Pro-BDS-Demo am 1. Mai 2017 in Berlin-Kreuzberg. By Montecruz Fotos, licensed under CC BY-SA 4.0.

Aufforderung zum Rechtsbruch

Warum der BDS-Beschluss des Bundestages keine bloße Meinungsäußerung ist.

Im Mai 2019 erklärte der Deutsche Bundestag im sogenannten Anti-BDS-Beschluss: „Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch“, die weltweite Kampagne wird gar in die Nähe der NS-Kampagnen gerückt. Analog zur Bekämpfung von Apartheid-Südafrika in den 1990ern möchte die BDS-Kampagne durch internationale Boykott-Aktionen der Apartheid in Israel ein Ende bereiten. Die jüdisch-palästinensisch-deutsche Gruppe BT3P sah durch die Bundestagsresolution ihre Persönlichkeits- und Grundrechte verletzt und reichte daher im Mai 2020 Klage gegen die Bundesregierung ein. Hier hat unser Autor für die junge Welt über den Prozessauftakt berichtet. Im Folgenden veröffentlichen wir eine Analyse des Verfassungsblogs, der die rechtlichen Aspekte der Resolution seziert. (Deine Freiheitsliebe-Redaktion)

Der BDS-Beschluss des Bundestags vom 17. Mai 2019 ist rechtmäßig und verletzt auch nicht die Grundrechte der Kläger. So urteilte am 7. Oktober 2021 die Zweite Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin (Az.: 2K 79/20) unter Vorsitz der Gerichtspräsidentin Erna V. Xalter („Irgendwer muss ja mal entscheiden“).[i]

Die „Bundestag 3 für Palästina“ (BT3P) hatten geltend gemacht, durch den Beschluss in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verletzt zu sein, weil sie wegen ihres Einsatzes für die Rechte der Palästinenser in der Öffentlichkeit als antisemitisch wahrgenommen und durch die Verweigerung kommunaler Räume für ihre Veranstaltungen diskriminiert würden.

Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht: der Beschluss sei sachbezogen und eine vom allgemeinpolitischen Mandat der Volksvertretung gedeckte Positionsbestimmung, die einen breiteren Meinungsaustausch eröffnen wolle. Mit tatsächlichen Raumverweigerungen habe der Beschluss nichts zu tun: Wenn sich Träger kommunaler Einrichtungen der vom Bundestag geäußerten Haltung anschließen wollten und Leuten wie den Klägern keine Räume zur Verfügung stellten, dann könnten diese jederzeit den Rechtsweg beschreiten, was sie ja auch bereits wiederholt und mit Erfolg getan hätten.

Nach dieser klaren Niederlage kündigte der Anwalt der Kläger, Ahmed Abed, noch im Gerichtssaal an, nicht nur die zugelassene Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) einzulegen, sondern notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu gehen, der im Jahr zuvor im Fall Baldassi und andere gegen Frankreich zugunsten von BDS-Aktivisten entschieden hatte. Ob das Urteil des VG Berlin im weiteren Verfahrensgang Bestand haben wird, dürfte wohl in erster Linie davon abhängen, wie die vom Bundestag zwecks Bekämpfung des Antisemitismus[ii] erstrebte Verbannung von BDS aus dem öffentlichen Raum[iii] rechtlich einzuordnen ist.

Keine Glückwünsche für rechtswidriges Tun

Die aufgrund intensiver Definitionskonflikte[iv] offenbar endlos diskutierbare Frage, bei wem oder was der Vorwurf des Antisemitismus zutrifft, spielt dabei nicht einmal die zentrale Rolle und kann im vorliegenden Fall bezüglich BDS dahingestellt bleiben, da selbst BDS-Gegner wie der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, immer wieder betonen, dass sogar explizit antisemitische Äußerungen per se „Teil der Meinungsfreiheit“, beziehungsweise „von der Meinungsfreiheit geschützt“ seien und sich lediglich „gefallen lassen (müssen), dass es daran Kritik gibt“. Solange eine Gruppierung nicht verboten ist oder zu Straftaten aufruft, sind für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Raumversagung also die Satzungen der Träger entsprechender öffentlicher Einrichtungen maßgeblich. Dabei genießen Kommunen durchaus ein weit gefasstes Recht zur Bestimmung von deren Nutzungszweck, solange sie bei der Festlegung der Widmung höherrangiges Recht und insbesondere die Grundrechte beachten. Keine Kommune darf zum Beispiel den Widmungszweck so selektiv verengen, dass bestimmte Meinungen gar keine Chance mehr haben, Gehör zu finden. Kommunale Beschlüsse, die generell Veranstaltungen von der Nutzung ausschließen, die sich mit der BDS-Bewegung befassen, werden diesem Erfordernis der Gleichbehandlung nicht gerecht, weil sie absehbar allein die Anhänger dieser bestimmten Auffassung treffen. Eine generelle Ausschließung solcher Gruppierungen aus dem Kreis der Nutzungsberechtigten stellt demzufolge eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und eine Verletzung der Meinungsfreiheit dar.

Der Aufruf zur generellen Verbannung dieser Gruppen verletzt das exekutive Neutralitätsgebot und das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot und verkennt als Aufruf zu rechtswidrigem Handeln die fundamentale Tatsache, dass der Kampf gegen den Antisemitismus – wie die Verfolgung anderer politischer Prioritäten auch – selbstverständlich innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung zu erfolgen hat.

Der Rechtscharakter der Handlungen, zu denen ein Bundestagsbeschluss aufruft, hat immer Rückwirkungen auf den Rechtscharakter des jeweiligen Beschlusses selbst. Wie es einen großen Unterschied macht, ob der Bundestag zur Einhaltung von Steuergesetzen aufruft oder zu deren Missachtung, so kann es auch nicht gleichgültig sein, ob er mit einem BDS-Beschluss zur Stärkung des Rechts oder zu dessen Verletzung aufruft. Existentes Recht mit der Autorität der Volksvertretung zu bekräftigen, erhöht im Zweifel dessen empirischen Geltungsgrad. Mit derselben Autorität zur unrechtmäßigen Verbannung einer bestimmten Anschauung aus der Öffentlichkeit aufzurufen, unterminiert die Rechtsgeltung in dem Bereich und darüber hinaus. Daran kann auch das allgemeinpolitische Mandat des Bundestags nichts ändern. Der Bundestag unterliegt nicht nur in seiner legislativen Rolle einer strikten Grundrechtsbindung unter Berücksichtigung der Gewaltenteilung, er darf auch bei seinen nicht-legislativen Meinungsäußerungen nicht einfach tun und lassen, was er will. In keiner liberalen Demokratie ist es Verfassungsorganen gestattet, andere Träger öffentlicher Entscheidungsgewalt zu rechtswidrigem Tun zu beglückwünschen, sie darin zu bestärken, sie dazu aufzufordern oder aufzurufen – also genau das zu tun, wozu sich der Bundestag mit seinem BDS-Beschluss berufen fühlte. Weil die Handlungen, zu denen der Bundestag mit seinem BDS-Beschluss auffordert, rechtswidrig sind, ist auch der entsprechende BDS-Beschluss des Bundestags selbst nicht anders denn als rechtswidrig zu qualifizieren.

Wider die administrative Diskurslenkung

Die Bedeutung der ganzen Angelegenheit mag gering erscheinen, weil die sogenannte BDS-Bewegung[v] jedenfalls in Deutschland selbst zehn Jahre nach ihrer Gründung noch so gut wie völlig unbekannt war und auch heute noch ein Schattendasein führt, weil der BDS-Beschluss selbst der Diskontinuität des Parlaments unterliegt und mit der Konstituierung des am 26. September 2021 gewählten 20. Bundestags nicht mehr dessen Meinung darstellt (und der neue wohl nicht bereit sein dürfte, erneut eine Empfehlung für rechtswidriges Handeln abzugeben).

In einer Zeit merklicher Verengung des Mainstreams, die immer mehr Andersdenkende ausgrenzt statt mit ihnen zu kommunizieren, ist es aber von großer Bedeutung, dass jedenfalls die Verfassungsorgane sich nicht an der Isolierung unerwünschter Meinungen beteiligen, so als gälten auch im Diskurs die seuchenpolizeilichen Imperative der Absonderung und des Infektionsschutzes. Gerade Akte wie der BDS-Beschluss mit seinem Versuch einer administrativen Diskurslenkung praeter legem muss dazu führen, dass sich in der Bevölkerung „der Eindruck verfestigt, bestimmte Positionen dürften nicht vertreten werden“. Dies umso mehr, als die beiden höchsten Repräsentanten des Staates ausgerechnet im Jahr des BDS-Beschlusses mit Nachdruck erklärt hatten, dass das ganze Gerede über eine staatliche Benachteiligung unwillkommener Meinungen einfach nur großer Unsinn sei (Steinmeier: „Wer das behauptet, lügt“; Schäuble: „In Wahrheit kann bei uns alles diskutiert werden.“)

Keine bloße Meinungsäußerung, sondern Aufforderung zum Rechtsbruch

Was dem VG Berlin, das den Beschluss des Bundestags nach demselben Schema, das Verwaltungsgerichte an Meinungsbekundungen von Bürgermeistern anzulegen pflegen, geprüft hat, nicht in den Blick geriet, war der eklatante Widerspruch zwischen der „bloßen Meinungsäußerung“ des Bundestags und dem, was die darin enthaltene Aufforderung zum Rechtsbruch bedeutete und bewirkte. „In Wahrheit“ nämlich fordert der Kampf gegen den „israelbezogenen Antisemitismus“ seine Opfer vor allem unter liberalen Juden, die sich auf der Grundlage des Völkerrechts für eine Friedenslösung in Nahost einsetzen und von der Regierung Israels aus politisch-taktischen Gründen zu einer existentiellen Bedrohung nicht nur seiner politischen Macht, sondern des Staates überhaupt überhöht zu werden pflegten.

Was angeblich Antisemiten treffen soll, trifft in der Realität die prominentesten unter den liberalen Juden in Deutschland[vi] – bis hin zu einem Dr. Reiner Bernstein, den man im Büro des israelischen Ministerpräsidenten zutreffend für einen der renommiertesten Kritiker der Besatzungspolitik hielt, aber fälschlich für einen Juden. Diesem Dr. Bernstein war das Berliner Kammergericht bei seinem Bedürfnis nach Rechtsschutz übrigens ähnlich wenig eine Hilfe wie jetzt das VG Berlin seiner Witwe, dieser älteren friedliebenden Dame, deren Großeltern in Auschwitz ermordet wurden, deren Eltern fliehen mussten und die in München selbst ihre eigenen Lebenserinnerungen nur erzählen darf, wenn sie sich auf dem Rechtsweg gegen die Verbote der Stadt durchgesetzt hat. Die Vertreter einer bestimmten Meinung so zu behandeln und zu glauben, sie damit trösten zu können, dass sie ja immer wieder auch erfolgreich gegen die Verbote vorgegangen seien, werden die Betroffenen vielleicht als zynisch bewerten.

Ob es das ist, mag jede*r für sich entscheiden, aber jedenfalls existiert ein Begriff dafür, den das VG Berlin in seine Erwägungen wohl nicht einbezogen hatte, und der heißt: Diskriminierung.

Dieser Artikel von Sebastian Scheerer erschien unter CC-BY-SA-4.0-Lizenz zuerst hier auf dem Verfassungsblog.


Anmerkungen und Quellen


[i] Zitiert nach: Annelie Kaufmann, Bundestagsbeschluss ist nicht rechtswidrig – sagt das VG Berlin. LTO 8.10.2021, https://www.lto.de/recht/justiz/j/vg-berlin-2k7920-bds-israel-boykott-bewegung-klage-bundestag-beschluss-distanzierung/.

[ii] Erklärtes Motiv des Beschlusses war es, „jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten.“ In der BDS-Kampagne erblickte der Bundestag eine israelbezogene Form des Antisemitismus (Boykottaufrufe gegen Israel erinnerten an die NS-Parole „Kauft nicht bei Juden!“), während die Kläger darauf hinwiesen, dass der Boykott sich gerade nicht gegen Juden als Juden richte, sondern lediglich Aspekte der Politik einer konkreten Regierung kritisiere.

[iii] In seiner BDS-Resolution „begrüßte“ der Bundestag, „dass zahlreiche Gemeinden bereits beschlossen haben, der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, die finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern.“ Er versprach, sich selbst auch daran zu halten und er „forderte“ von der Bundesregierung ebenfalls, „keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen.“ Darüber hinaus beschloss er, „Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure dazu aufzurufen, sich dieser Haltung anzuschließen“.

[iv] Hierzu: Lothar Zechlin, Antisemitismus als Rechtsbegriff. Wann ist Israelkritik antisemitisch und wann ist sie es nicht? Kritische Justiz 54 (1) 2021: 31-46.

[v] Tatsächlich dürfte es sich bei BDS weniger um eine „Bewegung“ denn ein loses Netzwerk heterogener Akteure handeln, dessen Bestrebungen, ähnlich wie seinerzeit gegen das Südafrika der Apartheid eine wirksame internationale Kampagne aufzubauen, um Israel zu einer Änderung seiner völkerrechtswidrigen Besatzungs- und Siedlungspolitik zu motivieren, bislang nur wenig Früchte getragen hat.

[vi] Im Effekt verletzt die Anti-BDS-Kampagne ausgerechnet die Grundrechte derjenigen Juden, die sich, wie etwa der jüdische Verleger Abraham Melzer, das Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern, die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost oder die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe, auf der Basis zivilgesellschaftlicher Friedensinitiativen als outspoken critics der aktuellen Besatzungs- und Siedlungspolitik artikulieren wollen, dies aber in einer Wirklichkeit, in der angeblich „über alles diskutiert werden“ kann (Schäuble), aufgrund des neuen McCarthyismus und einer Politik der Kontokündigungen, der Be- und Verhinderung von Veranstaltungen und des Verweises auf langwierige juristische Hürdenläufe nicht können. Vgl. Bascha Mika, Wer bestimmt eigentlich, was antisemitisch ist? Frankfurter Rundschau, 3.8.2020; https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/micha-brumlik-ich-bezeichne-das-als-eine-neue-form-des-mc-carthyismus-90017108.html.

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