Von Ungarn über Italien, Brasilien und die USA erleben Rassisten und Faschisten einen Aufschwung. Charlie Kimber schaut sich an, was dahintersteckt, und wie wir diesem Geschehen Einhalt gebieten können.
Eine Reihe gewalttätiger, rassistischer und faschistischer Bewegungen erleben aktuell einen Aufschwung. In manchen Fällen sind sie an der Regierung oder stellen sich zu Wahlen, anderswo sind sie noch unbedeutend, hoffen aber auf den Durchbruch.
Die Wahl des rechtsaußen stehenden Jair Bolsonaro in Brasilien Ende Oktober 2018 unterstrich, dass dies nicht die Ausnahme in einigen wenigen Regierungen ist, sondern ein an vielen Orten der Erde auftretendes Phänomen.
Zäune und Mauern werden errichtet, Stacheldraht wird ausgerollt. Gesetze zur Ausweisung und Abschreckung von Migranten werden von willigen Parlamenten durchgenickt. In den Straßen gibt es gewalttätige Übergriffe und Morde. Muslime werden verfolgt und widerwärtiger Antisemitismus tritt zutage.
Die betreffenden Parteien und Individuen sind verschiedenen Ursprungs, haben unterschiedliche politische Programme und sind unterschiedlich sozial verankert. Weder ist, zum Beispiel, Matteo Salvini von der Liga in Italien dem amtierenden indischen Premierminister Narendra Modi gleichzusetzen, noch Donald Trump in den Vereinigten Staaten.
Es gibt faschistische Gruppen, die die Uniformen und Abzeichen der Faschisten der 1930er Jahre nutzen, wie die Jobbik in Ungarn. Es gibt auch Parteien, die nicht, oder noch nicht faschistisch sind, innerhalb derer sich aber eine beträchtliche Anzahl von Faschisten organisiert. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist dafür ein deutliches Beispiel.
Dann gibt es Rechte, die für die Regierungsmehrheit Faschisten brauchen. Die österreichische Regierung zum Beispiel besteht aus einer rassistischen konservativen Zentrumspartei und einer faschistischen Partei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan formte eine „Volksallianz“ mit der faschistischen MHP-Partei für Präsidents- und Parlamentswahlen 2018. Und jetzt könnte er ohne sich nicht regieren.
Die Unterschiede sind wichtig. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass nicht alle diese rassistischen, rechtsextremen Parteien und Gestalten Faschisten sind. Die Frage ist nicht, ob jemand gefährlich ist oder nicht.
Die Bedrohung
Sie sind natürlich allesamt eine Bedrohung für die Organisation der Arbeitnehmer und unterdrückter Bevölkerungsgruppen. Auf jeden Fall ist ihnen Widerstand zu leisten. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass Faschismus an der Macht die komplette Zerstörung der Organisation der Arbeitnehmer und des unabhängigen politischen Lebens bedeutet. Da Faschismus noch nicht gesiegt hat, können wir die Macht der arbeitenden Bevölkerung noch nutzen, um ihn zurückzudrängen. Allerdings reicht die Hoffnung nicht, dass unsere Seite sich organisiert. Wir müssen es – dringend – auch tun.
Ein weiterer Faktor ist, dass Faschismus eine Massenbewegung darstellt, welche Milizen auf den Straßen organisiert, um seine Gegner zu zerstören. Es ist nicht einfach eine politische Gruppierung, die in den Parlamenten dem jeweiligen Staatsapparat voransteht.
Aus diesem Grund ist es in Großbritannien wichtig, den Aufmärschen der Unterstützer des Nazis Tommy Robinson entgegenzutreten und ihnen nicht die Kontrolle über die Straßen zu überlassen. Um unseren Gegner zu überwinden, müssen wir ihn verstehen. Der Aufschwung der Rechten ist ein Produkt der Krise des Kapitalismus. Der Kapitalismus hat immer schon Rassismus hervorgebracht, aber dessen Heftigkeit und Muster verschiebt sich mit den Auf- und Abschwüngen des kapitalistischen Systems.
Seit der Finanzkrise haben die Regierungen überall massive Geldmittel an die Banken und Konzerne fließen lassen, um Profite zu sichern. Das hat zu Verärgerung und mancherorts Widerstand seitens derer nach sich gezogen, die geschröpft wurden, um die Wohlhabenden abzusichern. Daraufhin wiederum werden Repression, Zensur, Polizeibefugnisse und Militarismus intensiviert.
Sowohl der in der Türkei als auch der in Frankreich ausgerufene Ausnahmezustand wurde erst dann beendet, als fast sämtliche der undemokratischen Befugnisse in bleibendes Recht umgewandelt waren. Die Polizei – und mitunter außerhalb des staatlichen Systems operierende Kommandos – bekommen freie Hand festzunehmen oder sogar zu töten.
Entfesselt
Präsident Rodrigo Duterte in den Philippinen ließ die Polizei auf diejenigen los, die sie für Drogenabhängige hielten. Mindestens 6000 Menschen wurden getötet. Regierungen bemühen die Idee einer „nationalen Einheit“, um die Opposition zu zersplittern und genügend Wähler zu vereinen, um eine Wahl zu gewinnen.
Dementsprechend werden manche Gruppen als fremd bezeichnet, im Gegensatz zu denen, die als anständige und hart arbeitende Mehrheit der Staatsbürger dargestellt werden. Somit wird bewusst Rassismus geschürt und den weiter rechts außen Stehenden der Weg geebnet.
Die Islamfeindlichkeit wurde und wird von Regierungen genutzt, um Muslime auszugrenzen und Kriege im Mittleren Osten zu legitimisieren. Die Islamfeindlichkeit ist der Leim, der die extreme Rechte zusammenhält.
Theresa Mays „hostile environment“ gegenüber Migranten gibt den Lügen eines Tommy Robinson Vorschub. (Die Politik der „feindseligen Umgebung“ setzt Theresa May seit ihrer Zeit als Innenministerin systematisch ein, vorwiegend gegenüber Migranten, um sie auch bei berechtigten Ansprüchen zur Ausreise zu bewegen (Anm. d. Übers.)) . Die höhnischen Bemerkungen des derzeitigen Innenministers Sajid Javid gegen Asiaten und Muslime werden von der (rechtsextremen Anm. d. Übers.) Democratic Football Lads Alliance gefeiert.
Die Rechte hat bewusst die Schutzwälle abgebaut, die in früheren Zeiten gegen den Faschismus errichtet worden waren. Wie es der ungarische Philosoph und Analytiker G. M. Tamas formuliert, nach dem Horror des Holocaust herrschte weitverbreitete Akzeptanz dafür, dass „niemand aus der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollte“.
Er fügt hinzu, dass dies immer schon eine verlogene und nicht universell geltende Realität war, dass zum Beispiel die Bevölkerung von Kolonien und viele Schwarze nicht einbezogen waren.
Jedoch waren politische Grundrechte nicht formell an Rasse oder Religion gebunden. Tamas weist darauf hin, dass sich das unter der Einwirkung von Rassismus inzwischen geändert hat.
So behauptet der ungarische Premierminister Victor Orban, dass die Roma, legale Einwohner Ungarns, Menschen minderer Qualität seien.
Salvini sagt, dass 500 000 Migranten aus Italien ausgewiesen werden müssen. Trump droht damit, die Bürgerrechte mancher in den USA lebender Menschen zu entfernen. Inzwischen ist es nicht einmal mehr ein schmutziges Geheimnis, dass Menschen so behandelt werden können.
„Raus mit euch! Haut ab! Kommt nicht hier her!“ Das ist die Sprache der neuen Rechtsextremen und Faschisten. Herrschaften, die aus Ministerlimousinen aussteigen, wiederholen die Parolen rassistischer Straßenmobs. Heutzutage wird es in Europa akzeptiert, dass es in Griechenland Internierungslager voller Flüchtlinge gibt.
Es wird auch akzeptiert, dass Menschen in Nordfrankreich in der Kälte ausharren müssen statt nach Großbritannien einwandern zu dürfen. Wir wissen alle, dass tausende Ertrinkende im Mittelmeer im Stich gelassen werden, die versuchten, von Afrika nach Europa zu gelangen.
Die „Nation“ wird zunehmend von Rassisten und Rechtsextremen als die ethnisch und rassisch Reinen, Weißen, Heterosexuellen definiert. Bolsonaro greift nicht nur die brasilianischen Ureinwohner an, er verletzt auch die Rechte von Frauen und LGBT+ Menschen.
Keiner dieser Missstände wäre möglich ohne einen weiteren Faktor, nämlich den Niedergang und den Rückzug der sozialdemokratischen Linken. Sozialdemokraten, die vermeintlich die Aufgabe hatten, eine Alternative zu den Ungleichheiten des Kapitalismus zu schaffen, haben die Austerität, die Kürzungsmaßnahmen im Sozialstaat, eingeführt.
Sie haben sich der Lüge verschrieben, dass Migranten die Einkommen drücken, sie haben Muslime ausgegrenzt und imperialistische Kriege bejubelt. Sie haben sich oft in die erste Reihe derer gestellt, die mehr Polizeibefugnisse und undurchlässige Grenzen fordern. Das hat die Agenda der extremen Rechten wesentlich unterstützt und die Abwehr gegen die Faschisten entkräftet. Die Linke wird dadurch demoralisiert und geschwächt.
Glücklicherweise ist das Wachstum der extremen Rechten nur eine Seite der Medaille. Es gibt auch Widerstand. Wir stehen auf der Seite der Viertelmillion Menschen, die in Berlin gegen Rassismus demonstrierten, auf der Seite der 250 000, die in London gegen Trump marschierten. Wir stehen auf der Seite der Brasilianer, die gegen Bolsonaro auf die Straße gehen und den vielen anderen auf der Welt, die sich wehren.
Wir brauchen viel größere und stärkere antirassistische und antifaschistische Bewegungen und müssen uns, genauso wie die extreme Rechte, über die Grenzen hinweg organisieren.
Das kapitalistische System
Darüber hinaus ist es notwendig, nicht nur die Faschisten von heute zu konfrontieren, sondern auch das System, das sie immer wieder hervorbringt. Wir brauchen eine sozialistische Kraft, die eine klassenlose Gesellschaft fordert und dafür kämpft.
Schönfärberische Opposition gegenüber der rassistischen, neoliberalen europäischen Union oder den zerfallenden Zentrumsparteien wird die Rechte nicht schwächen. In Frankreich, zum Beispiel, wird, wie eine Umfrage von Anfang November 2018 herausfand, die faschistische Bewegung von Marine Le Pen die meisten Stimmen in den Europawahlen 2019 erhalten. Die der britischen Labour Partei ähnliche Sozialistische Partei käme in Frankreich an sechster Stelle.
Diese Partei hat sich selber in die Bedeutungslosigkeit manövriert mit ihrer abgespeckten Version der Austerität / der Kürzungen der Sozialleistungen. Es bedarf, sich der Botschaft von Hass und Spaltung, wie sie die extreme Rechte verbreitet, entgegenzusetzen und das System aufzulösen, welches die heutigen Schrecken hervorgebracht hat.
Der Kapitalismus bringt der großen Mehrheit nichts. Das wird sich nicht ändern. Er bringt Armut, Krieg, Rassismus und katastrophale Umweltzerstörung.
Die Lohnabhängigen, die armen Bevölkerungsgruppen und Teile der Mittelschicht sind wütend, und sie haben das gute Recht dazu. Die Wut darf aber nicht gegen die falschen Ziele gerichtet sein, die die extreme Rechte anbietet, sondern gegen den wirklichen Feind.
Die Mobilisierung des Antirassismus und der Klassenkampf können die Faschisten überwältigen.
Letztlich wird die Bedrohung durch eine Revolution beiseite geschafft, wenn die Lohnabhängigen der kapitalistischen Klasse die Macht abnehmen und für eine andere Welt kämpfen.
——————————————————————————————————————–
Dieser Artikel von Charlie Kimber erschien am 11. November 2018 auf Englisch in Ausgabe Nr. 2630 von Socialist Worker
übersetzt von Dore Schlünkes
2 Antworten
Solange die Linke nicht zu einer sorgfältigeren Analyse fähig ist – nur noch mit Verbalinjurien wie Rassismus und Faschismus um sich wirft, ihr Feindbild Nazi bekämpfend, wird sie zu jenen gehören, die zwar wie Katja Kipping und Johannes Calvin im Bewusstsein leben, zu den Guten zu gehören – denn die Bösen, das sind ja die anderen, sonst wären sie ja bei uns – wird ihr politischer Einfluss gegen Null gehen, selbst und gerade bei denen, die mit Familie und Kindern im Prekariat leben, spüren, wie ihre Lebensräume enger werden, verhöhnt durch eine „weltoffene“ Oberschicht.
Die bösen Rechten verfolgen die Idee, die im 19. Jahrhundert Menschen auf der ganzen Welt zu Freiheitskämpfern werden ließ: für das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, eigene Nationalstaaten mit einer Verfassung zu begründen, innerhalb deren Grenzen eine Sozialgesetzgebung entwickelt wurde, die auch Arbeitern schließlich ein Eigenheim ermöglichten, selbst wenn deren Frauen mehrere Kinder hatten und zu Hause bleiben mussten.
Dass nicht nur Nationalisten, Faschisten und Nazis Kriege führen, sollte sich mittlerweile rumgesprochen haben.
So lange die Linke davon träumt, in einer weltweite Solidarisierung das Finanzkapital beherrschen zu können, den Oligarchen sozusagen in ihren prachtvollen Palästen Anstand und soziale Verantwortung beibringen zu wollen, so lange bleibt selbst der pazifistischen Linken doch nur jene Büttelfunktion, die der militante Neoliberalismus benötigt, um in seinem Machtspielchen weiteren Boden gutzumachen.
Die Rechten bringen in Europa Antworten, auch wenn diese für Linke als rassistisch, faschistisch usw. entlarvt oder abgetan werden. Das macht, dass die Rechten weiter an Fahrt aufnimmt in Europa, sich kaum mehr einer vor den bösartigen Zuschreibungen und Beleidigungen der Linken fürchtet.
Mit der Bankenrettung haben die europäischen Regierungen gezeigt, auf welcher Seite sie stehen, für wen sie Politik machen, für wen sie die Grenzen geöffnet haben. Derzeit ist die Re-Nationalisierung der Politik die Antwort der „Rechten“, die immer mehr Wähler auf allen Kontinenten als Alternative sehen.
Sofern die Linke kein besseres Konzept als das der „Internationalen Solidarität“ a la Katia Kipping bietet, nicht eines der Ideen einer Sahra Wagenknecht wird sie ein sektiererischer Haufen bleiben, belächelt und gefördert von Neoliberalen, die in ihnen die besten Unterstützer haben, wissend, das ihr Kapital mächtiger ist als die Stimmen von ein paar Millionen.