Die Vorfälle in Bounti verdeutlichen, wie gerade die internationale Truppenpräsenz und der Krieg gegen den Terror zur Eskalation beitragen können.
Am Samstag, den 2. Januar 2021, wurden laut Angaben des französischen Verteidigungsministeriums zwei Angehörige der Barkhane-Mission in Mali bei einem Aufklärungseinsatz durch eine improvisierte Sprengfalle getötet. Verteidigungsministerin Florence Parly twitterte „Frankreich hat zwei seiner Kinder verloren“, ihr Ministerium veröffentlichte eine Collage mit den Portraits der zwei Getöteten, Yvonne Huynh und Loïc Risser, vor dem Hintergrund der Trikolore.
Yvonne Huynh sei demnach die erste weibliche französische Soldatin, die in Mali gefallen ist. Sie war 33 Jahre alt und sei bereits das zweite Mal in Mali im Einsatz gewesen. Loïc Risser ist gerade mal 24 Jahre alt geworden und war bereits zum dritten Mal in Mali stationiert. Erst wenige Tage zuvor, am 28. Dezember, waren drei weitere französische Soldaten durch einen Sprengsatz getötet worden. Insgesamt sei damit die Zahl der in Mali gefallenen Angehörigen der französischen Streitkräfte auf 50 gestiegen.
Die Luftschläge
Bereits am folgenden Tag, dem 3. Januar, führte die französische Luftwaffe gegen 15 Uhr Ortszeit im Zentrum Malis Luftschläge durch, bei denen nach französischen Angaben etwa 30 Angehörige einer (nicht näher benannten) bewaffneten terroristischen Gruppe (groupes armés terroristes, GAT) getötet wurden. Der Angriff sei über einen Kilometer außerhalb des Ortes Bounti erfolgt, nachdem eine Reaper-Drohne die Personengruppe über anderthalb Stunden beobachtet habe.
Daraufhin seien zwei ohnehin auf Patrouille befindliche Kampfflugzeuge des Typs Mirage angefordert worden, die drei Bomben auf die Gruppe abgeworfen hätten. Diese sei durch die Beobachtung eindeutig als GAT identifiziert worden und der Tod von Frauen und Kindern könne ausgeschlossen werden, so eine Stellungnahme des französischen Verteidigungsministeriums, die allerdings erst vier Tage später veröffentlicht wurde.
Von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Ortes hingegen wird der Vorfall gänzlich anders dargestellt. Demnach habe ein sehr niedrig fliegender, unidentifizierter Helikopter die Bewohner angegriffen und dabei etwa 20 von ihnen, die zu einer Hochzeitsgesellschaft gehört hätten, getötet. Eine NGO, welche die Interessen der Volksgruppe der Peul vertritt (Jeunesse de Tabital Pulaaku), hat eine entsprechende Liste der Getöteten veröffentlicht, zu denen auch der Vater des Bräutigams gehöre.
Diese Vorwürfe wurden auch von internationalen Medien wie der BBC und dem EUObserver aufgegriffen und mit Aussagen namentlich genannter Dorfbewohner oder anonymisiert wiedergegebenen Personals einer Gesundheitsstation unterlegt, die sich unter anderem gegenüber den Agenturen Reuters, AFP und AP geäußert hätten. Der Guardian zitiert einen Verwundeten, der gegenüber AP wohl eine dritte Version des Vorfalls geschildert hat.
Demnach wären „die Extremisten“ auf die zivilen Hochzeitsgäste zugegangen und hätten diese aufgefordert, die Männer von den Frauen zu separieren. Während man dies umgesetzt habe, sei ein Flugzeug aufgetaucht und hätte sofort einen Angriff durchgeführt. Danach habe er nichts mehr mitbekommen, weil er bewusstlos gewesen sei.
Das malische Verteidigungsministerium machte sich die französische Darstellung zu eigen und wies die Berichte über zivile Opfer als „Propaganda“ zurück, welche „die heilsbringenden Bemühungen der malischen Sicherheitskräfte und ihrer Partner im Kampf gegen den Terrorismus“ diskreditieren wollten.
Klare Unterscheidung zwischen Terroristen, Extremisten und der Zivilbevölkerung gibt es nicht
Interessant ist außerdem eine Pressemitteilung der humanitären Organisation Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen, MSF), die nach eigenen Angaben schwer verwundete Opfer den Angriffs in Bounti behandelt habe. Zum Zeitpunkt des Angriffs sei sie nicht vor Ort gewesen und könne deshalb keine Angaben „zu den Umständen des Vorfalls machen, um den es immer noch viel Verwirrung“ gäbe.
Zwar spricht die Mitteilung von einer „Bombardierung“, beschreibt jedoch die Opfer als „überwiegend ältere Männer“ die Wunden von Explosionen, Schrapnelle und Gewehrschüssen aufgewiesen hätten. Gewehrschüsse allerdings passen nicht unbedingt zu einem Luftangriff durch Mirage-Kampfflugzeuge.
Über den tatsächlichen Hergang lässt sich also nur spekulieren. Der Verdacht, dass es sich um einen Vergeltungsangriff gehandelt hat, liegt jedenfalls nahe. Auch andernfalls wäre es bezeichnend, wenn sich in Mali regelmäßig mit Bomben bestückte Kampfflugzeuge auf Patrouille befinden und kurzfristig für Luftschläge bereitstehen würden. Dass das französische Verteidigungsministerium nach gut 90-minütiger Beobachtung durch eine Reaper-Drohne eine 30-Personen-Gruppe als eindeutig und vollständig terroristisch identifiziert und zur Eliminierung freigibt, wirft ebenso ein klares Licht auf dessen Vorgehen in Mali.
Bemerkenswert ist auch der Verweis in der offiziellen, aber erst am 7. Januar veröffentlichten Darstellung des Ministeriums, wonach die Luftschläge in einem Gebiet stattgefunden hätten, das die GAT für logistische Operationen und die Vorbereitung von Sprengsätzen genutzt werde. Das klingt schon ein wenig nach Kollektivschuld nach dem Motto „es wird schon nicht die Falschen getroffen haben“.
So oder so ist davon auszugehen, dass eine klare Unterscheidung zwischen Terroristen, Extremisten und der Zivilbevölkerung, wie sie sich die Militärs wünschen und nach außen suggerieren, nicht existiert. Die Verurteilung des Angriffs durch die lokale Bevölkerung und zivilgesellschaftliche Organisationen, die eine Bevölkerungsgruppe vertreten, die immer wieder pauschal der Kollaboration mit den GAT verdächtigt wird und in ihrer Gesamtheit Ziel von Übergriffen der malischen „Sicherheitskräfte“ wird, lässt sich jedenfalls nicht wegdiskutieren.
Deren pauschale Zurückweisung durch das malische Verteidigungsministerium und dessen klare Parteinahme für Frankreich als Partner der eigenen „Sicherheitskräfte“ scheint bestens geeignet, die Spaltung der Gesellschaft weiter voranzutreiben.
„Krieg gegen den Terror“-Problem auch für die Bundesregierung
Aufklärung könnten in solchen Fällen unter geeigneten Umständen die UN bringen, die in Mali eine über 10.000 Kräfte umfassende Mission (MINUSMA) unterhält. Zwar deckt die MINUSMA auch immer wieder Übergriffe des malischen Militärs, darunter summarische Hinrichtungen und Folter unter anderem von Angehörigen der Peul auf, zum Vorgehen des französischen Militärs hält sie sich aber bedeckt.
Zu den Luftangriffen auf Bounti findet sich bislang keine Stellungnahme der UN oder der MINUSMA. Dasselbe gilt für die Bundesregierung, die mit über 1.000 Kräften an MINUSMA beteiligt ist und zudem eine EU-Mission leitet, mit der angeblich über 90 Prozent des malischen Militärs ausgebildet wurden.
Nach außen stellt man die Sache gerne so dar, als hätte das alles nichts miteinander zu tun: Die Massaker der malischen Armee und der Putsch ihrer Führung im vergangenen August auf der einen Seite und deren Ausbildung durch Deutschland, Frankreich und die EU auf der anderen ebenso wenig, wie die „Peacekeeping“-Truppe MINUSMA mit dem französischen „Krieg gegen den Terror“.
In Wirklichkeit allerdings ist alles eng miteinander verwoben und wäre weder die EU-Ausbildung noch die französische Anti-Terror-Kriegführung ohne die MINUSMA möglich. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die chirurgische Einsatzversorgung des deutschen MINUSMA-Kontingents in Gao erfolgt im Rahmen der französischen Operation Barkhane im benachbarten Feldlager neben dem gemeinsam genutzten Flughafen im Norden Malis.
Die Versorgung beider erfolgt über einen gemeinsamen deutsch-französischen Lufttransportstützpunkt im benachbarten Niger, wo die deutschen und französischen Soldaten gemeinsam von einer französischen Feldküche versorgt werden.
Obwohl sich das Interesse der deutschen Öffentlichkeit am Bundeswehreinsatz in Mali in Grenzen hält, wird auch hier zunehmend über die ständige Eskalation in der Region berichtet. Dabei wird immer wieder erstaunt festgestellt, dass sich diese trotz der massiven internationalen Truppenstationierungen vollzieht. Auch in Teilen Malis, vor allem der Hauptstadt, nimmt man die Gleichzeitigkeit von Aufrüstung und Eskalation offenbar überwiegend mit Erstaunen zur Kenntnis.
Wachsender Unmut gegen die „bösen Buben“
Entsprechend wächst auch der Unmut, der sich zunehmend vor allem gegen die Militärpräsenz der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich richtet, während der MINUSMA eher Tatenlosigkeit oder Handlungsunfähigkeit unterstellt wird. Die Vorfälle in Bounti jedoch verdeutlichen, wie gerade die internationale Truppenpräsenz und der „Krieg gegen den Terror“ zur Eskalation beitragen können.
Die eindeutige Parteinahme der von den Putschisten eingesetzten malischen Regierung für das französische Vorgehen könnte auch diese jedoch in zunehmende Bedrängnis bringen. Bislang hatte sich Frankreich ganz gut eingerichtet in der Rolle des einsamen und einzigen „bösen Buben“.
(Apropos „böse Buben“: Die zwei Gefallenen vom 2. Januar gehörten dem 2. Husarenregiment an, spezialisiert auf gepanzerte Aufklärung. Das Regiment ist aufgeteilt in neun Kompanien, die meist nach mehr oder weniger ruhmreichen, historischen Schlachten benannt sind. Das 2. Regiment etwa ist benannt nach der Schlacht von Sidi Brahim, einer der (für Frankreich) verlustreichsten Niederlage bei der brutalen, kolonialen Eroberung Algeriens im September 1845.)
Dieser Text von Christoph Marischka erschien auf der Informationsstelle Militarisierung e.V.
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