Das Wort Zigeuner erinnert an das große Leid unserer Vorfahren – Im Gespräch mit Francesco Arman

Seit dem vergangenen Wochenende wird in Deutschland über die Frage diskutiert, wie man über Rassismus und Antiziganismus reden kann und welche Rolle die Betroffenen dabei spielen (sollten). Auslöser war die Sendung „Die letzte Instanz“, in der überhebliche Witze über Minderheiten wie Sinti und Roma und ihren Wunsch nach Akzeptanz gemacht wurden.

Wir unterhielten uns über diesen Themenkomplex mit Francesco Arman. Francesco ist deutscher Sinto und Stadtrat im Gießener Magistrat für DIE LINKE.


Die Freiheitsliebe: Am vergangenen Wochenende fand die Sendung Die letzte Instanz statt. Es wurde auch über die Frage debattiert, ob es denn notwendig sei, eine Sauce, die einen abwertenden Namen für Sinti und Roma trug, umzubenennen. Wie hast du die Sendung wahrgenommen?

Francesco Arman: Ich muss gestehen, dass ich das Format nicht kannte und zunächst dachte, dass das wieder so eine schräge und nicht gelungene Satire sein soll. Je länger die Sendung dauerte, desto fassungsloser wurde ich. Ausschließlich Vertreter der Mehrheitsgesellschaft argumentierten in einer paternalistischen Art und Weise über Minderheiten. Da wurde der scheußliche Begriff „Zigeuner“ regelrecht romantisiert und somit als legitim dargestellt. Auch die Äußerungen über den Zentralrat der Sinti und Roma in Heidelberg haben mich getroffen. Der Zentralrat macht seit Jahrzehnten eine gute Arbeit und kämpft unermüdlich um die Anerkennung der Sinti und Roma, die so gut wie keine Lobby haben.

Die Freiheitsliebe: Die Äußerung, dass man das Z-Wort doch sagen können müsse, wird auch allgemein relativ lautstark geäußert. Wie kommt es dazu?

Francesco Arman: Der Begriff „Zigeuner“ und gerade in Verbindung mit „Zigeunersauce“ wird von einem Großteil der Mehrheitsbevölkerung verteidigt. Die Argumentationen erscheinen sehr vielschichtig, aber im Kern sind sie sehr oberflächlich. Eines der Argumente, das mir oft
begegnet, lautet: Mit dem Begriff „Zigeuner“ verbinde man Adjektive wie „feurig“, „frei sein“, „Schärfe“ etc. Das sei doch positiv. Man solle sich jetzt mal nicht so anstellen. Oft wird auch geäußert, dass der Begriff „Zigeunersauce“ eine Tradition darstellen würde und diese Form der
Tradition möchte man sich nicht nehmen lassen, weil dies einer Bevormundung gleichkommen würde. Mir ist es wichtig, dass ich weder ein Sprech- noch Denkverbot erteilen möchte. Jedoch habe ich, und das kann ich ich stellvertretend auch im Namen der meisten Sinti und Roma
sagen, eine sehr negative Assoziation zu dem Begriff und dies auch auf mehreren Ebenen.

In der Zeit des deutschen Faschismus wurden Sinti und Roma, ähnlich der jüdischen Bevölkerung, ein „Z“ und eine mehrstellige Zahl in den Unterarm tätowiert, bevor sie in Viehwaggons in ein Vernichtungslager deportiert wurden. Der Begriff „Zigeuner“ hat somit für mich nichts Positives. Im Gegenteil, er erinnert mich immer wieder schmerzhaft an das große Leid, welches unsere Vorfahren erleiden mussten.

Die Freiheitsliebe: Was sind die Ursprünge des Begriffs?

Francesco Arman: „Wir wollen Sinti und Roma genannt werden und nicht ‚Zigeuner‘“.

Francesco Arman: Der Begriff „Zigeuner“ leitet sich aus dem altgriechischen Wort „Athinganos“ ab und lässt sich so in etwa mit die „Unberührbaren“ übersetzen. Dieser Begriff entstammt also keineswegs aus dem Romanes und es gibt auch kein Gegenstück im Romanes dazu. Es ist schlichtweg eine Fremdbezeichnung, die voller Klischees ist. Der Begriff „Zigeuner“ ist voller Stereotype und konstruiert mich als deutschen Sinto zu einem politischen Subjekt, dessen Eigenschaften maßgeblich negativ sind. Auch wenn es vermeintliche positive Stereotype beinhaltet wie beispielsweise „temperamentvoll“ oder „frei“, sind und bleiben es Zuschreibungen. Darum ist die Bezeichnung „Zigeuner“ für mich untrennbar mit rassistischen und in der weiblichen Form auch mit sexistischen Zuschreibungen verbunden. Diese Zuschreibungen haben sich seit Jahrhunderten reproduziert und zu einem geschlossenen sowie aggressiven Feindbild gegenüber uns Sinti und Roma verdichtet.

Die Freiheitsliebe: Welche Rolle hat das Wort im Faschismus und wie war die Situation der Sinti und Roma unter dem Hitler-Faschismus?

Francesco Arman: Schon in der Weimarer Republik waren Sinti und Roma von den Behörden erfasst und entrechtet worden, waren strenger polizeilicher Überwachung und strengen Aufenthaltsbeschränkungen ausgesetzt. Während des deutschen Faschismus haben alle Sinti-und-Roma-Familien Menschen in den Vernichtungslagern verloren. Dies hat sich bei uns Sinti und Roma in ein kollektives Gedächtnis eingebrannt. An Sinti und Roma wurden in den Vernichtungslagern medizinische Versuche ausgeübt. Viele Frauen wurden sterilisiert, bevor sie ermordet wurden. Die sogenannten „Nürnberger Rassegesetze“ schlossen 1935 Sinti und Roma genau wie die Juden aus der „Volksgemeinschaft“ aus. 1938 wurde eine „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ eingerichtet. Im selben Jahr wurde ein Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ erlassen.

Für die Sinti und Roma war ein eigener Bereich im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau eingerichtet – das sogenannte „Zigeunerlager“. Bis zu 800 Menschen wurden in einer Baracke zusammengepfercht. Von den rund 22.600 Häftlingen, die dort untergebracht waren, starben mehr als 19.000. All diese Traumata wirken bis heute auf die nachfolgenden Generationen der Sinti und Roma nach. Das hat mich auch so sehr geprägt, dass ich Antifaschist wurde und mir es immer wichtig war, mich für Menschen einzusetzen, die diskriminiert werden. Es muss immer wieder klar gemacht werden: Die Ungleichheit zwischen den Menschen in unserer Gesellschaft ist gesellschaftlich produziert und nicht natürlich.

Die Freiheitsliebe: Warum sind trotz des Völkermords auch heute noch in Deutschland so viele Stigmata gegen Roma und Sinti verbreitet? Hat die Aufarbeitung der deutschen Geschichte in diesem Bereich nicht funktioniert?

Francesco Arman: Der Völkermord während des deutschen Faschismus wurde in der Bundesrepublik Deutschland erst sehr spät und auch nur zaghaft aufgearbeitet. Entschädigungsanträge von Sinti und Roma lehnten die bundesdeutschen Behörden in der Regel mit dem Argument ab, es habe sich nicht um rassistische Verfolgung gehandelt. Bis 1963 war ein Urteil des Bundesgerichtshofs in Kraft, welches die Deportation der Sinti und Roma nicht als Verbrechen, sondern als eine „präventive Verbrechensbekämpfung“ interpretierte. Erst in den frühen achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte durch die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma ein Umdenken. Ein Vorreiter dieser Bewegung war und ist immer noch Romani Rose, der durch sein unermüdliches Engagement viel erreicht hat. Jedoch zeigt der derzeitige Diskurs in der Gesellschaft, dass die Jahrhundertelange Abwertung der Sinti und Roma auch heute noch bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht.

Die Freiheitsliebe: Welche Maßnahmen braucht es, um gegen Antiziganismus vorzugehen?

Francesco Arman: Es braucht zweierlei: Wir, Sinti und Roma, müssen unsere Bemühungen weiter verstärken, uns selbst zu organisieren. Dass wir in ganz Europa leben und die Meisten keine angemessen Teilhabe an den Bildungsmöglichkeiten der jeweiligen Länder erhalten, macht das nicht einfach. Aber nur wenn wir uns organisieren und unsere Belange selbst in die Hand nehmen und uns einmischen, haben wir die Möglichkeit, die Verhältnisse zu verändern. Die Geschichte hat uns leider gelehrt, dass wir uns auf uns selbst verlassen können müssen, um nicht dem Wohlwollen anderer ausgeliefert zu sein.

Der Kampf gegen Antiziganismus ist auch eine soziale Frage. Solange die Mehrheit von uns in bitterer Armut leben muss, solange wird es auch weiterhin den Nährboden für Vorurteile und Ausgrenzung geben. Gleichzeitig muss das Thema Antirassismus immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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