Palästina Foto: Felix Jaschick

Solidarität mit Palästina ist kein Antisemitismus

In Deutschland ist an Hochschulen ein Kampf um Meinungsfreiheit entbrannt. Entgegen dem Antisemitismusvorwurf und der Repression, stellen Studierende zunehmend Deutschlands bedingungslose Unterstützung Israels beim Begehen von Völkerrechtsverstößen in Frage. An mehreren Universitäten organisieren sich deshalb Studierende.

Deutsche Universitäten haben sich im Zuge des 7. Oktobers und der israelischen Bombardierung und Bodenoffensive in Gaza zumeist wenig ausgewogen geäußert. Als Antwort auf diese undifferenzierte Positionierung kam es in den letzten Monaten vermehrt zu studentischen Protesten. Pro-Palästinensische Studierende sind seither noch mehr als zuvor an deutschen Universitäten extremer Repression und Zensur ausgesetzt.

Unkritische Universitäten

Offiziell begründet wird dies mit dem Kampf gegen Antisemitismus. Werkzeug, um den Vorwurf des Antisemitismus aufrechtzuerhalten, ist die Instrumentalisierung der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Die Mehrheit der deutschen Universitäten nimmt eine zunehmend unkritische Haltung gegenüber dem Staat Israel ein und nutzt diese Arbeitsdefinition vor allem dafür, palästinensische, jüdische, israelische und arabische Studierende und Forschende, Repression, Diskriminierung und Verleumdung auszusetzen. Dafür können zahlreiche Beispiele aus den letzten Monaten angeführt werden.

Im Dezember versuchten etwa die Students for a Free Palestine, ein Zusammenschluss von Studierenden aller Glaubensrichtungen, an der FU Berlin einen Hörsaal zu besetzen. Ziel der Besetzung war es »ein sicheres Umfeld für das Lernen, den Austausch und die Vereinigung gegen den andauernden Völkermord zu schaffen«. Die Aktion wurde von Personen gestört, die sich gegenüber den Protestierenden aggressiv verhielten und Plakate von ermordeten palästinensischen Kindern herunterrissen. Die Universität rief schließlich die Polizei, und über 100 Beamte führten die an der Besetzung beteiligten Studenten gewaltsam ab.

Eine weitere Stufe der Eskalation stellte im Januar die Entscheidung der Universität zu Köln dar, einem Studierenden Hausverbot für zwei Tage auszusprechen. Hintergrund war der Auftritt des israelischen Botschafters Ron Prosor, der von der Universität eingeladen wurde. Laut Rektor sei zu befürchten, dass der Student bei der Veranstaltung »den vorgesehenen Veranstaltungsrahmen zugunsten von verbalen oder körperlichen Aktionen überschreiten könnt[e]«. Als angebliche Beweise für die ausgehende Gefahr wurden Instagram-Posts referenziert, die er likte oder in seiner Story teilte.

Repression und Raumentzug

Der jüngste Höhepunkt der politisch motivierten Repression ist nun der Beschluss der 73. Mitgliederversammlung des Freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften (fzs) in Erfurt Anfang März mit dem Titel »Aufforderung an die Hochschulleitungen gegen Antisemitismus vorzugehen und Juden:Jüdinnen vor Übergriffen zu schützen«. Dieser Antrag widmet sich formal dem Kampf gegen Antisemitismus, ist aber in seiner politischen Intention klar gegen alle Personen, Organisationen und Wissenschaftler*innen gerichtet, die sich kritisch zum Krieg und andauernden Genozid in Gaza äußern. Die Linke.SDS und die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, lehnten diesen Angriff in einer Pressemitteilung ab.  Ortsgruppen des SDS mussten in der Vergangenheit mit dem Entzug von universitären Räumen für selbst organisierte Bildungsveranstaltungen und Filmabende zum Thema Israel/Palästina und Deutschlands Nahostpolitik kämpfen. 

Die Repressionen, Raumnahme und Brutalisierung der politischen Realitäten an Universitäten schaden allen. Die Konsequenz sind sich verschärfender Rassismus und Antisemitismus. Alle Studierenden tragen Verantwortung dafür, betroffene Kommilliton*innen, effektiv vor Diskriminierung zu schützen. Aus diesem Grund sollte die IHRA-Definition durch die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus ersetzt werden. Kenneth Stern war 2004 federführend in der Formulierung ersterer. Er, erklärt, die IHRA-Definition sei geschaffen worden, um Regierungen bei der Erhebung von Daten über Antisemitismus zu unterstützen. Die Definition »wurde nicht entworfen und war nie als Instrument gedacht, um die Rede auf einem College-Campus ins Visier zu nehmen oder zu unterbinden«.

Jüdisches Leben in Deutschland muss geschützt werden. Es darf jedoch nicht für rassistische Überzeugungen und imperialistische Interessen der Bundesrepublik instrumentalisiert werden. Während über 93 Prozent der antisemitischen Gewalttaten von Neonazis ausgeht, wird eine kollektive Schuld auf migrantische Menschen projiziert, die Antisemitismus importiert hätten. Inmitten der Rufe nach »Remigration« und »Abschiebungen im großen Stil«, sollten Studierende, die sich für Menschenrechte, Freiheit und Leben unabhängig von Ethnie und Konfession einsetzen, der Beweis sein, dass »Nie wieder« keine leere Floskel bleibt, sondern universell gilt.

Dieser Beitrag erschien in gedruckter Form in der neusten Ausgabe der Critica Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.

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