Zahlen etwas genauer anschaut, stößt man bei den Kosten der Straße auf einen Wert von 43 Millionen Euro und Nutzen von 145 Millionen Euro. Dieser Kostenwert von 2013 (!) ist aber reine Fantasie ohne jede Grundlage. Selbst das Regierungspräsidium Freiburg geht in seinen Zahlen von 2020 von vierfachen Kosten, nämlich rund 160 Millionen Euro aus. Auf Grundlage dieser Daten hätte die B31 West einen Nutzen-Kosten-Wert von 0,85 und müsste sofort aus dem vordringlichem Bedarf entfernt werden. Das aber ist nicht möglich, weil diese Fantasiezahlen des BVWP Bindungswirkung haben, also nicht hinterfragt werden dürfen.

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt am BVWP ist die Tatsache, dass dort das Problem des induzierten Verkehrs, also der Verkehr, der durch Straßenbau erzeugt wird, weitgehend geleugnet wird und mithin nicht in die Berechnungen einfließt. Dabei ist es inzwischen vielfach nachgewiesen, dass Straßenbau zu einer Zunahme des individuellen Autoverkehrs führt und der erwünschte Effekt, nämlich weniger Stau, geringere Verkehrsdichte, schnelleres Vorankommen, innerhalb kürzester Zeit aufgefressen wird. Man steht vielleicht nicht an der gleichen Stelle, aber man steht genau so lang im Stau wie zuvor. Derartige Effekte, die auf der Kostenseite einberechnet werden müssten, werden aber schlicht negiert.

Das Fatale ist, dass das System BVWP sehr viele Beteiligte kennt, die daraus Gewinn schöpfen. Bauunternehmen können sich als verlässlicher Partner von Politik und Verwaltung präsentieren und außerdem kräftig Gewinne scheffeln. Die lokale Verwaltung, die den Bedarf nach Berlin meldet, die übergeordnete Verwaltung kann mit tollen Infrastrukturprojekten protzen und lokale Mandatsträger können ihrer „Erfolgsbilanz“ eine neue Straße hinzufügen. Hier wird auf Kosten der nächsten Generation, die in der Klimakatastrophe leben muss, Raubbau am Klima und der Umwelt betrieben.

Es gibt allerdings in diesem Jahr ein kleines Zeitfenster zum Handeln, denn 2023 läuft noch die turnusmäßige Überprüfung des BVWP. Hier gibt es laut einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages formal die Möglichkeit, den BVWP höchstrichterlich auf seine formale Korrektheit zu überprüfen. Es steht zu hoffen, dass diese Chance von den entsprechenden Akteuren ergriffen wird. Die Klage des BUND gibt Anlass zur Hoffnung.

Die Analyse des BVWP und die Analyse des politischen Umgangs der Ampel-Regierung mit dem Thema Verkehr macht eines überdeutlich: Es gibt wenig Bereitschaft, das System neu zu denken und über Mobilität statt über Verkehr zu reden. Das System BVWP dient dem Machterhalt einer bestimmten Ideologie und dem Erhalt der Profite der Autolobby. Dem muss auch in Zukunft entschiedener Widerstand entgegen gesetzt werden. Wir müssen an dessen Stelle ein System setzen, das Mobilität statt Verkehr ins Zentrum stellt, das Bürger*innen in ihren Bedürfnissen ernst nimmt und einbezieht – das Ressourcenvernichtung Einhalt gebietet und das klimaneutral ist.

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Eine Antwort

  1. das pariser abkommen,basiert auf einer freiwilligen grundlage-und deshalb,darf man die klimaziele auch verfehlen-deshalb ist es auch fraglich,ob die umweltklage auch zum gewünschten erfolg führt-aber um eine umweltwende überhaupt einzuführen,sollte man auch ein reibungsloses konzept für den öpnv ausarbeiten-den es muss mehr pesonal eingestellt werden und auch mehr fahrzeuge müssen angeschafft werden,auch müsse stilgelegte strecken wieder reaktiviert werden-dies muss alles finanziert werden und dazu reichen die zuschüsse vom bund und den ländern allein nicht aus,deshalb sollte der ticketbetrag von jedem konto abgezogen werden,um eine stabile finanzierungsgrundlage zu bekommen-und da der öpnv für den arbeitnehmer auch reiungslos funktionieren muss,muss auch über ein verbot des streikrechts nachgedacht werden-und im gegensatz,könnte man ihnen jährlich,eine automatische lohnerhöhung zubilligen-

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