Lange Haare, Sonnenbrille, 2-Meter-Riese auf Rollerskates: Apache 207 ist einer der erfolgreichsten Deutschrapper jemals. Sein Song „Roller“ war im letzten Jahr das meistgehörte Lied bei Spotify. Seine Tour war nach vier Minuten ausverkauft. Was ihn so besonders macht? Viele Menschen können sich mit seinen Texten identifizieren. Vor allem arme Leute aus den Blöcken mit Migrationsgeschichte. Aber auch sein auffälliges Auftreten passt nicht in das typische Klischeebild der deutschen Mehrheitsgesellschaft über einen Rapper mit türkischen Wurzeln.
Der 22-jährige Volkan Yaman aus Ludwigshafen überzeugt. In der Rapmusik ist es üblich, die sozialen Missstände von oft urbanisierten armen Stadtvierteln anzuprangern. Von Rapper zu Rapper unterscheidet sich jedoch die Herangehensweise und Betonung. Manche feiern ihren sozialen Aufstieg durch das kommerzialisierte Musikgeschäft und treten oft selbst nach unten zu den unteren Schichten. Bei Apache 207 ist das anders. Er betont in seinen Liedern klar, dass er ein Teil seiner Hood ist und sich daran nichts ändern wird:
„Es versteht sich von selbst, dass er niemals seine Hood verlässt
Wegen paar Kröten mehr in seiner Lederbauchtasche“ (aus Famous)
Denn Volkan Yaman selbst wuchs in armen Verhältnissen auf. Das spricht er offen aus und stärkt Menschen aus ähnlichen sozialen Herkünften den Rücken:
„Ich weiß noch ganz genau, wegen Armut als Kind am Weinen
Die Vergänglichkeit, von armen Menschen der beste Freund
Und von Reichen der schlimmste Feind“ (aus Sag mir wer).
Aufgezogen von Mama Yaman
Er selbst gibt zwar keine Interviews, doch zahlreiche Lieder lassen vermuten, dass er allein von seiner Mutter aufgezogen wurde.[1] In nahezu jedem Song bezieht er sich wertschätzend auf sie und benennt die vielen alltäglichen Probleme, denen sie trotzte, in der Hoffnung, es ihren Kindern recht zu machen – Schwierigkeiten, denen Frauen strukturell in der kapitalistischen Gesellschaft durch unterdrückende und sozialisierte Rollenmuster (zum Beispiel unbezahlte und unsichtbare Fürsorgearbeit) ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang richtet Apache 207 in seinem Lied Wieso tust du dir das an? den Appell an jene Frauen, sich das Verhalten von respektlosen Ehemännern nicht gefallen zu lassen.
Wie sehr alleinerziehende migrantische Mütter mit der Armut zu kämpfen haben, teilt er in einem Instagram-Post mit: Seine Mutter lieh von einer Nachbarin Geld aus, damit ihr Sohn – wie die anderen Gleichaltrigen – Nutella essen konnte. Leider ließ Volkan das Glas auf dem Rückweg fallen, woraufhin seine Mutter in Tränen ausbrach, die Scherben aus der Schokoladencreme rausnahm und so trotzdem den Verzehr ermöglichen wollte. Mit 14 Jahren schnitt Volkan, um die familiäre finanzielle Situation aufzubessern, sogar die Haare von seinen Nachbarn im Keller seines Wohnblocks.[2] Möglicherweise war es jener Ort, an dem er sich am Anfang seines Liedes Famous befindet. In 2002, seinem Feature mit Sido, unterstreicht er noch einmal seinen sozialen Klassenhintergrund:
„2002, Mama holt für ihre Söhne Essen
Ihre Tischhälfte steht leer, denn sie will sich nichts kaufen
Mutter sagt nein, sie hat keinen Hunger
Meine Pommes spiegeln sich in ihren wunderschönen nassen Augen
Ich schaue rein, meine Mama ist am Weinen
Denn sie holt uns Eis, doch sich selbst holt sie einen Scheiß
Ich war viel zu klein, ums zu peilen, tut mir leid
Nie mehr Leid, nie mehr Streit, bin bald die Eins“
Außergewöhnlicher Auftritt
Ganz besonders war auch sein Auftritt vor laufenden Kameras bei der Pro7 Show Late Night Berlin, welche bei jungen Menschen sehr hohe Einschaltquoten erzielt. Dort gab er das Debüt für sein Lied Matrix und zog während des Songs seine Jacke aus, damit die Zuschauerinnen und Zuschauern die Schrift Pray for Hanau auf seinem T-Shirt sehen können.[3] Ein medienwirksamer Schritt und klare Positionierung gegen rechte Gewalt.
Nicht nur seine politisierenden Lines machen Apache 207 so besonders, sein Auftritt sticht auch sehr heraus. In das von der deutschen Mehrheitsgesellschaft geprägte Bild von türkischstämmigen Männern passt Volkan nicht hinein. Mit seinen langen Haaren, golden Rollerskates und Dr. Martens Schuhen erinnert er eher an Hipster-Studenierenden, als an den klischeehaften migrantischen Mann mit Undercut und Lederjacke. Ganz besonders ist auch sein Musikstil: Der Mix aus 80er und Deutschrap stellt eine Neuheit dar. Die dazugehörigen Videos erhöhen den Unterhaltungswert enorm.
Max Czollek rief in seinem Buch Desintegriert euch! Menschen mit Migrationsgeschichte dazu auf, sich von bestehenden fremdzugeschriebenen gesellschaftlichen Vorstellungen zu desintegrieren. Das bedeutet, bewusst Verwirrung durch untypische Verhaltensmuster bei der weißen Bevölkerung anzustiften, um verankerte Klischees aufzubrechen. Nach diesem Konzept markiert Apache 207 eine pure Desintegration, was ihn so besonders macht.
Das Persönliche ist Politisch
Wiederum typisch für Deutschrap seien die sexistischen Zeilen, die sich auch unmissverständlich bei Volkan Yamans Songs wiederfinden lassen. Gerne springen auch einige größere Medien auf diesen Tatbestand an. Allerdings ist der aktuell praktizierte Umgang mit Homophobie und Sexismus im Rap problematisch. Sie wird in den allermeisten Fällen mit rassistischen Stereotypen des gewaltvollen und zurückgebliebenen Mannes aus dem Orient aufgeladen, während weiße Rapper wie Cro[4] kaum für ihre sexistischen Lines thematisiert werden. Es zeigt, dass die Debatte vor allem rassistisch geführt wird, um gesellschaftlich sowieso marginalisierte Gruppen zu diskreditieren. Gerade Rap ist historisch schon immer ein Musikstil der unterdrückten Klassen gewesen. Sexismus hingegen ist keine Frage von Klassenzugehörigkeit oder Herkunft, sondern institutionell, strukturell sowie gesellschaftlich durchdringt und gehört als Ganzes bekämpft.
Das Persönliche ist politisch. Aus seinen eigenen Erfahrungen heraus kann man viele gesellschaftliche Missstände lesen. Armut ist strukturelle Gewalt. Niemand müsste in Armut leben, würde die soziale Verteilung von Vermögen, Chancen und Zugängen gerecht und gleich verteilt sein. Solange die Menschen in einer Klassengesellschaft leben, wird sich daran nicht viel ändern. Entsprechend freuen und identifizieren sich viele arme Menschen mit dem sozialen Aufstieg von Apache 207. Seine Lines sorgen für befreiende Gefühle. Endlich raus aus der Armut.
Also stellt sich uns die Frage, ob die Lösung sein kann, dass wir alle Millionärinnen und Millionären werden und uns teure Autos zu schaffen? Nein natürlich nicht. Im Kapitalismus ist das sowieso unmöglich: Wo Reichtum existiert, gibt es auch Armut. Wir brauchen soziale Sicherheiten und ein gutes Leben für alle, kurz, wir müssen uns für eine klassenlose Gesellschaft in Deutschland und überall auf der Welt einsetzen. Allerdings sollten wir versuchen, Wohlstand anders zu definieren: Kostenloses und vollumfänglich finanziertes und ausgebautes Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrswesen. Auch wenn Apache 207 nicht in seinen Liedern explizit diese Forderungen anspricht, lässt sich sein Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und ein Ende der Armut herauslesen. Daher sind seine Lieder (neben seiner melodischen Eigenart) auch aus inhaltlicher Perspektive ein Gewinn für die Musik- und Rapszene und Gesellschaft für die Forderungen nach Umverteilung und eine gerechte Gesellschaft.
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[1] Bei seinem neusten Song Fame singt er: „Nach 22 Jahr’n hab‘ ich verstanden, mein Vater wollt nicht nur kurz Kippen hol’n“.
[2] https://www.ludwigshafen24.de/ludwigshafen/apache-207-steckbrief-alter-name-groesse-herkunft-wohnort-karriere-songs-roller-ludwigshafen-13543634.html.
[3] https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=EcWWr5RGVqM&feature=emb_logo
[4] Allein sein bekanntestes Lied Easy beinhaltet viele sexistische Lines, die ihn aber als coolen hippen Rapper davon gehen lassen. Zu dem Thema Sexismus und Rap lässt sich empfehlen das Interview von der Rapperin Lady Bitch Ray aka Dr. Ray Sahin zu lesen: https://editionf.com/dr-ray-sahin-aka-lady-bitch-ray-yalla-feminismus-interview/