Antrittsrede Junckers: “Wirtschaft soll dem Menschen dienen!”

Am Dienstagmorgen hat der designierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Bewerbungsrede beim Europäischen Parlament seine Agenda für die kommenden fünf Jahre vorgestellt. Im Europäischen Parlament sprach er sich zwar für die Weiterführung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aus. Dabei solle aber die Wirtschaft dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Ein soziales Europa sei ihm wichtig. Juncker möchte außerdem ein mindestens 300 Millionen Euro starkes Investitionsprogramm vorlegen, erneuerbare Energien effektiver machen, den sozialen Dialog verstärkt in den Vordergrund stellen und auf den digitalen Binnenmarkt setzen. Konkrete Vorschläge zur EU-Flüchtlingspolitik oder der Stellung Großbritanniens macht er nicht. Das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA solle kommen. 

In seiner Ansprache an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die er abwechselnd in Französisch, Englisch und Deutsch hält, spannt Juncker einen weiten Bogen. Von transparenteren TTIP-Verhandlungen, über die weitere Intensivierung der Wirtschafts- und Währungsunion, den Ausbau erneuerbarer Energien und der Jugendgarantie, die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und der damit einhergehenden Zurückhaltung der Parlamentarier in kleinen Fragen, über die Pläne, die Troika in Griechenland demokratischer und parlamentarischer zu legitmieren bis zur Errichtung einer Energieunion, eines digitalen Binnenmarktes sowie eines verstärkten Schutzes der EU-Außengrenze.

Juncker gegen ideologische Debatten

Am Dienstagvormittag hofft Juncker auf die Stimmen der Abgeordneten, die er braucht, um Kommissionspräsident zu werden. Dafür macht er Annäherungsversuche an das Europäische Parlament. So kommt er der Forderung nach, das Lobbyregister zu veröffentlichen, damit transparenter wird, mit welchen Lobbyisten welcher Parlamentarier sich trifft. Juncker will, dass diesem Vorbild dann auch andere EU-Institutionen folgen.

Weiterhin fordert Juncker, es solle auf ideologische Debatten verzichtet werden. Diese sollten ersetzt werden durch “wirkliche” Debatten. “Pragmatisch handeln, konkrete Ziele mit Nutzen für alle”, packt Juncker es in einen Slogan. Außerdem appelliert der ehemalige Vorsitzende der EURO-Gruppe an den Zusammenhalt der Parlamentarier: “Wenn man in Brüssel ja gesagt, soll man nirgendwo sonst nein sagen. Wir gewinnen und verlieren gemeinsam in Europa.”

“Wirtschaft soll dem Menschen dienen”

Juncker will weiterhin auf die nationale Nabelschau verzichten. “Wir brauchen wieder die Gemeinschaftsmethode.” Das und anderes sei nötig, um die gewachsene Distanz zwischen EU und Bürgern zu verringern. Vor allem müsse generell besser erklärt werden, was die EU tut und beschließt. Es sei außerdem eine große Reformagenda vonnöten.

Dabei spricht Juncker zuerst die Wettbewerbsfähigkeit an. Sie werde Juncker zufolge oft verwechselt mit einseitigem Sozialabbau. Ziel müsse sein die EU zu einem aktiven Standort zu achen, für Menschen und Unternehmen. “Wirtschaft hat den Menschen zu dienen.” Dies erzwinge, dass Binnenmarktregeln keinen höheren Wert haben als Sozialreglements.

Präsident des sozialen Dialogs

Juncker bekennt sich im ersten Drittel seiner Rede als begeisterter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. “Wohlstand für ALLE” sei sein Ziel. Dabei sei es wichtig zu verstehen, dass die soziale Marktwirtschaft selbst nicht versagt habe, sondern die die gegen die Kardinaltugenden aus Profitgier verstoßen haben. Aus dem Grund will Juncker den sozialen Dialog in den Mittelpunkt seiner Präsidentschaft stellen: denn dieser sei wichtig sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.

“Investitionen sind der beste Verbündete der Arbeitslosen”

“Wir brauchen ein nachhaltiges Wachstum für Jahrzehnte”, fordert Juncker. Es entstehe ein 29. Staat, in dem die sozial Stehengebliebenen leben. Daher schlägt er ein anspruchsvolles Investitionsprogramm vor, das bis Februar 2015 von ihm vorgelegt wird. Insgesamt möchte er um die 300 Millionen Euro mobilisieren, die mit zielorientiert durch die Strukturfonds und Instrumente der Europäischen Investitionsbank verteilt werden sollen.

Die Investitonen sollen vor allem in den Ausbau des Breitbandbereiches, der Energienetze, der Verkehrsinfrastruktur der Industriezentren fließen sowie in Forschung, Entwicklung und erneuerbare Energien. Letzteres sei die Vorraussetzung, dass Europa von Morgen nachhaltige Standortvorteile zu anderen Playern in der Welt hat, sagt Juncker. Dabei stellt Juncker die soziale Dimension von Investitionen in den Vordergrund: Investitionen seien der beste Verbündete der Arbeitslosen. Deshalb solle auch die Jugendgarantie von einer Gewährung an Jugendliche bis 25 Jahre schrittweise auf 30 Jährige ausgeweitet werden. Diese Reformen sollen laut Juncker “stabilitätspaktkonform” sein: “Stabilität ist nicht nur Eintrittsgebot, sondern ein dauerhaftes Anliegen.” Flexibilitätsmargen sollen aber demnach in Zukunft verstärkt genutzt werden.

Social-impact Analysen und Plan B gefordert

Interessanterweise bezeichnet Juncker die Euro-Krise als Schuldenkrise. Er ist zwar stolz darauf, dass Griechenland (“diese tüchtige Nation”) immer noch Mitglied der Euro-Zone ist, es seien aber auch Fehler gemacht worden. In Zukunft möchte er daher minitiöse Social impact-Analysen haben, wenn Anpassungsprogramme umgesetzt werden sollen. Außerdem müsse es immer einen Plan B geben, um auch Anpassungsprogramme anpassen zu können.

Weiterhin will Juncker das Instrument der Troika neu zusammenstellen. “Es fehlt ihr eine parlamentarische Dimension, sie muss demokratischer, parlamentarischer und politischer werden”, so Juncker. Das müsse geändert werden.

Digitaler Binnenmarkt kann 200 Milliarden Euro umsetzen

Im Zuge der Digitalisierung der Gesellschaft will Juncker nationale, isolierte Datenschutzregeln abbauen. Barrieren der Datenwege wie Roaming-Gebühren müssen abgeschafft werden. Denn mit einem digitalem Binnenmarkt könne mehr als 200 Milliarden Euro umgesetzt werden.

Neben einem digitalen Binnenmarkt müsse eine Energieunion angestrebt werden, bei der der Klimawandel mit berücksichtigt wird. “Ressourcen bündeln”, “Verhandlungskraft gegenüber Drittländern gemeinsam einsetzen”, “Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten abbauen” sind die Stichwörter. 30%ige Zielsetzung sollte Mindestmaß sein, wenn man in die Zukunft schaut, so Juncker.

TTIP: Sozial-, Umwelt-, Datenschutznormen nicht verhandelbar

Jean-Claude Juncker will Steuerflucht und Steuerbetrug bekämpfen. Es solle eine gemeinsame Grundlage für Besteuerung von Unternehmen gefunden werden sowie die Transaktionssteuer eingeführt werden.

In Bezug auf das Freihandelsabkommen gilt, wie auch schon im Wahlkampf bekannt war, dass Juncker als großen Nutzen für die EU sieht und deshalb abschließen will. “Aber das Abkommen darf zu keinem negativen Preis abgeschlossen werden. Sozial-, Umwelt-, Datenschutznormen sind nicht verhandelbar. Außerdem sollen die Verhandlungen transparenter gemacht werden. Entsprechende Dokumente sollten öffentlich gemacht werden.

Außengrenze müsse verstärkt geschützt werden

Zur Zuwanderungsdebatte verliert er nur wenige Worte: “Wir brauchen eine gemeinsame europäische Asylpolitik.” Er werde eine solche vorschlagen. Dabei solle vor allem der Schutz der Außengrenze im Vordergrund stehen. Juncker bezieht sich dabei insbesondere auf den Kampf gegen Banden. Für mich missverständlich und noch nicht klar einzuordnen war der Satz: Es solle gekämpft werden gegen Leute, die zu uns kommen, bevor sie ins Boot im Mittelmeer steigen. Das würde dann den am Montag öffentlich gewordenen Erkenntissen entsprechen, dass die EU die Afrikanischen Flüchtlinge am liebsten schon in der Sahara von der Flucht abhalten möchte.

Apllaus erntet Juncker jedoch für seinen Ausspruch: “Migration ist kein Problem nur von Italien, Griechenland, Malta, sondern ein Problem von ganz Europa.”

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