Bild der Geiseln an der Uni Düsseldorf - Free Palestine wurde übermalt

Uni Düsseldorf: Studierende haben Angst vor Repressionen wegen Gaza

Seit Wochen haben zahlreiche Studierende der HHU Düsseldorf Angst, für ihre Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung und ihre Verurteilung der israelischen Politik, mit negativen Konsequenzen seitens des Rektorats rechnen zu müssen. Viele schweigen. Eine Gruppe Studierender möchte ihnen eine Stimme geben und veröffentlicht dafür seit Ende November auf Instagram unter dem Namen „Diese Campus-Stimme“ anonyme Statements von Studierenden. Sie hat die Auswirkungen des Nahostkrieges auf den Campus in den letzten drei Monaten zusammengefasst.

„Der grausame terroristische Angriff auf Israel hat uns alle zutiefst bestürzt. Die Folgen dieses Angriffs sind katastrophal für die Menschen in Israel, in Gaza und im Westjordanland. […] Unsere Gedanken sind bei den zahlreichen unschuldigen Opfern auf allen Seiten.“

Diese Worte der Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in ihrer Weihnachtsansprache vom 18. Dezember 2023 lösten, den Kommentaren zu entnehmen, bei zahlreichen Studierenden Erleichterung und Hoffnung aus. Warum? Weil nach mehreren Statements seitens des Rektorats zur Lage in Israel/Palästina nun zum ersten Mal die Worte „Gaza“ und „Westjordanland“ fielen und von Opfern auf mehreren Seiten die Rede war. Manche meinten, in dieser versöhnlichen vorweihnachtlichen Stimmung sogar das Wort „Palästina“ gehört zu haben. Doch bis heute wurde konsequent vermieden, von Palästina, Palästinensern oder Palästinensischem zu sprechen.

Stattdessen äußerte sich das Rektorat am 23. Oktober in einer Rundmail besorgt bezüglich der „zahlreichen Aufrufe […] zu Hamas-unterstützenden Demonstrationen“ und ordnete somit pro-palästinensische Demonstrationen offenbar als terrorunterstützend ein. Während Antisemitismus als Diskriminierungsform klar benannt wurde, habe auch „Rassismus in jedweder Ausrichtung“ auf dem Campus keinen Platz. Verstöße jeglicher Art würde man konsequent ahnden und gegebenenfalls von Exmatrikulation oder Entlassung Gebrauch machen. Diese Zeilen lösten Verunsicherung aus. Es steht außer Frage, dass antisemitisches und rassistisches Verhalten sanktioniert werden muss. Leider war nun aber unklar, wie das Rektorat Antisemitismus definiert. Gelten pro-palästinensische Demonstrationen als „Hamas-unterstützend“ und somit als antisemitisch? Gilt allgemein Solidarität mit Palästinensern als antisemitisch?

Die Benennung von „Rassismus in jedweder Ausrichtung“, so allumfassend sie klingt, wirkte angesichts der politischen Stimmung in Deutschland und der expliziten Benennung von Antisemitismus leer. Es wäre wohl zu viel verlangt, Diskriminierung gegen Palästinenser, Araber und Muslime in demselben Text anzuprangern, in dem pro-palästinensische Demonstrationen mit der Hamas in einen Topf geworfen werden. Davon abgesehen, wirkt es so, als habe die Rektorin selbst dieses Problem bis heute nicht verstanden. Am 1. November empfahl Frau Steinbeck die am selben Tag erschienene Rede von Robert Habeck auf X allen Angehörigen der HHU und hat diese Hörempfehlung seitdem nicht zurückgezogen. Einen Tag später postete auch der offizielle Instagram-Account der HHU die Rede in seiner Story. In der Rede fordert der Vizekanzler die Muslime in Deutschland dazu auf, sich „klipp und klar“ von Antisemitismus zu distanzieren, um ihren eigenen Anspruch auf Toleranz nicht zu „unterlaufen“. Muslime werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit somit unter Generalverdacht gestellt und müssen sich ihren Anspruch auf Toleranz erst erarbeiten. Dass die Universität solch eine Rede undifferenziert teilt, ist erschreckend. Es ist erschreckend, dass rechtsextreme Inhalte nicht erkannt werden, wenn sie von linken Politikern ausgesprochen werden. Vor allem, weil Habeck zahlreiche fragwürdige Aussagen trifft. Darunter, aus wissenschaftlicher Sicht sehr kritisch zu bewerten, ist die Forderung, dass Kontextualisierung nicht zu Relativierung führen dürfe. Wie kann Kontextualisierung jemals zu Relativierung führen, wenn nur die Beschäftigung mit dem Kontext eine möglichst genaue Annäherung an die Realität überhaupt erst zulässt? Wieso wird einem an Schulen und Universitäten beigebracht, dass die Heranziehung des Kontexts bei einer Analyse essenziell ist? Wieso ist in diesem einen Fall der Kontext plötzlich nicht mehr wichtig, sondern sogar hinderlich bis gefährlich? Gerade im Kontext solch einer Warnung sollte man sich des Kontexts widmen.

Rücktritt des Antidiskriminierungsreferats

Am 17. November kündigte das Referat gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung (Antifaradis) des AStA der HHU in einem Instagram-Beitrag an, dass es geschlossen zurücktreten werde. Die Mitglieder erklärten, dass sie ihre Arbeit im Referat nicht mehr sicher verrichten könnten. Ausgangspunkt sei eine Sitzung des Studierendenparlaments am 23. Oktober gewesen, in der der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) zusammen mit der Jüdischen Hochschulgruppe (JHG) einen Antrag zur „Solidarisierung mit jüdischen Studenten“ einreichte, in dem im gleichen Satz mit Antisemitismus und Rassismus jeglicher Antizionismus verurteilt und gefordert wurde, „israelische Friedensflaggen“ auf dem Campus zu hissen. Ein Mitglied des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbands (SDS), das zu dem Zeitpunkt ebenfalls eines der drei Mitglieder im Antifaradis gewesen ist, erwiderte, für den SDS sprechend, dass dieser nicht auf der Seite einer Nation stehe, insbesondere, wenn diese Kriegsverbrechen begehe und von Menschenrechtsorganisationen beobachtet werde. In der Instagram Story der JHG und in sich auf die Sitzung beziehenden Presseartikeln, wurde besonders die Mitgliedschaft im Antifaradis hervorgehoben. Infolgedessen hatte das Antifaradis nicht nur mit Anfeindungen übers Internet, „sondern auch konkret, u. a. rassistisch auf unsere Identität gerichtet“ zu kämpfen. Weiter heißt es in der Rücktrittserklärung:

„Denn wenn Personen zuvor äußern, dass sie ‚Angst vor allen Muslimen auf dem Campus‘ hätten, dann darauf beharren, dass es keinen antimuslimischen Rassismus gäbe und in Gesprächen mit BIPoC stetig aggressiv auftreten, ist uns klar: Mit Leuten, die weiterhin rassistische Ideologien perpetuieren und daran festhalten, möchten und werden wir nicht zusammenarbeiten.“ Von der Universität erhielt das Antifaradis, nach eigener Aussage, keine Unterstützung.

Der Koordinator der JHG wird in der Instagram-Story der JHG zu der bereits erwähnten Sitzung des Studierendenparlaments mit der Aussage zitiert, dass die Hamas am 7. Oktober Menschen nur aus dem Grund ermordete und entführte, weil diese jüdisch seien. Unter den Geiseln befanden sich unter anderem auch Mitglieder einer beduinischen Familie und zahlreiche nichtjüdische thailändische Gastarbeiter. Diese passen jedoch nicht in das Narrativ des ausschließlich antisemitisch motivierten Terrorangriffs auf Israel und sind überdies in einer Gesellschaft, in der das eine Menschenleben mehr wert ist als das andere, auch nicht von Interesse. Auf zahlreichen Collagen mit Portraits von Geiseln sind sie nicht zu sehen. So auch auf der großen Collage, die Mitte November von der Universität auf dem Campus angebracht wurde. Diese sollte wohl als Reaktion auf Ende Oktober auf dem Campus aufgetauchte Graffitis dienen.

Free Palestine eine Bedrohung?

Unbekannte hatten „Free Palestine“, „Gaza“ und die palästinensische Flagge auf Außenwände gesprüht. Die JHG wollte an dieser Sachbeschädigung festmachen, dass die Sicherheit der jüdischen Studierenden auf dem Campus gefährdet sei. Die Forderung nach der Befreiung Palästinas definierte sie somit als antisemitisch. Zu dem Zeitpunkt zählte man in Gaza bereits über 11.000 Tote. Laute Stimmen der Solidarität mit Palästinensern gab es auf dem Campus nicht, nur diese stummen, anonymen Hilfeschreie. Kurz nach ihrer Entdeckung, wurden auf und direkt neben die Schriftzüge Plakate mit Bildern von entführten Israelis geklebt, welche anschließend von Unbekannten wieder heruntergerissen wurden. In einem Beitrag der WDR Lokalzeit Düsseldorf vom 30. Oktober wird behauptet, diejenigen, die die Graffitis gesprüht hatten, hätten ebenfalls die Bilder der Geiseln zerkratzt und runtergerissen. Wenn man etwas genauer hinschaut, wird allerdings deutlich, dass die Plakate nachträglich angebracht worden waren. Die Graffitis wurden in ungewöhnlicher Geschwindigkeit übermalt. Auch das ein paar Tage nach ihrer Anbringung unter die Collage mit Portraits von Geiseln in großen Lettern gesprühte „Free Palestine“. Für manche, und das auf unterschiedlichen Seiten, stellt die Forderung eines freien Palästinas und der Befreiung der Geiseln offenbar einen Widerspruch dar. Das ist es aber nicht. In dem erwähnten Lokalzeit-Beitrag wird berichtet, dass es sich hierbei um den ersten Zwischenfall an der HHU nach den Anschlägen vom 7. Oktober handle.

Der interviewte Koordinator der JHG fordert – wegen dieses Vorfalls, komischer Blicke und, weil die Universität nach einem Juden benannt ist – dass die Universität, als Zeichen dafür, dass sie sich vor ihre jüdischen Studierenden stellt, die israelische Flagge hissen soll. Er nimmt sich raus, für alle jüdischen Studierenden der HHU sprechen zu können. Außerdem setzt er somit Juden mit Israel gleich und suggeriert, dass alle jüdischen Menschen eine positive Einstellung gegenüber dem Staat Israel besäßen. Die mehrfach geäußerte Forderung, die Israelflagge auf dem Campus zu hissen, lässt daran zweifeln, dass es hier wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus geht. Vielmehr scheint es, als wären die Graffitis ein willkommener Anlass gewesen, um die eigene politische Agenda zurück auf die Tagesordnung zu bringen. Auch die HHU verfasste am 30. Oktober extra einen Instagram-Beitrag, in dem sie die Aktionen „aufs Schärfste“ verurteilte und „sich mit aller Entschiedenheit vor die jüdischen Studierenden auf dem Campus“ stellte. Auch sie trennte nicht zwischen den „pro-palästinensischen Parolen“ und den abgerissenen Geiselplakaten und unterstützte die Behauptung, dass es sich hierbei um antisemitische Taten handle. „Pro-palästinensisch“ wurde somit klar mit „antisemitisch“ verbunden.

Der pro-israelische Aktivismus auf dem Campus gipfelte am 1. Dezember in eine Kundgebung mit dem Titel „Fridays for Israel“, wie es sie bereits in anderen deutschen Städten gegeben hatte. Ein breites Bündnis hochschulpolitischer Listen hatte sich mit der JHG und der jüdischen Gemeinde Düsseldorf zusammengetan, um „gemeinsam für jüdisches Leben und das Existenzrecht Israels“ unter der Collage mit den Portraits von israelischen Geiseln zu demonstrieren. Dass es in erster Linie um pro-israelische Propaganda ging, zeigen die ausgestellten Plakate und die Reden, die für das Leid der Palästinenser einzig und allein die Hamas verantwortlich machten. Die im Hintergrund unter eine israelische Nationalflagge angebrachte Regenbogenflagge mit dem Wort „Liebe“ auf Arabisch und Hebräisch, erinnert schmerzhaft an einen Post auf X der israelischen Regierung, auf dem ein israelischer Soldat in einer grauen Trümmerlandschaft in Gaza steht und eine Regenbogenflagge mit der Aufschrift „In The Name of Love“ hochhält. Als Zeichen der Hoffnung hisse er, selbst Teil der LGBTQ+-Community, „die erste Pride-Flag in Gaza“.

Muslimische Studierende werden vom Rektorat nicht verstanden

Am 13. Dezember äußerte sich die Muslimische Hochschulgemeinde (MHG) mit einem Instagram-Beitrag erstmals auf Social Media zu den Auswirkungen des Nahostkrieges auf den Campus der HHU. Sie berichtete von zahlreichen Nachrichten besorgter und verzweifelter Studierender, welche sie in den letzten Wochen erreicht hatten. In diesen kritisierten muslimische Studierende die unausgewogenen Statements der Universität, berichteten, dass sie sich unsicher fühlten, ihre Identität auf dem Campus zu zeigen, klagten über die mangelnden Angebote zur Unterstützung der Studierendenschaft und auch darüber, dass die MHG sich nicht zum Nahostkrieg geäußert hatte. Die MHG veröffentlichte in ihrem Post, dass sie bereits seit Wochen insbesondere kritisiere, dass die Rhetorik der Hochschulleitung das Leid palästinensischer Studierender verdränge, zu wenig für den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus tue und es an Anlaufstellen für psychologische Beratung mangle. Mails und persönliche Gespräche mit der Hochschulleitung hätten zu nichts geführt, und so habe sich die MHG entschlossen, beim Studierendenparlament einen Antrag vorzubringen, in der Hoffnung, sich dadurch beim Rektorat Gehör zu verschaffen. Die Parlamentssitzung hatte bereits am 11. Dezember stattgefunden und der Antrag war mit der Änderung, dass bei den Forderungen nach Aufklärungsveranstaltungen und einem Konzept für den Umgang mit antimuslimischem Rassismus „Antisemitismus“ ergänzt wurde, angenommen worden. Besonders bedankte sich die MHG bei Campusgrün, dem SDS und dem AStA-Vorstand für die Unterstützung in den letzten Wochen.

Das Studierendenparlament hatte es auch schon, im Gegensatz zum Rektorat, in seinem Beschluss zur „Unterstützung für die durch die Eskalation in Nahost betroffenen Studierenden“ in der Sitzung vom 23. Oktober geschafft, politische Neutralität zu wahren, indem es sich mit israelischen als auch palästinensischen Studierenden und Beschäftigten solidarisierte und Antisemitismus sowie Rassismus und explizit Islamfeindlichkeit verurteilte.

Es wäre wünschenswert, dass das Rektorat der HHU dies auch irgendwann nachholt.

Ein Gastbeitrag von Diese Campus-Stimme

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