Lukas studiert Politikwissenschaften und Philosophie an der FAU Erlangen-Nürnberg. Als studentischer Vertreter in Unigremien und Delegierter der landesweiten Studierendenvertretung bekommt er die Neuausrichtung der bayrischen Hochschulpolitik direkt mit. Ein Versuch der Aufarbeitung.
Der Freistaat Bayern ist in vielen Angelegenheiten ein besonderes Bundesland, das die föderalen Strukturen der Bundesrepublik oft sehr weit auslegt. Nicht erst seit der Pandemie tun sich bayrische Ministerpräsidenten mit – sagen wir mal – besonderen Forderungen hervor. Man sieht sich in Bayern eben gerne als „exceptional state“; ob eine Ausländer-Autobahnmaut oder Obergrenze für Asylsuchende – was von der bayrischen CSU gefordert wird, wird oft auf der Bundesebene durchgesetzt. Im Schatten der Pandemie reift nun das Vorhaben der bayrischen Staatsregierung, das Hochschulgesetz von 2006 zu novellieren. In Bayern rühmt man sich gerne mit dem schwersten Abitur Deutschlands und allgemein mit einem Bildungssystem, das sich andere Bundesländer zum Vorbild nehmen sollen – auch bei der Novelle des Hochschulgesetzes besteht diese Gefahr.
Einen offiziellen Entwurf des sogenannten „Hochschulinnovationsgesetz“ gibt es noch nicht, aber Schlagworte, die immer wieder fallen, sind „maximale Verschlankung“, „Deregulierung“, „größtmögliche Freiheit“ oder sogar „Entfesselung“. Es sollen alle fachlichen Kontrollen entfallen und Hochschulen selbst ihre Struktur entwerfen, wodurch sich die Staatsregierung mehr Schnelligkeit und Flexibilität verspricht. Bayern möchte weltweit mitspielen, Spitzenforscher mit hochdotierten Förderbudgets holen. Bayrische Universitäten sollen mit Harvard oder Oxford konkurrieren, nicht mit anderen deutschen Hochschulen. Kurzum: Es soll eine Neoliberalisierung stattfinden und das Konzept der unternehmerischen Hochschule soll Einzug auch in die deutsche Hochschullandschaft finden. Universitätspräsidentinnen und Universitätspräsidenten sollen wie Unternehmensbosse agieren und Start-up-Gründungen üblich werden. Spekuliert wird, dass das Gesetz Anfang 2021 fertig sein soll, aber was im Gesetzesentwurf landet, weiß bisher noch niemand. Viel Hoffnung auf eine Kehrtwende der Staatsregierung sollte man allerdings nicht haben.
Zwar gibt es in Bayern keine offizielle studentische Mitbestimmung, wie es in anderen Bundesländern üblich ist, denn ein Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) – eine verfasste Studierendenschaft – wurde in Bayern in den 1970ern abgeschafft, aber auf studentischer Seite formiert sich trotzdem Widerstand. Die LAK Bayern, die bayrische Studierendenvertretung auf Landesebene, positioniert sich gerade mit einem Papier mit dem Namen „Vision einer bayrischen Hochschullandschaft 4.0“. Zwar fordert dieses Positionierungspapier, dass „binnendemokratische Strukturen“ gefördert werden sollen, dass mehr Diversität mit Quotenregelungen geschaffen wird oder dass endlich wieder die studentische Mitbestimmung im Hochschulgesetz verankert werden soll, aber eine weitere Öffnung gegenüber der Wirtschaft und eine weitere Ökonomisierung werden nicht pauschal abgelehnt. Es wird schlicht eine Differenzierung gefordert: „Zum einen in die strukturelle unternehmerische Betätigung der Hochschule, zum anderen in das unternehmerische Denken und Handeln der Hochschulmitglieder“. Es wird davon gesprochen, dass „unternehmerisches Denken in der Hochschule (…) Chancen als auch Risiken“ birgt. Eine Positionierung gegen das Vorhaben der Staatsregierung sieht anders aus.
Eine klarere Gegenposition bietet die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften, die in einer Petition darlegt, dass die geplante Novelle im erheblichen Maße die freie Ausübung eben dieser gefährdet. Forderungen sind unter anderem die Befreiung der Sozialwissenschaften vom Diktat unmittelbarer ökonomischer Verwertbarkeit. Außerdem sollen sie eine materielle sowie ideelle Förderung erhalten, die im angemessenen Verhältnis zur Förderung von Hightech- und MINT- Fächern steht. Ebenfalls bedroht sind kleine Fächer – die Petition fordert diese zu erhalten, denn ihre Bedeutung ist nicht an den üblichen Kriterien größerer Wissenschaften messbar. Diese Forderungen sind sinnvoll, denn vor allem lässt sich das Leitbild einer „unternehmerischen Hochschule“ nur schwerlich mit dem grundsätzlichen Wesen und der methodischen Herangehensweise der Geistes- und Sozialwissenschaften in Einklang bringen. Ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zeichnen sich oft gerade dadurch aus, dass sie sich nicht immer sofort und unmittelbar verwerten lassen. Geisteswissenschaften nehmen eine gesellschaftliche Reflexionsfunktion ein, die – frei nach Adorno – von den Vertreterinnen und Vertretern der instrumentellen Vernunft nur bedingt wahrgenommen werden kann.
Was also muss geschehen? Was Entfesselung, Deregulierung und Privatisierung von staatlichen Einrichtungen anrichten können, haben wir jüngst bei unserer Gesundheitsversorgung während der COVID-19-Pandemie erlebt. Eine Novellierung des bayrischen Hochschulgesetzes unter diesen Vorzeichen wird ähnliche Folgen haben und muss verhindert werden, da sie auch eine Leuchtturmfunktion für andere konservativ regierte Bundesländer hätte. Nicht nur weil ein Markus Söder (CSU) auf das Kanzleramt schielt, sondern auch weil andere Bundesländer nachziehen müssten, weil eine solche Entfesselung der bayrischen Hochschulen Top-Wissenschaftspersonal aus der ganzen Republik anziehen würde. Denn wer forscht nicht gerne mit einem hochdotierten Vertrag? Auf der Strecke werden die Studierenden bleiben, die mehrheitlich sicher nicht von verschärfter Konkurrenz und Exzellenz-Clustern profitieren. Sie werden stattdessen einem entfremdeten Studium ausgeliefert, das Verwertungslogik über dem Ideal der Bildung verortet.
Hierbei handelt es sich um einen Gastbeitrag von Lukas Geisler aus der critica-Redaktion.
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