Über rassismuskritische Ansätze und das gesellschaftliche Ganze

Ein Kartenset möchte Bildungsarbeiter*innen zu Antirassismus und Antidiskriminierung unterstützen

Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismus e. V. mit Sitz in Düsseldorf hat ein Reflexions-Kartenset zur Anwendung in der politischen Bildungsarbeit herausgebracht, welches auf Fragen von Antidiskriminierung, Rassismuskritik und Diversität eingeht. Die rechteckigen Karten im handlichen Format sollen in fünf Kategorien Trainer*innen dabei unterstützen, Gespräche in Seminaren und Fortbildungen entstehen zu lassen. In der beiliegenden Broschüre wird erklärt, dass die Karten jeder Kategorie – Begriffe, Rassismuskritische Ansätze und Methoden, Zitate, Daten und Zahlen, Beispielsituationen – farblich definiert sind und sich getrennt voneinander oder in Verbindung zueinander anwenden lassen. Die Karten funktionieren dabei so, dass auf der Vorderseite etwas steht – ein Konzept oder eine Frage – und auf der Rückseite dann eine Art Auflösung zu finden ist.

So umfasst die Kategorie „Begriffe“ beispielsweise jeweils in wenigen Sätzen Definitionen zu Konzepten wie Diskriminierung, Othering oder Exotisierung. Auch verschiedene Formen von Rassismus, wie Antisemitismus oder Antimuslimischer Rassismus werden in einfacher Sprache erklärt. In der Kategorie „Rassismuskritische Ansätze und Methoden“ lernt man zum Anti-Bias-Ansatz, der Pädagogik der Vielfalt, sowie zu machtkritischen Ansätzen. Bei der Kategorie „Zitate“ werden Aussagen – mündlich oder schriftlich – von vor allem Politiker*innen, Journalist*innen, Autor*innen und Wissenschaftler*innen vorgestellt. Auffällig oft sind die Zitate Abgeordneten der AfD zuzuordnen, aber auch die CDU/CSU, die FDP und die Linkspartei (Sahra Wagenknechts Äußerungen zur „rüden Umverteilung von unten nach oben“ durch eine liberale „Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitsschutz“ 2018 in der Welt) sind vertreten.

Die Karten zu „Daten und Zahlen“ laden die Teilnehmenden dazu ein, sich zu überlegen, welche Zahl wohl die korrekte ist – hier tauchen dann Fragen auf wie „Wie viele Angriffe gab es 2017 auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte in Deutschland?“. In der letzten Kategorie „Beispielsituationen“, werden dann Szenarien geschaffen, in denen übergriffiges bis diskriminierendes Verhalten offenbart wird. Die Teilnehmenden werden dann aufgefordert, Karten aus der ersten Kategorie der Situation zuzuordnen. Mit Fragen auf der Rückseite werden die Teilnehmenden außerdem dazu angeregt, Möglichkeiten des Eingreifens beziehungsweise des Reagierens auf die Situation zu erarbeiten.

Kartensets zur politischen Bildung

Das Produzieren von Kartensets für die pädagogische Praxis ist in den letzten Jahren beliebter geworden. Dabei erfreuen sich vor allem kostenlosi verfügbare Kartensets mit ansprechender graphischer Umsetzung wie das 2018 vom Berliner ufuq e. V. produzierte Kartenset zum pädagogischen Umgang mit Positionen und Verhaltensweisen von Jugendlichen im Kontext von Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus „The kids are alright“ großer Beliebtheit. Anders als Fachliteratur geben Kartensets Praktiker*innen die Möglichkeit, mit einigen Karten, je nach Situation, direkt vor Ort zu arbeiten. Sie sind in sich also bereits eine wichtige pädagogische Methode und Ressource, die gerade bei jungen Menschen Interesse weckt.

Eden Mengis und Ansgar Drücker versuchen in ihrem Kartenset, in der Antidiskriminierungsarbeit geläufige Definitionen mit aktuellen Zitaten und Zahlen zusammenzubringen und somit nicht allein auf einer Definitionsebene zu bleiben. Die Definitionen in der ersten Kategorie sind dabei sehr allgemein und werden auch nicht auf bestimmte Urheber*innen zurückgeführt. Definitionen zu „Unterdrückung“ und „Ausbeutung“ fehlen dabei gänzlich. Keine Überraschung in der hegemonialen Antidiskriminierungsarbeit, gleichwohl problematisch, da so diese Konzepte für die Teilnehmenden wie aus der Luft gegriffen und für sich als geschlossenes, im Grunde natürliches System wahrgenommen werden können.

Doch ohne die materielle Grundlage von dem, was sich etwa als rassistische Unterdrückung zeigt, haben wir ein philosophisch idealistisches Rassismusverständnis, welches die Beantwortung von Rassismus schlussendlich im Individuum und seiner Psyche sucht, anstatt in der Gesellschaft und ihrer Produktionsweise, die bestimmte Formen von Rassismusformationen „nötig“ macht. In der Broschüre für die Anwender*innen des Kartensets unterstreichen die Autor*innen zwar die gesellschaftliche Dimension von Rassismus und auch von Diskriminierung, was dies aber genau heißt, bleibt unbeantwortet. Auch warum einige Rassismusformen eigenständige Karten bekommen, andere – wie Anti-Schwarzer Rassismus – keine, bleibt unklar. Auch Konzepte wie „Antikolonialismus“, „Widerstand“ oder „Solidarität“ fehlen in dem Set gänzlich.

Zahlen und Dunkelziffern

Bei den Karten zu Daten und Zahlen tauchen oft polizeiliche Kriminalstatistiken als Referenzpunkte etwa zu angezeigten rassistischen Übergriffen auf jüdische oder muslimische Menschen auf. Dabei wird zwar auf eine mögliche Dunkelziffer verwiesen – dies aber auch nicht weiter erklärt. Warum ist diese Dunkelziffer so hoch? Warum wenden sich so wenige Menschen bei rassistischen Übergriffen an die Polizei? Wie viele rassistische Polizeiübergriffe unabhängige Recherchegruppen wie die in Berlin ansässige KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt oder auch Reach Out – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus über die letzten Jahrzehnte dokumentiert haben, findet man auf keiner der Karten.

Dadurch, dass die Karten außerdem graphisch sehr minimalistisch gehalten sind (keine Zeichnungen, Bilder etc.) sind sie – gerade für den Einsatz in der Jugendarbeit – einfach langweilig und wenig ansprechend. So bleiben die Reflexionskarten recht oberflächlich und hinter den aktuellen Diskussionen kritischer Praktiker*innen und Forscher*innen zu Rassismus und Antidiskriminierung zurück. Trotzdem lassen sich vor allem die Karten mit den Begriffsdefinitionen, den Zitaten und den Daten und Zahlen bei Kontextualisierung für die Erwachsenenbildung gut anwenden.

Eden Mengis und Ansgar Drücker (2019): Antidiskriminierung, Rassismuskritik und Diversität. 105 Reflexionskarten für die Praxis, Beltz Juventa: Weinheim Basel, Broschüre, 23 Seiten, 29,95 €.

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