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Soziale Ungleichheit in der Pandemie: Wenn Gesundheit zur begrenzten Ressource wird

Vor dem Virus sind wir eben nicht alle gleich, meint Henry Peters.

Trotz der zu Pandemiebeginn verbreiteten Meinung, das Virus diskriminiere nicht, es vereine Nationen in der gemeinsamen Bekämpfung und wir säßen alle im selben Boot, meldeten sich rasch Stimmen zu Wort, die solche Phrasen als inhaltsleere Logorrhö enttarnten. Sätze wie diese lenken das Augenmerk auf gröbere politische Strukturen: Sie überspielen den unmittelbaren Handlungsbedarf und wirken politisch bremsend. Auf einmal werden jene, die besonders unter der Pandemie leiden, der Mehrheitsgesellschaft subsumiert und bekommen weniger Aufmerksamkeit.

Die vielen fehlleitenden Facetten des Framings »Die Nation gegen das Virus«, verkennen die ungleiche Gefahr der Menschen. Hinweise aus der Forschungsliteratur deuten darauf hin, dass benachteiligte Gruppen ein höheres Risiko haben, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren beziehungsweise an COVID-19 zu versterben. Laut Robert Koch-Institut gab es Anfang 2020 einen sozioökonomischen Gradienten in den Infektionszahlen, der sich im Laufe der ersten Pandemiewelle umgedreht hat. Zugespitzt formuliert, trugen reiche Urlauberinnen und Urlauber das Virus ins Land, arme Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter stellen nun das Infektionsreservoir dar. In Schutzstrategien ist es daher unabdingbar, über vertikale soziale Ungleichheiten zu sprechen. Dazu hilft der Blick in die Statistik, die eine eindeutige Sprache spricht: Armut tötet.

Wer erkrankt häufiger an COVID-19?

Ob eine Infektion bei einem Menschen auftritt, ist abhängig von der Exposition und der Suszeptibilität, also der Empfänglichkeit für das Virus. Diese Faktoren sind je nach sozialer Schicht unterschiedlich ausgeprägt. So findet man in Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem sozioökonomischem Status (SES) – sprich geringerem Einkommen und niedrigerem Bildungsabschluss – größere Familien, engere Wohnverhältnisse, mehr Nutzung des ÖPNV, Arbeit in systemrelevanten Jobs und weniger Homeoffice. Neben diesen externen Faktoren gibt es zunehmend Hinweise dafür, dass psychophysische Prozesse den Ausbruch von COVID-19 begünstigen könnten. In Studien über Erkältungskrankheiten zeigte sich, dass Menschen, die sich sozial ausgeschlossen fühlen, eher Symptome entwickeln, wohingegen stärkere soziale Integration mit verringertem Risiko für Erkrankungen der oberen Atemwege korreliert. Auch leiden ärmere Menschen stärker unter allostatischer Last, also der Krankheitsmanifestation von chronischem Stress, die zur Suszeptibilität für Infektionskrankheiten beiträgt.

Relative Deprivation – das Gefühl, sozial nicht mitzuhalten – macht krank

Das Konzept der relativen Deprivation stellt dieses Phänomen in den deutschen Kontext: Ungleichheit und deren gesundheitliche Folgen definieren sich über soziale Teilhabe und orientieren sich am gesellschaftsspezifischen Wohlstand. Für Körper und Psyche ist es also unerheblich, ob man hierzulande oder in einem Entwicklungsland vom Reichtum ausgeschlossen wird. Das Argument, die Ärmsten dieses Landes hätten es immer noch besser als der Rest der Welt, gehört also in denselben Spuckbeutel eingangs genannter Sätze.

Auch die Gesundheitskompetenz korreliert mit dem SES. Von einer Infodemie sprechen Sozialforschende erstmalig, denn es falle gerade bildungsferneren Menschen schwerer, valide Informationen zum Pandemiegeschehen zu finden und korrekt zu verstehen beziehungsweis mediale Inhalte auf Vertraulichkeit zu beurteilen. Wer hierbei noch auf vollkommene Eigenverantwortlichkeit setzt, hat den Schuss nicht gehört.

Die Erforschung Lebensstil-bedingter Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 zeigt ebenfalls ein deutliches Bild: Der SES korreliert unumstößlich mit geringerem Auftreten der sogenannten Volkskrankheiten wie Bluthochdruck, Übergewicht, Zuckerkrankheit und Lungenerkrankungen.

Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der SES als fundamentale Ursache für das Wohlbefinden und es entstehen neue Gruppenkonstellationen, die es in der Pandemie zu schützen gilt. Die Gesundheit, ein bisher unterschätztes Gut, wird nun zum Fluoreszenzmarker sozioökonomischer Missstände.

Dieser Beitrag von Henry Peters erschien in gedruckter Form in der Critica.

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