Durch seine Palastrevolution in drei Akten wurde Mohammed bin Salman zur seit Jahrzehnten mächtigsten Person in Saudi-Arabien. Seine Außenpolitik ist bestimmt von einer pathologischen Iran-Obsession, die – genau wie der post-9/11 Dilettantismus des Westens in der Region – den Iran jedes Mal stärker macht, anstatt ihn zu schwächen.
Teil 1 des MbS-Specials hier auf Die Freiheitsliebe
Neben dem Vatikan ist Saudi-Arabien formal das einzige Land der Welt ohne ein Parlament. Als absolute Monarchie liegt alle Macht beim König, doch galt die Gesetzgebung im Land – mit ihren beratenden Gremien, dem Schura-Rat, dem Ausgleich mit der Geistlichkeit und der ausgeprägten Horizontalität in den obersten Zirkeln der Macht – seit jeher als relativ konsensbasiert. Entscheidungen werden mit Bedacht gefällt, der König regiert nicht als Tyrann von oben durch, gilt als „Erster unter Gleichen“. Auch verfolgt das Königreich traditionell eine eher zurückhaltende Außenpolitik. Allzu offene Aggression fernab der Landesgrenzen wurde zumeist durch subtile Einflussnahme und exzessive Scheckbuch-Diplomatie ersetzt.
All dies änderte sich grundlegend mit dem beispiellosen Aufstieg des Mohammed bin Salman, genannt MbS, beginnend vor gerade einmal vier Jahren. Sein Vater König Salman zeigt sich nur selten, setzt kaum Akzente – die Macht im Staate liegt beim 33-jährigen Prinzen. Nahezu sämtliches Handeln des MbS bewegt sich dabei in regelrechter Obsession zwischen zwei grundlegenden Motiven: im Innern die maximale Konzentration von Macht in seinen Händen, nach außen die hochgefährliche Konfrontation mit seiner vermeintlichen Nemesis: Iran.
Palastrevolution in drei Akten
Nach verschiedenen kommunalen und Beratertätigkeiten begann MbS‘ politischer Aufstieg mit dem Tod von König Abdullah im Januar 2015. Der neue König Salman – sein Bruder kaum unter der Erde – initiierte weitreichende Umstrukturierungen in den Zentren der Macht, schwächte damit den rivalisierenden Abdullah-Flügel des Hauses Saud und forcierte die Machtkonsolidierung seines eigenen Familienclans. Mit der Ernennung seines Neffen Mohammed bin Nayef (MbN) zum Kronprinzen stand erstmals ein Enkel des Staatsgründers Ibn Saud an der Spitze der Thronfolge – sämtliche Könige Saudi-Arabiens waren stets Söhne Ibn Sauds.
Im ersten von drei Akten einer wohlchoreographierten Palastrevolution wurden MbS von seinem Vater verschiedenste hochrangige Regierungsposten anvertraut. So wurde des Königs Lieblingssohn zum Generalsekretär des Königshofs (eine Art Stabschef) und mit nur 29 Jahren zum damals jüngsten Verteidigungsminister der Welt ernannt. Neben dem Militär übertrug König Salman seinem Sohn effektiv auch die Kontrolle über Soziales und die Wirtschaft des Königreichs, sowie im April 2015 gar die Leitung des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco, des laut Bloomberg mit Abstand profitabelsten Konzerns der Welt.
Im Sommer 2017 trug sich der zweite Akt der Palastrevolution zu, als der damalige Kronprinz MbN in einem von MbS orchestrierten Coup vom zweithöchsten Amt im saudischen Staat gestürzt wurde. In der Nacht zum 21. Juni wurde MbN im Königspalast in Mekka festgesetzt und auf Weisung des Königs gezwungen, seine Ambitionen auf den Thron zu Gunsten seines Cousins MbS aufzugeben. Nach mehreren Stunden unterwarf sich der unter Diabetes leidende MbN letztendlich der Forderung und wurde daraufhin vor laufenden Kameras vom intrigierenden MbS empfangen, der dem soeben Gestürzten in vermeintlicher Ehrerbietung die Hand küsste und ihn lobpries. Das Video der Scharade schoss wie ein Lauffeuer durch die arabische Social-Media-Welt und MbS – Medienprofi durch und durch – konnte so seinen perfiden Staatsstreich als einen Akt der Demut und der Treue zum Königreich verkaufen. Im Anschluss wurde der gestürzte MbN in seinem Anwesen in Dschidda unter Hausarrest gestellt, seinen Posten als Innenminister übernahm ein weiterer Vertrauter des Salman-Zirkels.
Nach geglücktem zweiten sollte der letzte Akt der Palastrevolution des MbS weltweites Aufsehen erregen und Kommentatoren über die Deutung der Ereignisse in Verwirrung zurücklassen.
Prinzen im goldenen Käfig
Am 4. November 2017 setzte MbS eine Vielzahl saudischer Entscheidungsträger im Ritz-Carlton Hotel in Riad fest, darunter Dutzende Prinzen, Minister, CEOs und sämtliche Medienmoguln des Landes – 500 Personen an der Zahl, die bis dato als unantastbar galten. Das nur Stunden zuvor neugegründete Saudische Anti-Korruptions-Komitee – dessen Kopf, wir ahnen es: MbS – fror 1.400 Bankkonten ein und nahm Vermögen der saudischen Elite in Höhe von 800 Milliarden US-Dollar ins Visier. Das Who is Who Saudi-Arabiens wurde über Wochen, teils Monate im Luxushotel festgehalten, bis sie schließlich Deals zustimmten, erhebliche Teile ihrer Vermögen auf den Staat zu überschreiben, einige bis zu 70 Prozent ihres Reichtums. 56 Personen verweigerten sich den Lösegeldzahlungen und sitzen im Gefängnis, zwei Prinzen starben beim Fluchtversuch aus dem Ritz-Carlton, ein General wurde wahrscheinlich zu Tode gefoltert.
Der Umstand, dass im Anschluss an die präzedenzlose Aktion im Ritz-Carlton nicht die kleinsten Schritte zur nachhaltigen Korruptionsbekämpfung unternommen wurden, lassen darauf schließen, dass es von vornherein nur sekundär um Korruption oder das Füllen der Staatskasse – in die immerhin über 100 Milliarden US-Dollar gespült wurden – ging, sondern allen voran um das Ausschalten von MbS‘ Widersachern und das Unmissverständlichmachen der zentralen Botschaft: „Legt euch nicht mit MbS an!“
Dies offenbart sich insbesondere an der Festnahme des Prinzen Mutaib bin Abdullah – eines hochrangigen Militärs und letzten Kontrahenten, der MbS die Thronfolge streitig machte. Um Putsche des Militärs – wie in anderen Staaten der Region gang und gäbe – zu verhindern, ist die Militärgewalt in Saudi-Arabien in drei unabhängige Institutionen unterteilt, die jeweils unterschiedlichen Flügeln der Saud-Dynastie unterstehen: die reguläre Armee, die Nationalgarde sowie die Truppen des Innenministeriums. Die 250.000 Mann starke Nationalgarde wurde seit 1963 vom Abdullah-Flügel kontrolliert und bis zum November 2017 von Prinz Mutaib geleitet, der im Zuge der Säuberungen durch einen niederrangigen MbS-Vasallen ersetzt wurde.
„Diese institutionelle Teilung ist nun Geschichte“, beschreibt Toby Matthiesen im Fachblatt Foreign Affairs MbS‘ Machtkonsolidierung auch auf militärischem Terrain, „MbS scheint jeden Zweig der Streitkräfte direkt oder indirekt zu kontrollieren.“ MbS konnte der Welt glaubhaft vermitteln, bei den Säuberungen im Ritz-Carlton ging es um Korruptionsbekämpfung, doch war dies wie so oft nur die Nebelkerze, die die eigentlichen Absichten zu verschleiern suchte: die weitere Anhäufung von Macht in den Händen des jungen Prinzen. „Die erste Monarchie der arabischen Welt“, kommentiert der renommierte arabisch-amerikanische Journalist und Harvard-Gelehrte Rami Khouri die Ritz-Carlton-Affäre, „in der eine Person alle Hebel der Macht in seinen Händen hält – Militär, Politik, Wirtschaft, Religion, Soziales, Medien und Außenpolitik –, ich sehe hier eine große Gefahr.“
Während die Übernahme der ersten sechs Domänen im Großen und Ganzen ein voller Erfolg war, reihte sich MbS‘ Performance in der letztgenannten in den außenpolitischen Dilettantismus des Westens in der Region ein, dessen pathologischer „War on Terror“-Interventionismus stets nur ein wiederkehrendes Resultat lieferte: das Erstarken des Iran.
Der Scherbenhaufen saudischer Außenpolitik
So wurde mit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 ein langwieriger Feind Teherans gestürzt, während im Zuge der völkerrechtswidrigen US-UK-Invasion im Irak 2003 mit Saddam Irans historischer Erzfeind ausgeschaltet wurde und eng mit Teheran verbundene Schiiten die Macht in Bagdad übernahmen. Die Unterstützung verschiedenster regimefeindlicher Milizen in Syrien provozierte ein militärisches Eingreifen des Iran – und Russlands – auf Seiten des Verbündeten Assad, was eine permanente Militärpräsenz Teherans – und Moskaus – in Syrien zur Folge hat. Als Resultat eines gescheiterten westlichen Aktionismus kann Teheran nun entlang seines „schiitischen Korridors“ von Iran über Irak bis Syrien und Libanon nahezu ungehindert Güter, Waffen und Truppen bewegen.
Iranische Strategen brauchen sich im Grunde um keine eigenständige außenpolitische Agenda zu bemühen – sie können einfach auf die nächste Dummheit des Westens und seiner Verbündeten warten und diese erneut klug für sich ausspielen: Und MbS stellte eine ganze Wagenladung solch außenpolitischer Fiaskos bereit.
Nach nur wenigen Wochen auf dem Posten des Verteidigungsministers startete der Prinz im März 2015 den katastrophalen Krieg gegen den Jemen, der dem von den Houthi-Rebellen gestürzten Präsidenten Hadi, eine Marionette Riads, zurück an die Macht verhelfen soll. Das unablässige Bombardement der Saudi-Koalition zerstörte systematisch die jemenitische Infrastruktur und führte über Choleraepidemie und Hungersnot zur laut UN „schlimmsten humanitären Katastrophe der Welt“.
Im Jemen wird MbS‘ Iran-Obsession erstmals blutige Realität: Er konnte der (westlichen) Welt die Bombardierung erfolgreich als einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran verkaufen – der er schlicht und ergreifend nicht ist. Denn die Houthis sind weder ideologisch oder religiös dem Iran besonders nahe, noch sind sie ihm militärisch unterstellt oder auch nur angegliedert, erfahren jedoch eine gewisse materielle Unterstützung aus Teheran. Diese umfasst wenige Millionen US-Dollar jährlich und verblasst damit im Vergleich zu jenem Support, den etwa die Hisbollah oder die Hamas genießen. Die bescheidene Houthi-Iran-Connection ist keineswegs die Ursache des Jemen-Kriegs, sondern dessen Folge. Denn Teheran erkannte recht schnell, dass die Niederschlagung der Houthi-Rebellion militärisch nicht zu erreichen ist und den Saudis daher ihr „Vietnam“ bescheren könnte – nicht zuletzt wegen der finanziellen Belastung des Krieges, der die Saudis jeden Monat 5 bis 6 Milliarden US-Dollar kostet.
Zu einem für MbS peinlichen Debakel entwickelte sich auch der im Sommer 2017 verhängte Boykott gegen Katar. Der kleine ultrareiche Nachbar bricht seit Längerem aus dem saudischen Diktat aus und pflegt freundschaftliche Beziehungen zum Iran – beide teilen sich im Persischen Golf das größte Erdgasfeld der Welt. Saudi-Arabien, mit seinen Juniorpartnern Ägypten, Bahrein und den Emiraten, verhängte ein hermetisches Wirtschaftsembargo gegen Katar und isoliert das Land auf sämtlichen Ebenen. Buchstäblich: Riad schneidet mittels eines 200 Meter breiten Kanals Katar von der Arabischen Halbinsel ab und verwandelt seinen Nachbarn so in eine Insel im Persischen Golf. In Kolonialmanier forderte das Quartett von Katar – neben anderen Absurditäten, etwa die Abschaltung des Saudi-kritischen Medienimperiums Al-Jazeera – die Einstellung der Beziehungen zum Iran und erreichte, wie zu erwarten war, das genaue Gegenteil: Um die wegen der Blockade drohende Nahrungsmittelkrise abzuwenden, lieferte der Iran Nahrung und öffnete bereitwillig seine Häfen und Flughäfen. Die Beziehungen zwischen Doha und Teheran sind so eng wie nie zuvor.
Dass MbS in seiner Iran-Fixierung jede Hemmung verloren hat, demonstriert ein Skandal im November 2017, als der saudische Kronprinz mit Libanons Saad Hariri de facto den Ministerpräsidenten eines souveränen Landes entführte. Milliardenerbe Hariri, der auch die saudische Staatsbürgerschaft trägt und dem entmachteten Abdullah-Zweig angehört, wurde über Wochen im Königreich festgehalten und unter Gewaltanwendung gezwungen, im saudischen Staatsfernsehen seinen Rücktritt als libanesischer Premier zu verkünden. Während MbS beteuerte, Hariri handle aus freien Stücken, stellte Libanons Präsident Michel Aoun klar, sein Premier wurde „gekidnappt“. Um den iranischen Einfluss auf den Libanon via Hisbollah zurückzudrängen, so das Kalkül der Saudis, sollte der erzwungene Rücktritt Hariris eine Krise der libanesischen Regierung – der die Hisbollah angehört – und womöglich offene gewalttätige Konflikte im Land provozieren. Doch über Konfessions- und Parteigrenzen hinweg zeigte sich der Libanon solidarisch mit Hariri, der nach intensiver Diplomatie der Macron-Regierung bald ins Land zurückkehrte und den Rücktritt von seinem Rücktritt verkündete. Bei den Präsidentschaftswahlen im Mai konnte die Hisbollah deutlich zulegen und wurde zur stärksten Partei im Libanon – wodurch auch der iranische Einfluss im Land weiter gestärkt wurde.
Nachdem Teil 1 des MbS-Specials die historische Machtanhäufung des Prinzen sowie dessen außenpolitische Iran-Obession beleuchtete, wird Teil 2 MbS‘ Wirken im Innern Saudi-Arabiens analysieren, sowie die Lawine, die von der Khashoggi-Affäre losgetreten wurde.