Während die Rechte Argentiniens ihre Machtpositionen immer weiter ausbaut, sind Siege der linken auf lokaler Ebene entscheidend für die Rückeroberung des politischen Raums. Die argentinische Politik war schon immer geprägt von Widersprüchen. Ihre Arbeiterbewegung gehört seit ihren Anfängen um die Wende des 20. Jahrhunderts zu den stärksten in Lateinamerika. In den 1940er Jahren brachte diese Bewegung Juan Domingo Peron an die Macht, dieser erkämpfte den Arbeitern historische Zugeständnisse und begründete eine lange populistische Tradition, die die Herrschaft der Arbeiterklasse mit bürgerlicher Politik verband. Der Peronismus hat seither ein breites Spektrum von Politikern (von rechts nach mitte-links) umfasst, deren Gemeinsamkeit nur ihre Loyalität gegenüber dem „General“ ist, und die Überzeugung, dass der Peronismus der ultimative Weg zur Macht ist.
Die ehemaligen Präsidenten Néstor und Christina Fernandez Kirchner sind ein interessanter Fall innerhalb der peronistischen Tradition. Vor dem Hintergrund einer boomenden Wirtschaft nach dem Crash von 2001 führten sie umfassende Wohlfahrtsprogramme für die Armen durch und starteten eine engagierte Kampagne gegen die konservativen Medien, die lange Zeit eng mit der Politik verflochten waren. Aber sie haben die Grundpfeiler des Neoliberalismus nicht angerührt.
Nicht zuletzt aufgrund der Enttäuschung über die Kirchners konnte 2015 der rechte Politiker und Geschäftsmann Mauricio Macri die Präsidentschaft gewinnen und seinen Vorsprung bei den Zwischenwahlen im Oktober 2017 weiter ausbauen. Ende Dezember 2017 nutzte der Kongress trotz Massenprotesten diese Machtstellung, um eine Rentenreform durchzuführen, die Millionen von Rentnern und Sozialhilfeempfängern benachteiligen wird. Macris Kreuzzug gegen die Arbeiter nimmt langsam Form an.
Bei genauerer Betrachtung ist die politische Szene jedoch nicht so hoffnungslos wie es scheint.
Dies zeigt sich selbst dort, wo man es am wenigsten erwarten würde, wie in Jujuy, einer Provinz im fernen nordwesten Argentiniens, die an Bolivien und Chile grenzt. Jujuy mit seinen zerklüfteten Andenhängen und starken indigenen Wurzeln gehört zu den ärmsten Regionen des Landes. Dennoch konnte die linke Arbeiterbewegung in dieser Provinz bisher keinen Fuß fassen, grösstenteils aufgrund staatlicher Repression. Stattdessen war sie drei Jahrzehnte lang eine Hochburg der Peronisten, bis 2015 Gerardo Morales von der rechten Radikalen Bürgerunion (Unión Civica Radical, UCR) das Gouverneursamt gewann. Mit Unterstützung von Präsident Mauricio Macri und seiner ‚Cambiemos‘-Koalition richtete die UCR sich in Jujuys Provinzversammlung ein. Morales veranlasste während seiner Amtszeit die Festnahme und illegale Inhaftierung von Milagro Sala, einem Aktivisten und Anführer der Tupac Amaru Hilfsorganisation.
Aber im Oktober war Jujuy auch Schauplatz eines linken Sieges. Bei den Zwischenwahlen erreichte Alejandro Vilca, ein achtunddreißigjähriger indigener Sanitärarbeiter, 18 Prozent der Stimmen, nur ein Prozent hinter der zweitplatzierten peronistischen Partido Justicialista (PJ). Infolgedessen wird Vilca mit drei weiteren Mitgliedern der FIT (Frente de Izquierda y de los Trabajadores – Front der Linken und der Arbeiter) in die Provinzversammlung einziehen.
Er ist ein erklärter Sozialist und hat die letzten Jahre damit verbracht, die Arbeiter zu organisieren, um die argentinischen Gewerkschaften zu demokratisieren und die Verfolgung durch die Regierung zu bekämpfen.
setzte sich mit Vilca zusammen, um über den unerwarteten Zulauf der FIT, den Kampf der indigenen Bewegung in Argentinien und die Gefahren des Macrismo zu sprechen.
Juan Cruz Ferre: In ganz Argentinien, vor allem aber in Buenos Aires, stärkten die Oktoberwahlen Macri und seine ‚Cambiemos‘-Koalition, während gleichzeitig der Kirchnerismus bedeutende Niederlagen hinnehmen musste. Wie schätzt du die Wahlen ein?
Alejandro Vilca: In den Parlamentswahlen am 22. Oktober – bei denen die Hälfte der Abgeordnetenkammer, ein Drittel des Senats und einige Provinzparlamente und Gemeinderäte zur Wiederwahl anstanden – erhielt Cambiemos, die regierende Koalition aus Mauricio Macris Republikanischem Vorschlag (PRO), der Radikalen Bürgerunion (UCR) und der Bürgerkoalition (CC), 42 Prozent der Stimmen im ganzen Land und gewann so die Kontrolle in den wichtigsten Provinzen. Mit diesem Ergebnis proklamierte Macri ein „programmatisches Manifest“ der Bourgeoisie gegen Arbeiter und Rentner.
Das bedeutet eine Reihe von Gegenreformen, die, wenn sie durchgesetzt würden, zu echten Rückschlägen in den historischen Errungenschaften führen würden, die von der Arbeiterbewegung insbesondere bei den Rentenleistungen erkämpft wurden. Es käme auch zu einer beträchtlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen junger Menschen. Es ist ein Kriegsplan, der darauf abzielt, die Verhältnisse im Klassenkampf zugunsten derer zu ändern, die das Land besitzen. Aber dieser Plan wurde von einer Mehrheit der Bevölkerung, sogar unter den Wählern der Regierungspartei, unmissverständlich abgelehnt.
Die Partido Justicialista/Peronistische Partei war der große Verlierer, besonders bei denjenigen ihrer Gouverneurskandidaten, die enge Verbindungen zur Macri-Regierung haben, wie Juan Manuel Urtubey in Salta und Juan Schiaretti in Córdoba. Auch die mit der Erneuerungsfront (FR) des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Sergio Massa verbundenen Sektoren der PJ hatten schlechte Ergebnisse. Und die ehemalige Präsidentin Christina Kirchner schaffte es trotz ihrer deutlicheren Opposition zu Macro gerade mal in den nationalen Senat, konnte aber nicht den Gouverneursposten in Buenos Aires gewinnen. Dies stellt ihre Fähigkeit in Frage, einen Peronismus anzuführen, der nach der Wahl in eine tiefe Krise gestürzt ist.
Nach seinem Gegenreformpaket in Zusammenarbeit mit Lobbyverbänden wie der Argentinischen Industrieunion und der SRA (eine Vereinigung von Landbesitzern) sowie den imperialistischen Organisationen IWF und OECD erhielt Macri deutliche Unterstützung von den peronistischen Gouverneuren und Senatoren der Partido Justicialista/Frente para la Victoria (PJ/FPV). Gemeinsam haben sie ein Steuerabkommen unterzeichnet, das zu niedrigeren Unternehmenssteuern und zu einem direkten Angriff auf Rentner und den Rentenfonds der ANSES (Staatliche Renten- und Sozialversicherung) führen wird.
Im Fall der von Macri vorgeschlagenen Arbeitsreform wurde die parlamentarische Debatte vertagt. Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen der peronistischen Gewerkschaftsfederation CGT, die sich mit der Regierung geeinigt hatte, bestimmte hart erkämpfte Arbeitsrechte aufzugeben, ohne Macris Reform in allen Punkten zuzustimmen, und den Senatoren der PJ. Mit meinen Genossen aus der Bewegung der Klassenkampfgruppen (Movimiento de Agrupaciones Clasistas, MAC) fordern wir, dass die Gewerkschaftsverbände und Gewerkschaften einen Kampfplan aufstellen, der diese Arbeitsreform vollständig ablehnt, weil wir wissen, dass die Mobilisierung der Arbeiter und der Bevölkerung der einzige Weg ist, die Pläne der Regierung aufzuhalten.
Juan Cruz Ferre: Die FIT erhielt über 1,2 Millionen Stimmen, was die Zukunftsfähigkeit dieser Wahlkoalition beweist. Wie würdest du die Linke Front als politisches Phänomen characterisieren? Erzähle uns von den geplanten Kampagnen und der sozialen Basis, die ihr vertreten möchtet.
Alejandro Vilca: Wir hatten eine großartige Wahl im ganzen Land und erzielten die besten Wahlergebnisse für die Linke seit 1983 in der Provinz Buenos Aires, wo 38 Prozent der Wähler des gesamten Landes konzentriert sind. Nicolás Del Caño wurde als nationaler Abgeordneter für die Provinz gewählt. Wir hatten auch ein gutes Ergebnis in der Stadt Buenos Aires (CABA), wo Myriam Bregman als Gesetzgeberin gewählt wurde.
Eines der Schlüsselthemen unserer Kampagne war der Vorschlag, die Arbeitszeit auf sechs Stunden pro Tag, fünf Tage in der Woche zu reduzieren, ohne Lohneinbußen und mit einem Mindestlohn, der die Kosten des „Familienkorbs“ deckt (Existenzlohn). Außerdem haben wir thematisiert, dass es hauptsächlich die [vorwiegend peronistische] Opposition war, die über achtzig von Macris konservativen Gesetzen durchgesetzt hat, da Macris Regierungspartei in beiden Häusern des Kongresses in der Minderheit ist.
Die Wahlen in Jujuy waren historisch, in der gesamten Provinz gewann die FIT 18 Prozent der Stimmen, während wir in der Hauptstadt mit 25 Prozent auf den zweiten Platz aufstiegen, was uns genügend Stimmen gab, um vier Provinzial- und fünf Stadträte zu stellen. Dies sind nur einige der mehr als 40 Abgeordneten, darunter drei nationale Abgeordnete, die die FIT jetzt im ganzen Land hat.
Mit diesen Ergebnissen konsolidierte sich die Linke Front als repräsentativ für immer mehr Arbeitnehmer, Frauen und junge Menschen, die sich für eine Alternative entscheiden, die auf Klassenunabhängigkeit gegenüber den Arbeitgeberparteien basiert; eine Bewegung, deren Hauptkandidaten und Sprecher an vorderster Front der wichtigsten Konflikte des Klassenkampfes stehen, sei es der Kampf gegen die Vertreibungen durch den multinationalen Konzern Pepsico, die #NiUnaMenos-Frauenbewegung oder die Verteidigung demokratischer Freiheiten in der Menschenrechtsbewegung.
Als Teil der FIT-Koalition konzentrierte sich meine Partei, die Sozialistische Arbeiterpartei (Partido de los Trabajadores Socialistas, PTS), als „Volkstribune“ auf den Dialog mit all jenen Sektoren der arbeitenden Bevölkerung, die genug haben von den ewig gleichen Kandidaten der Parteien der Bosse (UCR und PJ). Auf dieser Grundlage konnten wir Tausende von Wählern überzeugen, die von der PJ enttäuscht waren, die sich Cambiemos gegenüber sehr unterwürfig verhält.
Wir haben uns im Rahmen der Angriffe von Gouverneur Morales gegen die Arbeiter der Zuckerfabriken, die Lehrer und Erzieher, die Studentenjugend und die indigenen Völker solidarisch mit diesen Sektoren gezeigt und so ihre Unterstützung gewonnen. Ein wichtiger Sektor der indigenen Völker von Jujuy, die zu den meistausgebeuteten und prekärsten Arbeitern gehören, identifizierte sich besonders stark mit meiner Kandidatur: meine städtischen Arbeiterkameraden, die weniger als 100 Dollar im Monat verdienen, die auf Changas (Zeitarbeitsplätzen) leben, die Siebenundwanzigtausend jungen Leute, die weder Arbeit noch Studienplatz haben, die Frauen, die die schlechtesten Jobs machen müssen. Sie alle sagten, sie wollen einen Arbeiter wie mich in der Legislative, weil sie mich als „einen von uns“ betrachten.
Juan Cruz Ferre: Wie sieht die Unterstützung für die Linksfront abseits der Wahlergebnisse aus?
Alejandro Vilca: In Jujuy kamen, ausgelöst durch die Machtergreifung der Rechten, mehrere Faktoren zusammen: Die wachsende Diskreditierung der traditionellen Politiker, die Krise der PJ und der Abbau von Organisationen wie der Tupac Amaru, die die Armut bekämpfen. In diesem Rahmen entwickelte sich unsere Kampagne vom Wahlkampf einiger Abgeordneter aus der Arbeiterklasse zu einer Sache des Volkes. Wir wussten: wenn es zum ersten Mal „einer von uns“ in die Legislative schafft, würde die Militanz von Hunderten erwachen. Und anders als die Aktivisten, die von der Maschinerie der Besitzerparteien bezahlt werden, kämpften unsere Anhänger für dieses Ziel, ohne dafür entlohnt zu werden. Ohne die Unterstützung von ihnen allen wäre es unmöglich gewesen, dieses Ergebnis zu erreichen, das enorme Begeisterung ausgelöst hat bei den jungen Leuten und Arbeitern, die nun endlich beginnen, sich den Mächtigen entgegenzustellen.
Juan Cruz Ferre: In einem Land, in dem die indigene Bevölkerung im Kongress oder in den Medien fast nie zu sehen ist, stehst du offen zu deiner indigenen Identität als Teil der Kolla. Erzähle uns, was dies für dich bedeutet und wie die Situation der indigenen Gemeinschaften in Argentinien aussieht.
Alejandro Vilca: Die Tatsache, dass ich seit mehr als zehn Jahren als Müllsammler im bevölkerungsreichen Alto Comedero-Viertel arbeite, steht in krassem Gegensatz zu den traditionellen Politikern, die wenig Bezug zum Lebensalltag der Arbeiterklasse haben. In einer Provinz, in der Staats- und Regierungsbeamte systematische Diskriminierung gegen die Nachkommen indigener Völker praktizieren und die bürgerliche Klasse weiß und fremdenfeindlich ist, war meine Kandidatur ein Schlag ins Gesicht für alle, die die Regierungen von Macri und Morales als repräsentativ für die argentinische Bevölkerung sehen.
Unter diesen rechten Regierungen haben indigene Völker es nicht leicht. Mit der Unterstützung der Gouverneure hat Macri die Jagdsaison auf die indigenen Gemeinschaften in Patagonien eröffnet, zum Vorteil von Grundbesitzern wie Benetton und Lewis. Diese Repression führte am 1. August zu der Entführung von Santiago Maldonado durch die Gendarmerie, die mit seinem Tod endete. Auch im Süden des Landes wurde vor wenigen Tagen ein junger Angehöriger der Mapuche-Gemeinde, Rafael Nahuel, durch eine Kugel in den Rücken getötet.
In der Provinz Jujuy haben die indigenen Gemeinschaften meiner Kolla- und Guarani-Brüder die Missbräuche der Grundbesitzer und multinationalen Konzerne angeprangert, die ihre Gebiete plündern, zum Beispiel die Bergbauunternehmen, die dort geschützt durch einseitige Gesetze Lithium abbauen. Darüber hinaus haben nur 13 Prozent der indigenen Gemeinschaften eine Eigentumsurkunde für ihr angestammtes Land. Das motiviert ihren ständigen Kampf für ihre Territorien und für Respekt vor ihrer Kultur.
Juan Cruz Ferre: In der Provinz Jujuy, wo du angetreten bist, hat die Linke Front mehr Stimmen bekommen als die Peronisten. Wie lässt sich dieses Ergebnis erklären?
Alejandro Vilca: Die PJ schlug uns nur bei den Nationalabgeordneten, während wir in der Hauptstadt San Salvador de Jujuy den zweiten Platz belegten und zwei Stadtratssitze gewannen. Die Ergebnisse waren im Landesinneren sehr knapp, und in der Zuckerstadt Libertador General San Martín besiegten wir die Kandidaten des Gouverneurs in der Wahl der Ratsmitglieder und kamen auf den ersten Platz.
Libertador General San Martín ist eine emblematische Stadt, weil sie von der Familie Blaquier seit Generatonen wie ein Lehnsgut kontrolliert wird; Den Blaquiers wird eine Beteiligung am Völkermord der Militärdiktatur während der „noche del apagón“ nachgesagt. [Die „noche del apagón“(Nacht des Stromausfalls) ist die Woche im Juli 1976, in der das Militär Stromausfälle einsetzte, um in Ledesma etwa vierhundert Menschen zu verhaften, von denen über fünfzig später gewaltsam „verschwanden“].
Die PJ hatte bereits 2015 einen schweren Schlag erlitten, als sie das Gouverneursamt verlor, das sie seit 1983 innehatte. Nachdem Cambiemos das Amt übernahm, wurde die PJ zum Komplizen, der einen Großteil der Macri-Gesetzgebung mittrug und Morales‘ Angriffe auf die Bevölkerung von Jujuy hinnahm. Darüber hinaus repräsentieren die Hauptkandidaten der PJ den konservativsten rechten Flügel des Justicialismo. Diese Krise des Peronismus hat sich auf die Gewerkschaften übertragen, deren Führungen historisch von der PJ gestellt werden. Dies hat dazu beigetragen, dass eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern uns als einzige wirklich oppositionelle Kraft sieht, die in ihren täglichen Kämpfen an ihrer Seite steht.
Juan Cruz Ferre: Welche Möglichkeiten eröffnet dieses Ergebnis für die Linksfront in Jujuy?
Alejandro Vilca: Es ist eine große Verantwortung, das von uns erreichte politische Kapital zu nutzen, um die Bewegung zu einer Massenpartei der Arbeiterklasse aufzubauen. Wir haben mächtige Feinde: die politischen Apparate, die die Interessen der Landbesitzer vertreten, aber auch die lange populistische Tradition, die durch verschiedene Strömungen des Peronismus repräsentiert wird, und gegen die wir für eine sozialistische Politik kämpfen müssen. Wir haben die enorme Aufgabe, die Loyalität von Tausenden von Arbeitern, Frauen und jungen Menschen zu gewinnen, die Armut und Elend ausgesetzt sind; wir müssen sie wegholen von den klientelistischen Organisationen, die ihre Bedürftigkeit ausnutzen, und von den Gewerkschafts- und Studentenbürokratien, die ihre Unzufriedenheit in falsche Bahnen lenken. Vor uns liegt ein harter politischer und ideologischer Kampf an den Arbeitsplätzen und Schulen, um die einzige soziale Kraft in Gang zu setzen, die die Kapitalisten und ihre Regierungen besiegen kann.
Juan Cruz Ferre: Was hat die Linke Front mit anderen erfolgreichen linken Wahlbündnissen wie Podemos, Syriza oder sogar Jeremy Corbyns Labour gemeinsam? Wo liegen die Unterschiede?
Alejandro Vilca: Die Linke Front ist eine politische Wahlkoalition trotzkistischer Kräfte: die PTS, der ich angehöre, die Arbeiterpartei (Partido Obrero, PO) und die sozialistische Linke (Izquierda Socialista, IS). Es ist eine Vereinigung, die zusammen mit Millionen von Menschen ein Programm der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse vorantreibt. Mit unseren Aktionen und unserer Militanz spielen wir eine progressive Rolle in der politischen Organisation der Arbeiterklasse, der Jugend, der Frauen und aller Unterdrückten. Ich erinnere daran, dass wir im November 2016 in einem Fußballstadion eine Kundgebung mit mehr als zwanzigtausend Teilnehmern abgehalten haben und damit eine Mobilisierungskapazität demonstriert haben, die die antikapitalistische Linke in Argentinien so seit langem nicht mehr hatte.
Darüber hinaus sieht die FIT, obwohl sie eine Wahlkoalition ist, als eines ihrer Ziele den Kampf für eine Arbeiterregierung, die mit Kapital und Imperialismus bricht. Dies ist ein grundlegender Unterschied zu anderen Wahlbündnissen wie Podemos oder Syriza, die sich in Europa im Schatten der Krise der Sozialdemokratien entwickelt haben. Diese neuen Bewegungen haben die reformistischen Versöhnungsprogramme mit dem Grosskapital weitergeführt oder sind sogar, wie im Fall von Syriza mit ihren brutalen Sparplänen, zu Agenten der Troika mutiert.
Meine Partei, die PTS, hat einen systematischen Kampf geführt, um dieses antikapitalistische Programm und diese Perspektive zu verteidigen, auch gegen andere Organisationen innerhalb der FIT, mit denen wir manchmal Meinungsverschiedenheiten haben können, sogar tiefgreifende. Diese Kämpfe sind für uns Teil des allgemeinen Kampfes, eine große revolutionäre Partei aufzubauen, in Argentinien und Weltweit.
Juan Cruz Ferre: Welche Herausforderungen und Hindernisse gilt es zu überwinden, damit sich die Linke Front auch für größere Teile der Bevölkerung zu einer politischen Alternative entwickelt? Kann sie ein Werkzeug werden, um der Macht des Staates entgegenzutreten?
Alejandro Vilca: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, einen signifikanten Teil der Mittel, die wir durch die Wahlen erhalten haben, in eine militante Kraft Zu bündeln, die die Macht der Gewerkschafts- und Studentenbürokratien herausfordern kann. Aus unseren neugewonnenen legislativen Positionen heraus werden wir diese Perspektive weiterentwickeln und die arbeitende Bevölkerung immer besser gegen die Angriffe der Regierung verteidigen. In diesem Sinne ist die FIT ein Werkzeug, das zu dieser Aufgabe beiträgt.
Wir wissen jedoch: gegen die Macht des Staates können wir nur bestehen, wenn wir die Arbeiterklasse, den öffentlichen Sektor und die unterdrückten Schichten in einer gemeinsamen sozialen Bewegung vereinen, mit einer revolutionären Partei an der Spitze. Ob eine solche Partei Erfolg haben kann, hängt stark davon ab, wie sich die gegenwärtige Situation und der Klassenkampf weiter entwickeln. Wir müssen uns gewissenhaft auf diesen Moment vorbereiten.
Das Interview von Juan Cruz Ferre wurde von Hannes Busch übersetzt.
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