Vorurteile und Rassismus gegen Sinti und Roma sind in Deutschland keine Ausnahme, sondern Alltag, wie die WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ am 29. Januar verdeutlichte. Der Aniziganismus, wie dies genannt wird, hat in Deutschland eine mörderische Tradition. Die Art der Artikulation des Antiziganismus hat sich geändert, das Phänomen ist geblieben.
Antiziganismus ist somit kein neues Phänomen, sondern hat eine historische Tradition. Er greift heute, anders als in der Vergangenheit, maßgeblich auf vermeintliche kulturelle Eigenschaften zurück.
Während früher bei denjenigen, die antiziganistischen Rassismus verbreiteten, von „Zigeunern“ geredet wurde, so wurde dies heute selbst bei denen am rechten Rand durch das Wort Roma ersetzt. „Selbst ewig gestrige Organisationen wie die NPD haben die semantische Verschiebung längst vollzogen“, schreibt Wolfgang Stender: „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ lautet ihr Wahlkampfslogan. Ähnlich bei „pro NRW“, die plakatieren ließen: „Heimatliebe statt Roma-Diebe“. In diesen Wahlslogans von Rechtsaußen wird zugleich auch deutlich, mit welchen Stereotypen gearbeitet wird.
Stender führt weiter aus: „Chaos, Irrationalität, selbstverschuldete Armut und vor allem Dreck – unfassbarer Dreck, Müll, Kot – sind die projektiven Assoziationen, die durch reißerische Reportagen und angeblich authentische Reiseberichte ständig befeuert werden“ (Stender 2016:25). Die Vorurteile über Roma lassen sich zusammenfassen: faul, kriminell, dreckig. Stimmungen die von rechtsaußen bis weit in die Mitte hinein geschürt werden, wie zum Beispiel vom Duisburger Oberbürgermeister Sören Link, der erklärte: „Sie kommen nicht wegen der Arbeit, sondern um Sozialleistungen zu beziehen“ oder, dass sich die Nachbarn „nachhaltig gestört (fühlen) durch Müllberge, Lärm und Rattenbefall“, der angeblich von den Roma komme.
Antiziganismus – weit verbreitet
Die Leipziger Autoritarismus-Studie hat untersucht, wie verbreitet bestimmte Vorurteile gegenüber Sinti und Roma in Deutschland sind. Deutlich mehr als die Hälfte (60,4 Prozent) der Bevölkerung ist der Meinung, dass Roma und Sinti zu Kriminalität neigen. Damit wird ihnen von der Bevölkerung zugeschrieben, dass Verbrechen für sie nicht nur kein Problem sei, sondern, dass sie diese selbst begehen.
Dass Roma mit Faulheit und Dreck verbunden werden, wurde von aktuellen Studien bisher nicht umfassend abgefragt, wird aber in verschiedenen Auseinandersetzungen mit Antiziganismus deutlich. „Auch der dritte zentrale Sinngehalt des Antiziganismus, eine umfassende Sorg- und Disziplinlosigkeit, in deren Gegenbild ‚Deutsche‘ als ‚vorsorgend‘, ‚sauber‘, ‚diszipliniert‘ und ‚vernunftgelenkt‘ imaginiert werden, prägt den Diskurs der ‚Armutszuwanderung‘. ‚Roma‘ wurden in der medialen Darstellung beispielsweise eng mit ‚Müll‘ verknüpft“, heißt es in einer Untersuchung des Zentralrats der Sinti und Roma. Die Folgen dieser rassistischen Stereotype werden ebenfalls in der Leipziger-Autoritarismus-Studie deutlich. 56 Prozent der Bevölkerung hätten ein Problem damit, wenn in ihrer Nachbarschaft Sinti und Roma wohnen würden, fast 50 Prozent wollen sogar, dass alle Roma und Sinti aus deutschen Innenstädten verbannt werden. Die Ablehnung gegenüber Roma und Sinti ist dabei im Osten Deutschlands noch höher als im Westen, ist aber insgesamt ein Phänomen, welches nicht nur von kleinen gesellschaftlichen Gruppen geteilt wird, sondern von ca. der Hälfte der Bevölkerung.
Roma als Gegensatz zum eigenen Selbstbild
Zur Selbstwahrnehmung Deutschlands und der deutschen Bevölkerung gehören Werte wie Sauberkeit und Fleiß sowie die Ablehnung von Kriminalität. Diese Werte stehen im Gegensatz zu jenen Werten, die in Deutschland Sinti und Roma zugeschrieben werden, nämlich: Faulheit, Dreck und Kriminalität. Sinti und insbesondere Roma werde somit Gegensatz des eigenen Bildes, welches man über Deutschland zeichnet, sie werden ausgegrenzt durch Othering. Der Antiziganismus beruht somit vor allem auf den negativen Werten, der Sinti und Roma zugeschrieben wird.
Die vermeintlich positiven Zuschreibungen, die angeblich mit dem Z-Wort verknüpft sind, wie es in „Die letzte Instanz“ behauptet wurde, existieren dagegen kaum noch. Liegeois schreibt über die Art von Sinti und Roma, welche innerhalb der Gesellschaft akzeptiert würden: „Man akzeptiert ihn innerhalb des wohlbekannten Rahmens der Folklore oder der Kunst: Musik und Tanz, Zirkus, feurige Lieder, ein Leben nach alter Art im Wohnwagen. Der einzige ‚Zigeuner‘, der akzeptiert und geschätzt wird, ist der mythische, der nicht wirklich existiert“ (Liegeois 2002, S. 238). Somit existiert auch ein exotisierendes Bild der Roma, welches jedoch immer weiter schwindet, wie die Antidiskriminierungsstelle feststellt: „Es sind vor allem die positiv besetzten, romantischen Bilder, die aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein schwinden.“ Die negativen Konnotationen, die wenig gemein haben mit einem romantisierenden Bild von Sinti und Roma, bleiben dagegen erhalten. Und auch jene, vermeintlich positiv romantisierenden Eigenschaften, sind vor allem im Kontext der Othering-Prozesse und somit der Ausgrenzung zu sehen.
Auch im medialen Kontext werden Roma als Abweichung von der Norm dargestellt. In seiner Analyse zum medialen Umgang mit Roma kommt End zu dem Schluss, dass dies häufig durch Befragung geschieht: „Ihre Rolle besteht darin, innerhalb der medialen Erzählung ‚abweichendes Verhalten‘ durch den impliziten oder expliziten Bezug auf die eigene ‚normale‘ Person zu markieren oder zu kommentieren, beispielsweise indem Verwunderung oder Beschämung ausgedrückt wird.“ Den Befragten obliegt es in der medialen Berichterstattung somit, den Gegensatz zwischen den „normalen Deutschen“ und den „anderen“, in diesem Falle den Roma, aufzumachen.
Als Fazit seiner Analyse der medialen Auseinandersetzung mit Roma kommt End zu dem Schluss: „Zunächst muss festgestellt werden, dass Antiziganismus in den Medien weit verbreitet ist und vielerlei Formen annimmt. Er manifestiert sich sowohl in offenen und leicht erkennbaren Formen, als auch in subtiler Weise, die sich erst durch eine Analyse erschließt.“ Antiziganismus ist somit nicht nur in der Politik und im Alltag gegeben, sondern findet auch im medialen Diskurs statt und nimmt dort eine wichtige Rolle ein, bei der Darstellung von Roma und Sinti.
Antiziganismus – Unterschätztes Problem
Antiziganismus hat viele Komponenten und er spiegelt sich sowohl im Alltagsbewusstsein der Bevölkerung wie auch in Politik und Medien wider. Das Ausmaß der Verbreitung verdeutlicht das Zusammenspiel der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure des Antiziganismus. Auffällig ist jedoch auch, welch geringe Rolle der Antiziganismus im antifaschistischen und antirassistischen Kampf spielt. So wird die Ermordung der Sinti und Roma durch die deutschen Faschisten im Zweiten Weltkrieg häufig nur am Rande thematisiert. Verständlicherweise ist der Begriff der „Schoah“, Hitlers Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden, uns allen bekannt. Doch gewiss können nur die allerwenigsten etwas mit dem Begriff „Porajmos“ anfangen (deutsch: „das Verschlingen“), Hitlers Genozid an den europäischen Sinti und Roma also.
Die Thematisierung der heutigen Hetze gegen die marginalisierte Gruppe der Sinti und Roma bleibt auch in antirassistischen Kontexten eine Randerscheinung. Es ist höchste Zeit, dass sich dies ändert.
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2 Antworten
Danke sehr.
Also daß Antiziganismus ein vergessener Rassismus wäre, das kann ich überhaupt nicht bestätigen. „Antiziganistizismus“ sells.
Seit Jahren rührt eine Ges. f. Antiziganismusforschung (Marburg) die Trommel für das Theman, vom Zentral der Dt. Sinti & Roma ganz abgesehen. In Hamburg versucht eine Europ. Ges. f- Antiziganismusforschung an dem Kuchen etwas abzubekommen. Mancher der „Antiziganismusforscher“ (allen vora wohl ein Markus End“ reisen mit ihrem „Antiziganismusköfferchen“ durch die Lande. An der Uni Heidelberg wurde eine entsprechender Posten geschaffen. Eine finanziell üppig ausgestattete Kommission wurde von der Bundesregierung zum Thema eingesetzt. Die Publikationen zum Thema sind schon kaum mehr überschaubar.