Die kurdische Bewegung ist immer bereit für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses – Im Gespräch mit der YXK

Seit dem Anschlag von Suruc hat sich die Situation in der Türkei, Syrien und den kurdischen Gebieten massiv verschärft, auch in Deutschland gab es große Demonstrationen gegen die Eskalation der Gewalt. Wir haben mit dem Vorstand des Verbands der Studierenden aus Kurdistan – YXK über die aktuelle Situation, den Anschlag und Chancen für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Hat der schreckliche Anschlag in Suruc Folgen für die Solidaritätsarbeit mit Kobane, wird es in Zukunft weitere Hilfe in Kobane geben? Und wie bewertet ihr die Haltung der Türkei gegenüber diesem Anschlag?

YXK: Wir möchten hierbei deutlich betonen, dass nach den Tatsachen zufolge es klar ersichtlich ist, dass hinter diesem Massaker die AKP – Regierung steckt. Es mag sich für den einen oder die anderen nach einer banalen Verschwörungstheorie anhören, jedoch gibt es viele Tatsachen, die klar und eindeutig sind, dass die AKP – Regierung ‚auch‘ hinter diesem Anschlag steckt. Mit dem nebenher geführten psychologischen Krieg in den Medien, werden diese Tatsachen natürlich gekontert vertuscht und es entsteht ein völlig zerrissenes Bild, das nicht mal mehr der Realität entsprechend ist.
Als Beispiel sollte eigentlich genügen, dass der Ministerpräsident Davutoglu bei seiner Rede über den Anschlag zu aller erst, mit vorwurfsvoller Stimmlage und provokanter Haltung, die HDP (Demokratische Partei der Völker) versucht hat mit diesem Anschlag in Verbindung zu setzen. Er fragte die HDP – PolitikerInnen: „Wo seit ihr denn gewesen als der Anschlag geschehen ist?“, ohne die Bevölkerung wissen zu lassen, dass ein HDP – Politiker bei diesem Anschlag ums Leben kam und von einem anderen HDP – Politiker die Frau und der Sohn dabei verstarben, währenddessen noch dazu die Tochter nur schwer verletzt im Krankenhaus ums überleben ringen musste. Weshalb hat er denn bei seiner Rede nicht davon erzählt, wie die Polizisten nach dem Anschlag mit Giftgasbomben versuchten den Weg zu den Krankenhäusern zu versperren, damit ja alle verletzten ums Leben kommen!!!
Wenn die AKP – Regierung so traurig über diesen Anschlag gewesen ist, weshalb hat sie dann keinen nationalen Trauertag angekündigt? Weshalb hat sich nur Davutoglu zu einer wirklich (betont) ‚trostlosen‘ Trauerrede bekennen lassen, währenddessen alle anderen wie Tayyip Erdogan darüber schwiegen und kein Wort darüber sagten, außer die HDP als Zielscheibe anzugreifen und den Gegner alles in die Schuhe zu schieben? Und eine letzte Frage muss man sich mit einem klaren und gesundem Menschenverstand erst einmal beantworten: Warum spricht überhaupt ein AKP Politiker seine Trauer gegenüber der Live – Bomb aus, der zum Verhängnis von 32 Menschen wurde und viele andere physische, sowie psychische Opfer gebracht hat?
Diese Fragen sind für uns eindeutige Antworten, die wiederum Tatsachen widerspiegeln die uns zeigen, dass die AKP- Regierung hinter diesem Anschlag steckt!
Natürlich ist die Solidaritätsarbeit mit Kobane dadurch gefährdet. Dieser Anschlag wurde letztlich auch verübt, um solche Arbeiten zu verhindern. Menschen sollten nach diesem Anschlag in Angst und Schrecken geraten, sodass sie sich in der Zukunft niemand an solche Arbeiten heran traut. Insbesondere gilt dieser Angriff gegen Jugendliche und InternationalistInnen. Die Opfer dieses Angriffes waren junge Nicht-KurdInnen. Doch keineswegs werden wir mit den Solidaritätsarbeiten aufhören, koste es uns was es wolle! Sie werden uns damit nicht abschrecken können und wir werden mit dieser Überzeugung abermals versuchen, jeden Interessenten mit ins Boot zu ziehen. Für uns sind die Kantone unsere Augäpfel und die Menschen vor Ort brauchen wirklich dringend Hilfe. Für uns wird dort ein Kampf für die gesamte Menschheit geführt.

Die Freiheitsliebe: Seit dem Anschlag hat sich auch die Türkei direkt in den Krieg in Syrien eingeschaltet, wie bewertet ihr das?

YXK: Festzuhalten ist, dass es der Türkei von Anfang an nur darum ging, eine kurdische Autonomie vor ihrer Nase mit allen Mitteln zu verhindern. Die errichteten Kantone sind ein Dorn in den Augen der Türkei. Vielfach wurde die Türkei von den westlichen Mächten unter Druck gesetzt, weil sie dem IS eine Stütze ist, und dieses Blatt wollte die AKP fälschlicherweise wenden. Nun war in den Augen der westlichen Welt, die Türkei endlich dazu bereit gegen die Feinde (IS) zu kämpfen, anstatt sie zu unterstützen. Videos gingen herum, die zeigten wie türkische Kampfjets die Gebiete des IS bombardierten, doch selbst diese waren reinste Täuschung. In Wahrheit bombardierten sie die vom IS verlassenen Gebiete, also völlig sinnfrei, ohne Logik und gute Show. Hier wollen wir erwähnen, dass es kein Zufall ist, dass nachdem der Luftwaffenstützpunkt Incirlik für US-Kampfjets geöffnet wurde, die Angriffe gegen die PKK begonnen wurde. Es scheint nach einer Vereinbarung zwischen der Türkei und der USA auszusehen. Die USA gewinnt die Türkei ein stückweit gegen den IS und akzeptiert alle Mittel, die Erdogan für seinen Machterhalt einsetzt – auch das Ende des Lösungsprozesses.

Die Freiheitsliebe: Stimmt die Aussage der türkischen Regierung, dass sie vor allem gegen den IS kämpft? Wie lassen sich die Angriffe auf kurdische Gebiete erklären?

YXK: Erst richtig fing es ja genau ab diesem Zeitpunkt an. Das Militär stürmte in die Städte ein, um IS Mitglieder festzunehmen, doch in Wahrheit wurden dutzende PKK Sympathisanten, HDP PolitikerInnen und hunderte kurdische Jugendliche verhaftet. Zeitgleich setzte die Türkei noch einen oben drauf und bombardierte die Verteidigungsgebiete der kurdischen Freiheitsbewegung in Südkurdistan. In den westlichen Medien wurde die PKK gleichgesetzt mit dem IS mit Artikeln wie: „Türkei bekämpft PKK und IS gleichzeitig“, als ob das ein und das selbe wäre!
Doch zum guten hat der Täuschungsmanöver der AKP- Regierung nicht lange angehalten und jeder weiß nun, dass die Türkei nur die PKK im Angriffsvisier, die KurdInnen sowie die HDP als Zielscheibe und den Friedenssprozess ihrerseits aufgelöst hat.
Um die Angriffe auf die kurdische Freiheitsbewegung zu verstehen, muss man die Psyche der AKP gut kennen. Die AKP ist eine Partei, die in sich selbst zerfallen ist und in einem tiefen Dilemma steckt, deshalb kann sie nicht sehr gut einschätzen, welcher Schachzug zunächst der beste für sie wäre. Nach dem Tayyip Erdogan und die AKP – Regierung in den Wahlen eine krasse Niederlage erlitten haben, mussten sie mit allen Mitteln eine nächste Niederlage verhindern. Die HDP muss damit raus aus dem Parlament. Mit den Angriffen versucht die AKP – Regierung die HDP zu schwächen, den Glauben und den Mut der kurdischen Bevölkerung zu stehlen und die Wahlstimmen der NationalistInnen bei Neuwahlen zu gewinnen.

Die Freiheitsliebe: Was bezweckt die Türkei mit diesen Aktionen gegen die kurdischen AktivistInnen?

YXK: Wie schon erwähnt will man den Glauben und den Mut der kurdischen Bevölkerung damit eindämmen, doch das zu denken ist schon ein Fehler. Den Widerstandsgeist der kurdischen Bevölkerung sieht man nirgends auf der Welt. Und wenn die Jugend, den revolutionären Kampf auf die Straßen bringt, dann ist es zu spät für die Türkei. Aus diesem Grund schadet die Türkei damit nur sich selbst, weil es jetzt schon zu großen Auseinandersetzungen der YDG-H, der AktivistInnen und der Bewegung gegen die barbarische Regierung kommt.

Die Freiheitsliebe: Welche Chance besteht nun, wenn der Friedensprozess erstmal beendet ist?

YXK: Dies kann man nicht wirklich klar abschätzen. Reber Apo (Abdullah Öcalan) wird seit April einer totalen Isolation ausgesetzt und ohne die Gespräche mit ihm bzw. seiner Freilassung (und nach den Angriffen auf unsere Freiheitsbewegung) sehen wir keine Sicht zu einem Lösungsprozess. Wir kommen erst zur Ruhe, wenn wir wissen, dass es ihm gesundheitlich gut geht. Und zu einem Lösungsprozess bzw. Friedensprozess wird es wieder erst wirklich kommen, wenn er seine Freiheit bekommt! Die Kurdische Bewegung hat immer betont, dass sie bereit ist für die friedliche Lösung der kurdischen Frage. Das Problem ist, dass der türkische Staat die Legitimität der Kurdischen Bewegung oder irgend eine andere eigenständige Organisierung von KurdInnen nicht akzeptiert. Wir denken, dass die kurdische Bewegung auch in Zukunft immer bereit für einen Friedensprozess ist. Aber sie wird sich nicht bedingungslos dem türkischen Staat ergeben, so wie es von ihr gewollt wird. Notfalls wird sie sich auch zu verteidigen wissen.

Die Freiheitsliebe: Welche Möglichkeiten haben wir in Deutschland etwas gegen die neue Gewaltspirale zu tun, wie können wir den inhaftierten Abdullah Öcalan und den AktivistInnen helfen?

YXK:Es ist von großer Bedeutung sich aktiv in den Aktionen mit einzubringen und eine Gegenströmung der zur Zeit getriebenen Anti-Propaganda zu leisten. Den Menschen in Europa muss immer wieder gezeigt werden, was die Realitäten in Wirklichkeit sind. Es gibt zur Zeit viele Kampagnen in denen man sich einbringen kann, um den inhaftierten Abdullah Öcalan und den AktivistInnen zu helfen. Jede Ausgesprochene Forderung auf einer Demonstration, zur Freilassung von Abdullah Öcalan und den politisch Gefangenen ist für uns von großer Bedeutung. Menschen die wirklich Hilfe leisten möchte, sollte sich mit uns in Verbindung setzten, denn jeder Mensch ist bei uns Willkommen! Außerdem muss eins klar erkannt werden. Die BRD ist mit beteiligt an diesem Krieg gegen die KurdInnen, und zwar auf der Seite des türkischen Staates. Mit dem PKK-Verbot, der Kriminalisierung unserer Aktivitäten, der Verhaftung von kurdischen PolitikerInnen und der Waffenlieferungen ist die BRD klipp und klar auf der Seite der Türkei. All das muss ein Ende finde und jegliche Aktivität dagegen ist wichtig. Was die Rolle Öcalans angeht, einerseits: Seine Ideen und Perspektiven, die er der kurdischen Bewegung vorgibt, sind universelle Perspektiven. Er spricht von Frauenbefreiung, Basisdemokratie, Ökologie, Antikapitalismus und vielen anderen Sachen, wofür auch in der BRD gekämpft wird. Diese Ideen von ihm sollten vorgestellt werden. Andererseits muss betont werden, dass er immer eine wichtige Rollen für die friedliche Beilegung des Kurdistan-Konflikts gespielt hat und weiterhin dafür offensteht. Allein das, ist für die Öffentlichkeit sehr wichtig.

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