Shuhada Street in Al-Khalil, Hebron, Palästina, 2012. Der rechte Weg ist für Palästinenser:innen, die Straße links für israelische Siedler, Soldaten, Touristen. Copyleft Christoph Glanz.

Das ist Apartheid.

Das israelische Regime befördert und verewigt ein System jüdischer Vorherrschaft zwischen Jordan und Mittelmeer.

Hiermit veröffentlicht B’Tselem ein neues Positionspapier, welches detailliert darstellt, dass das israelische Regime in allen Gebieten, die es kontrolliert (israelisches Hoheitsgebiet, Ost-Jerusalem, Westbank und Gazastreifen) Apartheid betreibt. Den verschiedenen Ausformungen israelischer Politik liegt ein durchgängiges Prinzip zugrunde: die Herrschaft und Überlegenheit einer Gruppe von Menschen – Jüdinnen und Juden – über eine andere Gruppe von Menschen – Palästinenser:innen – zu befördern und zu verewigen.

Wir veröffentlichen einen Bericht der israelischen Menschenrechts-NGO B’Tselem, der am Dienstag auf Englisch erschien und von Christoph Glanz für Die Freiheitsliebe übersetzt wurde.

In diesem Dokument weist B’Tselem die Wahrnehmung Israels als einer Demokratie (innerhalb der Grünen Linie), die simultan eine vorübergehende militärische Besatzung (jenseits derselben) betreibt, zurück. B’Tselem ist nach gründlicher Betrachtung israelischer Praktiken und Gesetze zur Kontrolle der Palästinenser:innen zu dem Schluss gekommen, dass die israelische Herrschaft die Kriterien eines Apartheidregimes erfüllt.

Das Schlüsselinstrument Israels, um das Prinzip jüdischer Vorherrschaft zu implementieren, besteht darin, dass Raum geographisch, demographisch und politisch strukturiert wird. Jüdinnen und Juden können ihrem Alltag in einem einzigen, zusammenhängenden Raum nachgehen, in dem sie alle Rechte und Selbstbestimmung genießen. Im Gegensatz dazu, leben Palästinenser:innen in einem Raum, der in verschiedene Einheiten fragmentiert ist, in denen jeweils andere Rechtssysteme gelten – diese Rechte werden von Israel erteilt oder vorenthalten, doch sie sind durchgehend geringer als jene, über die Jüdinnen und Juden verfügen.

Das israelische Regime verfolgt dieses Prinzip in vier verschiedenen Hauptbereichen:

  • Land – Israel arbeitet daran, sein vollständiges Herrschaftsgebiet zu judaisieren, und behandelt dabei Land als eine Ressource, die hauptsächlich der jüdischen Bevölkerung zugutekommen soll. Seit 1948 hat Israel über 90% des Landes innerhalb der Grünen Linie (israelisches Staatsgebiet) in seinen Besitz gebracht und darauf hunderte Gemeinden für die jüdische Bevölkerung gebaut. Seit 1967 hat Israel diese Politik auch in der Westbank angewendet und dort 280 Siedlungen für 600.000 jüdisch-israelische Siedler:innen erbaut. Israel hat im gesamten Gebiet, das sich vom Mittelmeer bis zum Jordan erstreckt, keine einzige Ansiedlung für die palästinensische Bevölkerung gebaut (die einzige Ausnahme hierzu: einige Gemeinden, die mit dem Zweck erbaut wurden, die beduinische Bevölkerung zu konzentrieren, nachdem die meisten der beduinischen Eigentumsrechte enteignet wurden).
  • Staatsbürgerschaft – Jüdinnen und Juden, ihre Kinder und Enkel sowie deren Partner:innen haben ein Anrecht auf die israelische Staatsbürgerschaft. Im Gegensatz dazu können Palästinenser:innen nicht in die von Israel kontrollierten Gebiete immigrieren, sogar dann nicht, wenn sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern ebenda geboren sind und dort gelebt haben. Israel macht es Palästinenser:innen, die in einem ihrer Kontrollbereiche leben, schwer, einen offiziellen Status in einer anderen Zone zu erlangen, und hat Gesetze erlassen, die es Palästinenser:innen, die Israelis heiraten, verbietet, innerhalb der Grünen Linie einen offiziellen Aufenthaltsstatus zu erhalten.
  • Bewegungsfreiheit – Israelis genießen Bewegungsfreiheit in allen von Israel kontrollierten Gebieten mit Ausnahme des Gazastreifens und dürfen das Land nach eigenem Ermessen frei verlassen und wieder in dieses einreisen. Palästinensische Menschen jedoch brauchen eine spezielle von Israel ausgestellte Genehmigung, um zwischen den verschiedenen Zonen (und manchmal sogar innerhalb dieser) zu verkehren. Eine Reise ins Ausland bedarf ebenfalls einer israelischen Genehmigung.
  • Politische Beteiligung – Palästinensische Bürger:innen Israels dürfen wählen und sich für Ämter aufstellen lassen, doch führende Politiker:innen unterminieren fortlaufend die Legitimität der palästinensischen politischen Vertreter:innen. Die ungefähr fünf Millionen Palästinenser:innen, die in den besetzten Gebieten einschließlich Ost-Jerusalems leben, können an dem politischen System, das sie regiert und ihre Zukunft bestimmt, nicht aktiv teilnehmen. Andere politische Rechte werden ihnen ebenfalls vorenthalten, so zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Vereinsfreiheit.

Im gesamten Gebiet liegt die Kontrolle über diese Aspekte des Lebens vollständig in den Händen Israels – mithin der einzigen Macht, die das Bevölkerungsregister, die Landzuweisung, die Wahlregister, das Recht (oder die Verweigerung selbigen) auf Bewegungsfreiheit innerhalb des Gebietes sowie der Ein- und Ausreise aus dem Land bestimmt. Das israelische Regime wird zunehmend expliziter bezüglich der ihm zugrundeliegenden suprematistischen Ideologie. Dieser Prozess der Demaskierung kann an zwei Meilensteinen der letzten Jahre festgemacht werden. Der eine war die Verabschiedung eines Gesetzes mit Verfassungsrang (Nationalstaatsgesetz) namens: „Israel – Der Nationalstaat des jüdischen Volkes“, welcher die Unterscheidung zwischen Juden und Nicht-Juden für fundamental und legitim erklärt und die institutionelle Diskriminierung auf Gebieten des Landmanagements und Landentwicklung, des Wohnungsmarkts, der Staatsangehörigkeit, der Sprache und der Kultur erlaubt. Der andere Meilenstein waren die offiziellen Regierungserklärungen bezüglich der formalen Annexion weiterer Teile des Westjordanlands, was einen klaren Beleg für Israels langfristige Intentionen darstellt und die Behauptungen einer angeblich „temporären Besatzung“ widerlegt.

B´tselem möchte betonen, dass die militärische Besatzung nicht geendet hat: Palästinenser:innen in der Westbank bleiben auch weiterhin direkt betroffen, während die Bevölkerung des Gazastreifens unter militärischer Kontrolle lebt, die hier jedoch von außerhalb ausgeübt wird. Gleichzeitig kann man die Vorstellung, Israel sei auf der einen Seite der Grünen Linie eine „Demokratie“, während es auf der anderen Seite derselben nur „temporär“ Millionen von Menschen unter Besatzung hält, nur als realitätsfremd bezeichnen. Diese Darstellung ignoriert die Tatsache, dass dieser Status quo bereits seit mehr als 50 Jahren in Kraft ist und sieht konsequent über die Hunderttausenden von Siedler:innen hinweg, die östlich der Grünen Linie leben. Sie vertuscht die De-jure-Annexion Ost-Jerusalems und die De-facto-Annexion der Westbank. Diese Fakten führen uns zur Überzeugung, dass wir es nicht mit zwei parallelen Regimes zu tun haben, sondern mit einem einzigen, welches das gesamte Gebiet und alle Menschen, die darin leben, beherrscht.

Hagai El-Ad, Vorsitzender von B´tselem: „Die grundlegenden Dogmen des israelischen Regimes werden, obwohl sie bereits seit vielen Jahren praktisch angewendet werden, in letzter Zeit zunehmend expliziter benannt. Diese Tendenz sehen wir sowohl in der Diskussion um die De-jure-Annexion, die Jahrzehnten der De-facto-Annexion folgte, als auch in der Verabschiedung des Nationalstaatsgesetzes, welches die existierende Diskriminierung der Palästinenser:innen in ein offen vertretenes Prinzip mit Verfassungscharakter umwandelte. Israel ist keine Demokratie, an die sich separat eine temporäre Besatzung angliedert: Vielmehr herrscht zwischen Jordan und Mittelmeer ein einziges Regime und daher müssen wir das gesamte Bild betrachten und es als das bezeichnen, was es ist: Apartheid. Diese nüchterne Analyse der Realität braucht uns nicht verzweifeln zu lassen, im Gegenteil. Dies ist ein Aufruf zum Wandel. Denn Menschen haben dieses Regime erschaffen und daher können Menschen es auch verändern.“

Hier geht es zum englischen Original dieser Presseerklärung und hier geht es zum vollständigen Bericht.

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Eine Antwort

  1. Diese Seite ist gut im Lügen – böswillig wird eine völlige Umkehrung der Verhältnisse berichtet, hauptsächlich durch Verschweigen wesentlicher Bestandteile des Konflikts. –
    Es hätte einen arabischen Staat Palästina geben können, wenn die Araber in einen Teilungsplan eingewilligt hatten. – Sie haben zu jedem späteren Friedensplan ‚Nein‘ gesagt, Israel von Anfang mit Terror überschüttet & stellen sich immerfort als Opfer dar. – in Israel leben ca. 20 % arabische Bevölkerung in Gleichberechtigung, während in arabischen Staaten fast alle Länder mittlerweile den Großteil ihrer Juden vertrieben, enteignet & ermordet haben – auf welcher Seite liegt also die apartheit?

    Die Forderung all die Vertriebenen & angeblich Vertriebenen in der bereits Enkel- & Urenkel-Vermehrung nach Israel ‚zurückkehren‘ lassen, ist nur eine Forderungen Israel zu eliminieren, durch arabische Mehrheit, was, wie wir wissen, in allen arabischen Ländern passiert ist ..

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