Arbeiterklasse

Phoenix aus der Asche oder die Rückkehr der Klassenfrage

Marx sah in der Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt zur Veränderung der Gesellschaft, doch die moderne Linke in Europa schien dies über lange Jahre vergessen zu haben. In den vergangenen Monaten erschienen neue Werke, die den Blick der Linken auf die Klasse verändert und die Debatte erneuert haben, an dieser Stelle möchten wir drei wichtige Werke vorstellen.

In Verteidigung der Proleten, Pöbel und Parasiten

Der Frage, warum Teile der ArbeiterInnenklasse sich nicht mehr durch klassisch linke Parteien vertreten fühlen, hat in der BRD Hochkonjunktur. Eine zugespitzte Antwort darauf liefert Christian Barons Buch „Proleten Pöbel Parasiten – Warum die Linken Arbeiter verachten“, das in einfacher, salopper Sprache die facettenreiche gesellschaftliche Linke beleuchtet. Baron schafft es den Unterschied aufzuzeigen zwischen einer verakademisierten, linksliberalen oder auch linksalternativen Linken, die zwar stets entweder moralisierend oder aus ihrem akademischen Elfenbeinturm heraus die Zustände kritisiert, und einer systemüberwindenden Linken, die ebenfalls eine radikale Kritik hat, aber diese mit einer verändernden Praxis verbindet. Linke ersterer Couleur sind es vor allem, die voller Verachtung auf die vermeintlich rassistischen, asozialen und dummen Proleten blicken und sich längst in ihrer linken Blase gut eingerichtet haben. Sie haben keinerlei Zugang zur ArbeiterInnenklasse, verstehen ihre Probleme nicht und sprechen im wahrsten Sinne eine andere Sprache. Politik verkommt dort zur reinen Identitätspolitik und Selbstbestätigung, dass man zu den besseren Menschen gehört. Mit Gesellschaftsveränderung oder gar Emanzipation hat dies herzlich wenig zu tun.
Eine Triggerwarnung vorweg: Wer Angst hat, seine eigene widersprüchliche Lebenspraxis zu reflektieren, sollte die Finger von diesem Buch lassen. Denjenigen jedoch, die die deutsche Linke in ihren vielseitigen und oftmals anstrengenden Facetten kennenlernen, aber auch Wege aus der Isolierung linker Politik finden möchte, ist dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.
Von Deniz Remberg

Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten – Warum die Linken die Arbeiter verachten; Eulegenspiegel, 288 Seiten, 12,99€

Flucht vor der eigenen Klasse

bibliothek photo„Rückkehr nach Reims“ des französischen Soziologen Didier Eribon ist schon jetzt das in Deutschland meist diskutierte Buch über Klasse und Klassenkampf der letzten Jahrzehnte. Eribon reflektiert darin, wie er als junger Mann seine kommunistisch geprägte Arbeiterfamilie verlässt, um im fernen Paris zum bürgerlichen Intellektuellen zu werden und seine Homosexualität zu leben. Als er schließlich anlässlich des Todes seines Vaters Jahrzehnte später zu seiner Familie nach Reims zurückkehrt, hat sich die einst kommunistische Familie zu WählerInnen des rechtsradikalen Front National gewandelt. Diese packende persönliche Geschichte verknüpft Eribon mit der intellektuellen Entwicklung der französischen Linken und ihrer Abkehr von der Klassenpolitik.
Häufig wird daher mit Eribon die Hoffnung verknüpft, den Aufstieg der europäischen Rechten erklären zu können. Doch hier enttäuscht das Buch. Eribon kennt die Entwicklung, die seine Familie durchgemacht hat – von AnhängerInnen der kommunistischen Partei hin zu etwas verschämten WählerInnen des Front National – nicht wirklich, sondern nur deren Anfangs- und Endpunkt. Seine Erklärungen sind deshalb oft eher Denkanstöße. Absolut lesenswert ist das Buch trotzdem. Denn es sensibilisiert dafür wie die Klasse, in der wir aufgewachsen sind, unser Denken, Handeln und unsere Identität prägt – selbst wenn wir versuchen, uns von dieser abzuwenden.
Eribon muss schließlich feststellen, wie er sich in seinen Jahren in Paris völlig von seiner Familie entfremdet hat. Es wird deutlich, dass ohne das schmerzhafte Abwenden vom Umfeld aus Kindertagen und der Familie und ohne Selbstverleugnung der Klassenwechsel nicht zu haben ist. Wer dies nicht will, wem aber dennoch die Welt der eigenen Klasse zu klein ist, dem bleibt nur der politische Kampf, um schließlich mit seiner gesamten Klasse kollektiv aufzusteigen, anstatt individuell die Klasse zu wechseln und damit seine eigene Biographie zu verraten
Von Alexander Hummel

Didier Eribon: Rückkehr nach Reims, Suhrkamp Verlag, 240 Seiten, 18,00 Euro

Arbeitermacht in der Globalisierung

In einem imposanten Rundumschlag schmeißt Beverly Silver alle gängigen Klischees über Arbeiterbewegungen über den Haufen. Wer den Begriff Arbeiterbewegung für völlig veraltet hält, wird hier eines Besseren belehrt. Wer mit Marx glaubte, dass Arbeiterbewegung per se die Kraft revolutionären Fortschritts wäre, wird mit Licht und Schatten konfrontiert.

Durch eine beeindruckende Datengrundlage kann Silver in Forces of Labor die Globalgeschichte der Arbeiterbewegungen von 1870 bis heute anhand der Automobilindustrie nachzeichnen. Mit Entstehung der Industrie versuchten die Unternehmensspitzen ihre Fabriken stets in Regionen mit vielen billigen Arbeitskräften und schwachen linken Bewegungen zu verlegen. So entstand die Automobilindustrie im Norden der USA. Als die Arbeiterbewegung dort zu stark wurde, verlegte man die Fabriken in die Südstaaten – wo es kaum Linke und sowieso keine Gewerkschaften gab. Doch auch dort organisierten sich die ArbeiterInnen in kürzester Zeit. Die Folge war die Auslagerung der Produktion nach Mexiko. Doch auch hier schlossen sich die ArbeiterInnen zusammen.
Forces of Labor zeigt damit die politischen Konsequenzen der Arbeiterorganisierung auf. Überall, wo sich die Automobilindustrie ansiedelte, entstanden innerhalb von kurzer Zeit Gewerkschaften, linke Parteien und die Demokratiebewegung wurde gestärkt. Doch gleichzeitig wurden marginalisierte ArbeiterInnen, z.B. Frauen und oft auch MigrantInnen, von der Arbeiterbewegung ausgeschlossen.

Silver kann mit der Untersuchung dieser Vorgänge zeigen, dass der Abgesang auf die Arbeiterbewegung verfrüht war. Sie sprengt die Ketten aus Mystifikationen und Klischees, die bisher das Denken über Arbeiterbewegungen einengten!
Von Janis Ehling
Beverly J. Silver: Forces of Labor, Verlag Assoziation A, 284 Seiten; 18,00 Euro

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3 Antworten

  1. Ich finde die Rezensionen verhältnismäßig gut. Was mich irritiert, ist, dass es so einen Hype über die Frage gibt, wie Linke zur Arbeiterklasse stehen. Wie stehen denn Rechte zur Arbeiterklasse? Die wollen sie auspressen bis aufs Blut, die interessieren sich nicht dafür, wenn Leute wie in Griechenland krepieren, weil sie sich keine Medikamente leisten können, oder hier in Altersarmut gehen und auf Hartz IV und Minijobs sind. Das Bild des dumpfen, sexistischen, rassistischen „Prolls“ ist doch ein klassisch mittelschichtiges, von rechts bis linksliberal geschürtes. Die Diskussion über die Linke, die die Arbeiterklasse nicht versteht, wird zudem von einigen Linken geführt, die meinen, wir müssten Zugeständnisse an reaktionäre Ideologien machen, um die „reaktionäre Masse“ der Arbeiterklasse zu erreichen. Was fehlt in dieser Debatte, ist die marxistische Analyse der Arbeiterklasse, die potenziell das entscheidende revolutionäre Subjekt ist – nicht weil Arbeiter und Arbeiterinnen per se gut sind, sondern weil sie in der kapitalistischen Gesellschaft eine strategische Position besetzen: nämlich Produzierende des gesellschaftlichen Reichtums zu sein, ohne diese Produktion zu kontrollieren, und deshalb das Getriebe der Ausbeutung, der kapitalistischen Profitproduktion und Kapitalverwertung aufhalten und die gesellschaftliche Produktion in die eigenen Hände nehmen zu können.

    1. Ich finde ihr Kommentar, Frau Nanning, spiegelt eins zu eins die Problematik wieder die Herr Baron in seinem Buch so treffend analysiert hat.

      Um es für alle verständlich auszudrücken: Wenn ich bei meinem Arzt bin, bin ich schließlich auch froh, wenn er mir meinen Männerschnupfen auf Deutsch erklärt und nicht in seinem Fachchinesisch.

      Ich empfehle daher dringend es nicht nur bei der Lektüre der Rezension zu belassen.

    2. Man muss keine Zugeständnisse an reaktionäre Ideologien fordern, um den Eindruck zu gewinnen, die gesellschaftliche Linke igele sich ein im Gefühl der moralischen Überlegenheit. Das Problem der Linken ist nicht so sehr, dass die Arbeiterklasse im besonderen sondern die gesamte übrige Gesellschaft als böse und abstoßend empfunden wird. Lieber bleibt man unter sich, womit sich die gessellschaftliche Linke nicht so sehr von anderen Subkulturen unterscheidet. Allein, gesellschaftliche Relevanz erlangt man so nicht.

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