Kinderarmut und Bildung – untrennbar und doch unbeachtet

Im Juli 2020 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung ein Factsheet zur Kinderarmut in Deutschland. Insgesamt sind 2,8 Millionen Menschen unter 18 Jahren von Armut bedroht und/oder leben von Hartz IV. Damit ist jedes fünfte Kind (21,3 Prozent) in Deutschland von Armut bedroht oder lebt in einer Hartz-IV-beziehenden Familie. Alleine diese Zahl sollte schon ein eindeutiges Zeichen an dieses Land sein, anstatt sich politisch im Exportweltmeisterruhm zu suhlen, vielleicht mal wieder mehr Wert auf eine gerechtere Sozialpolitik zu legen.

Corona hat dieses Feuer der Kinderarmut allerdings nicht erst entfacht, sondern wirkt bloß brandbeschleunigend. Das liegt vor allem daran, dass die finanzielle Situation dieser Kinder auch immer die finanzielle Situation ihrer Eltern ist.

Gerade geringverdienende und Hartz-IV-beziehende Menschen sind die ersten gewesen, deren Jobs in der Pandemie gekürzt und oftmals sogar gestrichen wurden, oder die erst gar keine hatten. Das war vor allem die Folge von Lockdowns ohne finanziellen Ausgleich. Jetzt kämpfen seit Beginn der Pandemie gerade die Menschen dieser Gesellschaft, die sowieso schon am wenigsten haben, mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise am härtesten. Hier muss vor allem Geld für betroffene Familien her. Dazu wird auch jetzt das Kindergeld und Hartz IV einmalig um jeweils 150 Euro aufgestockt. Auch letztes Jahr wurde das Kindergeld schon mal in gestaffelten Auszahlungen um 300 Euro erhöht. Die Auszahlung an Hartz-IV-Beziehende hingegen ist erstmalig. Dass es Geld gibt, ist erstmal gut, bewahren diese Auszahlungen Kinder allerdings vor Armut?

Grundsätzlich brachte der Kinderbonus 2020 deutlich mehr Konjunktur zu Krisenzeiten als die gleichzeitigen Steuersenkungen. Das kam bei einer Anfang Februar veröffentlichten Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung heraus. Von den Steuersenkungen haben gerade Familien mit höheren Einkommen profitiert, um jetzt zu niedrigen Preisen Neuanschaffungen zu tätigen. Insgesamt besser und vor allem sozial ausgewogener wurde 2020 die Konjunktur jedoch mit dem Kindergeldbonus von 300 Euro angekurbelt. Das ist logisch, denn diese Mär von der Steuersenkung zur Wirtschaftsankurblung kann ja auch gar nicht bei den Menschen ankommen, deren monatliches Haushaltsgeld nicht mal die vollen vier Wochen für Essen reicht. Diese Menschen benötigen einfach mehr Geld im Portemonnaie. Deren Geld ging ja bisher sowieso fast ausschließlich für Nahrungsmittel drauf und für Nahrungsmittel gilt schon seit 1983 eine ermäßigte Mehrwertsteuer von 7 Prozent.

Armut und Hartz IV

Zudem stellte der Tafel Deutschland e.V. schon 2019 in einer Umfrage fest, dass 30 Prozent aller tafelbeziehenden Menschen Kinder sind. Das waren schon im Vorjahr zur Corona-Pandemie 50.000 mehr Kinder als noch 2018. Diese Zahl wird im letzten Jahr noch einmal deutlich gestiegen sein. Die 300 Euro damals und die 150 Euro jetzt bald werden da langfristig nichts bewirken. Und strukturell werden die erstmalig ausgezahlten 150 Euro für Hartz-IV-Beziehende an deren Situation gar nichts ändern. Kinderarmut ist also kein neues Phänomen in diesem Land und hat schon vor der Pandemie existiert. Und wenn trotzdem schon vor Corona der Anteil der Kinder an deutschen Tafeln stetig stieg, reicht das vorhandene Geld wohl einfach nicht. Die Armut von Kindern ist eben auch immer die Armut ihrer Eltern. Je mehr Menschen es in diesem Land gibt, welche von ihrem monatlichen Einkommen nicht leben können, umso mehr arme Kinder wird es in diesem Land auch immer geben.

Jetzt in der Krise auf diese Entwicklung mit Steuersenkungen zu reagieren gleicht einer neoliberalen Farce. Schließlich wird einem bedingungslosen Grundeinkommen oder signifikanten Grundeinkommenserhöhungen immer das Gießkannenargument entgegengehalten. Aber was ist denn eine Steuersenkung bitte? Sie betrifft jede und jeden von uns. Wir zahlen alle weniger. Und das ist Geld, was direkt im Staatshaushalt fehlt. Eine punktuelle Bezuschussung an den Stellen, wo wirklich Geld benötigt wird, wäre da sogar aus Sicht des Staatshaushalts und der kommenden Verschuldung sinnvoller. Steuersenkung ist genau das Gießkannenprinzip, was einer progressiven Sozialpolitik oftmals vorgehalten wird. Um jetzt gerade betroffenen Menschen wirklich zu helfen, müssten diese einfach mehr Geld bekommen, welches über Steuern von denen geholt wird, die finanziell abgesichert sind. Anstatt also konstant die Mehrwertsteuer für Lebensmittel zu senken und damit auch von den Menschen, denen der Steuersatz mit oder ohne Krise egal sein kann, kein Geld einzunehmen, wäre es sehr viel sinnvoller, die Menschen, die sich kaum genug zu Essen leisten können, mit mehr Geld auszustatten.

Die nächste neoliberale Mär ist der Gedanke, dass jeder seines Glückes Schmied sei. Wenn Kinder nur gut in der Schule aufpassen und gute Noten schreiben, kann jedes Kind der Armut entkommen. Es braucht also nur Fleiß und keine Bücher oder Nachhilfe. Dafür reichen dann auch 1,30 Euro im Monat, so wie es im Hartz-IV-Satz für Bildung vorgesehen ist.

Um dieses Problem allerdings anzugehen, gibt es jetzt zusätzlich zu den 150 Euro nun auch noch ein kostenloses digitales Endgerät für das Homeschooling zur Verfügung gestellt. Das ist auch dringend nötig, denn laut des oben genannten Factsheet der Bertelsmann Stiftung haben 24 Prozent der Kinder, welche in Familien mit Hartz-IV-Bezug leben, keinen Zugang zu einem internetfähigen Computer. Das sind fast 500.000 Kinder in diesem Land. Zudem hat fast die Hälfte aller Familien, welche Hartz IV beziehen, nicht ausreichend Zimmer zur Verfügung für alle Personen im Haushalt. Also knapp eine Millionen Kinder in Deutschland, die keine geeigneten Räumlichkeiten zum Lernen zu Hause haben. Bildung ist natürlich grundsätzlich ein Schlüsselelement, um Armut entgegenzuwirken. Allerdings wird unter diesen Bedingungen dem sozio-ökonomischen Defizit der betroffenen Kinder nichts entgegengesetzt, sondern gerade das Homeschooling in der Pandemie verstärkt diese Problematik massiv.

Nun wird aber endlich Familien mit Hartz-IV-Bezug ein internetfähiges digitales Endgerät kostenlos zur Verfügung gestellt. Jedoch haben wir mittlerweile Februar und die Kinder werden schon seit Monaten vom Lehrstoff abgehängt. Zudem versuchen Schulen mittlerweile ja wieder zu öffnen.

Gleichzeitig sind im Hartz-IV-Regelsatz von insgesamt 446 Euro gerade einmal 39,87 Euro für Kommunikation vorgesehen. Das bezieht alles an Kommunikation mit ein, von Handyverträgen bis Internetanschluss. Fraglich ist damit, inwiefern ein solches digitales Endgerät überhaupt genutzt werden kann, wenn eventuell gar kein Internetanschluss vorliegt, oder schlichtweg die Erfahrung des Haushalts im praktischen Umgang damit fehlt. Es ist ja oftmals schon für Menschen, die regelmäßig das Internet und Laptops oder Tablets nutzen, schwierig genug, sich von Video-Call zu Video-Call zu hangeln und sich eigenständig in neue Programme einzuarbeiten.

Kinderarmut und ein sozio-ökonomisches Bildungsdefizit sind in Deutschland somit nicht erst seit Corona Probleme, schon vorher lebten 21,3 Prozent aller Kinder in diesem Land in Armut oder in Hartz-IV-Bezug und eine halbe Million von ihnen hatte keinen Internetzugang. Wenn also jetzt erst bei von Armut betroffenen Familien über digitale Bildung nachgedacht wird, zeigt das nur, wie sehr die Qualifikationskluft zwischen den gesellschaftlichen Schichten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter aufklaffen wird. 1,30 Euro für Bildung im Hartz-IV-Regelsatz sind da ein schlechter Witz. Corona hat dieses Feuer nicht erst entfacht, sondern wirkt viel mehr als Brandbeschleuniger. Auch die einmaligen 150 Euro sind da ein bloßer Tropfen auf den heißen Stein, das strukturelle Problem wird nicht angegangen. Vielmehr wird bei weitergeführter Fahrlässigkeitspolitik in Sachen Kinderarmut in Deutschland der Anteil der Kinder unter den Tafel-Gängerinnen in diesem Land weiter über die 30-Prozent-Marke steigen.

Ein Artikel von Lukas Scholz. Mehr von ihm findet ihr auf scholzlukas.com

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