“Steht denn im Koran etwas von Kopftuch? Wo steht im Koran, dass Kopftuch-Tragen Pflicht ist?!”, fragt sie in der Veranstaltung herausfordernd. Mein Mentor würde sagen: “Natürlich steht im Koran nicht, dass Frauen ein Kopftuch tragen sollen. Denn der Koran wurde gar nicht auf Deutsch geschrieben.” Ich weigere mich, auf eine dieser vielen Scheinfragen zu antworten. Seit wann wird denn der Koran von diesen Menschen als Quelle akzeptiert? Wenn ich sage: “In Sure X und Vers Y ist im Koran vom Kopftuch die Rede”, wird die Reaktion dann sein: “Achso gut, dann darfst du es natürlich tragen – Entschuldigung – ich habe nichts dagegen”? Lächerlich. Absolut lächerlich. Die entscheidende Frage ist: Glaube ich persönlich an diese Bekleidungsempfehlung im Islam? Ja. Dann gibt es auch keine weitere Diskussion. Du hast es so oder so zu akzeptieren, ob das nun vom Koran oder vom Mond hergeleitet wird. Wann wird eigentlich verstanden, dass hier kein Mitspracherecht besteht?
“Du hättest auf dem Podium noch erklären müssen, warum du das Kopftuch trägst und seit wann. Wie alt du warst und wie es dazu kam. Nur zu behaupten, du tätest es freiwillig, ist doch nicht ausreichend. Wir kennen die Umstände doch gar nicht und können das darum nicht beurteilen. Das hast du alles gar nicht getan”, sagt er nach der Veranstaltung. – Ich glaube, ich bin im falschen Film. Junge, wie kommst DU eigentlich dazu, MICH beurteilen zu wollen. Entscheiden zu wollen, ob dir meine Erklärungen passen, um dann darüber zu urteilen, ob ich ein Tuch tragen darf, oder nicht. Wie dreist ist das bitte? Und wann sind bei dir eigentlich Freiheit und Selbstbestimmung flöten gegangen?
Manchmal finde ich es wirklich fast unerträglich, was sich manche Menschen anmaßen, wenn es um “die” muslimische Frau geht. Was sie glauben alles fordern und vorschreiben zu können. Versucht doch euren Wahn mal für einen Moment zu stoppen und schaut euch mal an. Kann ja sein, dass ihr euren Wahnsinn erkennt und euch auch erschreckt. Das wünsche ich euch zumindest, denn Einsicht ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung.
Ein anstrengendes Wochenende erfordert manchmal klare Worte.
Und jetzt: Allen einen schönen internationalen Frauentag – auch den muslimischen Frauen – auch denen mit Kopftuch. XX
Ein Beitrag von Betül Ulusoy
7 Antworten
Yesss, Betül! :) Danke!
Ein sehr guter Artikel. Und so wahr.
Es ist wirklich interessant, wie bevorzugt hier in Deutschland die Meinung vertreten wird, man müsste schulmeisternd in Sitten und Gebräuche anderer Kulturen eingreifen. Oder zumindest umfangreiche Erklärungen darüber abverlangen, welcher Grund wohl hinter all diesen Dingen steckt. Wenn dies aus echter Neugier geschehen würde – dann wäre das phantastisch. Die Wahrheit ist aber, das man hier erst einmal abwägen muss, ob eine Angelegenheit in das eigene Wertemodell passt oder nicht. Ggf. muss der Befragte seine Gründe passend revidieren. Dann klappt es hier auch mit der Toleranz. Ein bitterer Witz.
Das, was Betül in ihrem Beitrag beschreibt, kann ich nur zu gut nachvollziehen – es geschieht nämlich auch den Roma und Sinti. Auch hier werden nur dem eigenen deutschen Weltbild ensprechend Zusammenhänge / Traditionen /Sitten wahrgenommen und der Rest politisch korrekt ignoriert. So wird Toleranz zur Farce und dient nur denen, die ihr Gewissen reinhalten wollen vor der Wahrnehmung der eigenen Intoleranz. Was soll ich sagen, ein System, was Scheindemokratie produziert, produziert auch Scheintoleranz.
Gut geschrieben, aber ich vertrete nicht unbedingt deine Ansicht. Ich meine ich weiss zwar nicht, wieso du auf dem Podium warst und über was du erzählt hast. Wenn es aber um Religion ging, finde ich die Frage des Gastes nicht schlimm. Ich würde mich darüber nicht so aufregen. Mich würde wirklich deine Antwort interessieren. Ich trage selber ein Kopftuch und wenn ich Fragen gestellt bekomme, antworte ich auch ohne mich angegriffen zu fühlen. Dein Artikel erweckt den Eindruck, als wüsstest du nicht wieso du es trägst und wo im Koran es steht. Das der Koran nicht auf deutsch geschrieben wurde, spielt hierbei keine Rolle. Kopftuch im Islam ist sowieso sehr umstritten und auch nicht unbedingt eindeutig im Koran formuliert. Meiner Meinung nach sollte jmd der in der Öffentlichkeit steht Verständnis für diese Fragen haben. Deine Artikel sind immer gut geschrieben und ich lese sie gerne, aber solche Reaktionen auf hamlose Fragen, lassen dich in ein anderes Licht rücken. Es wirkt mir zu aggresiv und man sollte sich nicht immer angegriffen fühlen, auch wenn es Gang und Gebe ist in diesem Land als Kopftuchträgerin diskriminiert und für dumm und inkompetent gehalten zu werden.
»[…]wenn es Gang und Gebe ist in diesem Land als Kopftuchträgerin diskriminiert und für dumm und inkompetent gehalten zu werden.«
Ich glaube, dass in jedem Land Diskriminierung Gang und Gebe ist – nicht nur in Deutschland. Und nicht nur die Einheimischen betreffend.
So gibt es auch zahlreiche muslimische ArbeitnehmerInnen, die keine Kopftuchträgerinnen einstellen möchten oder einen Ausbildungsplatz anbieten, weil es „schlecht für´s Geschäft“ sei.
Anders sein muss man sich leisten. Insbesondere in einem Land, das eine andere Kultur hat.
@ Ella
Im Koran steht: „Und gehorcht Allah und gehorcht dem Ge¬sandten. Wenn ihr euch jedoch abkehrt, so obliegt Unserem Gesandten nur die deutli¬che Übermittlung (der Botschaft)“ [Sure 5, 92 u. 64, 12]. Daraus ist zwangsläufig zu verstehen, daß auch die außerkoranischen Anweisungen des Gesandten Gottes – Friede sei auf ihm – zu befolgen sind, die bspw. diejenigen im Koran allgemein gehaltenen spezifizieren oder nicht eindeutige erklären. Auf dieser Grundlage sind sich die vier sunnitischen als auch die dscha´faritische (schi´itische) Rechtsschule darüber einig, daß die Bedeckung der Blöße (der gesamte Körper außer Gesicht, Händen und Füßen) für die muslimische Frau in der Öffentlichkeit Pflicht ist. Umstritten ist diese Vorschrift erst in neuerer Zeit mit dem Auftreten säkularisierter Muslime und islamischer Pseudo-Gelehrter.
Einige islamfeindliche Schweizer sagen: „Das Kopftuch gehört nicht zur Schweiz.“ In dem Film „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ aus dem Jahre 1929 mit Leni Riefenstahl tragen alle Frauen in dem im Film vorkommenden Engadiner Dorf ausnahmslos Kopftuch; und das ist noch keine hundert Jahre her! Aber offensichtlich besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem „christlichen“ und dem „islamischen“ Kopftuch; das erstere ist akzeptabel, das letztere inakzeptabel. Es erscheint mir symptomatisch für das oberflächliche Denken der Abendländer, daß sie sich weitaus mehr an der äußeren Erscheinung der Menschenköpfe orientieren als an deren Inhalt.
Die heutigen Abendländer scheinen in der Vorstellung zu leben, daß es gut sei, sich von den Moralvorstellungen und sogar der Mode früherer Jahrhunderte „befreit“ zu haben, und wehren sich verbissen gegen jede Äußerung von Sittlichkeit in der Öffentlichkeit. Diese negativen Auswirkungen einer falsch verstandenen Aufklärung werden einfach übersehen, und stattdessen macht man den Muslimen Vorhaltungen, daß ihre Religion „noch nicht die Aufklärung durchgemacht“ hätte.
„Umstritten ist diese Vorschrift erst in neuerer Zeit mit dem Auftreten säkularisierter Muslime und islamischer Pseudo-Gelehrter“
Wo ist das Problem?
In islamisch wie in christlich geprägten Gesellschaften gilt:
Säkularisierung heißt Zivilisierung!
Da wo Christen, Sunniten, Schiiten, Yeziden u.a. sich im Namen ihres jeweiligen Gottes in Bürgerkriege verbeißen, ist Säkularisierung dringend vonnöten.
Es gibt wichtigeres als die Kopftuchfrage, aber Zustände wie im Dreißigjährigen Krieg kann sich wohl niemand wünschen.
Mein tiefstes ethisches Empfinden, meine Überzeugung, alles, wofür meine Mutter und meine Großmutter gekämpft haben – nicht meine Religion, aber etwas, das mir fast gleich viel wert ist – wird durch das, wofür das Kopftuch steht, beleidigt und verachtet. Trotzdem kämpfe ich dafür, dass jeder hier in Deutschland sein, tun, sagen und glauben darf, was er will, und sich kleiden darf, wie er will. Für die Freiheit der Frau – dafür haben die Frauen des letzten Jahrhunderts nämlich gekämpft, dafür sind sie sogar gestorben. Wo aber bleibt die Toleranz mir gegenüber? Wenn ich in ein islamisches Land reise, wird mir keine Toleranz entgegengebracht, nicht einmal ansatzweise, nicht einmal dem Versuch, mich zu verstehen, begegne ich. Entweder ich passe mich an oder ich muss Ausweisung, wenn nicht Schlimmeres, erwarten. Ich passe mich an, weil ich andere Religionen respektiere, weil jede Religion gleichermaßen zu achten ist, weil ich Gast in einem islamischen Land bin, aber Gastfreundschaft wird mir nicht erwiesen. Welch eine ungeheuerliche Dreistigkeit, wenn Sie da von Anmaßung sprechen. Wo bleibt Ihre Anpassung, Ihre Rücksicht auf unser Empfinden, auf unsere Kultur? Sie wird – Gott und unseren Vorkämpferinnen sei Dank – nicht religiös oder gesetzlich verlangt – aber könnte man sie nicht freiwillig ein wenig üben?
Susanne