Hebron - Bild: Elias Feroz

Das Goldstein-Massaker in Hebron: das Vermächtnis eines Terroristen

Die palästinensische Stadt Hebron bleibt auch 30 Jahre nach dem Goldstein-Massaker ein Ort der Trauer und Verzweiflung. Der einst verachtete Mörder ist heute Vorbild für Minister in der israelischen Regierung und seine Ideologie des Kahanismus breitet sich aus.

Die Stadt ist aber auch von Ironie und Widersprüchen geprägt. Für Muslime, Christen und Juden ist sie von religiöser Bedeutung, weil biblische Propheten hier gewirkt haben und begraben sein sollen. Unter anderem der Religionsstifter Abraham, sowie die Propheten Isaac und Jakob. Abraham stellt sowohl für Araber wie auch für Juden den Stammvater dar und in Hebron gedenken ihn Palästinenser wie auch Israelis. Wo die Wertschätzung für den Stammvater groß ist, fehlt sie zugleich auf gegenseitiger Ebene. Seit 1967 wird nämlich die palästinensische Stadt gemeinsam mit dem restlichen Westjordanland von Israel militärisch besetzt. „Al-Khalil“, wie Hebron auf Arabisch heißt, bedeutet übersetzt „der Freund“, ein Verweis auf den monotheistischen Religionsstifter, der im arabischen „Ibrahim“ genannt wird. Im Koran wird er auch als „Khalil Allah“ betitelt, also „der Freund Gottes“. „Hebron“ oder „Hevron“ wiederum hat im Hebräischen eine ähnliche Bedeutung, denn der hebräische Name der Stadt hat dieselben Wurzeln wie das hebräische Wort für „Freund“ („haver“; h-v-r).

Von Freundschaft kann in der Stadt jedoch nicht die Rede sein, denn sie wird nicht nur von illegalen Siedlern besetzt, sie ist seit 1997 auch geteilt. Ebenso wie der religiöse Bau, in dem (so glauben Muslime wie auch Juden) die Propheten Abraham, Isaac und Jakob begraben worden sein sollen. Diese Teilung fand nach dem anfangs erwähnten Goldstein-Massaker statt, benannt nach dem zionistischen Terroristen Baruch Goldstein, der am 25. Februar 1994 kaltblütig 29 PalästinenserInnen in der Ibrahimi-Moschee tötete und 125 weitere verletzte. Erneut wird hier ein Widerspruch sichtbar, so scheint es, denn Goldstein studierte in den USA Medizin. Anstatt Leben zu retten, nahm er jedoch das Leben Unschuldiger.

Goldsteins Erbe

Im vergangenen Jahr pries Itamar Ben-Gvir, der amtierende rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit Israels, in einer Rede am Tag der israelischen Unabhängigkeit jenen Terroristen Goldstein in einer Jeschiva (einer jüdisch-religiösen Bildungsinstitution), die vom ebenfalls rechtsextremen Rabbiner Meir Kahane gegründet wurde. Kahane träumte (wie Goldstein) von einer jüdischen Theokratie und gründete die jüdisch-orthodoxe Terrororganisation „Kach“, die einen israelischen Staat anstrebte, welcher frei von Nichtjuden sein soll und auch Teile des heutigen Libanons, Ägyptens, Syriens und Jordaniens umfassen soll. Die Organisation wurde 1994 von der israelischen Regierung nach dem Massaker in Hebron für verboten erklärt. Auch Ben-Gvir war Teil von „Kach“ und seine Reden, die zur ethnischen Säuberung von Palästinensern aufrufen, sei es in Gaza oder anderen palästinensischen Gebieten, zeigen, dass er weiterhin dem ideologischen Wahn seiner beiden Idole treu bleibt: „Gott wird ihr Blut rächen!“, verkündete er zudem noch im vergangenen Jahr am Gedenktag der israelischen Unabhängigkeit. Seine Partei Otzma Yehudith („Jüdische Kraft“) ist ideologisch der Nachfolger der rechtsextremen Kach-Organisation. Gemeinsam mit seiner Familie lebt er im Westjordanland, dessen Besetzung international nicht anerkannt ist, in einer israelischen Siedlung namens Kirjat Arba, die an Hebron grenzt. Auch Goldstein lebte in dieser Siedlung und sein Grabstein befindet sich ebenfalls hier.

Es sind Leute wie Ben-Gvir, die die amtierende Regierung zur rechtsradikalsten der bisherigen Geschichte Israels macht. Dies hindert die USA und Deutschland nicht daran sie weiterhin bedingungslos zu unterstützen. Vor wenigen Tagen antwortete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz an der Münchener Sicherheitskonferenz auf die Frage, auf welche Beweise er sich bezieht, wenn er behauptet, dass Israel sich in Gaza am internationalen Völkerrecht halte, damit, dass man Israel darum bitte (!) sich daran einzuhalten. Man fragt sich, wen konkret er darum bittet, dies zu tun. Netanyahu, der eine Zweistaaten-Lösung ablehnt, Ben-Gvir der zur ethnischen Säuberung Gazas und des Westjordanlandes aufruft oder dem israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich, der ebenfalls im vergangenen Jahr mit der Auslöschung palästinensischer Städte drohte?

Währenddessen droht auch schon die nächste Eskalation, denn Ben-Gvir hört nicht damit auf zu zündeln. Der muslimische Fastenmonat Ramadan steht vor der Tür und der Rechtsextreme sagte vergangenen Woche erst, dass man BewohnerInnen des Westjordanlandes den Eintritt zur al-Aqsa Moschee verbieten sollte, der drittwichtigsten Moschee im Islam. Damit meint er natürlich nicht sich selbst oder israelische Siedlerinnen, die dort ebenfalls leben, sondern ausschließlich Palästinenser. In einer Rede im vergangenen Monat äußerte er sich noch in einer Konferenz in Jerusalem darüber Palästinenser dazu zu „ermutigen“ den Gazastreifen und das Westjordanland zu verlassen – ein Euphemismus für ethnische Säuberung.

Hebron: wo man Abraham von Ibrahim trennt

Im Inneren der Moschee

Hebron ist eine palästinensische Stadt (die größte des Westjordanlandes), die jedoch seit dem Sechstagekrieg von 1967 unter israelischer Militärbesatzung steht, die international nicht anerkannt ist. Palästinenser dürfen in ihrer eigenen Heimatstadt bestimmte Straßen nicht betreten. Seit 1997 ist Hebron zweigeteilt in H1 (die zumindest in der Theorie unter der Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde steht) und H2 (dessen Sicherheitsverwaltung Israel obliegt). Im H2-Bereich ist unter anderem auch das sogenannte Grab der Patriarchen, also die Grabstätte, von der man annimmt, dass Abraham und die anderen anfangs erwähnten Propheten bestattet worden sind. Die Grabstätte ist ebenfalls in zwei geteilt: der nördliche Teil des Baukomplexes wird in der Regel von Juden benutzt, während der südliche Teil von Muslimen genutzt wird. Als ich vor zwei Jahren dort war, konnten jedoch auch meine Kommilitonen die Moschee besuchen, obwohl sie (anders als ich) Nichtmuslime sind. Sie gaben sich vor den israelischen Soldaten, die den Eingang bewachen, einfach als Muslime aus und es fiel schnell auf, dass sogar Touristen mehr Freiheiten dort haben als Palästinenser. Anders als den israelischen Soldaten, schien den palästinensischen Besuchern der Moschee unsere Religionszugehörigkeit egal zu sein. Ein älterer Mann fragte uns auf Englisch, woher wir ursprünglich kamen. Aus dem kurzen Gespräch erfuhr er anschließend, dass mein Kollege gar kein Muslim war. Er lächelte bloß und sagte „ahlan wa sahlan“, was „willkommen“ auf Arabisch heißt.

In die Synagoge Hebrons, die sich gleich neben der Moschee befindet, durfte ich wiederum nicht rein, weil ich Muslim bin und es mir zu blöd war, meine Religionszugehörigkeit vor den israelischen Soldaten zu leugnen. Meine beiden Kommilitonen durften als christliche Besucher jedoch hinein. Diesmal mussten sie ihre religiöse Identität nicht verschleiern. Die Stadt Abrahams schien mir zutiefst areligiös und kalt. Ein Ort, in dem die Anbetung Gottes gestört wird, weil man drauf und dran ist Ibrahim von Abraham unterscheiden zu wollen.

Dennoch war auch klar, dass wir mit unseren europäischen und US-amerikanischen Pässen zu den Privilegierten gehörten. Die Überquerung von Checkpoints kann für Palästinenser manchmal mehrere Stunden dauern. Die grässlich grauen Sperranlagen und Barrieren rauben gemeinsam mit nervtötenden Verhören nicht nur grundlegende Freiheiten, sondern auch Lebenszeit. Palästinenser müssen ihre Geschäfte (oftmals die einzige Einnahmequelle vieler Familien) schließen, weil die israelische Armee meint, dass diese Schritte für die Wahrung von Sicherheit notwendig sind. Die Sicherheit gilt gewiss nur israelischen Siedlern, nicht der lokalen palästinensischen Bevölkerung, die keinerlei Schutz hat, wenn es zu Gewaltakten von Seiten der Siedler kommt. Sie werden von den Schwerbewaffneten Soldaten der israelischen Armee beschützt – das ist immerhin ihre Aufgabe. Während für die Siedler das israelische Zivilrecht angewandt wird, gilt für Palästinenser das Militärrecht. Sie können ohne Gerichtsurteil unter dem Vorwand der Terrorgefahr für Wochen inhaftiert oder im schlimmsten Fall auf offener Straße erschossen werden, wenn der zuständige Soldat dies für notwendig hält. Nach dem 07. Oktober verhängte die israelische Armee im Gebiet H2 für vier Tage eine Ausgangssperre für die palästinensische Bevölkerung. Seit dem Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung nimmt die Gewalt von Seiten israelischer Siedler im Westjordanland zu. Es war aber auch zuvor schon ein deprimierender hoffnungsloser Ort. Auch wenn der Terrorist Goldstein selbst bereits tot ist, lebt seine Ideologie weiter.

Ein Beitrag von Elias Feroz

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