Die Klimabewegung braucht einen Perspektivwechsel

Mehr als zwei Drittel der historischen Treibhausgasemissionen werden durch den Globalen Norden verursacht. Ronja Hegemann fordert eine antikapitalistische Klimagerechtigkeitsbewegung, die die Perspektive des Globalen Südens aktiv mit einbezieht.

Der letzte Klimastreik war fast eine Art Comeback der Klimagerechtigkeitsbewegung, die durch die Coronakrise sehr stark ausgebremst wurde. Zwar überlagert die Pandemie noch immer beinahe alles andere – doch sie ist definitiv nicht die einzige Existenzbedrohung, die uns zum Handeln zwingt. Nein, die Klimakrise ist bei weitem noch nicht gebannt. Ihre Auswirkungen für Mensch und Natur sind schon längst spürbar, obwohl wir erst am Anfang stehen. Dennoch sind wir weit von wichtigen strukturellen Veränderungen wie der Verkehrs- und Energiewende entfernt – und damit auch von einer klimagerechten Welt.

Unendliches Wachstum auf einer begrenzten Erde ist nicht möglich

Klar ist: Die Klimakrise beruht auf den vorherrschenden kapitalistischen Strukturen der Weltwirtschaft. Expandierendes Kapital bedeutet Ausbeutung von Lebewesen und Natur. Doch eine immer weitere Ausbeutung natürlicher, vor allem endlicher Ressourcen steht im Gegensatz zu deren Begrenztheit: Unendliches Wachstum auf einer endlichen Erde ist unmöglich. Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich eine sozialökologische Transformation – also ein nachhaltiges Umdenken in Politik und Gesellschaft, um innerhalb der planetaren Grenzen wirtschaften zu können.

Dreckige Kraftwerke und qualmende Motoren sind zu kurz gedacht

Die Probleme der Klimaerhitzung beginnen nicht bei den Emissionen von Produktionsstätten und Verkehrsmitteln, sondern sie entstehen entlang den gesamten global ausgerichteten Produktionsnetzwerke. Zum Beispiel bei der Landnahme, also dem Aufkauf von Landflächen durch Investorinnen und Investoren, um die Wertschöpfung geografisch auszuweiten. Oder bei der Rodung riesiger Regenwaldflächen (2020 waren es ca. 4,2 Millionen Hektar), um Soja oder Ölpalmen in Monokulturen anzubauen, die dann durch die halbe Welt verschifft werden. Und natürlich bei den vielen prekarisierten Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter, die für Großunternehmen schuften, um ihre Familien ernähren zu können.

Entlang dieser Netzwerke wird nicht nur die Ungleichheit, sondern auch der Klimawandel weiter forciert

Gerade Arbeiterinnen und Arbeiter spielen für die machtvollen Konzerne dabei eine entscheidende Rolle: Unterbezahlte Lohnarbeit macht die billigen Fortschritte des Kapitalismus erst möglich. Migrantinnen, Migranten und Minderheiten werden systematisch ausgebeutet und abhängig gemacht. Ein Beispiel ist etwa die Textilindustrie in Bangladesch, wo Arbeiterinnen zwölf Stunden am Tag nähen müssen. Indigenen Bevölkerungen werden Landflächen für den Anbau von riesigen Ölpalmenplantagen entrissen, meist ohne den Erhalt der versprochenen Entschädigungen. FLINTA* leisten einen Großteil der unbezahlten und meist unsichtbaren Care-Arbeit. So kann der Kapitalismus immer weiter wachsen. Das Paradoxe dabei: Die Menschen, die am wenigsten zur Klimaerhitzung beitragen, bekommen ihre Auswirkungen am stärksten zu spüren.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel

Wichtig ist, dass wir den Kampf für Klimagerechtigkeit nicht nur aus Sicht des Globalen Nordens denken dürfen. Es geht auch um migrantische Perspektiven, um Perspektiven von Minderheiten und prekarisierten Arbeiterinnen und Arbeitern. Wir müssen unseren Horizont erweitern und auf die eigentlichen Geschehnisse der Wertschöpfungs- und Produktionsnetzwerke schauen: Talking climate is talking capitalism! Es reicht nicht, klimagerechte Politik im eigenen Land zu fordern. Wir müssen da ansetzen, wo Ausbeutung passiert und Menschen zugunsten kapitalistischer Akkumulation prekarisiert werden.

Was Mut macht, sind die Bewegungen überall auf der Welt – Kämpfe lokaler Bevölkerungen gegen ihre Ausbeutung und/oder für den Schutz der Natur. Indigene Aktivistinnen und Aktivisten in Ecuador und Brasilien kämpfen schon seit Jahren gegen die Zerstörung von Waldflächen für die Ölförderung. Es gibt Bewegungen gegen Umweltverschmutzung, wie nach der Ölkatastrophe vor einigen Monaten auf Mauritius, oder für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne. Die Beweggründe sind zwar unterschiedlich, doch sie alle richten sich gegen ausbeuterische Produktionsbedingungen und sind essenziell im Kampf für eine sozialökologische Transformation. Und damit für eine klimagerechtere Zukunft.

Dieser Beitrag von Ronja Hegemann erschien in gedruckter Form in der Critica.

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