Wenn man Unterschriften für den Schutz der Arktis sammelt, ist es praktisch, einen Eisbären dabei zu haben. Wie magnetisch zieht das lebensgroße Greenpeace-Bärenkostüm staunende Leute an. „Paula“ heißt es, abgeleitet vom englischen „polar bear“. „Ist der echt? Oder eine Maschine?“, fragen die Passanten immer wieder und rätseln, wie Paula wohl funktioniert. Dass zwei Menschen in dem Eisbärenkostüm stecken, erweckt regelmäßig Mitleid. „Ist denen nicht warm? Steht man nicht total unbequem darin?“ Ach, die haben ja keine Ahnung.
Noch schnell das Walkie-Talkie anstecken, Schuhe und Pullover ausziehen, dann sind wir bereit. Strumpfsockig hocken wir uns hin; ich vorne, sie hinten. Zwei Greenpeacer heben das an einer metallenen Stange hängende Kostüm an, um den Einstieg zu erleichtern. Halb stülpt sich das stickige Dunkel über uns, halb tauchen wir ein, stellen uns unbequem vornübergebeugt hin. Erst als auch die Füße in den tapsigen Pfoten verschwunden und die Öffnungen zwischen den Beinen mit Clips verschlossen sind, wird draußen die Stange aus den Halterungen gezogen. Die Schnüre werden unter dem weißen Kunstfell versteckt; es kann losgehen!
Es ist nicht das erste Mal, dass Paula an diesem Tag von Leben erfüllt ist. Das Kostüm ist schon warm und etwas feucht vom Schweiß der letzten „Eisbären“. Bald wird auch unserer fließen, sich im Kunststoff mit den Ausdünstungen all der Vorgänger vermischen. Mit ausgestrecktem Arm bewege ich die Stange in ihrem Kopf, drehe ihn damit nach links und rechts, damit sich die Eisbärin „umschauen“ kann. Nicht dass wir etwas davon hätten; Seit die Kamera in der Nase nicht mehr funktioniert, ist man praktisch blind. Stattdessen ersetzen elektronisch übermittelte Anweisungen
von draußen die Augen: „Dreht euch ein Stück nach links… noch ein bisschen, ja genau so“, dirigiert uns ein Greenpeacer in zivil. „Und jetzt fünf-sechs Schritte nach vorne…“.
Die Schritte gut hinzubekommen, ist gar nicht so einfach. Man muss sich erst aufeinander einstellen, das richtige Tempo finden – ohne die Bewegungen des anderen im Dunkel erkennen zu
können. Ein Eisbär geht einfach nicht im Gleichschritt.
Es gibt nichts zu tun, außer einen blinden Schritt nach dem anderen zu machen und – wenn man vorne ist – den Kopf hin und her zu bewegen. Trotzdem ist es nicht langweilig. Ein Grund dafür sind die Reaktionen der Passanten.
Ein Eisbär in der Fußgängerzone
„Ihr seid völlig umringt“, tönt es immer wieder aus dem Walkie-Talkie, „Halt den Kopf etwas höher, ihr werdet immer noch fotografiert.“ Gesprächsfetzen und Lachen der Umstehenden dringen gedämpft zu uns ein, teilweise spürt man, wie die Leute das weiße Fell streicheln. „Liebe Paula“, sagt eine Mädchenstimme auf Hüfthöhe. „Ich hab dich sooo lieb.“ Sie lehnt sich gegen das Kostüm und küsst es hörbar bis ihre Eltern weiterdrängen.
Ein Mann nähert sich lautstark schimpfend. „Das kann man doch nicht machen! Einen Eisbären mit in die Fußgängerzone nehmen!“ Sein Hund verschluckt sich fast an seinem hysterischen Gekläff und wird unter Lachen weitergezogen.
Ein Jugendlicher redet minutenlang auf das Kostüm ein, ob es Hunger hätte und lieber Pommes oder Fisch essen würde. „Ich bin ein Eisbärflüsterer“, verkündet er stolz seinen Freunden, als ich Paulas Kopf schüttle – und prompt wird ihm klar, wieso der Eisbär keine entweder-oder-Fragen beantworten kann.
Ein paar Jungs treten mir spielerisch auf die Pranken und erschrecken begeistert als ich darauf reagiere. Und ständig irgendwelche Leute, die unbedingt ein Foto mit Paula wollen. Immerhin unterschreiben die Meisten auch die Petition.
Schwitzen für das Eis der Arktis
Aber so langsam wird es anstrengend. Immer häufiger muss ich den Arm wechseln, mit dem ich den Kopf steuere. Das Kostüm wird allmählich schwer, die gebückte Haltung verursacht Rückenschmerzen, der Schweiß tropft. Trotzdem hat es etwas unglaublich entspannendes, etwas von Sauna und Meditation in einem. Ein Gefühl von Geborgenheit; ähnlich wird es wohl im Uterus gewesen sein.
Schließlich erschöpft herauszukommen dauert ein paar Minuten. Es verläuft wie das Einstiegsprozedere in umgekehrter Reihenfolge: Draußen die Metallstange in die Halterungen, drinnen die Clips öffnen, aus den felligen Beinen steigen und hinhocken. „Der Eisbär bekommt zwei Menschenkinder“, lacht jemand als wir unter dem Kostüm hervorkriechen.
Zugegeben: Eisbär spielen ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Doch als wir schweißnass draußen auf dem Pflaster stehen, fühle ich mich fast ein bisschen nackt ohne die wohlige Geborgenheit von Paulas stinkend warmen Bauch.
Autorin: Nanna Zimmermann
2 Responses
Tolle Aktion, wünsch dir viel Glück, dass du Erfolg damit hast. LG Romy
Passt nicht gerade zur Überschrift, aber ich möchte dieses Video hier trotzdem nochmal reinstellen, da mich es immer noch wundert, warum es so wenig verbreitet ist.
Der ehemalige Spiegel Journalist Harald Schumann redet Klartext und prangert die Interne Pressefreiheit in Deutschland an.
Schumann: “… das ist in der deutschen Presse Gang und Gäbe, dass Chefredakteure oder Resortleiter ihren Untergebenen sagen, wie sie zu denken haben. Dass Vorgaben gemacht werden, was sie recherchieren dürfen und was nicht, und dass viele junge Kollegen daran gehindert werden überhaupt kritische Journalisten zu werden weil ihre Vorgesetzten das gar nicht wollen.”
Interviewer: “Sie nehmen ausdrücklich die ÖR-Anstallten nicht aus, warum?”
Schumann: “Weil ich genügend Kollegen aus ÖR-Anstallten kenne, die mir genau solche Geschichten berichtet haben und mir das hundertfach bestätigt haben. Insofern, die sind da nicht aus zunehmen.”
https://www.youtube.com/watch?v=d1ntkEbQraU