Arbeiterklasse

Mit Linkspopulismus gegen die Herrschenden?

In der Debatte wie die Linke wieder stärker werden kann, kursiert seit geraumer Zeit der Ansatz des Linkspopulismus. Mit ihrem Buch „Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte“, versuchen Thomas Goes und Violetta Bock eine Antwort auf die Frage zu geben, wie dieser aussehen kann.

DIE LINKE versteht sich als sozialistische Partei. Für sie ist „der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte“. Aber wie kann sie ihr Versprechen „einer anderen Welt“ in die Tat umsetzen? Wie können mehr Menschen für sozialistische Ideen und für den gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung gewonnen werden?

Mit ihrem Buch „Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte“, versuchen Thomas Goes und Violetta Bock, beide aktiv in der LINKEN, Antworten zu liefern. Sie widmen sich darin der Frage nach dem Aufbau einer organisierenden und kämpferischen Linken. Es geht ihnen um nichts weniger, als ein Konzept zu entwickeln, das für die Vielen ansprechend ist und die Wenigen das Fürchten lehrt.

Linkspopulismus als politische Bewegung

Goes und Bock beschreiben ihr „unanständiges Angebot“ wie folgt: „Für den Anfang können wir unter Linkspopulismus eine politische Bewegung verstehen, die daran arbeitet, die unterschiedlichen Teile der beherrschten Volksklassen, die sich oft gegeneinander ausspielen (lassen), in ein gemeinsames politisches Projekt einzubinden, sie zu sammeln und zu verbinden“. Wie das im Detail funktionieren kann, legen sie in sieben Thesen am Ende des Buches dar, die sich – zum größten Teil – wie eine revolutionäre Strategie für Klassenpolitik lesen.

In ihnen wird deutlich, was in der gesellschaftlichen Linken alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist: Sozialismus kann nur von unten erkämpft werden. Das bleibt im Buch auch keine allgemeine Phrase, sondern ist eingeordnet in die lebendige Vorstellung des Historischen Materialismus, nach der zwar die herrschenden Ideen immer die Ideen der Herrschenden sind, diese aber auch durch die Selbstaktivität der Arbeiterklasse durchbrochen werden können. Geschichte wird damit von unten gemacht und nicht durch Stellvertreter im Parlament oder gar in der Regierung.

Für eine organisierende Linke

Lesenswert und nützlich ist auch ihr Plädoyer für eine organisierende Linke, die zuhört, lernt, wächst und Rückschläge konstruktiv akzeptiert. Konkret heißt das auch, die Menschen in ihren Lebenswirklichkeiten zu organisieren. So schreiben Goes und Bock zurecht: „Die Menschen leiden i. d. R. nicht unter „dem Kapitalismus“ oder „dem System“, sondern unter miesen Vorgesetzten, schlechten Löhnen, fehlender Kinderbetreuung, hohen Mieten oder Dauerstress“.

Goes und Bock gehen weit über den Wettbewerb um den besten linken Werbesprech hinaus. Sie haben stattdessen ein Gesamtkonzept, das die gesellschaftliche Linke und die Partei DIE LINKE durchaus aus der Defensive holen könnte. Das gilt auch für einen weiteren, äußerst gelungenen Aspekt ihres Buches, nämlich der Frage danach, welche Menschen wir wie für ein linkes Projekt gewinnen können und inwiefern dies auch für Menschen gilt, die sich der organisierten Rechten zugewandt haben. Im Gegensatz zu Teilen der LINKEN bestreiten Goes und Bock nicht, dass es ein seit Jahrzehnten verfestigtes, rassistisches Potenzial in Deutschland gibt, das von oben und von der sogenannten Mitte der Gesellschaft mit konstanter Hetze vor allem gegen Muslime und Geflüchtete genährt wurde und das sich auch in Teilen der Arbeiterklasse verfestigt.

Das heißt im Umkehrschluss für Linke zu akzeptieren, dass es einen Teil der Gesellschaft gibt, der für linke Ideen oder gar Projekte nicht nur schwer bis überhaupt nicht zu begeistern sein wird, sondern der schlichtweg ein geschlossenes, rassistisches Weltbild hat. Doch – und das machen Goes und Bock sehr plastisch deutlich – es gibt auch jene, die durchaus manchmal in rechte Argumentationsmuster verfallen – das gilt selbst für Mitglieder der LINKEN –, aber die dennoch das Herz am linken Fleck haben. Für Linke muss bei der Ansprache und bei der möglichen Organisierung dieser Leute die Formel gelten, sie weder einfach als Rassisten zu verteufeln, noch ihnen aus falscher Rücksichtnahme nicht zu widersprechen. Eine Linke, die sich das zu Herzen nimmt, kann in die gesamte Breite der Arbeiterklasse hinein organisieren und gewinnen.

Die Ansprache der Arbeiterklasse

Die Frage der richtigen Ansprache der Arbeiterklasse ist keineswegs neu. Zwar wurde sie früher weder in der Facebook-Blase ausgefochten, noch unter dem Begriff „Linkspopulismus“ behandelt, aber sie war bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts Thema. In seiner berühmten Schrift „Was tun?“ interveniert Lenin in die damalige Diskussion der russischen Sozialdemokratie um das Verhältnis zwischen „Agitation“ und „Propaganda“. Beide Begriffe hatten damals nicht die negative Konnotation wie heute, sondern waren Gegenstand der Frage, wie sich welche Ideen und Zusammenhänge an die Arbeiterinnen und Arbeiter herantragen ließen. Lenin wehrte sich gegen die Vorstellung, dass die Agitation, also – wenn man so will – die „linkspopulistische“ Ansprache der damaligen Zeit, lediglich der Aufruf zur direkten Aktion der Arbeiterklasse sein solle, sondern dazu dienen müsse, anhand krasser Beispiele den Gesamtzusammenhang des Problems innerhalb des kapitalistischen Systems deutlich zu machen.

Trotzdem gibt es wichtige strategische Unterschiede zwischen Agitation und Propaganda. Lenin schreibt, „dass der Propagandist zum Beispiel bei der Behandlung der Frage der Arbeitslosigkeit die kapitalistische Natur der Krisen erklären, die Ursache ihrer Unvermeidlichkeit in der modernen Gesellschaft aufzeigen, die Notwendigkeit der Umwandlung dieser Gesellschaft in eine sozialistische darlegen muß usw. Mit einem Wort, er muß ›viele Ideen‹ vermitteln, so viele, dass sich nur (verhältnismäßig) wenige Personen alle diese Ideen in ihrer Gesamtheit sofort zu eigen machen werden. Der Agitator hingegen, der über die gleiche Frage spricht, wird das allen seinen Hörern bekannteste und krasseste Beispiel herausgreifen – z. B. den Hungertod einer arbeitslosen Familie, die Zunahme der Bettelei usw. – und wird alle seine Bemühungen darauf richten, auf Grund dieser allen bekannten Tatsache der ›Masse‹ eine Idee zu vermitteln: die Idee von der Sinnlosigkeit des Widerspruchs zwischen der Zunahme des Reichtums und der Zunahme des Elends, er wird bemüht sein, in der Masse Unzufriedenheit und Empörung über diese schreiende Ungerechtigkeit zu wecken, während er die restlose Erklärung des Ursprungs dieses Widerspruchs dem Propagandisten überlassen wird“.

Linkspopulismus als vages Label

Der springende Punkt für Sozialistinnen und Sozialisten ist damals wie heute die Frage, wie linke Ideen konkret an alle Menschen vermittelt werden können, ohne sie im Unklaren über die Gesamtzusammenhänge und Strategien zu lassen und ohne sie für zu einfach gestrickt zu halten, um eben diese Zusammenhänge und Strategien zu verstehen. Die scharfe Ansprache oder „Verdichtung“, wie sie Goes und Bock nennen, darf oder besser muss Bestandteil davon sein. Wenn die bürgerliche Seite linke Kritik als Populismus, Verkürzung, Bauernfängerei oder schlichtweg als Lüge diffamiert, ist das de facto Ausdruck einer Verteidigungshaltung gegen eben jene Aussagen, die ins Schwarze treffen. Ob wiederum allen, die darüber diskutieren, auch klar ist, dass es allein mit der richtigen Ansprache nicht getan ist, bleibt zu bezweifeln. Aber es gibt Hoffnung auf Menschen, die den richtigen Ton der Agitation treffen wollen und dies mit einer linken, kämpferischen Perspektive zu verbinden versuchen – und dazu gehören Bock und Goes.

Wer sich einer Antwort darauf annähern will, wie das Verhältnis von Propaganda und Agitation ausbalanciert sein sollte, muss jedoch auch fragen, wer letztlich die tatsächliche Gesellschaftsveränderung voranbringt. Und hier beginnt meine Kritik an dem Buch. Denn bei allen genannten Stärken des „unanständigen Angebots“ bleibt die Frage, warum sich ein solches Projekt das vage und unklare Label „Linkspopulismus“ geben muss. Zu einem großen Teil ist der Vorschlag von Goes und Bock der einer verbindenden Klassenpolitik gegen Rassismus und Sozialabbau und damit ein wichtiger Beitrag im innerlinken Diskurs, in dem immer noch viel zu oft von einer Dualität von ökonomischen Kämpfen und Kämpfen gegen Unterdrückung ausgegangen wird. Warum also lautet ihr „Angebot“ linker Populismus und nicht schlicht Klassenpolitik oder Klassenkampf?

Der Begriff der „Volksklassen“

Leider bestätigen Goes und Bock bei dieser Frage, dass das Label „Linkspopulismus“ für ihr Konzept nicht vollkommen fehl am Platz ist und das ist in diesem Fall kein Kompliment. Denn sowohl ihr Klassenbegriff als auch ihre Antworten auf die Macht- und Handlungsoptionen des ersehnten linkspopulistischen Projekts sind aus meiner Sicht kritikwürdig.

So gehen Bock und Goes, wie auch andere Vertreterinnen und Vertreter des Linkspopulismus, von einem „Unten-Mitte-Bündnis“ aus, einem Bündnis des „Volkes“ gegen Eliten und Rechte. Zwar vertreten sie, in Abgrenzung zur Rechten, ein inklusives Konzept des „Volkes“, das Migrantinnen und Migranten als essenziellen Bestandteil mit einbezieht. Dennoch ist der Begriff der „Volksklassen“ problematisch.

So zählen zunächst einmal für Goes und Bock längst nicht alle Teile der lohnabhängigen Bevölkerung – also all jene, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen – zur Arbeiterklasse, sondern lediglich „die an der Mehrwertschöpfung mittel- und unmittelbar beteiligten Industrie- und Dienstleistungsbeschäftigten“. Davon unterscheiden sie „andere lohnabhängige Schichten des Privatsektors (wie Pflegerinnen, Sozialarbeiter oder Erzieherinnen) sowie des Staates und des öffentlichen Dienstes (wie Lehrerinnen oder Verwaltungsangestellte)“. Damit vertreten sie einen extrem eng gefassten Begriff der Arbeiterklasse.

Definition der Arbeiterklasse

Tatsächlich gibt es auch bei Marx die Unterscheidung zwischen „produktiver“ und „unproduktiver“ Arbeit, wobei er unter erstere diejenige Lohnarbeit fasst, die im Sinn der kapitalistischen Produktion Mehrwert produziert. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass Marx nur Beschäftigte im „produktiven“ Sektor zur Arbeiterklasse gezählt hat. Und das aus guten Gründen: Auch die Beschäftigten im „unproduktiven“ Sektor werden ausgebeutet und müssen unbezahlte Arbeit verrichten. Sie unterliegen der gleichen kapitalistischen Logik.

In beiden Fällen haben die Beschäftigten höchstens sehr eingeschränkt Kontrolle über ihren Arbeitsprozess. In beiden Fällen versuchen ihre Arbeitgeber, die Löhne zu drücken und die Produktivität zu erhöhen, indem sie die Arbeitsbelastung steigern. Jedoch haben die Beschäftigten in beiden Fällen auch die Möglichkeit des kollektiven Widerstands zur Durchsetzung ihrer Interessen. Und in beiden Fällen ist die Überwindung des Kapitalismus letztlich Voraussetzung für die Beendigung ihrer Ausbeutung.

Das bedeutet nicht, alle Unterschiede wegzuwischen. Aber klar muss auch sein: Die Arbeiterklasse war nie ein homogener Block. Was zählt, ist der gemeinsame Zwang, die Arbeitskraft verkaufen zu müssen, ob nun am Fließband, im Büro oder im OP. All jene sind die „Totengräber“ des Kapitalismus, sie sind die entscheidende Gruppe im Kampf für eine bessere Gesellschaft.

Linkspopulismus und Bündnispolitik

Nun könnte man einwenden, dass wir uns nicht um jede Formulierung streiten müssen, da letztlich ja auch die nicht an der Mehrwertschöpfung beteiligten Lohnabhängigen Teil der „Volksklassen“ sind, die das von Bock und Goes angestrebte „Unten-Mitte-Bündnis“ formen sollen. Allerdings zählen sie hierzu relativ unterschiedslos auch „neue Selbstständigengruppen (wie Freelancer) [und] klassische Kleinstgewerbetreibende (wie etwa Handwerker, Kleinhändler oder Copyshopbetreiber)“. Während also durch den eng gefassten Klassenbegriff ein großer Teil der Arbeiterklasse aus eben jener ausgeschlossen wird, findet durch das Konzept der „Volksklassen“ als Träger des linkspopulistischen Projekts wiederum eine Einbeziehung des Kleinbürgertums, bestehend aus Kleinunternehmern und Selbständigen, statt.

Um nicht missverstanden zu werden: Wenn linke Projekte es schaffen, die progressiven Teile sowohl des traditionellen Kleinbürgertums als auch der neuen Mittelklasse aus höhergestellten und gut bezahlten abhängig Beschäftigten zu gewinnen, ist das nur wünschenswert. Dennoch verwischt das Konzept der „Volksklassen“ wichtige Unterschiede: Das Kleinbürgertum und die neue Mittelklasse unterscheiden sich von der Klasse der Lohnarbeiter, seien es Angestellte oder Arbeiterinnen. Lohnarbeiter erhalten nicht mehr als den Wert ihrer Arbeitskraft als Bezahlung, während leitende Angestellte teilweise ein wesentlich höheres Einkommen erhalten, als es dem Wert ihrer Arbeitskraft entspräche. Sie können sogar an der Ausbeutung der Lohnarbeit teilhaben. Ganz offensichtlich gilt dies für Kleingewerbetreibende, die selbst Mitarbeiter beschäftigen.

Kleinbürger zwischen den Stühlen

All das bedeutet nicht, dass Kleinbürgertum und Mittelklassen sich automatisch mit dem Kapital identifizieren. Sie befinden sich in einer widersprüchlichen Klassenlage und nehmen eine untergeordnete, abhängige Stellung im System ein. Besonders in Krisenzeiten besteht für sie das Risiko, vom Kapital ins soziale Nichts gestürzt zu werden. Das alte, „besitzende“ Kleinbürgertum riskierte den Bankrott, die neue Mittelklasse die Entlassung und in der Folge Arbeitslosigkeit und sozialen Absturz. Die Grenzen dieser Mittelklasse können weder nach oben noch nach unten scharf gezogen werden. Nach oben geht sie in die Klasse der Kapitalisten über, nach unten in die der Lohnarbeiter. Insofern ist sie wie das alte Kleinbürgertum keine unabhängige Klasse, sondern eine, die sich hin- und her gedrückt sieht, je nachdem, woher der Druck kommt.

Über die Rolle des Kleinbürgertums im Klassenkampf schrieb Leo Trotzki im Angesicht der bevorstehenden Machtübernahme der Nazis in Deutschland: „In der Epoche von Aufstieg, Wachstum und Blüte des Kapitalismus ging das Kleinbürgertum trotz heftiger Ausbrüche von Unzufriedenheit im Großen und Ganzen gehorsam im kapitalistischen Gespann. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Unter den Bedingungen der kapitalistischen Fäulnis und wirtschaftlichen Ausweglosigkeit aber versucht die Kleinbourgeoisie, sich den Fesseln der alten Herren und Meister der Gesellschaft zu entwinden. Sie ist durchaus fähig, ihr Schicksal mit dem des Proletariats zu verknüpfen. Hierzu ist nur eines erforderlich: Das Kleinbürgertum muss die Überzeugung gewinnen, dass das Proletariat fähig ist, die Gesellschaft auf einen neuen Weg zu führen. Ihm diesen Glauben einzuflößen, vermag das Proletariat nur durch seine Kraft, durch die Sicherheit seiner Handlungen, durch geschickten Angriff auf die Feinde, durch die Erfolge seiner revolutionären Politik.“

Verwirrung statt Trennschärfe

Bei der Frage, ob die Arbeiterklasse oder die „Volksklassen“ Träger eines linken Projektes sind, geht es also nicht nur um eine sprachliche Feinheit, sondern auch um eine taktische Auseinandersetzung. Goes und Bock führen nicht weiter aus, was ihr Konzept eines „Unten-Mitte-Bündnisses“ im Gegensatz zur Klassenpolitik für die konkrete Praxis der LINKEN bedeuten würde. Angesichts ihrer Kritik an Sahra Wagenknechts Lob des unternehmerischen Mittelstands kann ausgeschlossen werden, dass ihnen ähnliche Ideen vorschweben wie dem LINKE-Abgeordneten Diether Dehm, der meint: „Das Bündnis aus Kleinunternehmen und Arbeiterschaft ist antifaschistisch, ökologisch und fördert eine soziale Demokratie.“

Auch wenn Goes und Bock sich lediglich deshalb des Begriffs der „Volksklassen“ bedienen, weil ihr Begriff der Arbeiterklasse so eng gefasst ist, dass er einen großen Teil der lohnabhängigen Bevölkerung ausschließt, bringt das Konzept der „Volksklassen“ nicht mehr Trennschärfe, sondern stiftet eher Verwirrung.

Machtoption und Regierungsperspektive

Nach dem „wer“ möchte ich auch noch auf das „wie“ der Gesellschaftsveränderung zu sprechen zu kommen. Alle Vorschläge von Goes und Bock sind Teil eines erfolgversprechenden Rezepts für eine revolutionäre Perspektive und dennoch enden die sieben Thesen in einem Appell für „rebellisches Regieren“, einer Art Regierungsperspektive mit kritischer Unterstützung durch außerparlamentarische Bewegung und vorangetrieben durch Protest. Darunter verstehen Goes und Bock keineswegs lediglich eine rot-rot-grüne Koalitionsregierung unter heutigen Kräfteverhältnissen.

Und es ist ihnen auch durchaus bewusst, welche Risiken eine Regierungsübernahme unter kapitalistischen Verhältnissen birgt – sie selbst führen das Beispiel des Scheiterns der Syriza-Regierung in Griechenland an. Ihre Schlussfolgerung daraus lautet: „Eine linke Regierung bot die Chance, ein anderes Entwicklungsmodell durchzusetzen. Dass die Chance nicht genutzt wurde, bedeutet nicht, dass sie nicht hätte genutzt werden können. (…) Es heißt lediglich, dass wir über realistischere und daher radikalere Strategien nachdenken müssen. Wer den Tiger reiten will, sollte wissen, dass er kein Kätzchen ist.“

Man möchte antworten, ob es nicht vielleicht einfach eine blöde Idee ist, einen Tiger reiten zu wollen. Denn obwohl Goes und Bock es sich nicht so einfach machen wie manch Regierungsbefürworter in der LINKEN, die den Staatsapparat einfach „übernehmen“ und in ein Instrument emanzipatorischer Politik verwandeln wollen, so kann ihr Konzept des „rebellischen Regierens“ dennoch nicht überzeugen.

Probleme des Linkspopulismus

Mit Bezug auf Nicos Poulantzas, einen der Vordenker des sogenannten Eurokommunismus, plädieren sie für „eine Doppelstrategie, in der Kämpfe innerhalb des Staates mit Kämpfen außerhalb der Staatsapparate verbunden werden.“ So soll ein Prozess der „demokratischen sozialistischen Transformation“ in Gang gesetzt werden. Dabei ignorieren sie jedoch, dass alle bisherigen eurokommunistischen Projekte sich trotz anderslautender Rhetorik an der Regierung nicht anders als die klassischen reformistischen Arbeiterparteien der Sozialdemokratie verhalten haben: Letztlich mussten sich all diese Projekte dem kapitalistischen Sachzwang beugen.

Sie stützten überall die Kürzungspolitik der herrschenden Klasse, machten sich zum Mitverwalter der kapitalistischen Misere und gerieten damit in scharfen Widerspruch zu den sozialen Bewegungen und den Formen lokaler Gegenmacht – anstatt diese voranzutreiben, wie es die Theorie vorsah. Poulantzas sah diese Gefahr. Allerdings scheute er sich davor, jene Schlussfolgerung zu ziehen, für die so viele revolutionäre Marxistinnen und Marxisten vor ihm eingetreten waren: den revolutionären Bruch mit dem bürgerlichen Staat.

Hier wird ein organisches Problem des „Linkspopulismus“ im Sinne von Bock und Goes deutlich, denn es stimmt ja durchaus, was in ihrem Buch betont wird: „Soziale Mobilisierungen ohne Machtoption erschöpfen sich“. Wenn die Linke sich allerdings darauf beschränkt, in dieser Machtoption nicht den Umsturz alles Bestehenden zu sehen, den Aufbau einer ökonomisch vollkommen anderen Gesellschaft, dann endet sie zwangsläufig in Enttäuschung und in der Abwendung der neu Organisierten. Den Staat als Gegner wahrzunehmen, heißt freilich nicht, darauf zu verzichten, ihm gewisse Zugeständnisse abtrotzen zu wollen. Jedoch ist es ein großer Unterschied, ob die Linke als Opposition im Parlament und auf der Straße Druck auf eine kapitalistische Regierung ausübt oder ob sie selbst staatliche Funktionen wahrnimmt. Denn der Spielraum der Staatsbürokratie besteht nicht darin, ob sie den Bedürfnissen der Kapitalakkumulation gerecht wird, sondern lediglich darin, wie sie dies tut.

Es geht um Klassenkampf

Man kann sich mit Goes und Bock in vielem einig sein: Die Zeit ist reif für eine sozialistische Perspektive. Sozialismus muss auch nicht mehr geflüstert werden, sondern ist im Angesicht der fortschreitenden Krise des Kapitalismus nahezu unvermeidbare Notwendigkeit. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir diese Idee populärer machen. Es geht um nicht weniger als den Abwehrkampf gegen die massiven Angriffe von rechts und um die gemeinsame Offensive gegen den globalen Kapitalismus.

Das darf jedoch nicht bedeuten, dass die Linke ihre Kapitalismusanalyse zugunsten einer ansprechenden Botschaft über Bord wirft. Die Begriffskategorie „Linkspopulismus“ hilft uns nicht weiter. In einer Gesellschaft, in der die Klassenfrage eben kein Relikt ist, sondern für die Allermeisten bittere Realität, braucht es keine vermeintliche Abkürzung über einen linken Populismus mit Bezugnahme auf „das Volk“ – es geht um Klassenkampf.

Der Artikel von Daniel Anton erschien zuerst im Magazin Marx21.

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