OG Keemo: „Mann Beisst Hund“: Aufwachsen in der Hochhaussiedlung – Zwischen Depressionen und Überlebensschuld

Das Konzeptalbum von OG Keemo bricht mit dem Meisten, was uns der Spotify-Algorithmus im Straßenrap in den letzten Jahren beschert hat. Songs mit Überlänge, hochklassiges Storytelling, das sich nicht auf Plattitüden und Gemeinplätze reduziert, und schockierende Ehrlichkeit über das Leben in der Peripherie unserer Gesellschaft machen es wahrscheinlich zu einem der besten Deutschrap-Alben der letzten Jahre.

Mit „Mann Beisst Hund“ liefern OG Keemo, der bürgerlich Karim Joel Martin heißt, und sein Produzent Funkvater Frank etwas erfrischend Neues und sparen dabei nicht an Gesellschaftskritik. Gerade die eingängigen Jazz- und Soulsamples, die in den 90ern bereits den US-amerikanischen Hip-Hop geprägt haben, kreieren eine Atmosphäre, die den perfekten Klangteppich für Hochhaussiedlung-Poesie und melancholische Erzählungen bieten. Diese reichen von Kleinkriminalität über Depressionen bis hin zur Ausweglosigkeit einer rassifizierten Klassengesellschaft.

Malik, Yasha und Karim

Doch fangen wir am Anfang an. Das Album handelt vom siebzehnjährigen Karim, der neu in die Hochhaussiedlung zu seiner Mutter zieht und dort die fiktiven Charaktere Malik und Yasha kennenlernt, die uns das Album über begleiten werden.

„Ich sagte ja, er sagte mir, sein Name wär‘ Malik

Sein Vater aus Marokko, seine Mom aus Mosambik

Er sagte mir, dass er momentan noch mit seiner Mom und sei’m Bro im Hochhaus lebt

Doch dass in ihm wohl ein Fußballprofi steckt

Doch lenkte schnell ab von seinem Elternhaus

Während Malik das Leben in der Hochhaussiedlung anfangs glorifiziert, wird schnell klar, dass Yasha unter der Situation leidet. Sein Vater ist Alkoholiker und der Rest seiner Familie noch in Bosnien-Herzegowina. Immer wieder wechselt das Album die Erzählperspektive zwischen Karim, Malik und Yasha und beleuchtet so ihre drei Lebenswege. Nicht immer ist klar, aus welcher Perspektive gerade gesprochen wird, und so verschwimmt auch, wie viel von Karim Joel Martin in Malik und Yasha steckt, was OG Keemo auch in einem Interview mit Aria Nejati klarstellte.

In zwei Skits, die die Hörer*innen Malik und Yasha besser kennenlernen lassen, geht es vordergründig um den Albumtitel „Mann Beisst Hund“. Gleichzeitig kommt die Frage nach Determination und Verantwortung für ihr Handeln auf. So heißt es im „Hund Skit“:

„Und ich mein‘, ein Hund hat kein’n Plan, was Religion ist oder was Steuern sind oder so, aber ich mein‘, er erfüllt seine Rolle. Er tut, was er tut, und das so von Natur, dem Universum oder was auch immer vorgesehen ist. Niemand hat das in der Hand. Du kannst dir deine Rolle nicht aussuchen (…). Hund sucht sich nicht aus, als Hund geboren zu werden. Wir hab’n alle eine Rolle abzudecken, die uns zugeteilt wurde. (…) weil das seit dem Tag meiner Geburt so vorgesehen war.“[3]

Ob es sich dabei um Ausreden für und Legitimation von Maliks Taten oder um eine Analyse der sozialen Bestimmtheit in der Klassengesellschaft handelt, wird den Hörer*innen überlassen. Im nächsten Skit erwidert Yasha, dass die Verantwortung für Hunde im Gegensatz zu früher, als Hunde noch frei waren, beim Mann liegt: „Und wir haben ihn’n jegliches Recht auf Schuld genommen. Also wenn Hund Mann beißt, sind wir schuld. Und wenn Mann Hund beißt, dann auch“. Auch hier bleibt Spielraum für Interpretation, inwiefern gesellschaftliche Verhältnisse gemeint sind oder es sich um reines individuelles Leid der Person handelt. Dies erinnert an die Schriften des Soziologen Pierre Bourdieu, oder auch an die autobiografischen Werke von Didier Eribon, Edouard Louis und Christian Baron, die diese Thematik aus ihrer Perspektive behandeln. OG Keemo ist zugute zu halten, dass er mit seiner Ausdrucksform wohl eher als die zuvor genannten Autoren Nicht-Akademiker*innen abholen kann.

Kriminalität, Drogen und Depression

Auch Kriminalität, Gewalt und Drogen stellen ein zentrales Motiv auf „Mann Beisst Hund“ dar. Doch Glorifizierungen sucht man vergebens. OG Keemo nimmt kein Blatt vor den Mund, die Schilderungen sind nicht beschönigt und nah an der Realität. Er rappt über Drogenkonsum, das Dealen von synthetischen Drogen und Knacken von Autos und Raubdelikte. Das ist alles nichts Neues, doch dabei bleibt er nicht. Die Folgen des Lebens in der Hochhaussiedlung werden klar angesprochen:

„Ich dacht, der Junge wär‘ halt soft, wieso liegt es an uns?

Dabei war ich zu diesem Punkt bereits zu abgestumpft

Dass ich mir dachte, jeder, der nix verkraftet, sei ein schwacher Hund“

Doch die Klassengesellschaft wirkt sich nicht nur auf die materiellen Umstände einer Person aus. Drogenkonsum, Perspektivlosigkeit und Traumata durch die vorherrschende Gewalt gehen nicht spurlos an Menschen vorbei. Auch toxisch männliche Rollenbilder, die die Metapher des „schwachen Hundes“ impliziert, verneint OG Keemo nicht.

„Depression benebelt mein’n Verstand

Ich red‘ schon lang nicht vom Traurigsein, auch nicht von Angst

Ich meine Traumata und Taubheit, bei der du nicht weinen kannst“

Dabei reflektiert er gekonnt die Sorgen seiner Eltern, die nach Deutschland gekommen sind, damit ihre Kinder ein besseres Leben haben können als sie. Ob ihm die Möglichkeit für die freie Wahl seines Lebensweges gegeben war, bleibt dabei offen:

„Von Söhnen, die ihre Zukunft nur für paar Gramm verkacken?

Von Vätern, die vor zwanzig Jahren jung ihr Land verlassen haben

In der Hoffnung, dass wir Karriere als Anwalt machen[8]

Letztendlich endet der Song „Vögel“ mit dem SuzidYashas, der sich vom Hochhaus stürzt, weil er das Leben in der Peripherie nicht mehr aushält und ihm die gesellschaftliche Sprechfähigkeit fehlt, um sich auszudrücken: „Ich brauche keine Klinge, ich brauch‘ eine Stimme. Ich flieg‘ hoch, sterb‘ und falle aus dem—“.

Überlebensschuld

Sehr bildhaft beschreibt OG Keemo den tragischen Tod eines seiner Protagonisten, um dann zwei Songs später in die Siedlung zurückzukommen und Malik als einzig verbliebenen der drei über seine ambivalenten Gefühle sprechen zu hören. Auf „Töle“ macht Malik Karim Vorwürfe, dass er ihn zurückgelassen hat: „Wärst du mein Freund, dann wärst du da“. Reue und Verbitterung über die Situation in der Hochhaussiedlung, der Malik sich bewusst ist, lassen ihn als Charakter an Tiefe gewinnen. Auch er ist unzufrieden mit seinem Leben, aus der Siedlung heraus hat er es nie geschafft. Stattdessen nahm er die Rolle an, die ihm die Welt scheinbar zugedacht hat. Seine Verbitterung mischt sich mit Wut, wonach er sich sehnt ist Sprechfähigkeit. Während Karim eine erfolgreiche Musikkarriere startet und immer noch über die Siedlung rappt, wohnt er nicht mehr dort. „Alles, wovon du rappst, bin ich“, lässt OG Keemo Malik sagen. Auch, dass Straßenrap mit sozialem Elend Geld macht, ist Thema: „Du machst Profit mit der Siedlung, in der ich wirklich leb’“. Karim Joel Martins Perspektive ist geprägt von Gewissensbissen und Überlebensschuld; Elementen, die bis dato in der deutschen Rap-Szene kein vorgefertigtes Muster haben. Auf diese Weise machen sie das Album zu etwas Einzigartigem.

Sagen, was ist

OG Keemo sagt, was ist, und berichtet vom Aufwachsen in Armut, die besonders rassifizierte Personen betrifft. Seine Geschichten handeln von Identitätskonflikten, psychosozialen Folgen des Lebens in der Peripherie und der Zugehörigkeit zu sozialen Milieus am Rand der Stadt. Auch der Tod seiner Mutter sowie seine schwierige Rolle als ältestes von sieben Kindern ziehen sich immer wieder als Bezugspunkte durch das Album. Doch nicht nur der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch der deutschen Rap-Szene, die allzu oft die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär erzählt hat, hält er einen Spiegel vor. Statt einer neoliberalen Aufstiegsgeschichte, die die soziale Realität der Klassengesellschaft legitimiert und das Leben in sozialen Brennpunkten glorifiziert, findet Karim Joel Martin ein anderes Ende für sein Straßenrap-Epos.

Wie politisch das Album ist, muss allerdings jede*r selbst entscheiden. Geht man nach Rosa Luxemburg, dann bleibt es die revolutionärste Tat, zu sagen, was ist – und das schafft OG Keemo auf eindrucksvolle Weise.

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