Die „Lügenpresse“ im Realitätscheck

Zwischen lauten „Lügenpresse“-Rufen und egozentrischen Elite-Journalisten eine objektive Einschätzung zum aktuellen Status Quo des deutschen Journalismus zu finden, ist nicht ganz einfach. Parteilichkeit, wirtschaftliche Interessen und ganz simple Verblendung stehen oft der Erkenntnis im Wege – und macht man sich nicht mit Pegida gemein, wenn man als „Bildungsbürger“ Zweifel an der Presse erhebt?

Dass Skepsis manchmal mehr als angebracht wäre, zeigt der Diplom-Journalist und Politikwissenschaftler Uwe Krüger in seinem Buch „Mainstream: Warum wir den Medien nicht mehr trauen“. 2016 wurde er für das Buch mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet – zu recht. Denn der Text lässt sich nicht nur ungemein angenehm und unwissenschaftlich lesen, sondern bietet ganz nebenbei so manche neue Perspektive an.

Gefangen im medialen Mainstream

Auch die Journalisten selbst haben eine Mitschuld am Misstrauen: so könnte man die Hauptthese des Textes formulieren. Als eines von vielen Beispielen nennt Uwe Krüger in seinem Buch die Berichterstattung in der Ukrainekrise, die seitens der Bevölkerung auf Kritik gestoßen war. Selbst der Programmbeirat der ARD hatte dessen Berichterstattung im Juni 2016 kritisiert, da sie „wesentliche Aspekte nicht oder nur unzureichend“ beleuchte. Die Chefredaktion hatte den Vorwurf jedoch zurückgewiesen. Man tat die Kritik als „Verschwörungstheorien“ ab. Das, was zu dem Zeitpunkt unter anderem die Kritik verursacht hatte, nennt Krüger das Phänomen des „medialen Mainstreams“: Zu einem Zeitpunkt behandelt die Mehrzahl der Leitmedien ein bestimmtes Thema oder vertritt eine bestimmte Meinung. Wenn in der Medienlandschaft größtenteils ähnliche Meinungen dargestellt werden, ist aber nicht unbedingt politische Steuerung schuld. Medialer Mainstream entsteht auch, indem Medien sich gegenseitig beobachten und beeinflussen und wenn Nachrichtenagenturen eine immer wichtigere Rolle spielen, weil den Journalisten die Zeit für eigene Themen fehlt. Dasselbe Problem besteht auch mit PR, die aufgrund der journalistischen Zeitknappheit immer mehr Eingang in die Berichterstattung findet.

Zeit ist Geld

Journalisten haben auch mit dem wirtschaftlichen Druck zu kämpfen: Eine eigene Haltung zu wahren und zu verteidigen ist schwer, wenn man um seinen Arbeitsplatz bangen muss. So leidet auch hier die journalistische Qualität. Sei es in der Rücksichtnahme auf Anzeigenkunden oder, wenn statt politischer Themen zunehmend emotionale Themen dominieren. In Studien hat die Mehrzahl der Journalisten bestätigt, dass die Recherchezeit sich zu Ungunsten von Quellencheck und Faktenkontrolle verkürzt haben. Die online geforderte Aktualität lässt weniger Zeit übrig für Hintergrundrecherche – so kommt es eher zu Falschmeldungen. Der zeitliche und wirtschaftliche Druck gibt auch einem weiteren Phänomen Aufschub, unter dem die journalistische Qualität leidet: Indexing. Beim Indexing lassen Journalisten nur die politische Elite zu Wort kommen, um ihre journalistische Aufgabe zu vereinfachen und stets die Rückendeckung der Politik genießen zu können. Uneinigkeit und Kritik treten beim Indexing entsprechend nur in der Berichterstattung auf, wenn auch innerhalb der politischen Elite Uneinigkeit besteht – und dabei bietet das Parteiensystem selbst immer weniger konkurrierende Meinungen. Die Extremform des Indexing, Power Indexing, lässt sogar nur die politischen Akteure der Regierung zu Wort kommen. Studien haben dabei ergeben, dass Abweichungen vom Indexing geringer sind, je wichtiger ein Thema ist.

Den Eliten näher als dem Volk

Dazu kommt, dass die Verteilung der Journalisten auf Gesellschaftsmilieus nicht dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht: Zwei Drittel der Journalisten sind in finanziell gut abgesicherten Haushalten groß geworden – das heißt, sie sind einheitlich sozialisiert und repräsentieren damit auch die unterschiedlichen Gesellschaftsmilieus nicht gut. In ihrem klassischen Konflikt – nah am Volk zu sein, um dessen Interessen zu kennen, aber auch nah an den Eliten zu sein, um an Informationen zu kommen – stehen die Journalisten deswegen meist den Eliten näher und verlieren so den Kontakt zu den Bürgern. Das wird von Politikern gefördert: Sie machen Journalisten für die Folgen ihrer Berichterstattung verantwortlich und bauen Druck auf. Vor allem in Zeiten von Krisen kommt es zu Ausgrenzungen und Stigmatisierung, wenn Journalisten überdurchschnittlich kritisch berichten. Es gibt journalistische Zirkel, die regelmäßig exklusive Einzelgespräche mit Politikern veranstalten – auch Angela Merkel veranstaltet regelmäßige Treffen mit einem ausgewählten „Inner Circle“ aus Chefredakteuren, über deren Inhalte nicht berichtet werden soll. Die Konkurrenz, die Suche nach hochrangigen Quellen, aber auch die Machtgier und die Angst vor sozialer Isolation führt dann oft zu einer Art Selbstzensur der Journalisten.

Ein Weg aus der Krise

Aber Indexing und medialer Mainstream haben (noch) nicht dafür gesorgt, dass alle journalistischen Beiträge unkritisch und gleichförmig sind. Es gibt auch in den Mainstream-Medien meist täglich einige Beiträge, die eine Ausnahme bilden und andere Perspektiven zeigen. Wer als Mediennutzer die Medienlandschaft positiv mit entwickeln will, sollte auf genau solche Beiträge zu achten und sie, beispielsweise durch Teilen in den sozialen Medien, verbreiten. Das könnte langfristig auch dazu führen, dass Redaktionen auf den Wunsch des Publikums nach unterschiedlicheren Meinungen reagieren. Journalisten selbst sollten sich gezielt Quellen suchen, die unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema haben. Vertrauliche Gespräche mit Politikern müssen dabei nicht (nur) verdammt werden: sie können auch helfen, mit neuen Informationen wieder andere Perspektiven zu schaffen. In einer Zeit, in der immer weniger Journalisten sich selbst in der Rolle des Kontrolleurs und Kritikers der Eliten sehen, kann auch Aufklärung unter Journalisten helfen, den Ruf des Journalismus zu verbessern.

Insgesamt lässt sich festhalten: Die Wahrheit ist wie immer nicht schwarz-weiß. Die tatsächliche Situation des deutschen Journalismus befindet sich irgendwo zwischen der Lügenpresse und einer blütenreinen Weste. Dabei lässt es sich nicht verhindern, dass Medienkonsumenten mitdenken müssen. Auch beim Lesen von Krügers Buch. Denn das musste harsche Kritik seitens einiger Wissenschaftler und Journalisten einstecken: Subjektiv sei es und unwissenschaftlich. Doch so sehr man Krügers Thesen widersprechen mag – auch, wenn man nur seine Fakten sieht, sagt das schon Dinge über den Journalismus, die erschrecken.

Dies ist ein Gastbeitrag von Alisa Sonntag. Alisa studiert Politik- und Kommunikationswissenschaften in Dresden und schreibt nebenbei für verschiedene Medien, unter anderem ihren Blog www.whothefckisalice.wordpress.com

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4 Antworten

  1. Journalismus zwischen Lügenpresse und blütenweiser Weste anzusiedeln, greift meiner Meinung nach ins Leere. Machen wir uns nichts vor. Journalismus wird heutzutage als Waffengattung missbraucht, um in der Bevölkerung Akzeptanz für Kriegseinsätze zu schaffen. Das Publikum fühlt sich verraten von jener vierten Macht, die das Volk durch Aufklärung und Information vor den Verfehlungen der Mächtigen schützen soll, jedoch klammheimlich die Seiten gewechselt hat. Und wer einmal lügt…

  2. Das ist auch mein Eindruck, dass es immer weniger darum geht Nachrichten zu verbreiten, sondern in erster Linie um Narrative. Journalismus heute erscheint mir als reines Propagandainstrument verkommen zu sein. Und ich glaube auch das viele die „Lügenpresse“ Krakeelen genau das meinen. Sie fühlen, dass ihnen ständig versucht wird Ansichten aufzudrücken und immer weniger das es darum geht über Dinge die in der Welt passieren aufzuklären.

    Ein aktuelles Beispiel ist das Verfassungreferendum in der Türkei. Alle glauben zu Wissen wie schlimm es ist und das Erdogan eine Diktatur aufbaut. Gleichwohl fehlen Berichte darüber, worüber nun wirklich abgestimmt wird und wie die Meinung bei den türkischen Bürgern darüber ist (das es z.b. durchaus eine Kontroverse Diskussion darüber gibt und nicht alle diese Änderungen wollen). In allen Medien wird einfach nur gehetzt. Auch wenn die Ablehnung teile, finde ich diese Berichterstattung grund falsch und kann verstehen, wenn es Menschen gibt, die eine andere Meinung haben, sich dadurch angegriffen fühlen.

    Meiner Ansicht nach, schafft man sich durch die heutige Art des Journalismus erst diese breite Basis für extreme Meinungen und solche Bewegungen wie Pegida. Wer sich in einer Gesellschaft nicht mehr vertreten fühlt, wendet sich von ihr ab. Und dann ist die Frage, ob das gewollt ist oder nur Kurzsichtigkeit der „Eliten“?

  3. ich würde gerne einmal eine Analyse, bzw. Berichterstattung über Redaktionen lesen. Meine Theses: die Redaktionen sind viel zu (politisch, intellektuell oder ideologisch) einseitig.
    Um ein realistisches Bild in der Berichterstattung zeichnen zu können, wäre zu erwarten, das (mind. wöchentlich) heftigst über die Ausrichtung von Artikeln gestritten wird. Ich vermute das kommt nicht vor oder viel zu zahm.
    Man stelle sich vor: ein Linker, ein Rechter und ein Gemäßigter Redakteur würden sich über den Hauptartikel einer Zeitung zum Thema Flüchtlinge einigen müssen. Da ist und MUSS echter Zoff stattfinden!Ist das so? garantiert nicht, weil sich alle Redaktionen in evolutionäre Art auf eine „Einheitsmeinung“ zusammengeschmeichelt haben.

    Optimale Zusammensetzung einer Redaktion nach meiner bescheidenen Meinung:
    1* ehemaliger HartzIV Empfänger (mind. 1Jahr)
    1* Mittelstand mit Umschulung
    1* konservativ ala https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Brinkbäumer

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