Othering, Rassismus und die Überhöhung der eigenen Identität

Rassismus kein neues Phänomen, doch die Feindbilder wie auch die verwendeten Stereotype wechseln, sie sind nicht festgelegt. Neuere Analysen haben es im linken Spektrum schwer Anerkennung zu finden, da sie als Aufweichung linker marxistischer Theorie, dabei gibt es lohnenswerte Konzepte, wie Stuarts Hall Konzept des „Othering“.

Heutzutage ist wissenschaftlich unstrittig, dass es keine unterschiedlichen menschlichen „Rassen“ gibt, auch wenn Rechte sich verzweifelt bemühen das Konzept wieder diskursfähig zu machen. Karl Marx setzte sich in seinem Werk zur englischen Arbeiterklasse damit auseinander wie Rassismus wirkt, nämlich als Spaltungsinstrument unter jenen, die eigentlich die selben Interessen verfolgen, den Arbeitern. Eine exakte Definition von Rassismus liefert er jedoch nicht. Stuart Hall, der sich auf Marx bezieht, definiert ihn wie folgt und im Anschluss an das Wissen, dass es keinen Rassen gibt: „Das heißt nicht, dass es keinen Rassismus gibt, sondern dass er nicht auf natürlichen, biologischen Fakten beruht. Rassismus ist eine soziale Praxis, bei der körperliche Merkmale zur Klassifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen benutzt werden, etwa wenn man die Bevölkerung nicht in Arme und Reiche, sondern z.B. in Weiße und Schwarze einteilt.“

Rassismus wird in „sozialen Praxen produziert“, diesen liegt dabei eine Ideologie zu Grunde, welche im Zusammenspiel von „Bedeutung und Macht oder von Wissen und Macht konstruiert“ (Hall 1989a: 913). wird. Hall verdeutlicht somit, dass es nicht der Existenz von vermeintlichen Rassen und noch nicht mal der Überzeugung, dass es menschliche Rassen gibt, für das Funktionieren von Rassismus bedarf. Es bedarf nur der Möglichkeit durch Ideologie ein gesellschaftliches Konstrukt von „wir“ und „die“ zu schaffen, die sich diametral gegenüberstehen. Die Grundlage dafür ist das Wirken von Ideologien, welche dazu dienen „Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern“ (Hall 1989a: S. 919). Ideologie ist bei Hall ein entscheidender Faktor, der in Kämpfen um Hegemonie immer wieder neu hergestellt wird.

Rassismus und die Arbeiterklasse

Anders als Marx sieht Hall allerdings Rassismus keineswegs nur als Mittel, welches von oben in die Arbeiterklasse eingeflösst wird, sondern auch als eine Ideologie, die sich Teile der Arbeiterinnen und Arbeiter zu eigen machen können. Statt die Spaltung ausschließlich als Mittel der Herrschenden zu sehen, stellt er die These in den Vordergrund, dass diejenigen, welche von ökonomischen Reichtümern ausgeschlossen sein mögen, sich aber zum dominanten Teil der Gesellschaft gehörig fühlen, sich bewusst mit Rassismus gemein machen können. Er sieht, wie auch Marx, das Rassismus von Medien und Herrschenden geschürt wird und dadurch im Kampf um Hegemonie Stärkung erhält, wodurch er auch für Teile der Arbeiter attraktiv wird.

Die Arbeiter jedoch, denen der Rassismus objektiv schadet, sehen „im Rassismus eine authentische Form der Identitätsgewinnung und des Selbstbewußtseins finden können“ (Hall 1989a: 916). Rassismus ist somit nach Hall eine Ideologie, die nicht nur von Medien und gesellschaftlich relevante Gruppen produziert wird, sondern auch von ökonomisch Schwächeren übernommen und auf sich angewendet wird, was zeitweise zu einem einem stärkeren Selbstbewusstseins führen kann, diesen aber ökonomisch schadet.

Die Schwäche der bisherigen Analyse von rassistischen Ideologien innerhalb der Arbeiterklasse hängt nach Hall damit zusammen, dass die meisten Analysen eine Grundlage haben, „die homogenisierende, widerspruchsfreie Konzeption von Bewusstsein und Ideologie“ (Hall 1989b: 90) zur Grundlage hätten. Er dagegen sieht Ideologie nicht als homogen, sondern als widersprüchliches und umkämpftes Feld an, wobei er allerdings ein Wissens- und Machtgefälle erkennt, welches es dem Prekariat erschwert eigene Ideologien durchzusetzen. Infolgedessen wird die Übernahme von anderen Ideologien vereinfacht. Diese Machtgefälle geht einher mit einer Bezugnahme auf ein Ideologiekonzept, welches er an Gramsci und Althusser anlehnt. So wird Ideologie im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Praxen gesehen, die „von einflussreichen Institutionen wie den Medien oder der Schule sowie Alltagspraktiken – entwickelt, produziert und reproduziert werden“ (Backhouse 2017: 58).

Othering – Überhebung des Ichs

Auf diesem Verständnis von Rassismus baut er sein Konzept des Otherings auf. Othering, was im deutschen am ehesten mit „andersartig machend“ übersetzt werden kann, beschreibt einen Prozess, in dem das eigene Sein durch die Hervorhebung der Differenz zu anderen emporgehoben wird. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem, die eigene Gruppe oder Kultur zu erhöhen, indem das Gegenüber als minderwertig dargestellt und beschrieben wird.

Beiden Gruppen werden dabei Eigenschaften zugesprochen, welche sie charakterisieren und somit in zwei sich ausschließende Gruppen aufteilt. Dabei entsteht eine Gruppe, die die Mehrheitsgesellschaft repräsentiert und eine, die die betroffene Minderheit darstellt. Ein Übergang von einer in die andere Gruppe ist aufgrund der festen Identitätszuschreibung, in den Augen jener, die daran glauben ausgeschlossen. Dies gilt solange die Gruppen innerhalb des ideologischen Diskurses existieren, da die Merkmale als fest verankert angesehen werden und dies entweder mit vermeintlichen biologischen oder kulturellen Gründen begründet wird.
Durch den Prozess wird eine Gruppe gebildet, welche mit positiven Tugenden und Werten verbunden ist und diese repräsentierend dargestellt wird, während die andere Gruppe, der Binarität folgend, das genaue Gegenteil dessen darstellt.

Hall formuliert dazu: „Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet“ (Hall 1989a: 919). Es entstehen somit Gruppen, die nicht etwa beide positive Eigenschaften aufweisen, sondern eine, die Gutes verkörpert und eine die das Schlechte darstellt. Der Prozess verläuft im Kontext eines „racialized regime of representation“ (Hall 2013: 228). Hall beschreibt diesen Prozess am Beispiel von schwarzen Menschen, die in Großbritannien zuerst mit biologischem Rassismus konfrontiert waren, dies ging mit einer Darstellung einher, welche schwarze Menschen als stark aber einfältig darstellte. Später wechselte dieses Bild zu einem kulturellen, bei dem schwarze Menschen nicht mehr so stark auf biologische Elemente reduziert wurden, sondern ihre Darstellung wandelte sich nun zu einem Bild, in welchem Faulheit, Fröhlichkeit gepaart mit Einfältigkeit (Hall 2013: 234) zu den dominierenden Eigenschaften wurden.

Die Konstruktion und Repräsentation im Prozess des „anders machen“ beinhaltet nicht nur eine Darstellung des „anderen“, sondern auch eine Stereotypisierung dessen. Stereotypisierung beinhaltet dabei auch eine Strategie der Spaltung: „It divides the normal and the acceptable from the abnormal and the unacceptable“ (Hall 2013: 242). Damit schließt er wieder an Marx an, welcher Spaltung als zentrale Funktionsweise von Rassismus sah. Die Spaltung verläuft dabei anhand der Stereotype, die den beiden Gruppen zugeordnet werden. Am Beispiel der schwarzen Jugendlichen in Großbritannien, von den Medien als „mugger“ bezeichnet, zeigt sich dieser Gegensatz deutlich. Während der englischen Kultur bzw dem was als „englishness“ bezeichnet wurde, Werte zugeordnet wurden wie „Diziplin und Respekt, Familie und Tradition, Fünf-Uhr-Tee und „whiteness““ (Müller-Uri & Opratko 2017: 120), stand der schwarze Jugendliche für das Gegenteil. Er wurde als unhöflich und undiszipliniert beschrieben, mit mangelnder Achtung vor Respekt und Tradition.

Zwischen diesen beiden Werten liegt eine symbolische Mauer, die kaum überwunden werden kann. Der Prozess der Stereotypisierung bedarf auch eines Machtungleichgewichtes. Dieses Ungleichgewicht in der Gesellschaft erlaubt die Darstellung und richtet sich gegen den Machtlosen. Die Macht dient dabei nicht ausschließlich dem Erhalt des Status Quo, sondern produziert auch neue Diskurse, Institutionen und Praktiken (Hall 2013: 251). Die Stereotypisierung dient aber nicht nur zur Markierung des „Anderen“ und der Abgrenzung vom „Wir“ und dem Ausnutzen der Macht, sie geht auch einher mit Fantasien und Fetischisierung. Hall beschreibt dies am Beispiel des schwarzen Mannes, dem unglaubliche sexuelle Potenz zugeschrieben wird, wodurch er zum Gegenstand von sexuellen Fantasien werden kann.

Die Fetischisierung meint dabei, dass trotz der Distanz und der Abgrenzung eine Betrachtung stattfindet, die auch die Fantasien zulässt und es so erlaubt, eine mögliche sexuelle Komponente mit einzubeziehen (Hall 2013: 258). Othering ist somit ein Mittel um eine bestimmte gesellschaftliche Ethnie/Kultur aus dem eigenen Deutungsrahmen von Kultur und Ethnie auszuschließen. Der Prozess verläuft dabei anhand von Stereotypisierung und Repräsentation, die auf einer Binarität von sich entgegenstehenden Kulturen/Ethnien basieren und diese mit Merkmalen verbinden. Diese Binarität wird dabei durch eine unsichtbare Grenze festgehalten und zu
manifestieren versucht.

Literatur:

Backhouse, M., 2017: Ursprüngliche Akkumulation und Ideologie. Impulse von Stuart Hall. S. 49-66 in: M. Backhouse, S. Kalmring & A. Nowak (Hrsg.), In Hörweite von Stuart Hall. Hamburg: Argument Verlag.

Hall, S., 1989a: Rassismus als ideologischer Diskurs. Das Argument 178: 913-922.
Hall, S., 1989b: Gramscis Erneuerung des Marxismus und Ihre Bedeutung für die Erforschung von „Rasse“ und Ethnizität. S. 56-91. in N. Räthzel (Hrsg.), Stuart Hall. Ausgewählte Schriften. Hamburg: Argument Verlag.

Hall, S., 2013: The Spectacle of the „Other“. S. 215-287 in: S. Hall, J. Evans & S. Nixon (Hrsg.), Representation. London: Sage Publications.

Müller-Uri, F. & B. Opratko, 2017: Von der Hall’schen Rassismusanalyse zum politischen Antirassismus. Aktuelle Kämpfe um das das muslimische ›Andere‹. S. 115-136. in: M. Backhouse, S. Kalmring & A. Nowak (Hrsg.), In Hörweite von Stuart Hall. Hamburg: Argument Verlag.


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