Beim G20 Gipfel in Hamburg wurde keine Extremistenkartei beschlossen. Auf dem Messegelände des Gipfels kam es auch nicht zum Wasserwerfereinsatz. Hier trafen sich 20 Staats- und Regierungschefs, um unter anderem ein Abschlussdokument zu verabschieden. Dieses wird “dann nicht eingehalten werden oder unverbindlich bleiben” (Sigmar Gabriel). Eine Zusammenfassung, damit ihr die Beschlüsse nicht lesen müsst. Von Martin Wähler.
Der G20 Gipfel in Hamburg wird die Gesellschaft noch eine Weile beschäftigen, aber nicht mit dem, was dort beschlossen wurde. Denn es ist nichts Bahnbrechendes. Beim Lesen fühlt man sich an eine VWL-Einführungsvorlesung für Erstsemestler*innen erinnert. Man kennt die einstudierten Vokabeln Wettbewerb, Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand, Entwicklung, Stabilität, Zukunftsfähigkeit, Verantwortung, Wachstum, Flexibilität und Handel. Sie fallen so häufig wie Flaschen auf Polizisten bei der „Welcome to Hell“-Demo.
Das prägende Hauptthema ist die Weltwirtschaft, danach kommt das Klima, dann die Teilhabe von Frauen und schließlich ein Aktionsplan für Afrika.
Als Ziel benennen die G20 ein “starkes, nachhaltiges, ausgewogenes und inklusives Wachstum”. Und wie wollen sie es erreichen?
“Alle an den Chancen der Globalisierung teilhaben lassen.”
Die G20 erkennen, dass das Wachstumstempo der Weltwirtschaft hinter den Wünschen zurückbliebe. Deswegen sollen Geld-, Fiskal- und Strukturpolitik flexibel und wachstumsfreundlich eingesetzt werden, hierbei soll der Schuldenstand auf einen “tragfähigen Pfad” gelangen. Klingt ganz nach der dominierenden Finanzpolitik des EU-Raums. Es ist aber auch ein Hinweis auf z.B. China: hier gibt der Staat Unternehmen direkt Kredite, um sie über Wasser zu halten. Eine Praxis, die immer weiter durch den Wettbewerb der Wirtschaftsmächte begünstigt wird. Es sind erste Anspielungen auf die Konkurrenzsituation innerhalb der G20.
Dann jedoch wieder Hinwendung zur Kooperation: Um das Wachstum zu fördern, propagieren die G20 die Wichtigkeit des offenen Handels. Protektionismus gefährde den Wohlstand. Dieses Übereinkommen ist der Punktus Knacktus der G20, denn es herrscht Überakkumulation. Ein Resultat der kapitalistischen Wirtschaft, in dem der Reichtum an Gütern ein Problem darstellt. Gelöst wird dieser Zustand normalerweise durch Entwertung, also der Insolvenz von Unternehmen und den somit verschwindenden Produktionskapazitäten. Doch aus Wettbewerbsgründen werden Unternehmen mit billigem Geld am Leben erhalten. Deshalb brauchen die G20 neue Absatzmärkte. Sie suchen ihr Heil daher im Freihandel, dazu trudelte noch vor dem Gipfel Japans “Ja” zum Jefta (Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan) ein. Die Eurozone wird zur Exportmaschine und das zum großen Vorteil für Deutschland. Die USA unter Trump verurteilen diese Praxis. Sie sehen sich immer weiter von China und der EU unter Druck gesetzt, weswegen Überkapazitäten in Industriesektoren doch bitte abgebaut werden sollen. Diese Forderung trägt die Unterschrift der USA, da die Situation auf dem Stahlmarkt angesprochen wird. Trump drohte Deutschland im April mit Strafzöllen, wegen angeblichen Preisdumpings seitens der Dillinger Hüttenwerke und der Salzgitter AG.
Es ist ein Ringen zwischen Zusammenarbeit, scharfer gegenseitiger Beobachtung und Wettbewerb. Jeder Staat sucht dabei seinen Vorteil.
Zwischen weiteren Bekenntnissen zum offenen Handel finden sich immer wieder Zugeständnisse an Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards. “Wir werden multinationale Unternehmen dazu ermutigen, gegebenenfalls internationale Rahmenvereinbarungen zu schließen”.
Klima, Afrika, Frauen, Migration
Was man aus der Tagesschau kennt, ist die Verpflichtung der G20 zum Pariser Übereinkommen – ohne die USA. Es wird sich zeigen, ob auch die Türkei und andere Staaten aus dem Übereinkommen austreten werden oder ob es tatsächlich eingehalten wird. Die USA wollen zumindest “eng mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten, um ihnen dabei zu helfen, auf fossile Brennstoffe zuzugreifen und sie sauberer und effizienter zu nutzen”. Es ist eine Kampfansage, um andere Länder noch auf ihre Seite zu ziehen.
Was außerdem bekannt sein dürfte, ist die Zuwendung der G20 an Frauen. Ihnen soll es ermöglicht werden einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt sowie zu Eigentum zu bekommen. Frauen sollen im Unternehmertum bestärkt werden (Ivanka Trump lässt grüßen) und Zugänge zur digitalen Wirtschaft erhalten. Die Angebote – sollten sie umgesetzt werden – dürften einigen Frauen Möglichkeiten eröffnen, aber für den größten Teil wird sich nicht viel ändern- sie werden weiterhin schlechter bezahlt und in prekärer Arbeit landen.
Die G20 legten einen gewissen Fokus auf “die Verantwortung für Afrika”. Wahrscheinlich auch, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Das Abschlussdokument stellt dar, dass bis 2022 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze im ländlichen Raum und Qualifizierungsprogramme für “mindestens fünf Millionen junge Menschen” mit Fokus auf Afrika entstehen sollen. Für die G20 scheint das leicht umsetzbar. Das Instrument hierfür lautet: Investitionsabkommen oder Compacts. Wer im Abschlussdokument auf offene neoliberale Argumente und Instrumente gewartet hat wird sie hier finden. Afrikanische Staaten sollen ihr Interesse bekunden, woraufhin private Investitionen aus dem Ausland mobilisiert werden. Postkoloniale Entwicklungen sind erwünscht und mit ihnen wird offen umgegangen: “Wir unterstützen die Ziele der Partnerschaft durch ergänzende Initiativen und ermutigen den Privatsektor, die wirtschaftlichen Möglichkeiten Afrikas zu nutzen”. Wer sich an den verabredeten Freihandel und die Überakkumulation der G20 erinnert, findet hier den Absatzmarkt. Als stelle der Landraub und die Ausbeutung von Rohstoffen in afrikanischen Staaten durch multinationale Konzerne kein Problem dar, wird hier sogar so getan als könnten diese Konzerne Fluchtursachen bekämpfen, indem sie Arbeitsplätze schaffen. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Im gleichen Atemzug bekräftigen dann die G20 die Hoheitsrechte der Staaten ihre Grenzen zu kontrollieren, “sowie die Bedeutung einer sicheren und menschenwürdigen Rückführung”. Es ist der Imperialismus par excellence: erst werden Gebiete zur Ausbeutung aufgeteilt, dann grenzt man sich ab und schützt seinen Reichtum.
In Hamburg nichts Neues
Das Abschlussdokument der G20 ist nicht bindend. Höchstwahrscheinlich bleiben viele Zugeständnisse Papiertiger. Dennoch zeigt es die Situation in der sich die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer befinden. Der Kapitalismus soll weltweit am Laufen gehalten werden. Dabei soll aufkommender Protektionismus zurückgefahren werden und der Freihandel weiter entfesselt werden. Die G20 sind voneinander abhängig und dennoch in einem Wettkampf, denn man braucht sich gegenseitig als Absatzmarkt und darf gleichzeitig im Wachstum nicht zurückfallen. Die Leidtragenden sind dabei zum einen andere Staaten der Welt, insbesondere der Globale Süden und zum anderen der Großteil der Bevölkerung der G20-Staaten. Mit dem Argument der Wettbewerbsfähigkeit werden weiterhin der Arbeitsmarkt flexibilisiert, Lohnquoten gesenkt, Unternehmenssteuern gedrückt und Sozial- und Umweltstandards umgangen.
Die Abschlussdokumente sind gerade deswegen nicht überraschend. Um deren Inhalt zu kennen, muss man sie nicht lesen. Sie werden schon seit Jahren von der herrschenden Politik umgesetzt. War dafür ein Gipfel dieser Größenordnung wirklich vonnöten? Es scheint als hätten die Unterhändler sich auch über Skype zusammensetzen können, um dieses Dokument aufzusetzen. Bei der Auseinandersetzung damit wird einem gerade dann klar, dass der Gipfel in Hamburg vor allem eine Machtinszenierung war. Die Inhalte wurden nebensächlich, da man sie schon vorher kannte. Der nächste G20-Gipfel wird in Argentinien stattfinden, wirklich anders wird das Abschlussdokument auch dort nicht.