Auf den Spuren der verschwundenen Lohnerhöhung

Sherley Holmes und Dr. Watson stehen bei Eiseskälte vor dem Hegelbau der Humboldt Universität und ziehen ihre Trenchcoat-Mäntel noch etwas enger. Eine Hand in der Tasche vergraben, in der anderen die Pfeife. Sherley Holmes fragt: „Was haben wir hier, Dr. Watson?“ – „Die Kasse mit der Lohnerhöhung für die studentischen Hilfskräfte (SHK)wurde aufgebrochen. Die TäterInnen haben das Geld entwendet“, antwortet der Doktor mit dem Hut.

Was nach dem Anfang einer feministischen Version des Klassikers britischer Kriminalliteratur klingt, ist eigentlich der Beginn einer Guerilla-Streikaktion der studentisch Beschäftigten der Berliner Hochschulen. Diese befinden sich seit Januar im Warnstreik, nachdem zwei Jahre ergebnislos mit den Hochschulen verhandelt wurde. Als die zuständigen Gewerkschaften ver.di und GEW gemeinsam mit den Beschäftigten in einer groß angelegten Kampagne knapp 1.000 neue Mitglieder gewonnen hatten, war das Selbstbewusstsein groß genug, die Auseinandersetzung auf eine höhere Stufe zu heben und in den Warnstreik zutreten.

„Die Spur führt uns zum Präsidium“, stellt Sherley Holmes fest und stiefelt voran in Richtung Hauptgebäude. Eine Gruppe von mehreren hundert Streikenden mit Trillerpfeife, Streikweste und allerlei roten Flaggen folgen ihr lautstark. Ich schaue auf mein Handy und der Streikgruppenchat explodiert vor neuen Nachrichten und Fotos. Bei den dezentralen Aktionen wurde beim Campus Adlershof ein 10-Meter-Transpi vom Verwaltungsgebäude gedroppt und ein von Streikenden mit Kreidespray markiertes Unfallauto an der TU hat einen Polizeieinsatz ausgelöst.

Es bewegt sich etwas

„Endlich geht mal wieder ein Ruck durch die Unis“, denk ich mir und freue mich als unsere Spontandemo schnurstracks ins Hauptgebäude marschiert. Vorbei am Marx-Zitat („Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“), ziehen wir lauthals vor das Büro der Unileitung. „Tarifvertrag, jetzt!“, schallt es durch die Gänge.

Der Tarifvertrag der studentisch Beschäftigten (TV Stud) in Berlin ist eine Errungenschaft der revoltierenden Studierenden von ‘68. Vor genau 50 Jahren wurde die allgemeine Aufbruchsstimmung an den Unis genutzt, um den – bis heute bundesweit einzigartigen – Tarifvertrag für die 8.000 studentischen Hilfskräfte an den Berliner Hochschulen zu erkämpfen. Der historische SDS hat zu der Zeit versucht die Kämpfe von Studierenden und ArbeiterInnen zu verbinden, beispielsweise durch gemeinsame gewerkschaftliche Bildungsarbeit. In Frankreich war die Einheit von Arbeiterklasse und Studierenden sogar für eine kurze Zeit Realität, als die Losung hieß: „Arbeiter, Studierende: gemeinsam werden wir gewinnen.“

Der Kampf geht weiter

1986 konnte dieses Erbe der ‘68er dann erfolgreich gegen den Angriff eines rechtskonservativen Wissenschaftssenators verteidigt werden. Damals gingen 20.000 TutorInnen und solidarische Studierende auf die Straße, in wilde Streiks, blockierten die Stadtautobahn und setzten durch, dass die Lohnerhöhungen der SHKs stetig stiegen. Daran haben sich die Hochschulen auch brav gehalten, bis 2001 plötzlich der Lohn eingefroren und 2004 sogar das Weihnachtsgeld gestrichen wurde, was faktisch einer Lohnkürzung gleichkam. So stehen wir studentisch Beschäftigten seit 17 Jahren ohne Lohnerhöhung da. Und das bei ständig steigendem Druck bei der Arbeit und im Studium. Die Mieten in Berlin steigen seit Jahren in schwindelerregender Geschwindigkeit. Einige von uns haben einen Zweit- oder sogar Drittjob und die Krankenkassen zahlen nach nur 6 Wochen Krankheit keinen Cent Krankengeld mehr an Studierende.

2015 hat sich deshalb die Tarifinitiative TV Stud gegründet und fordert seitdem: Lohnerhöhung in Höhe des Inflationsausgleichs seit 2001, das entspräche einem Stundenlohn von 14€, mehr Urlaubstage, längere Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und eine Dynamisierung, also regelmäßige Lohnerhöhung mit dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Nach acht kämpferischen Warnstreiktagen im Wintersemester, soll das Sommersemester wieder mit Warnstreiks und Aktionen beginnen. Sollten sich die Hochschulleitungen weiterhin nicht bewegen, werden sich mit zunehmender Wut und besserem Wetter immer mehr Studis uns anschließen und Sherley Holmes und Dr. Watson bei ihrer Suche nach der verschwundenen Lohnerhöhung unterstützen.

 Ein Beitrag von Tilman von Berlepsch

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