Der Aufschwung der politischen Rechten und der extremen Rechten in Europa ist offensichtlich und bedrohlich.* Das gilt auch für Deutschland. Dazu ist aus linken Federn bereits viel Kluges geschrieben worden (zum Beispiel im Neuen Deutschand, wo sich Linke ganz unterschiedlicher Richtungen dazu in Debattenbeiträgen geäußert haben, und auch in der SoZ von Thomas Goes**). Es entwickelt sich eine Diskussion zur Einschätzung des Problems und zur Frage, wie die Linke darauf reagieren soll. Der vorliegende Beitrag beansprucht, Lehren aus der Vergangenheit mit der Frage zu verbinden, was heute gemessen an diesen Lehren neu ist. Daran anknüpfend wird versucht, einige Schlussfolgerungen zu ziehen.
Faschismus und Nationalsozalismus
Zum historischen Faschismus in Italien gab es bereits auf dem vierten Kongress der Kommunistischen Internationale 1922 erhellende Debatten und Einschätzungen. In deren Zentrum stand der Widerspruch zwischen dem Massencharakter der faschistischen Bewegung und ihrem historischen Sinn, der darin bestand, die Herrschaft des Kapitals – und damit einer kleinen Minderheit über die Gesellschaft – zu retten.
Der Machtergreifung des Faschismus ging die Niederlage einer bedeutenden Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse voran, die unter der Parole der „Arbeiterkontrolle“ – der Forderung nach dem Vetorecht der Belegschaften gegen alle Beschlüsse der Geschäftsleitungen – den Sturz der Kapitalherrschaft zur aktuellen Möglichkeit gemacht hatte. Diese Niederlage kam vor allem deshalb, weil es den opportunistischen Führungen der ArbeiterInnenbewegung gelungen war, die Parole der „Arbeiterkontrolle“ in die der „Gewerkschaftskontrolle“ abzubiegen. Die Bewegung versandete und unterlag.
Im Windschatten dieser Niederlage wurde der Faschismus unter der Führung Mussolinis – eines vormaligen linken Sozialisten und Kriegsgegners – zur Massenbewegung des deklassierten Kleinbürgertums und der demobilisierten Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten. Extremer Nationalismus, soziales Ressentiment, Unterwerfungs- und Gewaltphantasien und Rachebedürfnis standen Pate. Diese Bewegung wurde zum gewaltsamen Rammbock gegen die unabhängigen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und der armen Bauernfamilien, gegen die Gewerkschaften, Genossenschaften und linken Parteien und Organisationen.
Insoweit wiederholte der deutsche Nationalsozialismus das italienische historische Vorbild. Gleichwohl war er nicht bloß der „deutsche Faschismus“, sondern schlimmer. Er rottete sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden und eine halbe Million Sinti und Roma aus und zettelte einen Weltkrieg mit 80 Millionen Toten an. Wie zum Hohn auf seine ultranationalistische Ideologie hat er Deutschland nicht nur eine furchtbare Niederlage im Krieg gebracht, sondern auch die deutsche Nation für alle Zeiten mit unermesslichen Verbrechen gegen die Menschheit in Verbindung gebracht.
Das Versagen der Linken in der Weimarer Republik
Sozialdemokratie und offizieller Kommunismus („Stalinismus“) brachten keine gemeinsame Kampffront gegen den Aufschwung der Nazi-Bewegung zustande. Für die SPD war der Kommunismus der schlimmere und gefährlichere Extremismus, und die offizielle Linie der damaligen Komintern unter Stalin und mit ihr die KPD-Führung erklärten SPD und Nazis zu „Zwillingen“ und weigerten sich im Zuge der berüchtigten „Sozialfaschismus“-Theorie, für diese Einheitsfront zu kämpfen.
Die Nazi-Bewegung konnte die Macht ergreifen, weil sie letztlich die Unterstützung wichtiger Teile des Kapitals und der Staats- und Wehrmachtsführung erhielt und ihr Hauptgegner, die organisierte Arbeiterbewegung, gespalten war und von ihren Führungen davon abgehalten wurde, sich wirksam zu wehren. Die ökonomisch Herrschenden sahen für den Erhalt ihrer eigenen Macht keinen anderen Ausweg als die Machtergreifung der Nazis und die Auslösung eines mörderischen Weltkriegs.
Die Warnungen von Leo Trotzki und der Linken Opposition verhallten ungehört.***Sie drangen mit ihren Vorschlägen ebensowenig durch wie andere KritikerInnen der offiziellen Führungen der Arbeiterbewegung. Gleichwohl zeigen einige örtliche Beispiele, wo die Einheitsfront verwirklicht worden war, dass die Nazis damit zurückgedrängt und geschlagen werden konnten.****
Sozialismus als Alternative
Trotzki argumentierte für die gemeinsame Verteidigung gegen die Aggressionen der braunen Horden. Das war also eine Strategie der Defensive zur Verteidigung der eigenen Organisationen und der eroberten demokratischen Rechte. Doch gab es in seinen Augen keine chinesische Mauer zwischen diesem Verteidigungskampf und dem Kampf für die sozialistische Eroberung der Macht durch die ArbeiterInnenklasse.
Entscheidende Erfolge im Abwehrkampf und die entsprechende Steigerung von Aktivität und Selbstorganisation der ArbeiterInnenklasse würden die Frage der Macht aufwerfen; ein Zurückweichen vor der Macht des Kapitals und seines Staats würde hingegen – analog zum erwähnten italienischen Fall – den letztlichen Sieg des Nationalsozialismus heraufbeschwören.
Darum war Trotzki gegen Bündnisse mit den „demokratischen“ Teilen des Bürgertums, und er war dagegen, im Zuge gemeinsamer Aktionen mit dem sozialdemokratisch geführten Teil der ArbeiterInnenbewegung die unabhängige Artikulierung der kommunistischen Überzeugungen und die antikapitalistischen Forderungen hintanzustellen. Angesichts einer scharfen Krise der bürgerlichen Herrschaft wird die „gemäßigte Mitte“ zermahlen, und die Alternative ist dann faschistische Barbarei oder sozialistische Demokratie.
Was heute tun?
Sozialistisches Bewusstsein ist heute viel weniger verbreitet als in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Nur eine vergleichweise geringe Minderheit will den Sturz der Macht des Kapitals. Die Glaubwürdigkeitskrise der sozialistischen Idee ist noch lange nicht überwunden. Es gab auch in der jüngeren Vergangenheit keine Herausforderung der Kapitalherrschaft durch eine große Massenbewegung. Es gibt auch keine von imperialistischen Mächten jüngst verlorene große Kriege. Es gibt allerdings eine sehr spürbare Legitimationskrise der bürgerlich-demokratischen Herrschaft.
Die Sozialdemokratie ist dazu übergangen, neoliberale Konterreformen herbeizuführen und ist dabei (mit Ausnahme der teils immer noch bestehenden Beziehungen mit den Gewerkschaftsführungen und ihren Apparaten), ihre überkommenen Bezüge zur ArbeiterInnenbewegung vollends zu kappen. Dass die AfD die SPD gerade unter Arbeiter-Wählerschichten (wenn auch nicht unter Frauen) wahlpolitisch bereits überfügelt hat, ist nur der jüngste spektakuläre Ausdruck dieser Tendenz.
Ein weitere großer Unterschied zu damals ist, dass alle Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in der Weimarer Republik ihre bewaffneten Abteilungen hatten, ADGB, SPD und KPD. Heute ist die ArbeiterInnenbewegung fast komplett entwaffnet. Nur als Mitglieder von Schützenvereinnen haben einige normale Lohnabhängige Waffen als Privatpersonen. Über das gesetzliche staatliche Gewaltmonopol hinaus verfügen hautsächlich Bürgerliche als Privatpersonen und vor allem die Neonazis und Rechtsextremen in organisierter Form über Waffen. Letztere haben zudem gute Verbindungen bis weit in die Polizeikräfte hinein. Das unterstreicht, wie wichtig es heute ist, eine wirksame Verteidigung vorzubereiten. „Militante“ Aktionen kleiner Minderheiten, die es den Herrschenden leicht machen, eine falsche Symmetrie von Rechts- und Linksradikalismus vorzugauckeln, sind da ebensowenig hilfreich wie die einlullende Rhethorik bürgerlich-demokratischer Politiker, die allenfalls symbolisch-demonstrative Kundgebungen zulassen wollen. Es geht darum, geduldig und systematisch die zunehmende Wehrhaftigkeit einer antifaschistischen Massenbewegung vorzubereiten und zu organisieren.
Heute wie damals ist die möglichst breite Einheit in der Aktion notwendig. Heute wie damals ist das Entscheidende die gemeinsame Verteidigung gegen die rechtsextremistischen und rassistischen Aggressionen. Dafür gilt es unter allen Beteiligten und Bedrohten – Beschäftigten, Flüchtlingen, Linken usw. – Absprachen zur gegenseitigen Hilfe und zu gemeinsamen Demonstrationen, Blockaden und Streiks zu treffen. Heute wie damals muss die Kritik der kapitalistischen Verhältnisse und ihrer abgründigen sozialen Ungerechtigkeit in der antifaschistischen Aktion und Bewegung von den Linken unabhängig artikuliert werden.
Natürlich ist es ein angenehmes Gefühl – wie wir das wiederholt in Köln erlebt haben –, wenn alle etablierten Parteien, die Kirchen, die Untenehmerverbände, die großen Medien bis hin zu den kleinen linksradikalen Gruppen eine Anti-Nazi-Aktion befürworten und unterstützen. Sehr unangenehm wäre aber das Gefühl, dass Linke nicht mehr in der Lage sind, Unzufriedenheit mit der etablierten Politik und politische Radikalisierung in antikapitalistische Bahnen zu lenken, weil sie sozusagen als Teil der etablierten Politik erscheinen.
Das würde bedeuten, dass dem Aufschwung der Rechten in Europa nichts entgegengesetzt werden könnte, da es dann dieser Rechten gelingt, die Legitimationskrise der bürgerlich-demokratischen Herrschaft endgültig auf ihre Mühlen zu leiten. Jeder Aufschwung von Kämpfen für soziale Forderungen und solidarische Lösungen hingegen, wie gegenwärtig in Frankreich, führt unmittelbar zum Rückgang der Stimmen für die rechtsextremistischen Parteien bei Umfagen, wie heute der Front National. Das ist ein wichtiger Fingerzeig.
Ein Gastbeitrag des Publizisten Manuell Kellner.
Verweise:
* The Far Right in Europe, Hrsg. Fred Leplat, London 2015, mit einer Einleitung vom Autor dieser Zeilen
** Thomas Goes: Antifaschismus braucht viele Ansätze, http://www.sozonline.de/2016/04/antifaschismus-braucht-viele-ansaetze/
*** Leo Trotzki, Schriften über Deutschland, ist eine nach wie vor sehr inspirierende Quelle zur Einschätzung von Faschismus und Nationalsozalismus und zur Debatte darüber, wie diese Art von reaktionären Massenbewegungen geschlagen werden können.
**** Siehe dazu Claus Radt: Der deutsche Faschismus. Mythos und Wirklichkeit, Frankfurt a.M. 1987, mit einem Vorwort von Robert Jungk; hier besonders S. 126 ff zu Beispielen von örtlichen Verwirklichungen der Einheitsfront