„Konservative Revolution“: Die Wurzeln der Neofaschisten in der AfD

Die Neue Rechte gibt vor mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun zu haben und bezieht sich auf die sogenannte Konservative Revolution. Doch diese ist nichts als eine Erfindung. Von Vincent Streichhahn

Für viele ist klar: Die AfD stellt eine Gefahr dar. Doch sammeln sich in der Partei tatsächlich auch Neonazis? Der Journalist Toralf Staud sieht das nicht so. In seinem Artikel „Höcke ist kein Nazi«, erschienen 2015 in der „Zeit“, schreibt er: „Vieles, was der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke sagt, klingt absonderlich. Doch wer ihn in die Nazi-Ecke stellt, hat ihn nicht verstanden – sondern hilft ihm nur. (…) Höcke und viele Protagonisten von AfD oder Pegida beziehen sich nicht auf den Nationalsozialismus, sondern auf dessen Vorläufer – auf die sogenannten Jungkonservativen und die Konservative Revolution.“

Das Märchen der „Konservativen Revolution“

Höckes Äußerungen seien freilich antidemokratisch und stünden im Widerspruch zu den Werten des Grundgesetzes, jedoch werde diese moderne Form des Rechtsextremismus als Neue Rechte bezeichnet und sei nicht identisch mit dem Neonazismus. Stimmt das tatsächlich? Der Historiker Volker Weiss bezweifelt diese Sichtweise. Er schreibt: „Die Konservative Revolution als solche gab es gar nicht. Sie ist eine Konstruktion, die der Schweizer Autor Armin Mohler direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, um gewissermaßen den Theoriekanon der deutschen Rechten wiederzubeleben, unter Umgehung – zumindest vorgeblicher Umgehung – des Nationalsozialismus“.

Der Begriff stammt genau genommen aus der Dissertation Mohlers, der die Konservative Revolution in den 1950er Jahren in der Rückschau als eigenständige politische Strömung zu konstruieren und gleichzeitig vom Nationalsozialismus abzugrenzen versuchte. Gegen die Glaubwürdigkeit dieses Abgrenzungsversuch sprechen die inhaltlichen und personellen Kontinuitäten. Im November 1995 fragte ihn „Die Wochenzeitung“: „Bewundern Sie heute Hitler immer noch wie in Ihren Jugendzeiten?“, worauf er antwortete: „Was heißt bewundern? Er hat immerhin eine richtige Führung geschaffen. Die Kader, die er heranzog, hatten Stil.“ Auf die Frage, was ihm der Faschismus bedeute, sagte Mohler: „Faschismus ist für mich, wenn enttäuschte Liberale und enttäuschte Sozialisten sich zu etwas Neuem zusammenfinden. Daraus entsteht, was man konservative Revolution nennt.“

„Ein Volk, ein Reich, ein Führer“

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Mohler Redenschreiber für Franz Josef Strauß (CSU) und später ideologischer Kopf der faschistischen Republikaner unter Franz Schönhuber. Doch nicht nur Mohler selbst, auch die führenden Protagonisten der von ihm konstruierten Konservativen Revolution selbst standen dem Faschismus nahe. Viele Personen der sogenannten Konservativen Revolution, wie Ernst Jünger, Edgar Julius Jung, Jörg Lanz von Liebenfels, Wilhelm Stapel, Theodor Fritsch, August Winnig, Willibald Hentschel oder Carl Schmitt, bekannten sich zumindest in einer Phase ihres Wirkens offen zu rassistischem und antisemitischem Gedankengut und förderten dieses auch. Der Arbeiterbewegung und dem parlamentarischen System der Weimarer Republik standen sie in schroffer Feindschaft gegenüber.

Gregor Kritidis schreibt in seinem Aufsatz „Das geistige Erbe der Konservativen – Zum Begriff der Konservativen Revolution« von 2002: „In ihrer Vorstellung galt es, im Namen der Nation den bestehenden Staat zu vernichten. Ihnen schwebte ein Gesellschaftsmodell vor, das hierarchisch gegliedert sein sollte. (…) Fluchtpunkt aller Herrschaftsvorstellungen bildete ein starker, autoritärer Staat, in dem ein charismatischer Führer an der Spitze stehen und qua Akklamation die Nation repräsentieren und führen sollte. Über die divergierenden Einzelinteressen hinweg sollte das ‚Volk’ dynamisch zu einer Einheit zusammengeschweißt werden.“

Das Dilemma des völkischen Nationalismus

Die Ideengeber der Konservativen Revolution stehen klar in der Tradition des deutschen völkischen Nationalismus. Diesen kennzeichnete ein aggressiver, imperialistischer Herrschaftsanspruch nach außen und die Vorstellung eines biologisch und kulturell homogenen Volkskörpers nach innen. Er richtete sich – vor dem Ersten Weltkrieg – gegen Chinesen, Slawen, Afrikaner, aber auch gegen Engländer und Franzosen. Er gipfelte in der von Kaiser Wilhelm II. 1907 in einer Rede gebrauchten Formel: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“

Schon in den 1880er Jahren war es zu einer kurzen Berührung und Überschneidung völkisch-nationaler Anschauungen mit dem Antisemitismus gekommen. Doch erst nach dem vorläufigen Ende der deutschen Weltherrschaftspläne mit der Niederlage von 1918 verschmolzen völkischer Nationalismus und Antisemitismus zu jener Weltanschauung, an die Hitler und seine faschistische Bewegung dann nahtlos anknüpfen konnten.

Das Dilemma des völkischen Nationalismus nach 1945 ist hinreichend bekannt: Der Massenmord an den europäischen Juden und der verlorene Zweite Weltkrieg machten und machen es Faschisten bis heute schwer, sich offen in die Tradition des historischen Faschismus zu stellen. Einerseits wollen sie zwar ihre Wurzeln nicht kappen, andererseits können sie in der isolierten Nazi-Ecke nicht wachsen. Also tarnen sie sich und geben sich einen modernen Anstrich.

Der Beitrag erschien bei Marx21


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